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Vielen Dank auch an Amy Weber fr ihre wunderschne Zeichnung der Armageddon-Uhr, Mark Reynolds, weil er mir freundlicherweise eine Kopie der Landkarte zur Verfgung stellte. Randy Asplund-Faith opferte wertvolle Zeit, um mir die Einzelheiten seines Gemldes der Elfenfestung zu erlutern; Bob Eggleton fertigte den schnen Buchumschlag an. David Kirchhoff sorgte fr fachmnnischen musikalischen Rat und half mit erwhnenswerten Vorschlgen aus. H. C. Patterson, ein Veteran der Salzwasserfischer, erzhlte lange Geschichten ber Zeiten und Gezeiten, und Carla Vaananen bot mir den hochwillkommenen Rat der ersten Leserin an. Herzlichen Dank an Nancy C. Hanger fr ihre erstklassige Lektorarbeit an diesem Buch, an Marsha Waggoner fr grndlichste Recherchen, an Michael Ryan, der das Buch in der Endphase bearbeitete, und an Gloria Beckner, die Expertin fr Haustiere ist. Weiterhin mchte ich John Haie und Stephanie Maloney danken, die mir vor Jahren ermglichten, als Knstlerin an den Ausgrabungen der Universitt von Louisville in Torre de Palma, Portugal, teilzunehmen. Und noch etwas: Deuce Sapp - Doulos ist fr dich, mein Freund. Erster Teil ~KAPITEL 1 Im antiken Sumifa, 3000 BCE Das weie, marmorne Gesicht von Sumifas monumentaler Sonnenuhr hellte sich langsam auf, als die rote Sonne ber den Wanderdnen der fernen Hochwste aufging. Ein hohes, schmales Basaltbildnis des Kopfes von Caelus Nin, des sumifanischen Gottes der Zeit und Patrons der Ahnen, bildete das zweigesichtige Zifferblatt der Sonnenuhr, der als schweigender Wchter am Haupttor der Stadt stand. Die wettergegerbte Ostseite blickte zornig in das grelle Licht, ein volles Stundenglas in den knochigen Hnden haltend, whrend das ebenso unfreundliche westliche Gesicht von der kalten Dunkelheit verhllt blieb. Samor der Sammler schritt lautlos zu seinem Arbeitszimmer, schlo die Tr auf und ffnete ein Exemplar des _Heiligen Buches der Bekenner_, das Mishra seit dem ersten Tag seiner Machtergreifung in Almaaz verboten hatte. Da es in einer fr ihn nicht lesbaren Sprache geschrieben worden war, traute er weder dem Buch noch seinen Anhngern. Er frchtete ihre Lehren fast so sehr wie den Gedanken, die Macht an seinen Bruder Urza zu verlieren. Samor hob den Kopf, sang laut den Schwur des Zauberkreises und wartete, whrend rings umher im Land zahlreiche Magier, Mitglieder von Mishras Hofstaat und hchste Ratgeber des Landes, in ihrer Arbeit, beim Frhstck und in Gesprchen innehielten und sich an abgelegene Orte zurckzogen, um sich auf die Worte vorzubereiten, die niemand auer ihnen vernehmen konnte. Als er ihre Bereitschaft sprte, sang Samor die Botschaft des Buches fr den bevorstehenden Tag. Frchte dich nicht, hatte der Geist des Buches befohlen, dessen Stimme beharrlich in Samors Kopf widerhallte und sich bedeutend dringlicher als sonst anhrte. Verwirrt entlie Samor den Zauberkreis, schlo das Buch und zog sich in den Hof zurck, um ber die Worte nachzudenken. Aber bevor er ber die Botschaft nachdenken konnte, erhielt er einen seltsamen Befehl; eine Botschaft Mishras, die ihm von Porros, einem der jngeren Magier, berbracht wurde, der auf einer Donnerwolke ber den Morgenhimmel geritten kam. Porros landete im Innern des Hofes und bergab Samor eine Botschaft, die auf die abgerissene Ecke einer Feldzugkarte geschrieben worden war. Sie enthielt nur einige schwach lesbare Worte: Ich stecke in Schwierigkeiten. Komm _sofort_. Darunter haftete als Unterschrift Mishras knigliches Siegel. Ein kleiner Kreis im Grenzgebiet zeigte den Platz an. Wir fliegen zum Berg Sarrazan. Ich werde dich fhren, rief Porros und klopfte sich den Sand aus den Gewndern. Samor schluckte etwas davon und wandte den Kopf ab, als Porros unbekmmert fortfuhr: Rufe die anderen zusammen, damit sie uns helfen. Mishra bedarf unserer grten Kraft. Es handelt sich um einen Basilisken, Samor. Anscheinend hattest du recht; sie sind in der Tat echt. Mishra ist dort? Warum fhrt er seine Truppen wegen einer Ch'mina-Ernte in den Kampf? Lebt er noch? Man sagt, da alle, die dem Blick eines solchen Monsters begegnen, sterben. Und wer hat dies Untier gerufen? rief der Sammler besorgt. Das war Urza. Sie soll eine Falle fr seinenBruder sein. Urza mu einen Spion in unserer Mitte haben. Unser Herr Mishra wurde durch eine List dazu gebracht, die Truppen selbst zu fhren, antwortete Porros, dessen eigentmlicher Blick an den vielen Goldringen des Sammlers haftete. Aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Du bist der einzige, der das Lied kennt. Und der einzige, der alle Mitglieder des Zauberkreises kennt und uns versammeln kann. Der unnatrliche Sturm tobte um sie herum, bog die Palmen in alle Richtungen und drohte, den sorgfltig gepflegten Garten zu verwsten. Mit wehenden Gewndern starrte Samor den jungen Mann lange an, aber Porros weigerte sich, ihm in die Augen zu sehen. Warte hier! Der Sammler lief in sein Arbeitszimmer, um den Zauberkreis aufzurufen und vor dem Basilisken zu warnen. Aber er rief nur eine Handvoll Magier zusammen; diejenigen, deren Stimmen sich zu dem alten Zauber vereinen konnten, den er eilig aus dem Bestiarium abschrieb. Dann gesellte er sich wieder zu Porros, die dunkle Magie der Donnerwolke hob sie empor, und sie flogen ber die Wste, auf den Berg Sarrazan zu. Als sie sich wieder der Erde nherten, flog das Monstrum auf die andere Seite des Berges. Nach und nach erschienen die Magier des Zauberkreises, von eigenen Winden herangetragen, und alle starrten mit unglubigen Blicken auf den zwanzig Fu tiefen Krater, in dessen Umkreis zerbrochene Felsen und Erdbrocken lagen. Schweigend nahm Samor die Ankunft aller, die er einberufen hatte, zur Kenntnis, whrend sie sich ber das Schlachtfeld verteilten und die Verwundeten versorgten. Nachdem die Magier ihre Pltze eingenommen hatten, fgte Samor ihre Kraft der seinen hinzu; in jeder Sekunde, die verging, erwartete er die Wiederkehr des Monstrums. Er mute nicht lange warten. Das Untier fuhr mit einem Schrei um die Bergspitze herum, der Samor Schauer ber den Rcken jagte. Als er den Blick hob, um die Entfernung abzuschtzen und, wie er zugeben mute, um einen Blick auf das Wesen zu werfen, das eine solche Vernichtung angerichtet hatte, erwartete er, ein riesiges Monstrum zu sehen, das wenigstens so gro wie Mishras Turm wre. Aber der Basilisk, der mit unglaublicher Geschwindigkeit um die Spitze des Berges geflogen kam, war nur so gro wie ein schweres Pferd. Beinahe verga Samor seine Vorsicht und sah weiter hin, denn seine Neugier lie ihm keine Ruhe, wie das Untier mit den rot-grnen Schuppen den fruchtbaren Berghang in so kurzer Zeit derart verwsten konnte. Aber dann wandte er die Augen ab, schaute wieder ber das Schlachtfeld und war sicher, da er nie zuvor solche Verwstung geschaut hatte, nicht einmal damals, als die Brder ganze almazaanische Wlder abgeholzt und dem Erdboden riesige Wunden zugefgt hatten. Der Basilisk hatte bereits ein ganzes Dorf und den Berghang zerstrt; auch die wertvolle Ch'mina-Ernte, wegen der sich Mishra und Urza stritten, war vllig vernichtet. Sogar die Wasserquelle der Elfen, der Oberlauf des Sarrazan-Flusses, strmte schmutzig und faulig dahin. Als das Untier erneut ber ihnen kreiste, hielt sich Samor die Augen zu. Wie konnte es so einen Schaden anrichten, Porros? rief er ber den Lrm des Schlachtfeldes hinweg. Es kam drei Stunden vor Sonnenaufgang, erwiderte Porros, und anfangs hielten wir es fr eine von Urzas Maschinen. Zu Beginn jeder neuen Stunde nderte es seine Gestalt, seine Taktik und seine Richtung. Vor Tagesanbruch konnten wir nicht genau sehen, was uns bedrohte. Die meisten Leute, die durch seinen Blick starben, mssen es angestarrt haben, als es noch dunkel war. Offensichtlich verwandelte es die Suren seines Atems und das Feuer seiner Augen, so da es alle Sprche der Jungmagier verschluckte. Bei Tagesanbruch hatte sein Atem Hunderte vernichtet, und sein Blick lie viele Hunderte zu Stein erstarren. Wie du siehst, starren sich die Brder ber die Krper der gefallenen Armeen und ihrer erfolglosen Magier hinweg noch immer wtend an. Sie sind ratlos. Wir muten die Mnner und Frauen, die gegen das Wesen kmpften, liegen lassen, ohne da ihr Mut verzeichnet werden kann, denn die Schlacht tobte ber ihren Leichen weiter! rief Porros grimmig. Schlielich schickte Mishra mich aus, um dich zu holen. Samor wischte sich den Schwei von der Stirn und fragte sich, ob das alte Lied, das er aus dem Bestiarium abgeschrieben hatte, wirklich helfen wrde. Wieder blieb ihm wenig Zeit zum Nachdenken; hoch ber ihren Kpfen umkreiste der Basilisk den Berg, flog immer schneller und vergrerte seine Kreise wie der Zeiger einer Uhr. Wenn er nicht schnellstens handelte, wrde ganz Almaaz bald aussehen wie der Berg Sarrazan. Haltet euch die Augen zu! erinnerte Samor die Magier, als sie das Kreischen des Monstrums vernahmen. Seht es nicht an! Porros gab die Worte weiter. Endlich entdeckte Samor Mishra und gesellte sich zu ihm. Ich kenne blo ein Lied gegen diese Art von Untier, aber das haben wir noch nie ausprobiert, erklrte der Sammler dem Knig, whrend ein heier Windsto sie umfing. Nun, dann benutze es oder du wirst mit uns allen verloren sein! brllte Mishra unter dem Panzerhandschuh hervor, den bronzenen Armschutz fest gegen das Gesicht gedrckt. Genau in jenem Augenblick fegte der Basilisk in niedriger Hhe ber sie hinweg, und sein Blick traf einen unvorbereiteten Krieger, dessen Rstung pltzlich leer und angesengt zu einem Haufen geschmolzenen Metalls zu Boden fiel. Das Monstrum kreischte triumphierend, und sein heier, stinkender Atem zerbarst mehrere riesige Felsbrocken, die im Wege lagen. Dann zog es weiterhin seine Kreise. Whrend Samor darauf wartete, da der Basilisk wieder nher kam, versprte er pltzlich das dringende Verlangen, das Monstrum einmal aus der Nhe zu betrachten, nur ein einziges Mal, um Wissenswertes zu erfahren, um in der Lage zu sein, die Zeichnung im Bestiarium zu berichtigen. Als Samor bewut wurde, wie verrckt dieser Gedanke war, schttelte er den Kopf und verjagte ihn. Bei der nchsten Runde, als sich die roten Augen des Wesens durch seinen rmel zu bohren schienen, ihn lockten und ihn die Worte des unvertrauten Spruchs vergessen lassen wollten, sang der Sammler zum ersten Mal den schwierigsten Schutzzauber, den er je gewirkt hatte. Das Herz schlug ihm schmerzlich und unregelmig in der Brust als das Lied durch die Luft hallte. Einzelne Mitglieder des Zauberkreises vereinten lautlos ihre Magie zum Schutz, whrend Samors lteste Freunde das Wagnis der Entdeckung eingingen und sich seinem Gesang anschlossen, bis das Kreischen des Basilisken von der Musik bertnt wurde. Anfangs nderte sich kaum etwas: Das Wesen schwankte und wankte nur hin und her, richtete sich aber immer wieder auf und schlug wie wild mit dem Schnabel und den Klauen um sich. Dann jedoch klrte sich pltzlich der Himmel auf, und auch die Quelle der Elfen regte sich frisch und sprudelnd, whrend die hellen Klnge des Liedes ber die Wellen tanzten und den Flug des Monstrums unterbrachen, dessen Flgel sich ineinander verfingen. _Noch eine kurze Weile,_ dachte Samor, _dann wird es tot am Boden liegen._ Dann ertnte ein schrilles, widerwrtiges Gerusch und suchte das Lied zu ersticken. berrascht brach Samor ab, als die Macht des Zaubers von einer dunklen, bsen Kraft durchdrungen und abgelenkt wurde. Von der Musik zu Fall gebracht, lag das Wesen strampelnd am Boden, war aber nur benommen und weit vom Tode entfernt. _Ist das mglich?_ wunderte sich Samor. _Irgend jemand hat falsch gesungen. Wir haben es nur zum Schlafen gebracht!_ Da seine Augen noch immer von seinem rmel bedeckt wurden, hrte Samor nur, wie sich der Basilisk immer wieder zu erheben versuchte, mit dem Schnabel klapperte und mit den Flgeln schlug. Noch schlimmer, Samor wute, da er zu nahe an dem Untier stand. Er fhlte den schlechten Atem, und eine neue Verlockung, das Untier anzusehen, drngte sich in seine Gedanken. Die Gewiheit, einen Verrter im Zauberkreis zu haben, entsetzte ihn, und er hatte das Vertrauen in den einzigen Spruch, den er dem Basilisken entgegenstellen konnte, verloren. So beugte sich der Sammler dem unertrglichen Druck, ri die Arme vom Gesicht und wagte es, das Wesen anzusehen. Er hatte ein scheuliches, hliches Monstrum erwartet. Er hatte damit gerechnet, es abstoend zu finden. Statt dessen war Samor sofort fasziniert. Nie zuvor hatte er so schne Farben gesehen; es war, als sei ein ganzer Regenbogen in den Schuppen und Federn des Schwanzes eingefangen. Als das Sonnenlicht auf den Basilisken fiel, wechselten die Flgel die Farbe, wetteiferten mit dem Glanz der Sonne, die durch die Wolkendecke brach und verblaten, als Schatten ber sie hinwegzogen. Das Untier wlzte sich hin und her, schrecklich und majesttisch im Kampf gegen den magischen Schlaf. Die gelben Krallen whlten groe Brocken der verwsteten Erde auf, die mit Klauen versehenen Flgel kratzten ber die zerbrochenen Felsen, auf denen es lag. Schnell fand Samor die Sprache wieder, konnte sich aber nicht abwenden, bevor das Wesen eines der grausigen roten Augen auf ihn richtete, seinen Blick gefangennahm und den Sammler durch die Macht der Angst festhielt. Samors Herz schlug wie wild. Frchte dich nicht, hatte das Buch gesagt. Er kmpfte, um ihm zu gehorchen. Aber Porros war zu frh gekommen, Samor hatte keine Zeit gehabt, sich die Worte zu eigen zu machen und in seinem Herzen zu versenken, wo sie ihm Schutz bieten wrden. Samor war nur in der Lage, gebannt festzustellen, wieviel Klugheit und Schlue im rubinroten Auge des Untiers zu entdecken waren, wie der Basilisk ihn ergrndet hatte, wie er das Lied gelernt hatte, und wie sehr er ihn und alle lebenden Wesen hate, die wagten, ihn herauszufordern. Samors Beine gaben nach, und er fiel auf die Knie. Der Schnabel des Monstrums bohrte sich in den Boden, aber es war nicht in der Lage, den Kopf zu wenden, um den Sammler mit beiden Augen anzusehen und ihn dort, wo er kniete, zu Stein erstarren zu lassen. Zitternd, den Tod in jenem schlafverhangenen roten Auge sehend, wute Samor pltzlich, da der Zauber nie wieder wirken wrde. In der seltsamen Stille hatten die brigen Magier begonnen, sich zu regen. Der Samor am nchsten stehende Jungmagier kroch auf ihn zu, um nach dem reglosen Meister zu sehen. Samor sprte die Augen des Jungen auf sich ruhen, konnte aber nichts tun und den Blick nicht aus der tdlichen Umklammerung lsen. Der Jungmagier dachte kurz nach. So schnell und gewandt er vermochte, legte er den schweren Umhang ab, wirbelte ihn vor Samors Gesicht herum und brach so den Bannzauber des Ungeheuers. Der Basilisk zischte und stemmte sich mit den Flgeln hoch; die Krallen zerfetzten und zerrissen den Jungen, als Samor hinten berfiel und gegen die lhmende Angst kmpfte, die durch die gellenden Schreie des Knaben verstrkt wurde. Fieberhaft dachte er ber ein anderes Schutzlied nach. Aber es gab keines, kein einziges. Sekunden verrannen, und der Basilisk drehte sich im Kreis, langsam den Schlaf abschttelnd. In seiner Panik fiel Samor nur eine einzige Melodie ein, die er vor kurzem benutzt hatte, um Lesta beim Umgraben ihres Gartens zu helfen. Der Zauber war weder tdlich noch heldenhaft und konnte mit Leichtigkeit versagen, eine ffnung zu schaffen, die gro genug war, das Untier aufzunehmen. Damit wre Samor am Ende gewesen, aber das war alles, was er noch hatte. Der Magier erhob sich, hielt sich mit uerster Willenskraft die Hnde vor die Augen und legte die ganze Kraft seines Herzens in das kleine Pflanzlied. In seiner Verzweiflung erreichte seine Stimme eine Kraft, die ihm fremd war. Die Steine eines seiner Ringe glhten mit der Kraft, die sie aus dem Land zogen, und ihre Facetten leuchteten so hell wie das Gefieder des Basilisken. Bevor er noch zu Ende gesungen hatte, barst die verwstete Erde krachend auf und verschluckte das kreischende, flgelschlagende Ungeheuer. Die Magier des Zauberkreises stimmten in die letzten Tne des Liedes ein; ihr Kontrapunkt zog Kristalle aus dem verbrannten Boden und schichtete sie ber dem Monstrum zu einer glnzenden Tr auf. Der ganze Berg erbebte und drhnte, als der Sammler die Schlunote sang, und diesmal - endlich - war nichts mehr von dem Basilisken zu hren. Ein oder zwei Sekunden lang herrschte vllige Stille. Samor schaute sich um: Die Kraftstrme des letzten Liedes und das Zittern des Berges hallten ihm noch lange in den empfindlichen Ohren wider, erschtterten seine Knochen und drohten, ihn taub werden zu lassen. Aber schlielich gelangte er zu der Erkenntnis, da Almaaz und Sumifa, das ganze Land und die Vlker, in Sicherheit waren. Der kurze Kampf war sie teuer zu stehen gekommen. Zusammen mit elf Dorfbewohnern und einer gesamten Legion der besten Lanzer Urzas lagen auch vier der ltesten Mitglieder des Zauberkreises tot am Boden; einige von ihnen Hand in Hand, die Augen aufgerissen, die Krper zerfetzt oder zu Stein erstarrt. Ein paar Menschen fand man gar nicht mehr. Mit schmerzenden, drhnenden Ohren und einem Herzen, das durch den schrecklichen Blick des Ungeheuers bang klopfte, kletterte der Sammler ber rauchende, zerschmetterte Ahornbume und schneeweie Birkenstmme, ber die verwsteten Terrassen der Ch'mina-Ernte der Elfen, um seine letzten Pflichten zu erfllen. Er fand und begrte Urzas obersten Magier und schritt dann zurck zu den briggebliebenen Mitgliedern seines geliebten Zauberkreises. Nach dem letzten Lied hatten sie sich klugerweise wieder verstreut und waren zwischen den brigen Magiern inmitten der Verwundeten und Sterbenden damit beschftigt, sich um die letzten oder zuknftigen Bedrfnisse der Menschen zu kmmern. Samor... Aswi der Absender ergriff ihn am rmel, als er vorberging. Es ist Praden... Ich glaube, er wurde von einer Kralle getroffen, als sich das Ungeheuer am Boden wand. In der Mitte des grten Kraters lag Praden der Pflanzer, Samors bester Freund, und hielt einen groen, glatten, eifrmigen Stein umklammert. Er drckte den seltsam aussehenden Stein mit seinen Hnden so fest, als wollte er ihn zerquetschen. Das ganze Blut war aus Pradens Krper gewichen. Am Hals klaffte eine handbreite, hliche Wunde. Der Sammler weinte, als er den bleichen Leichnam aufhob und sanft zu den anderen Krpern legte. Weitere Trnen rannen, als Aswi die Leiche des Jungmagiers brachte. Samor konnte sich nicht an den Namen des Jungen erinnern. Samor, der Kokonspruch ... du mut uns leiten. Aswi winkte ihm. Ich kann nicht..., antwortete Samor. Du mut. Du bist unser Meister, stellte Aswi ruhig fest. Wir werden dir folgen. Mach nur den Anfang. Dann stimmten alle ein; smtliche Magier Mishras halfen, die Erde auszuhhlen und die Krper sanft in die neu geschaffenen Grabkammern zu betten. Whrend jenes leisen Liedes war Samor nicht mehr in der Lage, seine Gefhle zurckzuhalten - er, der nie zuvor Zgern oder Kompromisse gekannt hatte, zitterte heftig, als ihn die alles verschlingende Angst zu verzehren drohte. Whrend der Rituale sahen die inzwischen noch wtender und feindlicher gewordenen Brder zu, da keiner von beiden den Sieg beanspruchen konnte - weder Urza auf seinem entfernt liegenden Berggipfel, noch Mishra auf seinem Streitro auf dem rauchenden Schlachtfeld. Nun, ist es tot? fragte Mishra und trieb sein schnaubendes Pferd zu Samor hinber, der als letzter vor dem neuen Grab stand. Nein. Diese ... diese hier sind tot. Er wies mit der Hand auf den Erdhgel. Das Monstrum schlft nur. Es wurde wie ein Samen in die Erde gepflanzt. Eingeschlossen. Wrde die Mauer zerspringen, wrde sich der Basilisk wieder erheben und losfliegen, wahrscheinlich zu seinem Nest. Seht Euch die Spuren seiner Zerstrung an. Samor deutete auf die Kreise der Verwstung, die in den Berghang gezogen worden waren, und lie dann beschmt den Kopf hngen, da er nach Worten suchte, um Mishras Vergebung zu erlangen. Bevor er weiterreden konnte, brach Mishra in Gelchter aus und schlug ihm fest auf den Rcken. Gut gemacht, Samor, sehr gut. Sehr schlau von dir, ein so seltenes und tdliches Untier nicht gleich umzubringen. Es ist eine brauchbare Reserve. Seitdem du nicht mehr am Hof weilst, scheinen deine Krfte zugenommen zu haben - als besest du die Kraft von hundert oder mehr Magiern. Ich frage mich, wieso? Insbesondere, weil ich doch alle Almazaan-Magie habe verbieten lassen. Du weit nicht zufllig etwas darber, oder? Samor wich Mishras stechenden schwarzen Augen aus, da er sicher war, der Listige wrde ihm jedes Mitglied des Zauberkreises von den Augen ablesen knnen. Natrlich weit du nichts davon, fuhr Mishra fort. Samor, mir fllt da etwas ein. Es wird einem Zauberer deiner Fhigkeiten keine Umstnde bereiten. Erfinde mir einen Spruch, der das Untier _befreien_ kann. Ein Ungeschehenmachen, wenn du so willst. Und fge noch ein Lied ber meinen Triumph hinzu. Etwas Einfaches, Einprgsames, beinahe Schlichtes, erklrte Mishra und lchelte bse. Und ich will, da mein Bruder davon erfhrt - da ich lernen werde, dem Ungeheuer zu befehlen, da er nur rufen konnte. Samor, la uns ein groes Bildnis - ich stelle mir beispielsweise eine Uhr vor - auf dem Berghang anbringen, als Erinnerung daran, da das Monstrum der Stunden nur so lange schlft, wie ich es nicht erwecke. Er bckte sich, hob eine Handvoll des geschwrzten Sandes auf und lie ihn langsam durch die Finger rinnen. Ich werde die Inkarnation Caelus Nins sein. Urzas Zeit liegt in meiner Hand. Mishra lchelte. Entsetzt, und mit dem Anblick des Ungeheuers im Kopf, dachte der Sammler augenblicklich an seine Tochter Claria, wie sie mit ihren Papageien spielte, an seine wunderbare, frhliche Gemahlin, an die vertrauensseligen Nachbarn in Sumifa und die Gesichter und Stimmen, die ihm whrend seiner Reisen begegnet waren. Und was war mit seiner Sammlung, dem ganzen Wissen und der Kunst? Was war mit den gefallenen Mnnern und Frauen, denen er gerade das Lied des Schlafes der Verwandlung vorgesungen hatte? Was war mit Praden, der in den kurzen Augenblicken starb, als Samor mit dem tdlichen Blick des Basilisken gerungen hatte? Was mit dem namenlosen Jungmagier? Zu welcher grauenvollen Verwstung wrden sie auferstehen, wenn die Zeit der groen Erweckung gekommen war? Er konnte sie nicht lnger beschtzen. Ihn schauderte, als er in die grausamen grauen Augen des zu allem entschlossenen Knigs blickte. Eines wute Samor: Wenn er das Ungeheuer jetzt nicht hatte tten knnen, wrde er es niemals besiegen. Wrde es befreit, dann wrde es ganz Almaaz mit vlliger Vernichtung heimsuchen. Langsam schttelte er seinen dunklen Kopf und verweigerte zum ersten Mal in den mehr als zwanzig Jahren, seitdem man ihn gekauft und an den Hof des Listigen gebracht hatte, einen Befehl des Knigs. Knig Mishra, ich bitte Euch, mir eher das Leben zu nehmen, als da ich zustimmen knnte, die Welt wieder einer solchen Gefahr auszusetzen. Ich bitte Euch untertnigst zu bedenken, da dieses Grauen nicht nur Eure Feinde angreifen wird. Statt dessen flehe ich Euch an; Lat mich meinen Fehler berichtigen und einen Weg finden, das Monstrum fr immer einzusperren oder noch tiefer in der Erde zu versenken. Es zu behalten wrde letztlich nur das Ende allen Lebens bedeuten. Denn wo es einen Weg zur Befreiung gibt, da folgt auch ein Wille. Bitte erlat es mir, den Weg zu bereiten. Folge meinem Befehl und meinem heiligen Zepter oder - bei den sechs Verwnschungen des Caelus Nin - ich werde dir deine kostbarsten Schtze fr immer entreien, Samor. Samor brauchte keine weiteren Erklrungen, um zu wissen, da der Knig von Claria und ihrer Mutter Lesta sprach. Wie kannst du es wagen, dich so zu benehmen, als seiest du ein freier Mann? Ich kann jederzeit einen neuen Magier finden, whrend du meine Folterkammer zierst. Und wie viele andere wrden dir dahin folgen, hm? Ich gewhre dir zwei Tage Zeit, knurrte Mishra. Der Sammler verneigte sich, die Augen brannten von ungeweinten Trnen, und er nickte mit dem Kopf. Was bedeuteten schon zwanzig Jahre ehrenvoller Dienste, wenn man ihn nach Mishras Meinung so leicht ersetzen konnte? Der Groe Listige wrde seinen Willen bekommen, und irgendwann wrde jemand entdecken, wie man das Ungeheuer wecken und befreien konnte. Lange nachdem die Brder und ihre Armeen den Berg hinabgewandert waren, verweilte Samor noch, tief in Gedanken versunken. Der Rauch der verbrannten Bume drang ihm in die Nase, die traurigen Stimmen der entsetzten Elfen hallten die ganze Nacht in seinem Herzen wider. Es schien keine zufriedenstellende Antwort zu geben. Wenn er tat, was Mishra verlangte, wrde die Welt mit Sicherheit erneut eine Verwstung erfahren, wie sie nie zuvor gesehen ward. Wenn er sich weigerte, wrde Mishra seine Familie und sein Leben zerstren, der Kreis wrde entdeckt, das Buch verbrannt, der Zorn des Listigen ber sie ausgeschttet, und ganz Almaaz wre seinen wahllosen Verrcktheiten schutzlos ausgeliefert. Derzeit waren die Angehrigen des Zauberkreises die einzigen, die das Land hteten und heilten, nachdem Mishra und Urza darauf herumgetrampelt waren. Der einzige Weg, eine Kristallmauer zu ffnen, die der Zauberkreis geschlossen hatte, bestand darin, einen Laut zu erzeugen, der so gewaltig war, da der Benutzer auf der Stelle taub wurde. Keine menschliche Stimme konnte solche Schwingungen hervorbringen. Das Sternbild der Drei Schwestern war nach Einbruch der Dmmerung aufgegangen, und noch immer kmpfte Samor mit seiner Angst, seinem Gewissen und seiner Vorstellungskraft. Um Mitternacht, als die Monde aufgingen, wanderte er blindlings den Berg hinab. Bei Sonnenaufgang gelangte er in ein ihm unbekanntes Tal. Rings umher erhoben sich Trme aus glnzendem Ganzit, von denen einige mehrere hundert Fu hoch in den Himmel aufragten, wie dnne Finger, die mit der Luft spielten und leise Seufzer und ein Wispern helltnender Musik ausstrmten, als handele es sich um die Stimmen der Elfen selbst. Dann blickte der Sammler nach oben und sah, wie die Sonne auf die Kristallwand schien. Der grelle, blendende Schein schmerzte ihm in den geschwollenen Augen. Bisher war er einer Lsung nicht nher gekommen. Als sich die Sonne aber ber den Ganzittrmen erhob, fegte der Wind hindurch, und der Sammler fand sich inmitten eines donnernden Chors berauschender Musik und Tausender bizarrer Spiegelbilder seiner selbst wieder. Trotz seiner Schwierigkeiten und seiner niederdrckenden Sorgen lachte Samor hysterisch und verursachte ein nie enden wollendes Echo. Jeder Widerhall verdoppelte die Lautstrke und Kraft des vorangegangenen Tons. Er versuchte, Teile altbekannter Melodien gegen die Kristalle zu klopfen - von den sanftesten Tnen bis hin zu den kraftvollsten Schlgen. Nach wenigen Augenblicken glaubte er, einen Weg gefunden zu haben, um Mishra das zu geben, wonach er verlangte. Er machte sich an die Arbeit, wanderte durch das seltsame Tal und untersuchte jeden Turm auf seine Besonderheiten hinsichtlich der Klnge und Tne. Bei Einbruch der Dunkelheit hatte er den richtigen Turm entdeckt. Es handelte sich um den grten im Tal, an dessen Fu sich ein kleiner Schlitz in Samors Augenhhe befand. Wenn man den Spalt verschlsse, wrde der Wind den Klang des Turmes gegen die brigen Ganzitriesen werfen, das Echo erklingen lassen, und die seltsame Musik wrde zu solcher Lautstrke anschwellen, da sie schlielich zerspringen muten. Dem Sammler war bekannt, was diese gewaltigen Tne noch ausrichten konnten. Die Schwingungen wrden einen groen Sturm hervorrufen, der durch das tiefe Tal fegen wrde. Die ungezhmte Stimme des Sturmes wrde immer krftiger und strker werden, wenn sie durch das de, leere Tal brauste. Wenn sie den Berghang erreichte, mute das ohrenbetubende Gerusch den Laut erzeugen, der die Kristalltr aufbrechen konnte. Nach einer Weile fand Samor ein kleines Stck Ganzit, das wie ein Schlssel in den Spalt des erwhlten Turmes pate. Er belegte es mit einem Zauber und pate es der kleinen ffnung genau an. Dann steckte er es in seinen rmel. Jetzt mute er sich nur noch um Mishras Triumphlied kmmern. Wieder sah er zum Berg empor, auf die glnzende Kristallwand, die das Ungeheuer gefangen hielt. Regenbogen tanzten auf der Oberflche und erinnerten ihn an die Schnheit des Gefieders. Sofort begann sein Herz wie wild zu klopfen, denn er dachte an den Blick des Untiers, und er fhlte sich, als knne der Basilisk seine Gegenwart noch immer spren. Samor atmete tief durch und sagte: Beim Geist des heiligen Buches, du hast keine Macht ber mich. Ich verfluche deine Bsartigkeit! Eines schwre ich; Das Lied, das dich befreit, wird dich auch vernichten! Zitternd stand Samor da, als seine Worte von pltzlicher Kraft durchdrungen wurden und ihn von der zermrbenden Angst befreiten. Er fhlte das Monstrum im Schlaf um sich schlagen, um ihn in die schrecklichen Erinnerungen zurckzutreiben, damit es wieder erwachen und wahrhaftig erscheinen konnte. Nein, sagte er nur, und das Bild in seinem Kopf erlosch, als habe es ihn nie gengstigt und seine Phantasie nie gefangengehalten. ber alle Maen erleichtert und erschpft verga Samor aber nicht, da er noch Arbeit vor sich hatte. Gedankenverloren nestelte er an einem Anhnger herum, den er an einer Kette um den Hals trug. Er dachte an eine Melodie, die gleiche Melodie wie die von Clarias Namenslied - jene einfache, vollkommene Tonfolge, die Ordnung in jedes Durcheinander brachte. Immer wieder schwirrte sie ihm im Kopf herum. Er berprfte seine Berechnungen. Prfte sie noch einmal. Dann lchelte er. Wenn Mishra den Ganzitschlssel ins Schlo steckte und das Triumphlied sang, wrde es sich um Clarias kleines Lied mit der harmonischen Melodie handeln, das die Kristallmauer einstrzen lie und das Monstrum an seinen angestammten Platz zurckschicken wrde. Mishra sollte seine Uhr haben. Und Almaaz blieb noch Zeit. Mit leichteren Schritten wanderte Samor nun den Berg zum Schlachtfeld hinauf. Riesige Schmeifliegen schwebten ber den rauchenden Trmmern und Erdspalten - offene Wunden der Erde. Der Geruch des Todes drang Samor in die Nase. Morgen wrden Mishras Steinmetze hier erscheinen, um das riesige Stundenglas zu bauen, das der Listige als rechtmiges Wahrzeichen fr den Standort seiner neuesten Waffe bestimmt hatte. Es htte ein Grabstein sein sollen, dachte Samor, fr die Tausende, die in diesem widerwrtigen Kampf starben. Mit Hilfe der Elfen heilte sich der Wald selbst, was an dem zarten grnen Schimmer ber dem aufgewhlten Erdboden und den winzigen Blttern an den Bumen sichtbar wurde. Schon bald wrden die Andenken an den Tag des Ungeheuers von dem dichten Unterholz und Gestrpp des Waldes von Sarrazan bedeckt sein. Ja, das stimmt. Dafr werden wir sorgen, sagte eine silbrige Stimme. Beunruhigt drehte sich Samor um und fand sich einem hochgewachsenen, blonden Elfen gegenber, der nur wenige Fu entfernt stand. Du kannst meine Gedanken hren? fragte Samor, dessen Neugier im gleichen Mae stieg, wie sich sein Arger verringerte. Nicht ganz. Aber ich kann in deinem Herzen lesen, deine Augen beobachten und sehen, wohin sie schweifen und was sie entdecken. Wir haben dich die ganze Nacht beobachtet. Wir fragten uns, ob wir es dir leicht machen und dir einen Pfeil durchs Herz jagen sollten. Aber dann wrde der Tyrann einen anderen schicken, und jener knnte sich vielleicht weniger um das Leben sorgen, als du es tust. Daher beschlossen wir zu warten und wollten sehen, ob du deine Angst berwindest. Du hast dich tapfer gehalten. Samor schttelte den Kopf. Nein, mein Freund. Ich bin nur ein Sklave und habe zwischen zwei beln gewhlt. Ich entschied mich fr das geringere und das aus Eigennutz. Ich bete darum, da Mishra diesen Ort und das, was er verlangte, vergessen wird. Vielleicht wird einmal einer kommen, der das Untier fr immer vernichten kann. Ich schaffe es nicht. Wie du meinst. Das Monstrum wird, wie alle Dinge, dereinst seinen Heimweg finden. Es ist noch Zeit, antwortete der Elf. Ja. Jetzt haben wir noch Zeit. Ich bete, da sie ausreicht. Sage mir, mein Freund, wer bist du, und wie nennst du dieses Tal? Ich mchte den Namen in meine Bcher schreiben. Der Elf dachte nach und stand lange Zeit schweigend da. Dann sagte er: Ich werde Sh'Daran genannt. Dieses Tal nennen wir _Das Glockenspiel_. Auch wenn du den Namen kennst, so werden in Krze nicht einmal die kmpfenden Brder diesen Ort wiederfinden knnen. Unsere Welten scheinen sich voneinander zu trennen, wenngleich sie wahrscheinlich immer irgendwie miteinander verbunden bleiben. Gehorche frs erste dem ungerechten Tyrannen, denn das ist deine Pflicht und das verlangt deine Ehre, obwohl er selber ehrlos ist. Du wirst Hilfe bekommen. Aber pa gut auf dich auf. Ein anderer, der die Melodien verstimmt, ist dir ebenfalls Tag und Nacht gefolgt. Der Elf verzog den Mund zu einem eigentmlichen, wissenden Lcheln. Bevor sich Samor nach dem Verrter erkundigen konnte, trat der Elf zurck und rief ein paar Worte in seiner eigenen Sprache. Ein Vorhang aus Licht erschien zwischen ihnen, und sofort wuchsen Ranken und Grser zu ihren Fen empor und verdeckten den Elfen. Ein Windsto fuhr durch das Tal, trug den Befehl des Elfen davon und warf ihn als Echo gegen den Berghang. Der Sammler schaute staunend zu, als das Schlachtfeld vor seinen Augen ergrnte und Blumen auf dem Grabhgel, unter dem seine Freunde ruhten, sprossen. Ein dichter Wald ersetzte innerhalb von Sekunden die Schden, die das Monstrum angerichtet hatte. Aber die Kristallwand blieb bestehen, wie eine helle Narbe auf dem Berg, die nicht einmal durch das frische Grn und den sanften Hauch des Windes geheilt wurde. ~KAPITEL 2 Ein Windsto rttelte an den Fensterlden, lie aber sofort wieder nach. Innerhalb der Stadtmauern khlte Samors groes Haus im langen Schatten des Palmenhains langsam ab. Die schlanken Schatten der Bume wagten sich durch die hohen Fenster und ber den blau gefliesten Boden. Samor wischte sich den Schwei von der Stirn, whrend er gedankenverloren seine schreckliche Entscheidung berdachte. Als er von seinem unberhrten Currygericht aufsah, bemerkte er, da er allein am Tisch sa, und der geduldige Diener wartete darauf, abrumen zu knnen. Leicht verlegen schob Samor das erkaltete Essen beiseite und ging die Treppe zu seinem Arbeitszimmer hinauf, sah aber noch einmal nach seiner kleinen Tochter, bevor er sich hinter der schweren Holztr aus Teak fr die Nacht zurckzog. Das Kind lag schlafend im Bett, die erschpfte Dienerin lag leise schnarchend auf der Schwelle, whrend eine schwarzgekleidete Jumawchterin, deren goldene Augen in der Dunkelheit leuchteten, aufrecht in der Ecke am Fenster sa. Samor summte das Namenslied der Kleinen, als er ber das Kindermdchen stieg und das Netz ber Clarias Bett zurechtzupfte. Die Wchterin rhrte sich nicht, aber der Sammler sah, wie sie ihn anstarrte, die Hnde im Dmmerlicht bewegte und die endlosen Bewegungen wiederholte, die ihre Gefhrtinnen und sie immer wieder bten. Die Juma konnten mit einem Fingerschnippen oder einem schnellen Sto mit dem Ellbogen tten. Samor wnschte der Wchterin mit einer lautlosen Verbeugung eine gute Nacht und lie seine Tochter schlafen. Kurz darauf lie er in der Abgeschlossenheit seines unaufgerumten Arbeitszimmers seinen schweren Krper in einen bequemen Stuhl mit roten Seidenkissen sinken, die kleine Melodie noch immer auf den Lippen. Samors einzige Frau, Lesta, hatte sich mit ihren Dienerinnen unten im Hof niedergelassen. Die hohen Stimmen wetteiferten mit dem Gekicher der juwelenugigen Papageien und dem Pltschern der rosa und trkis gefliesten Springbrunnen. Der Gesang und die Gerusche schwollen angenehm an und ab. Aber bald, wie es nach einer Weile immer geschah, bemerkte Samor keinen Laut mehr auer dem Zeitmesser, dessen Messingpendel im Rhythmus wie ein Herzklopfen hin und her schwang. Der Zeitmesser - eine seltsame Kombination aus Uhr und Musikinstrument - war das einzige Stck aus seiner Heimat und die einzige Erinnerung an seine Freiheit. Wenngleich der Sammler diese Tageszeit schon eine Zeitlang nicht mehr hatte genieen knnen, so war sie doch die schnste fr ihn. Er liebte das wundervolle Haus, liebte dieses seltsame Land mit seinen khlen, trockenen Abenden, dem wrzigen Duft des in der Nacht blhenden Jasmins, der sich im sanften Windhauch wiegte, und in der Ferne konnte er die Berge Halquinas, seiner Wstenheimat, rot aufleuchten sehen. Keine Bewegung strte die Sandberge, kein Gerusch erklang auer dem fast unaufhrlichen Chor der hitzeliebenden Zikaden. Im Osten hatte die Dunkelheit den herrlichen Palast des Listigen bereits eingehllt, dessen hohe weie Trme von Tausenden brennender Fackeln konturiert wurden. Aber hier, in der befestigten Stadt Sumifa, in die Mishra seinen Historiker und zeitweiligen Botschafter in Almaaz, Samor, gebracht hatte, verblieb noch ein wenig Licht, obwohl das Stundenglas in den westlichen Hnden des Zeitgottes leer war. Samor sah zu dem Zeitmesser hinber, um die Uhrzeit festzustellen. Er durfte nicht lnger warten. Sein Blick wanderte zum Fenster zurck, und er schaute noch einmal nach Westen, bevor die lange Nacht hereinbrach. Als er eine kleine Staubwolke bemerkte, die vom Sonnenuntergang eingerahmt wurde und sich am Fue der roten Felsen bewegte, runzelte er die Stirn. Vielleicht ein Wagen oder eine jahreszeitlich bedingte Windb, aber eigentlich war es dafr noch um vierzehn Tage zu frh. Er verjagte einen dunklen Gedanken aus seinem Kopf. Oftmals reisten die Mitglieder des Zauberkreises mit einem Wirbelwind, und einer von ihnen - der Verrter - wute alles ber Samors Ausfhrung von Mishras Befehl. Obwohl Samor weder Beweise noch Zeugen hatte, wute er im Innersten seines Herzens: Porros, sein Lieblingsschler, der den Beinamen Der Raptor trug, der Prinz und zuknftige Knig Sumifas, war zu ungeduldig und zu stolz, um zu warten, bis ihm Samor die Leitung der geheimen magischen Bruderschaft bertrug, und hatte sein Gelbde gebrochen. Die Staubwolke verschwand vom Horizont. _Oh, nein._ Samor rieb sich die Augen. _Ich bin mde und bilde mir vielleicht grundlos etwas ein. Du kannst nicht mehr wissen, als du am_ Tage des Untiers _gesehen hast. Ich bin sicher, da du noch einmal versuchen wirst, mich zu berrumpeln, zu einem, gnstigeren Zeitpunkt._ Samor schlug ein Schutzzeichen und verbannte die finsteren Gedanken. Das beharrliche Ticken des Zeitmessers brachte ihn zu seinem unmittelbaren Vorhaben zurck. Er drehte das zierliche Gert auf die Seite und steckte das Amulett, das er um den Hals trug, in das Schlsselloch, drehte die Musikspule auf, wartete eine Weile und lauschte dann hingebungsvoll der frhlichen Melodie. Er sang dazu und suchte nach Harmonien und Abweichungen, die zu seinem Zweck paten, und seine Gedanken beruhigten sich, whrend die gleichmigen Bewegungen des Pendels die Zeit maen. Die kleine Maschinerie des Zeitmessers vermittelte ihm immer das Gefhl von Bestndigkeit, von Rechtschaffenheit. Er entspannte sich und begann zu glauben, da er Mishras unmglich gesetzte Frist erfllen und in wenigen Stunden dem Boten mit der Neuigkeit gegenbertreten konnte, er habe einen Weg gefunden, den Befehl des Listigen zu erfllen. Dann konnte auch Samor so ruhig schlafen wie seine Tochter. Das Ticken des Zeitmessers erfllte den pltzlich sehr stillen Raum. Der Magier schttelte die Gedanken ab und klingelte nach dem Diener, der sofort erschien und ihm mit Hellsicht gemischten Tee einschenkte, bevor er lautlos wie ein Schatten wieder verschwand. Der Sammler zog den vllig klaren Stein, der die Lnge eines Dolches hatte, unter dem Sockel des Zeitmessers hervor. Er hatte beschlossen, da der glnzende Obelisk, der erste Schlssel zu Mishras Uhr, Clarias Namenstotem sein sollte. Als Mishra sich vom Schlachtfeld entfernt hatte, hatte Samor um die Erlaubnis gebeten, die ihm der Listige auch erteilt hatte. Der Knig hatte nur gefragt, ob Claria alt genug sei, ein Totem zu haben und die Neun Schrecklichen Kinderkrankheiten berlebt hatte. Es war Mishra egal, wie oder wo Samor den Zauberspruch versteckt hielt, solange er ihn haben konnte. Der Stein bildete vom Fu bis zur stumpfen Spitze ein makelloses Prisma. Die letzten Sonnenstrahlen verfingen sich in dem Kristallkern, und die Farben teilten sich, spiegelten sich in Samors Goldring, wurden unter der Kuppel des Zeitmessers vergrert und verloren sich dann auf dem dicken Jerubianteppich unter seinen Fen. Wieder summte der Sammler die Melodie, wobei er die Magie seines Rings mit den vier Steinen hinzufgte. Die Juwelen leuchteten, der farbenprchtige Regenbogen teilte sich und stieg in die Luft empor; seine Ranken und Wellen woben sich durch die Melodie wie die Bnder, die sich Claria in das lange schwarze Haar flocht. Der Sammler sang aus vollem Hals und sang Clarias Namen in der Glyphensprache. Die Farben verflochten sich zu dem Abdruck einer zierlichen Frauenhand - der genaue Umri der Hand seiner geliebten Lesta - mit langen, schnen Fingern, von denen der erste und der zweite ber dem ersten Gelenk leicht gekrmmt waren. In Lestas Familie tauchte diese Eigenart in jeder Generation bei einer Frau auf - die Familie nannte sie die Hand des Bogenschtzen, aber niemand wute Genaueres darber. Aus der Art, wie sich Clarias kleine Finger krmmten, konnte Samor ersehen, da auch ihre Hand eines Tages in diesen Abdruck passen wrde. Der Sammler beendete das Lied und lchelte, als sich der Regenbogen wieder vereinte und sich in dem Stein niederlie. Er polierte den glatten, kalten Stein mit einem weichen Tuch, um die eigenen Fingerabdrcke von der Oberflche zu entfernen, vermied aber sorgfltig, den Daumenabdruck Clarias, den sie auf den Fu des Stein gedrckt hatte, wegzuwischen. Dann klemmte er sich die Lupe der Juwelenhndler ins Auge, zog noch einmal den Schlssel des Zeitmessers hervor und verglich den eingravierten Abdruck mit dem frischen. Sie stimmten genau berein. Samor nahm eine Klammer, einen zierlichen Hammer und einen diamantenen Miniaturmeiel aus der obersten Schublade des Schreibtisches und legte sie auf den Tisch. Der Wind drauen war strker geworden und sorgte fr die pltzliche Klte im Zimmer. Selbst die Abende der heiesten Tage konnten hier oben in Sumifa sehr kalt werden. Der Sammler nahm einen Schluck des heien, duftenden Tees zu sich, um sich zu beruhigen und um sich zu konzentrieren. Er zog die weite violette Robe enger um den Krper und besann sich auf die Namen seiner Vorfahren, bevor er sie in das Totem eingravierte. Auch wenn keiner der Alten es begriff, vielleicht wrde Claria oder eines ihrer Kinder verstehen, was er getan hatte. Unter Umstnden wten sie bis dahin auch, wie man das Untier tten konnte, wenn er selbst es nicht herausfand. Der Sammler hatte einen Hoffnungsschimmer. Er setzte den Meiel an einer Seite des Prismas an und begann mit der Gravur, wodurch er den Regenbogen zum Tanzen brachte. Der Wind hatte inzwischen die weien Leinenvorhnge am Fenster erfat und blies sie auf, whrend er gleichzeitig an den Fensterlden aus Zedernholz rttelte. Die musikalische Uhr lie erneut ihr Lied erklingen. Ein paar Minuten spter bedeckten die sechs Zeichen die eine Seite des Totems und gaben die Geschichte von Samors Familie durch die bekannten Ahnen wieder, deren uralte Namenszeichen den Stamm mit den Zeichen fr Sonnenschatten, Himmelsboot, Blitz, Schwertschneide, Flu und dem von Samor gewhlten Zeichen des Korbes verbanden, bis hin zu Clarias Fingerabdruck, dem Muster des letzten Zeichens. Innerhalb der kunstvoll verschlungenen Linien des Abdruckes des linken Ringfingers lagen die eigentlichen Buchstaben ihres Namens, die ihr nach der Geburt durch das Namenslied eingeprgt worden waren. Die Buchstaben waren winzig und trotz der dem Tee beigemischten Hellsicht schwer nachzuvollziehen. Der Sammler schob die Lupe beiseite, sah auf und blickte auf das Buch, das neben seiner Hand lag. Dann streckte er die Arme ber den Kopf und erhob sich, um die Lden vor dem groen Fenster zu schlieen. Der Wind war strker geworden, und es schien, als stnde ein Sandsturm bevor. Wieder nagte der Gedanke an ihm, da es zu frh fr diese Unwetter war - auerdem heulte der Wind seltsam hell und schrill. Der Sammler schlo die Lden und zndete eine llampe an. Er beschlo, eine Pause einzulegen, bevor er die letzte Gravur vornahm, ergriff den Federkiel und wandte sich den letzten beiden Seiten des Heiligen Buches zu. Hier wrde er die einzige schriftliche Angabe ber die Schlssel und ihre wahre Bedeutung fr den Zauberkreis niederschreiben. Aber der Kiel fuhr ber das Papier, ohne ein Zeichen zu hinterlassen. Noch einmal tauchte er die Feder in das Tintenfa, aber diesmal holte er nur einen Klumpen heraus. Er hatte vergessen, das Tintenfa nach dem letzten Gebrauch zu verschlieen. Der Sammler seufzte matt und rieb sich den steifen Nacken. Sein Blick fiel auf den groen Korb, der neben dem Schreibtisch stand und alles enthielt, was er nicht jederzeit greifbar haben mute. Er whlte blindlings darin herum, bis er eine Flasche mit Tinte fand, und setzte sich wieder. Durch die Klte wurden auch seine Knie steif. Nach kurzer Zeit hatte er die Geschichte zwischen die nicht lesbaren Zeilen des Buches geschrieben. Sein Tee war nun nicht mehr lauwarm, sondern kalt geworden. Der Diener lag inzwischen schon im Bett, sein Tagwerk begann lange vor Sonnenaufgang. Wegen so einer Kleinigkeit wrde der Sammler ihn nicht wecken. Er htte ein Feuer machen knnen, war jetzt aber fast fertig und bentigte seine ganze Kraft fr die Gravur. Nur Clarias Name fehlte noch. Ihm fiel auf, wie einsam es hier oben war. Die Papageien schienen auch schon zu schlafen. Lesta hatte ebenfalls ihr Bett aufgesucht, denn sie wute, da sie ihn nicht bei der Arbeit stren durfte. Die Jumafrauen wachten vor ihrer Kammer und auf dem Dach. Sie waren die besten Wachen von Sumifa, gebildet, gesellig und bedeutend geschickter und tdlicher mit ihren Hnden und den geborgten Silberkmmen als Mishras Reiter mit ihren Schwertern. Der Sammler hatte Charga und ihre Gefhrtinnen verwirrt und heimatlos auf den westlichen Dnen herumirren sehen, als er dort vor einigen Jahren Dinge fr seine Sammlung suchte. Noch nie hatte er bereut, die drei Frauen aufgenommen zu haben - sie waren tapfere Kmpferinnen und treu ergeben, und Samor wute, was es hie, heimatlos zu sein. Vor langer Zeit hatte Mishra ihn aus seinem Heimatdorf entfhrt - eine Folge des Krieges. Zwei der Juma hielten Wache, whrend die dritte schlief. So hielten sie es seit ihrer Ankunft in Samors Haus. Nach Chargas Meinung blieb er dadurch zwar ungeschtzt aber er fhlte sich hier, weit vom Hof und dem Arbeitskreis entfernt, in Sicherheit. Auerdem verfgte er ber einen oder zwei eigene Fhigkeiten. Schlielich war er der beste Magier des Knigreiches von Almaaz und fast so gut wie die feindlichen Brder selbst. _Aber da ist noch Porros,_ dachte er. _Ich htte es wissen mssen, htte es ahnen sollen._ Die blassen, wohlgeformten, edlen Gesichtszge des jngsten Mitglieds des Zauberkreises tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Porros war nicht nur begabt und frech, sondern auch von groer Machtgier besessen. Porros stammte aus dieser Stadt und war hier in den Zauberkreis aufgenommen worden. Er war ein auergewhnlicher junger Mann - ein Prinz, dessen Magie Kerzen anznden, Schafe am hellichten Tage nach Hause treiben und eine Blume in der falschen Jahreszeit erblhen lassen konnte. Eines Tages hatte der Sammler, der gerade in Sumifa ansssig geworden war, den Jungen wie einen verletzten Windvogel in einer Baumkrone hngen sehen, wo er nach einem miglckten Flugversuch gelandet war. Samor hatte ihn befreit und ein wenig grob zu Boden fallen lassen. Porros, uerst beleidigt und wtend, wurde die magische Kraft seines Retters bewut, und er folgte ihm bis nach Hause und bettelte darum, bei ihm lernen zu drfen. Also hatte sich der Zauberkreis um ein weiteres Mitglied vergrert, um den Raptor, wie der Sammler ihn vorgestellt hatte. Auch wenn Porros es nicht glauben wrde, so hatte der Sammler den anderen nie erzhlt, warum er dem Jungen diesen Namen gegeben hatte und zog es vor, den kleinen Scherz ihres ersten Treffens fr sich zu behalten. In der Bruderschaft des Zauberkreises hatte Porros viel ber Magie gelernt und zuerst seine eigenen Grenzen bekmpft, dann, spter, die lteren Magier des Zauberkreises. Immer strotzte er vor Kraft, aber auch nach einem Zeitraum von 10 Jahren inmitten der besten Magier von Almaaz konnte Porros noch nicht allein fliegen. _Ich htte wissen sollen, da er es noch nicht schafft,_ tadelte sich Samor. Aber egal, er mute die Arbeit beenden. Samor ergriff den Diamantmeiel und war sicher, Clarias Totem vor dem nchsten Schlag des Zeitmessers beendet zu haben. Aber ein neues Gerusch, das laute Klappern der Lden, lie ihn um ein Haar den Schlag verfehlen. Der Sturm mute schon ber ihnen sein. Von der bislang strksten B wurde das Fenster aufgerissen, und der blasse Sand der weit entfernt liegenden Gebiete Halquinas tanzte vom Wirbelwind getrieben ber den Boden. _Nein. Das ist kein natrlicher Sturm. Deshalb bist du so schnell hierher gekommen. Wer, frage ich mich, hat dir die neuen Zauber beigebracht?_ dachte der Sammler, der aber weder aufsah noch den Anschein der Beunruhigung ob des dramatischen Eindringens des vorwitzigen Prinzen erweckte. Der Sammler schttelte nur den Kopf, pustete den Sand von der Oberflche des Kristalls und fuhr mit der Gravur fort. Warum begrt du deinen Gast nicht, Sammler? Die Stimme schien geradewegs aus der Luft zu kommen. Dann trat Porros aus dem Wirbelwind heraus und schritt mit geschmeidigen, eleganten Bewegungen zum Schreibtisch hinber. Die rmel wurden durch den letzten Windsto aufgeblasen, die rote Kapuze verdeckte das Gesicht. Warum klopft mein Gast nicht an der Tr und wartet, bis ich ihn einlasse? Wie der Freund und Bruder, der er zu sein vorgab..., sagte der Sammler ruhig. Wenn ich ihn nicht erschrecke, kann ich den Kampf vielleicht lange genug hinauszgern, um die Arbeit zu beenden, dachte er und hielt die Stimme und den Gesichtsausdruck neutral. Ich mchte unter vier Augen mit dir reden. Daher wre es mir lieber, dem Fehdehandschuh deiner Hflichkeit auszuweichen, ertnte die leise, klangvolle Stimme unter der Kapuze. Dem Fehdehandschuh meiner Wachen, meinst du. Sie knnen uerst gastfreundlich sein, weit du, wenn man in friedlicher Absicht kommt. Der Sammler lachte leise und blickte den jungen Mann an; sein linkes Auge wurde durch die Lupe stark vergrert. Gib mir den Zauber fr das Ungeheuer, Samor, dann lasse ich dich am Leben. Sieh das als Zeichen meiner Freundschaft an. Insbesondere, weil man mich erwhlt und mir befohlen hat, dich zu toten. Aha, da sind wir schnell auf den Grund deines Besuches gekommen... Porros, ich wrde alles darum geben, wenn du es nicht wrest, erklrte der Sammler, und in seiner Stimme lag mehr als nur ein Hauch von Schmerz. Vorsichtig meielte er die ersten beiden Buchstaben von Clarias Namen in das Totem. Spar dir deine Gefhle fr jemanden auf, der sich etwas daraus macht, Samor. Deine Familie schlft unter diesem Dach. Mchtest du sie Mishras neuer Waffe anbieten? Vielleicht sollte ich deine Tochter jetzt wecken. Du solltest es besser wissen, als so eine Frage zu stellen. Und du solltest Claria nicht erwhnen. Sie und, wie ich hinzufgen mchte, auch deine kleinen Prinzen sind der Grund, warum ich dir das Geheimnis von Mishras Uhr nie geben werde. Urza htte den Basilisken nie rufen drfen. Vielleicht wissen sie dort, wo er herkommt, wie man ihn aufhalten oder bekmpfen kann. Aber nicht hier. Er ist ein Wesen aus einer anderen Welt. Da er an seinen eigenen Kampf mit dem Ungeheuer dachte, fuhr Samor mit dem Gravieren fort, als htte der Raptor nichts gesagt. Du eigensinniger Narr! Weit du nicht, da ich dich noch in dieser Sekunde tten knnte? Die Stimme des Raptors wurde zu einem schrillen Kreischen, dem Schrei seiner Namensvettern nicht unhnlich. Bist du jetzt so stark? fragte Samor, dessen Hnde zitterten, als ihm allmhlich die Wahrheit dmmerte. Oh, so ist das also. _Du_ hast das Monstrum gerufen. Du warst es. Also steckst du seit langem in Urzas Schlinge. Du bist also der Spion in unserer Mitte. Der Sammler sah von seiner Arbeit auf, die buschigen Brauen hoben sich ber den schwarzen Augen. Der Raptor knurrte bse und umklammerte das Handgelenk des Sammlers mit seinen kalten Fingern. Der Meiel fiel zu Boden und landete sanft auf dem weichen Teppich. Der Sammler blickte direkt in das Gesicht des Mannes, der zwlf Jahre lang neben ihm im Zauberkreis gearbeitet hatte. Die blagrauen Augen des Raptors, das seltsame Erbe der kniglichen Familie Sumifas, leuchteten rot auf, als sich das Licht der Lampe in ihnen spiegelte. Samor zuckte zusammen, denn er erinnerte sich an den Blick des Ungeheuers. Porros, der sich seiner Kraft sicher war, lie die Hand des Sammlers los. Ja. Ich rief den Basilisken. Ich fand den Spruch in einem deiner Bcher. Welche Rolle spielt es, mit wem ich mich fr welchen Preis verbnde? Wie kannst du es wagen, mich derart zu beschuldigen! Auerdem kann ich jetzt auch fliegen, aber keineswegs dank deines Zauberkreises. Samor, seit Jahren habe ich beobachtet, wie du die Reichtmer meines Knigreichs mit Mishras Segen gehortet hast. Der Sklave des Listigen lebt besser als die k nigliche Familie von Almaaz. Seitdem die Brder gegeneinander kmpfen, leidet mein Knigreich unter den Schlachten. Die Gewsser und Minen wurden ausgebeutet, und man holt meine Leute aus den Betten, um der nchsten Maschine entgegenzutreten und gettet zu werden. Ich bin der Prinz von Sumifa, der Hauptstadt von Almaaz. Hre gut zu, Samor - bevor ich gehe, nehme ich den Schlssel zur Kristalltr mit, dann werde ich wieder reich sein. Sumifa wird in dem frheren Glanz erstrahlen, und ich werde zusehen, wie sich die Armeen Mishras und Urzas auf meiner Ebene bekmpfen - es wird sein wie die Schlacht am Ende aller Dinge. Wie nennt es dein _Buch der Bekenner?_ Armageddon? Nun, Armageddon wird bald kommen, denn wenn ich den Basilisken in meiner Gewalt habe, kann ich in aller Ruhe zusehen, wie sich die Brder aneinander aufreiben. Anschlieend werde ich die Schtze ihrer Reiche einsammeln. Mit dem Basilisken in meiner Hand werden sie nicht wagen, mich zu bekmpfen. Ich habe beobachtet, wie du diesen Zauber geschaffen hast, Samor. Ich sah dich mit dem Amulett, das du um den Hals trgst. Das ist es, nicht wahr? Wre dein Freund, der Elf, nicht gewesen, htte ich dich bereits im Tal der Trme ergriffen. Egal, auch jetzt werde ich den Schlssel fr Mishras Uhr erlangen. Sanft zog er an der Kette, die um den Hals des Sammlers hing. Samor seufzte. Es geht dir also um Reichtum? Nimm, was auch immer du siehst und geh in Frieden. Natrlich gehrt es dir. Der Zauberkreis schtzt es nur, bis der Krieg vorber ist. Sicher ist dir bewut, da du, du allein, nicht in der Lage bist, die Brder aus dem Land zu werfen. Vergib mir, mein junger Freund, aber der Gedanke ist lachhaft. _Und vllig verrckt,_ dachte Samor. Wir knnen bestenfalls innerhalb des Zauberkreises gegen die Brder arbeiten, sie ablenken, sie falsch beraten und versuchen, ihnen beizubringen, da ein Krieg keine Gewinner hat, wenn sie ein Land derart verwsten, da niemand berleben kann. Sieh dich in meinem Haus um. Was gibt es hier? Nach Mishras Meinung nichts Wertvolles. Er sucht magische Waffen und mchtige Gerte. Was soll er mit Kunst? Was mit Schnheit? Fr ihn bin ich nichts weiter als eine Marionette. Meine Wrde und Freiheit liegen im Zauberkreis und in dem grten Reichtum, den ich besitze: Ich kann meine Familie und mein Land vor dem schlimmsten Zorn der Brder schtzen, Porros , du httest mein Nachfolger werden sollen. Der Zauberkreis htte zweifelsohne hinter dir gestanden. Du bist der rechtmige Knig dieses Landes. Eine disziplinierte Armee von Kmpfern, Schlern und Magiern wre deinen Befehlen gefolgt. Porros, eines Tages wird der Zauberkreis stark genug sein und ber das Wissen und die richtigen Worte verfgen, diesen schrecklichen Krieg zu beenden. Warum wartest du nicht, bis wir es auf friedliche Art regeln knnen? Nur gemeinsam werden wir es schaffen. Der Sammler schwieg einen Augenblick lang, dann setzte er mit sanfterer Stimme hinzu: Porros, warum hast du dich dem Bsen verschrieben? Und warum hast du die falschen Tne gesungen, die mein Lied scheitern lieen? Seine Augen wichen nicht von denen des Raptors. Er konzentrierte sich und summte Clarias Namenslied leise vor sich hin. Der Magier grub die folgenden beiden Buchstaben ihres Namens tief in den harten Kristall, und die Anstrengung kostete ihn alle Kraft. Warum? Weil ich es so wollte. Weil ich nicht ertragen konnte, da du ein solches Fabeltier zerstrst. Samor, ich trat dem Zauberkreis bei, um Magie zu lernen - nicht als Diener deines Idealismus. Deine stillen, friedlichen Wege werden den Listigen nie ndern. Die Mitglieder meiner Familie sind Krieger! Das einzige, was die Brder je verstehen knnen, sind Macht und Kraft. Du vergeudest mein Talent. Und es gibt viele, Sammler, die genauso denken wie ich. Sie stehen hinter mir. Wir werden das Knigreich Almaaz durch Kampfkraft zurckgewinnen. Wie sonst soll sich der Adler ernhren? Der Raptor sah sich im Zimmer um und nahm jedes Detail in sich auf. Auf dem obersten Bord eines schweren Mahagoniregals stand die einzige Abschrift des _Buches von Khem_, der grten bekannten Sammlung von Heilungen in Almaaz. Auf der gegenberliegenden Seite des Raumes stand eines der beiden Gesichter der Nacht - der zweite Teil der Skulptur war nie gefunden worden -, dessen unheimlich wirkender, dunkler Stein das Licht zu verschlucken schien. Und berall, in jeder Nische und an jedem Platz des Arbeitszimmers verteilt befanden sich Spieluhren der besten und seltensten Macharten, aus den feinsten Materialien von den besten Handwerkern der Welt gefertigt. Der Raptor schttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen. Jetzt sehe ich, da du mit mir spielst. Du hast mich erwartet. Wo hast du die wahren Schtze versteckt? Wo ist mein Gold? Oh, natrlich - unter dem Berg der Uhr! Porros' Augen, in denen der Wahnsinn brannte, leuchteten wie die des Basilisken. _Geschafft!_ Der Sammler atmete auf, als sein leises Lied den letzten Buchstaben des Namens in das Totem graviert hatte. Der Raptor, durch den Laut erschreckt, wirbelte herum und warf sich in unausgeglichener Ungeduld ber den Tisch, auf den lteren Mann. Dem Sammler blieb keine Zeit sich vorzubereiten, keine Zeit, den Krper durch einen Zauber zu schtzen. Instinktiv begegnete er dem Angriff mit dem Gegenstand in seiner Hand und schlug mit dem schweren Totem nach Porros' Kopf. Der Raptor jedoch wich dem Hieb geschickt aus und legte die langen, schmalen Hnde mit dem tdlichen Griff um den Hals des Sammlers. Vorsichtig lie Samor das Totem fallen, und seine Gedanken flogen durch die Zeit, die ihm nicht mehr bleiben sollte, seine Tochter aufwachsen zu sehen und zu erfahren, was aus der Uhr wurde, deren Sicherheitsvorkehrungen nicht ganz vollendet worden waren. Der Raptor drckte dem lteren Mann unbarmherzig die Kehle zu, machte Jahren des Rachedurstes und der Eifersucht Luft. Mit einem verzweifelten Keuchen gelang es dem Sammler, eine Flamme zwischen ihnen entstehen zu lassen, die den jungen Mann veranlate, nach hinten zu springen, wo er in einen siebenhundert Jahre alten Spiegel fiel, den zierlichen Rahmen zerbrach und das Glas zerschlug. Drei Spieluhren fielen von dem Regal, und das Zimmer wurde von lauter Musik erfllt. Der Sammler sprte, wie im Stockwerk unter ihm Unruhe ausbrach, obwohl er nichts hren konnte. _Vielleicht die Juma... Charga..._ Aber dann fiel ihm ein, da die Tr des Arbeitszimmers von innen verriegelt war. Er hrte Charga dagegen schlagen, das harte, dicke Holz attackieren. Aber sie wrde zu lange brauchen. Samor wute, da er jetzt allein war. Der Raptor verschwendete keine Zeit damit, sich zu erheben, schttelte sich wtend die Splitter aus den Gewndern und nahm seinen Angriff wieder auf, diesmal mit einem Stck Spiegelglas bewaffnet. Er warf sich auf den keuchenden Magier und zog das scharfe Glas quer ber dessen Kehle, so da drei rote Blutstrme zu flieen begannen. Triumphierend ergriff der Raptor die durchtrennte Kette mitsamt dem Amulett, whrend Samor eine Hand an seine Kehle hielt und mit der anderen nach dem Schreibtisch tastete. Mit seinen Fingerspitzen ertastete er das blutbefleckte Buch, und es gelang ihm, es in den Korb zu werfen. Du irrst dich ... vielleicht erkennst du die Wahrheit, bevor du den Tod findest. Egal, wie lange das auch dauern mag, flsterte er mit sterbender Stimme. Ich brauche deine Wahrheit nicht, Sammler. Du hast mir einen guten Namen gegeben, trotz deines kleinen Scherzes. Wie der Adler werde auch ich mit eigener Hand ergreifen, was ich haben will. Mein Schatten wird ber alles fallen, was ich besitze und beherrsche. Keine Klinge, kein Gift, kein Wasser oder Feuer werden mir ein Leid zufgen! Kein Magier wird mich berwinden! Jetzt besitze ich die ganze Magie des Zauberkreises. Du hast den Zauberkreis verraten, und eines hast du nie begriffen, Porros. Er arbeitet am wirkungsvollsten, wenn viele Stimmen im Gleichklang ertnen. Du wirst nie bekommen, was du httest haben knnen. Du hast dein Land verraten und auch deine Familie. Denk an deine Shne! Aber kein Mitglied des Zauberkreises wird dir folgen, Raptor. Das Gesicht, das du im Spiegel schaust, ist das Gesicht, das dich zerstrt, flsterte der Sammler und beugte sich summend ber seinen Vier-Steine-Ring. Die Melodie war ein Segen, die Worte ein Fluch. Hast du mich nicht gehrt, du alter Narr? Ich werde sie alle jagen, bis ans Ende aller Zeiten! La sie in Ruhe, Porros. Niemals wrden sie die Hnde gegen dich erheben. Aber wir drfen dich nicht ungehindert gehen lassen. Du wirst im Halbdunkel zwischen Licht und Finsternis wandeln, zwischen Geist und Fleisch, zwischen Zeit und Ewigkeit. Mit der Waffe in der Hand sprang der Raptor kreischend vor Wut und Emprung herum. Die Kapuze fiel nach hinten, und er sah sich in einer blutbefleckten Scherbe des Spiegels. Mit Entsetzen bemerkte er, wie sein helles Haar und das markante Kinn sich in Nichts auflsten. Nur die grauen Augen blieben erhalten. Was hast du mir angetan? Er warf das Glas fort und sprang im Raum umher, die Knochen in Flammen, die Gewnder bauschten sich auf. Ich werde einen solchen Wind heraufbeschwren, wie du ihn nie gekannt hast, alter Mann, und ich werde _dich_ vom Erdboden fegen! Deine Besitztmer werde ich verteilen und deinen Namen auslschen! schrie er, als er sich in die Lfte erhob. Die Stimme ertnte aus dem Innern des Wirbelwindes, als er am nchtlichen Himmel verschwand. Der Sammler lag ber dem Schreibtisch, das Blut flo aus seinem Hals, die bleiche Hand griff nach dem Zeitmesser, der noch immer die genaue Stundenzahl anzeigte, trotz des Aufruhrs rings umher. Bei jedem Schlag der Uhr wiederholte sich ein Gedanke in seinem Kopf immer wieder: _Niemand kennt das Lied! Mishra wird die Mauer geffnet lassen, wenn er Clarias Namenslied nicht kennt!_ Es war keine Zeit mehr, keine Zeit. Die Welt vor seinen Augen verdunkelte sich. Vor der Tr des Arbeitszimmers holte Charga tief Luft, sammelte alle Krfte und konzentrierte sich auf den Riegel, der sie von ihrem Herrn trennte. Endlich konnte sie ihn deutlich vor ihrem geistigen Auge sehen. Sie brachte ihre ganze Willenskraft auf, um das Holz zu zerschmettern und hieb so schnell sie konnte auf die einzelnen Fasern ein, die sich nach und nach lsten. Im Innern des Raumes kmpfte der Sammler um das Bewutsein, whrend er noch einmal Clarias Namenslied sang, die Magie hineinlegte und einen einzelnen Buchstaben in Form eines winzigen Fingerabdrucks in den Bronzesockel des Zeitmessers kratzte. Er hoffte, es wrde ausreichen. Samor glitt mit den Gedanken an seine Familie und das Heilige Buch in den Tod, und dachte daran, wie alles irgendwann heimwrts ginge, sogar das Ungeheuer, egal, wie lang die Reise auch sein mochte. Die Stimme des Elfen, den er am Glockenspiel getroffen hatte, bertnte seinen letzten Atemzug und erinnerte ihn daran - genau wie das Schwingen des Pendels -, da noch _genug_ Zeit bliebe. Als Charga erneut den Fu gegen die Tr stemmte, brach sie leicht und mhelos zusammen, doch es war zu spt. Sie fand den lchelnden Sammler auf, wie er seinen kleinen musikalischen Zeitmesser immer noch umklammerte, dessen Pendel gelassen die Zeit anschlug, whrend die Fensterlden durch den heftigen Wind gegen die Wnde geschlagen wurden. Im Westen, in weiter Ferne, erbebten die roten Felsen, zerbarsten und verwandelten sich zu Staub, als der Raptor wtend nach ihnen schlug. Schon jetzt war der Boden mit einem oder zwei Zoll des roten Staubes bedeckt, und man konnte das Muster des Teppichs nicht mehr erkennen. Charga berechnete die Windrichtung und -strke und rief dem schlfrigen Diener Befehle zu, bevor sie die Alarmglocke lutete, damit sich ihre Gefhrtinnen in dem geschtzten Innenhof versammelten. Sie knallte die Tr hinter sich zu und lief zu ihnen. _Ich werde dich holen kommen, mein Herr. Ich werde dich nicht in dieser Gruft lassen, die ungezeichnet und unbekannt ist. Ich habe alles gehrt, was zwischen dir und diesem Verrter vorging. Er ist ein Dueco - ein zweifacher Teufel. Bitte vergib mir, da ich dir nicht helfen konnte. Deine Lehren werde ich nie vergessen. Deine Tochter, deine Leute und ganz besonders die Shne des Raptoren werden nicht aufwachsen, ohne sie zu kennen._ Sie sprang die letzten Stufen hinunter und landete sanft wie eine Katze im Innenhof. Geht jetzt! schrie sie ber das Heulen des Windes und das verngstigte Krchzen der Papageien hinweg. Sofort drngten ihre Gefhrtinnen Lesta und Claria, deren kleiner Mund angstvolle Schreie ausstie, deren Wortlaut der Wind mit sich ri, in die Richtung, in die Charga wies - auf die Klippen von Neffian und die verborgenen Hhlen zu. Charga bi die Zhne zusammen, um dem Sturm und der tiefen Trauer zu trotzen, zog sich die Kapuze ber das Gesicht und kmpfte sich die Treppe zum Arbeitszimmer empor. Der Sand lag bereits drei Zoll hoch. Der Leichnam des Sammlers war damit bedeckt, seine Schtze wurden vom Wind herumgewirbelt und bedeckten sie mit demselben Sand, der auch ihn begrub. Durch das Toben des Sturms vernahm Charga ein anderes Gerusch: Das unverwechselbare Splittern und Krachen von Holz und Gestein unter dem Gewicht tonnenschweren Wstensandes. Es blieb keine Zeit. Sie strmte durch den Sand und ri den geliebten Zeitmesser aus der starren Hand des Sammlers und den kostbaren magischen Ring von seinem Finger. Dann legte sie den Krper gerade hin und ordnete die violetten Roben. Mit einem groen Satz verschwand sie ber die Treppe, als das Dach einstrzte und ein riesiges Stck Marmor einen Teil des Arbeitszimmers mitsamt Samors Leiche unter sich begrub. Die Bewohner Sumifas machten Schutzzeichen, murmelten Gebete an Caelus Nin und die Sieben Messinggtter und flohen auf die Klippen zu. Ihre Hhner und Ziegen liefen gackernd und meckernd vor ihnen her. Porros' kleine Shne klammerten sich an ihre Kinderfrau, und seine Frauen rannten wie verlorene Schafe inmitten der Stadtbewohner umher. Zum ersten Mal vermischte sich die knigliche Familie Sumifas mit dem gewhnlichen Volk. Charga konnte nicht viel sehen, nahm nur die bunten Papageien wahr, die wie Windvgel ber ihnen flogen, whrend die Menschen durch die kalte, nchtliche Wste hasteten, um in den Hhlen von Neffian Schutz zu suchen. Die Fensterlden zerbrachen, als der Wind das Haus mit voller Wucht traf. Es dauerte nur wenige Stunden, bis das ganze Arbeitszimmer mit Sand gefllt war und nur einen Tag, bis das Gebude vollstndig begraben und alle Spuren der Stadt ausgelscht waren. Der Raptor flog hoch ber dem unnatrlichen Sturm, den er geschaffen hatte, stieg steil in die Hhe und lie sich tief hinabfallen, bis er seine Wut ausgetobt hatte. Dann schleppte er sich ber die Dnen und versuchte, Marksteine zu erkennen. Seine Gewnder flatterten in den Nachwehen des Sturmes, die Ewigkeit tat sich vor ihm auf, und der Zeitmesser des Sammlers schlug eine gesichts-, namen- und hoffnungslose Zeit an. Es gab nichts zu sehen. Sumifa lag unter einer neuentstandenen Wste begraben, die sich meilenweit in alle Richtungen erstreckte. Die Sonne stieg hell und strahlend ber den weiten Sandflchen auf. Die rosigen Strahlenfinger drangen durch die schattenhafte, ausgestreckte Hand des Raptoren, als sei er gar nicht vorhanden. Die andere Hand whlte im Sand herum, und die glnzenden Krnchen rieselten durch die dunklen, blutbefleckten Klauen. Zweiter Teil ~KAPITEL 1 Im Heutigen Sumifa Der Knig ist tot, es lebe der Knig von Sumifa! Lang lebe der Knig! Die Rufe von zehntausend Einwohnern der neuentstandenen Stadt schallten in der Hitze des Nachmittags und waren bis zu den Ruinen in den Dnen zu hren. Cheyne hrte mit dem Malen auf und hob den Kopf, um die Worte besser zu verstehen. Der alte Thedeso war also gestorben, und bald wrde sein Sohn seinen Platz einnehmen. Cheyne lchelte unter der breiten Krempe des Hutes und setzte seine Arbeit fort. Er skizzierte die kantigen Ecken der zerfallenen Mauern mit dem Kohlestift; hin und wieder nahm er mit einem Stock Ma, um die Genauigkeit beizubehalten. Die meisten Leute glaubten, die Archologen wren nichts als Schatzsucher. Meistens hatten sie recht. Aber genau wie sein Adoptivvater Javin, war auch Cheyne Archologe. Er wollte mehr als Schtze, er wollte Antworten. Cheyne holte den Handspiegel hervor und hielt ihn an die Innenseite einer zerbrochenen Basaltwand, um die Festigkeit des Steins zu prfen und nach Skorpionen Ausschau zu halten, die gerne in diesen Mauerspalten nisteten und dann zu Dutzenden mit erhobenen Schwnzen herauseilten, wenn jemand versehentlich in das Nest trat. Ihr Stich war nicht tdlich, tat aber weh, und es waren viele Strze mit Todesfolge durch den pltzlichen Schmerz vorgekommen. Befriedigt, da keine Gefahr drohte, setzte Cheyne den Stiefel in den Spalt und kletterte auf die niedrige Mauer, um besser ber die uralten Ruinen hinwegsehen zu knnen, die einst die Olivenpresse der alten Stadt beherbergt hatten. Die Seiten hatte er fertig, jetzt wrde er die Ansicht von oben zeichnen. Die Menschenmenge in der neuen Stadt jubelte nicht mehr. Vom Dach der alten Olivenpresse aus konnte Cheyne die in der Sonne leuchtenden weien Mauern der befestigten Stadt sehen. Morgen wrde er dorthin zurckkehren, den groen Elfen antreffen und Antwort bekommen. Er hauchte den kleinen Spiegel an, um ihn zu subern, wischte ihn dann mit dem rmel ab und hielt ihn zgernd hoch, um hineinzusehen. Es waren weder Flecken noch Streifen zu sehen, und, wie immer, auch kein Spiegelbild. Lange Zeit starrte Cheyne in den Spiegel, versuchte, sein Gesicht zu betrachten, versuchte, an dem verschwommenen Fleck vorbeizuschauen, den er immer sah, wenn er in einen Spiegel blickte - aber alles blieb, wie immer, undeutlich. Er steckte den fleckenfreien Handspiegel in seine Tasche zurck und machte sich daran, die Mauer auszumessen. Dabei dachte er an den hochgewachsenen Elfen mit dem narbenbedeckten Gesicht, den er bei seinem letzten Aufenthalt in der Stadt getroffen hatte, als er zusammen mit Muni Vorrte besorgen wollte. _Morgen werde ich ihn finden und er wird mir sagen, warum er durch meine Kindheitstrume geisterte ... und welcher Zauber mir mein eigenes Abbild vorenthlt. Er mu wissen, wer ich in Wirklichkeit bin..._ Hher! Hher! Nein, nein, nein. Vorwrts. Noch einmal. Noch einmal! Die Rufe des Vorarbeiters hallten durch die ruhige Wstenluft, als er die schwitzenden Mnner antrieb, einen riesigen, umgestrzten Marmorblock zu bewegen. Unter dem Block befand sich ein Raum. Es war das erste Zimmer, dessen Wnde hher als nur ein paar Fu waren. Endlich gelang es ihnen, den schweren Stein wegzuschieben, aber pltzlich brachte etwas anderes die Arbeit zum Stillstand, nicht das Gewicht des Marmors. Beim geborstenen Gesicht Caelus Nins! fluchte Muni, der Vorarbeiter. Aufhren und beiseite treten! Wir knnen nicht weitermachen. Er scheuchte die Arbeiter zurck und starrte in die dunkle Kammer. Die Mnner gehorchten; einer oder zwei von ihnen fhrten Schutzzeichen aus, als sie sich von der ffnung entfernten. Muni warf ihnen bse Blicke zu, und sie hielten inne. Javin, wrdest du bitte herkommen? rief er und bemhte sich, da seine Stimme nicht aufgeregt klang. Ein groer braunhaariger Mann von etwa fnfundvierzig Jahren, der am anderen Ende des zwanzig Fu langen Blocks gearbeitet hatte und in weie Gewnder gehllt war, drehte sich um, ging an dem Felsblock vorbei und nherte sich Muni, um zu sehen, was er wollte. Sieh nur, sagte Muni leise und verzog den breiten Mund vor Abscheu und Widerwillen. Javin sphte in die ffnung und versuchte, die Augen an die Dunkelheit zu gewhnen. Ein Dutzend Fu unterhalb der geborstenen Mauer lagen nicht die erwarteten berreste des seit langer Zeit toten Mannes, sondern der zusammengesunkene Leichnam eines modern gekleideten Sumifaners, dessen schwarze Augen vor Furcht ob des letzten Anblicks erstarrt waren. Unter seinem Kopf auf der dnnen Sandschicht war eine Lache geronnenen Blutes. Javins graue Augen weiteten sich, und er runzelte die Stirn. Bei den sieben Sternen! Hat bis heute niemand den Block verschoben? Er sah den Vorarbeiter mit durchdringendem Blick an. Ja, Javin. Du kannst Cheynes Zeichnung zu Hilfe nehmen. Er hat diesen Ort gestern am Sptnachmittag skizziert, erwiderte Muni mit steinernem Gesicht. Javin schttelte den Kopf. Das ist nicht ntig. Javin vertraute Muni manchmal mehr als sich selbst. Sie arbeiteten seit Jahren zusammen und zogen durch ganz Almaaz, um Javins brennenden Ehrgeiz zu befriedigen, den sagenhaften Sammler zu finden. Daheim in Argive war Javin berzeugt gewesen, da der Mann, der einst der Oberste Magier des damaligen Knigs Mishra des Listigen gewesen war, seine letzte Ruhesttte im alten Sumifa gefunden hatte. Das Klima hier war unertrglich hei und die Politik hinterlistig. Die wahre Mission der Ausgrabungen war geheimgehalten worden. Javin hatte den Fascini, der kniglichen Familie Sumifas, nur erzhlt, da er die Architektur des alten Sumifa studieren wolle, dieser uralten, vergrabenen Stadt, die durch ihren rtselhaften Untergang bekannt war und deshalb gemieden wurde. Den Fascini war das gleichgltig. Sie hatten nie geglaubt, da es eine alte Stadt gab. Niemand hatte sie je gefunden. Und Archologen waren blo Ausgrber, und Ausgrber waren fr sie nichts als Schatzsucher, aus welchen Grnden auch immer. Solange sie die Hlfte von dem, was sie entdeckten, an die Stadtkasse abgaben und die Bevlkerung nicht gegen die Fascini aufhetzten, stellte sich der Hof blind. Javin hatte nur seinen Adoptivsohn Cheyne mitgebracht, der ihn in den letzten zehn Jahren bei allen Ausgrabungen begleitet hatte, und Muni, der jede moderne Sprache von Almaaz beherrschte, sogar einige, die keine Worte bentigten, und er bersetzte sie wahrheitsgem. Javin nickte, und Muni rief die Arbeiter herbei, um nach zwei Freiwilligen zu fragen, die den Leichnam heraufholten. Schlielich traten Rij und Hadi vor, die ihre langen, sichelfrmigen Dolche ablegten. Sie brauchten keine Seile, sondern sprangen gleich in die Kammer hinab. Zahle den Mnnern heute den doppelten Lohn aus. Und diesen beiden davon das Doppelte. Aber sorge dafr, da sie den Mund halten. Alle anderen sollen Jenseits der Mauer bleiben. Alles soll seinen gewohnten Gang gehen. Und bitte Zu, er soll Cheyne aus dem stlichen Teil des Gelndes holen. Ich befahl ihm, heute bis zum ffnen des Raums die Mauern der Olivenpresse zu zeichnen, murmelte Javin. Munis Arbeiter waren handverlesen worden und wurden an den empfindlichsten Pltzen dieser Sttte eingesetzt, aber Javin wute, da auch sie diese Entdeckung nur schwer verdauen konnten. Sumifaner waren ausgesprochen ahnenbewut, und eine Leiche, besonders eine frische, wrde die Beamten in groe Aufregung strzen. Sie wrden rituelle Waschungen vornehmen, beten und neue Gesetze erlassen, die weitere Ausgrabungen untersagten. Wenn die Stadtvter erfuhren, da man einen Krper gefunden hatte, wrde sie nicht einmal der Duft seines Geldes davon abhalten, ihm Einhalt zu gebieten. Javin wute, da er kurz davor stand, das Grab des Sammlers zu finden. Und wenn er den Sammler entdeckt hatte, wrde er auch das finden, wonach er seit langem suchte. Jahrelang hatten Javins Kollegen, allesamt anerkannte Wissenschaftler, ber seine Theorien, die das Grab des alten Magiers betrafen, gelacht. Die meisten Fachleute glaubten, da die Geschichten der Geheimbnde, der Armageddon-Uhr und der unschtzbaren Reichtmer, die mit dem Sammler oder der Uhr begraben sein sollten, nichts als Mrchen waren, die von den einfachen Sumifanern erzhlt und ausgeschmckt wurden. Andere, die der Geschichte des Sammlers Glauben schenkten, nahmen an, das Grab msse im Glockenspiel liegen, einem Ort, der in der Nhe der Grenze lag und vom restlichen Almaaz durch eine seltsame Lichtschranke mehr oder weniger getrennt wurde. Das Glockenspiel lag irgendwo hinter der Wste und dem Knigreich der Orks, in einem einsamen Gebirgstal. Aber der genaue Platz war weder in alten Aufzeichnungen noch Erzhlungen festgehalten worden. Aber das spielte keine Rolle. Keiner der Mnner, die eine ehrenwerte akademische Laufbahn hinter sich hatten, hielt die Geschichten fr wichtig genug, um etwas zu unternehmen. Javin wute es besser. Er war das letzte berlebende Mitglied des Zauberkreises. Vor kurzem hatte er in einer dunklen Ecke unter den alten Aufzeichnungen der ltesten Bibliothek von Argivia eine Entdeckung gemacht, die ihn, entgegen seiner eigenen Wnsche, nach Sumifa trieb. Als er gerade ein paar alte Tonscherben katalogisierte, war er auf Schriftrollen gestoen, die in einem Tonkrug steckten, der einst von sarrazanischen Elfen angefertigt worden war. In den Geschichten der Schriftrollen waren Einzelheiten des alten Sumifa und des Sammlers erwhnt, und die Zeilen bezogen sich auf den Ort, an dem Javin vor ein paar Wochen zu graben begonnen hatte. Konnte er das Grab des alten Magiers finden, dann konnten auch dessen Schriften, insbesondere das _Heilige Buch der Bekenner_, das als ursprngliches Werk ber den Zauberkreis galt, nicht weit entfernt sein. Es bestand die Mglichkeit, da Javin in der Lage sein wrde, seinen Traum wahr zu machen: Die Armageddon-Uhr zu finden und zu entrtseln. Das Geheimnis der Uhr war mit Samor gestorben, und in den vielen hundert Jahren, die seitdem vergangen waren, hatten die Mitglieder des Zauberkreises ihren Shnen und Tchtern den Auftrag hinterlassen, die Uhr zu zerstren. Aber einer nach dem anderen war entweder umgebracht worden oder spurlos verschwunden. Obwohl die Todesarten der Magier des untergegangenen Zauberkreises genauso unterschiedlich waren wie ihre Persnlichkeiten, waren sie alle von denselben Mrdern gettet worden. Sie waren Opfer der Ninniten geworden, die einst ihre Brder und nun ihre eingeschworenen Feinde waren und sich in den Dienst eines mysterisen dunklen Prinzen begeben hatten. Auch die Ninniten suchten nach dem Geheimnis der rtselhaften Uhr, die sie fr das Wahrzeichen unglaublicher Schtze und Macht hielten. Javin war sicher, da die Zeit des Zauberkreises und von ganz Almaaz auslief. Wenn er nicht mehr lebte, gab es niemanden, der die Suche fortsetzen wrde und niemanden, der daran glaubte, da das Ungeheuer der Stunden - das angeblich ein schrecklicher, wtender Basilisk war, den nicht einmal der Sammler hatte bekmpfen knnen - denjenigen erwartete, der die Uhr fand und ffnete. Die Ninniten hatten die Ortsansssigen stark beeinflut. Jeder Sumifaner wrde den Gedanken zurckweisen, da etwas anderes als die Schtze des berhmten Sammlers unter der Armageddon-Uhr versteckt lagen. Und dann war da noch Cheyne. Javin wute, da Cheyne so tot wie der Mann sein wrde, den sie heute in den Ruinen entdeckt hatten, wenn ihn der dunkle Prinz, Der Raptor, wie ihn die Schriftrollen nannten, aufsprte. Er hockte sich hin, um den Leichnam, den Munis Leute nach oben geholt hatten, zu untersuchen. Der Mann war eindeutig ermordet worden. Keine saubere Arbeit: Die Kehle der Leiche war durchgeschnitten worden; drei waagerechte Schnitte hatten die Hauptschlagader durchtrennt; sie sahen wie Klauenmale aus und hnelten der beliebtesten Ttungsmethode der Ninniten. Javin bckte sich tiefer, um den Hinterkopf des unglckseligen Mannes zu betrachten und schob eine dunkle Locke hinter dem linken Ohr zurck. Kein Zeichen des doppelten Halbmondes. Der Mann war kein Mitglied der Ninniten gewesen, also handelte es sich nicht um ein Exempel der strengen Gesetze des Bundes. Aber weshalb sollte der zweitausend Jahre alte Bund einen einfachen Brger des heutigen Sumifa ermorden? Wre er ein gewhnlicher Dieb gewesen, dachte Javin, so gab es in diesem Raum nichts, was sich zu stehlen lohnte. Auerdem sah der Tote nicht so aus, als htte er Zeit gehabt sich umzusehen. In der starren Hand des Toten fand Javin nur ein uraltes sumifanisches Familientotem, hnlich Hunderten, die sie bereits am Ausgrabungsort entdeckt hatten: Aus Ganzit, mit Symbolen einer alten almaazanischen Sprache beschriftet, die noch lter als die versunkene Stadt war. Kaum wert, dafr zu sterben. _Oder zu tten,_ dachte Javin verwirrt und legte das Totem beiseite. Dann deckte er den Krper wieder zu, ohne schlauer zu sein als zuvor. Muni schttelte den Kopf, da er Javins unausgesprochene Gedanken erriet. Er kommt mir bekannt vor, aber ich kenne ihn nicht. Auch die anderen Arbeiter gaben das zur Antwort, als Javin sie der Reihe nach befragte. Der unbekannte Mann trug dieselben Zge wie die meisten Sumifaner: Er hatte dunkles, lockiges Haar, dunkle Augen, eine olivfarbene Haut und ein energisches Kinn. Er wirkte wie sechzig, wenn er aber ein Hirte gewesen war und viel Zeit drauen verbracht hatte, konnte er auch bedeutend jnger sein. Man nannte diese Gegend die Schmiede der Sonne und das aus gutem Grund. Ein Arbeiter vermutete, es knne sich um einen Angehrigen des nchstgelegenen Nomadenstammes handeln, aber Javin verwarf den Vorschlag sofort wieder. Er mu aus der Stadt stammen. Seht euch die Kleidung an. Er wies auf die leichten Schuhe und dnnen Gewnder. Er war nicht darauf vorbereitet, hier drauen so seine Zeit zu verbringen. Muni setzte sich nieder und faltete die Hnde, so wie eine groe Katze ihre Pfoten kreuzt. Javin, dein Sohn naht. Javin blickte auf und sah Cheyne, der mit beunruhigtem Gesichtsausdruck so schnell nher kam, wie es der tiefe Sand zulie. Soll ich ihn unten abfangen? fragte Muni. Nein. La ihn heraufkommen. Ich mchte, da er den Raum hier unten sofort aufzeichnet, whrend wir beide dabei sind. Er ist jetzt schon ber zwanzig und kann selbst auf sich aufpassen, aber... Aber du bist immer noch sein Vater, warf Muni ein und lchelte beinahe. Seine dunklen Augen hielt er wegen des grellen Wstenlichts halb geschlossen. Javin nickte ein wenig verwirrt. Muni gelang es immer wieder, jedwede Verstellung zu enttarnen. Cheyne lie die letzte Stufe hinter sich und keuchte wegen der Anstrengung in der drckenden Mittagshitze. Dennoch war sein Gesicht trocken - Schwei verdampfte hier ebenso schnell, wie er sich bildete. Dankbar nahm er den Wasserkrug entgegen, hob ihn, gem der hiesigen Gebruche, ber die Schulter und nahm einen groen Schluck. Zu sagte, du wrdest mich hier schnell brauchen, Javin. Was ist geschehen? Hast du den Sammler gefunden? keuchte Cheyne, bevor er noch richtig geschluckt hatte. Er lchelte frhlich, als ihm das khlende Wasser ber den Nacken lief und sich flink einen Weg entlang des Lederbandes suchte, dass er um den Hals trug. Javin deutete auf den Toten. Wohl kaum. Cheyne runzelte die Stirn und war sich sofort der Schwierigkeiten bewut. Keiner der Arbeiter, atmete er erleichtert auf. Aber ... wer? Das wissen wir nicht. Muni fand ihn unter dem Marmorblock, der aussieht wie der Teil eines Hauses. Wie du siehst, hat man ihn ermordet. Wir haben keine Ahnung, wer oder warum man ihn umgebracht hat. Aber wir drfen es nicht bekannt werden lassen, sonst haben wir schon beim Luten der Nachmittagsglocken keine Arbeit mehr. Und pa auf dich auf. Er kann nicht lnger als wenige Stunden tot sein. Wer auch immer es war, er ist ein gefhrlicher Bursche, wenn man sich die Wunden ansieht. Er knnte noch in der Nhe sein, sagte Javin. Cheyne lftete den breitkrempigen Hut und fuhr mit seinen Fingern durch das dunkelblonde _Haar_, bevor er ihn wieder aufsetzte. Er bckte sich, um den Marmor zu untersuchen, der als Grabplatte des Mannes gedient hatte. Keine Kratzer oder Zeichen zu sehen... Das wissen wir, unterbrach ihn Javin und warf einen warnenden Blick zu den Arbeitern hinber. Cheyne nickte und zog seine Zeichentafel und den Kohlestift hervor. Warst du schon unten? fragte er Javin. Nein, aber der Sammler ist nicht da. Die Enttuschung stand Javin deutlich im Gesicht geschrieben. Ich mchte, da du hinabsteigst und zeichnest, bevor irgend etwas durcheinander gebracht wird. Einer von uns mu hier oben bei den Seilen bleiben. Er beschattete die Augen mit der Hand und beobachtete, wie die letzten Arbeiter das Gelnde verlieen. Du weit, was zu tun ist, ich bin hier oben. Muni wird dich begleiten und die Fackel halten. Sei vorsichtig! _Die_ Leiche ist irgendwie da hineingekommen, und sicher nicht durch Zauberei. _Hoffe ich,_ setzte er in Gedanken hinzu. Was ist mit dir, wenn du ganz allein hier oben wartest? Cheyne blickte ber das inzwischen vllig verlassene Ausgrabungsgelnde. Mir passiert schon nichts. Mach du nur deine Arbeit und komm schnell wieder herauf, sagte Javin. Cheyne gab Javin ein Zeichen, ihn und Muni an den geflochtenen Faserstricken abzuseilen, die immer viel zu dnn aussahen, um berhaupt ein Gewicht auszuhalten, aber seit Jahrhunderten die gesamte Bevlkerung Sumifas trugen. Im Innern des Raumes war es bedeutend khler als oben auf dem Sand, aber die Luft war abgestanden und schal und roch nach Kalkstein. Eine feine Staubschicht lag ber den Sandmengen auf dem Boden, auer an der Stelle, wo der groe dunkle Fleck des frisch eingetrockneten Blutes stand. Cheyne untersuchte den Sand rings um das Blut herum mit uerster Sorgfalt, fand aber keine Spuren, Muni stand immer noch genau an dem Fleck, auf dem er angekommen war und hielt die Laterne, whrend Cheyne im Raum umherging. Dem schwachen Licht der Laterne folgend, zeichnete Cheyne ein Fenster und eine breite Tr, die aber halb vom Sand verschttet waren. Anscheinend war der ganze Raum einst mit Sand gefllt gewesen, dachte Cheyne. In Kopfhhe lief eine dunkle Linie an den Wnden entlang, wo einmal ein hlzernes Dach gewesen war. Dieser Aufbau war anscheinend in das darunterliegende Stockwerk gefallen, eine Mglichkeit, die erklren wrde, woher die auf dem Boden verstreuten Dachziegel stammten. Als Muni die Laterne bewegte, tanzten Staubkrner in der Luft, die bei jeder Bewegung Cheynes aufgewirbelt wurden, aber ansonsten wirkte das Zimmer vllig unberhrt. Muni deutete in eine Ecke des Raumes, wo ein drei Fu breites Loch in die Mauer geschlagen worden war, wahrscheinlich bereits vor mehreren Jahrhunderten. Plnderer hatten offensichtlich das Zimmer lange vor ihnen ausgegraben und alle Wertgegenstnde mitgenommen, aber wenigstens hatten sie den grten Teil des Sandes entfernt. Nirgendwo waren Fuspuren zu entdecken. Cheyne widerstand dem ersten Verlangen, das Loch und seine Fortsetzung zu erforschen und stellte statt dessen seinen Mestab an die Wand, um den Raum mastabgetreu zeichnen zu knnen. Er berhrte den Stein; die Khle schmeichelte der sonnenverbrannten Hand. Marmor, murmelte er. Immer elf Hagongrad khler als die Raumtemperatur. Die Wand war glatt und poliert und verriet kaum ihr hohes Alter. Ein groer Ri, genau ber dem Loch, zog sich von der Decke bis zum Boden, aber die brigen Blcke standen aufrecht und unversehrt. Beste Handwerksarbeit, murmelte Cheyne leise. Es mu schwierig gewesen sein, da hindurchzubrechen. Da er nichts von unntigem Gerede hielt nickte Muni nur. Er hielt die Laterne so, da die zerstrte Mauer beleuchtet wurde, bis Cheyne das Muster und eine schnelle Skizze der verrutschten Marmorregale gezeichnet hatte. Nachdem Cheyne sich lange im Raum umgesehen hatte, entschied er, da sie den Gang hinter dem Loch betreten konnten. Als Muni sich hinkniete, bemerkte Cheyne pltzlich ein helles Funkeln und erhob seine Hand. Muni - sieh mal. Zerbrochenes Glas. Sieht aus, als wre es ein Spiegel gewesen. Muni schwenkte die Laterne ber die Splitter, und Cheyne legte seinen Stock beiseite. Dann hob er eines der greren Stcke auf. Der Silberrahmen war vor langer Zeit schwarz angelaufen, aber die Vorderseite des Glases war berall gleich stark und wies kaum Kratzer auf. Eine sehr feine Arbeit. Cheyne wollte das Stck in seiner Tasche verstauen, als ihn Muni am Arm fate. La mich einen Blick auf die Kante werfen. Ich glaube, ich habe noch etwas gesehen. Cheyne drehte die Scherbe um, und richtig, ein paar der haarfeinen Risse waren mit einer dunkelbraunen Substanz gefllt. Als er sie vorsichtig berhrte, fiel das staubige Zeug auf den Boden. Noch mehr Blut? erkundigte sich Muni. Wenn es das ist, dann stammt es nicht von dem unglcklichen Kerl da oben. Sieh dir nur diesen Staub an. Die Krnchen sind viel zu fein, um blo einen Tag alt zu sein, antwortete Cheyne. Er wickelte die Scherbe in ein sauberes Tuch und packte sie ein. Wollen wir doch mal sehen, wohin dieser Gang fhrt, erklrte er und beugte sich zu dem dunklen Loch vor. Dein Vater..., begann Muni mit vorsichtiger Stimme. Seitdem Javin Cheyne vor mehr als zehn Jahren zu der ersten Ausgrabung mitgenommen hatte, hatte sich Muni um das stille, seltsame Kind gekmmert, das schon damals ein begabter Knstler gewesen war, und nun zu einem der besten Archologen, den er je gekannt hatte, herangewachsen war. Teils wegen der Art und Weise, wie Javin den Jungen gefunden hatte - ein Thema, das er nie anschnitt - und teils wegen Reisen an oft wenig sichere Orte, hatte er darauf bestanden, da der Junge die zehn argivanischen Handkampfarten lernte und mit der Klinge umgehen konnte. Javins Frsorge hatte Cheyne zu einem erstklassigen Dolchkmpfer gemacht, der auch hervorragend mit einem Schwert kmpfen konnte. Aber dennoch neigte Muni dazu, in gefhrlichen Situationen zu vergessen, da Cheyne erwachsen war. Cheyne seufzte auf, erinnerte Muni daran und wirbelte mehrere Jahrhunderte Staub auf, was Muni zum Niesen veranlate, wodurch noch mehr Staub aufgewirbelt wurde, was weiteres Niesen zur Folge hatte. Mein Vater ist da oben. Wir sind hier unten. Wir mssen etwas tun, sagte Cheyne lachend. Hast du Angst, Muni? neckte er ihn. Muni senkte den Kopf und starrte den jungen Mann mit seinen wildkatzenartigen Augen an, whrend er unwillkrlich nach dem Dolch tastete, den er am Grtel trug. Wie du willst, Cheyne. Wieder bckte sich Cheyne in die ffnung hinab und lie sich auf alle viere fallen. Muni reichte ihm die Laterne. Cheyne zuckte zusammen, als mehrere handgroe schwarze Skorpione mit erhobenen Zangen und Schwnzen anrckten. Ungeziefer. Muni rmpfte angeekelt die Nase. Gehst du da hinein? Cheyne bi die Zhne zusammen, hielt die Laterne so weit er konnte nach vorne, und die Skorpione eilten schutzsuchend davon. Dann zog er den Arm zurck und winkte Muni. Nein, ich gehe nicht hinein. Das ist nicht ntig. Sieh es dir an. Muni zog eine Augenbraue hoch und sah ihn an, nahm die Laterne und schaute in das Loch. Fnf Fu hinter der Mauer war der Gang durch Sand verschttet. Riesige Spinnennetze, deren seidene Fden vllig unberhrt waren, zogen sich ber die freie Flche. Seit Jahrhunderten gehrte dieser Gang allein dem Ungeziefer. Angebetete Schreefa, Juwel der Wste, gleiendes Leuchtfeuer der Gnade, man hat Kalkuk den Ladenbesitzer gefunden ... oh, tot, mausetot lag er in einer versiegelten Gruft in der Ruine. Ich dachte, Ihr wrdet es gern wissen. Der schwarzgekleidete Meuchler verneigte sich tief vor seiner Arbeitgeberin. Nun, das ist schade, zu schade. Riolla Hifrata rollte die Worte im Mund herum, als schmeckten sie nach Gift. _Verdammt sei dieses Juwel!_ dachte sie und rieb die schwarze Perle zwischen den Fingern. _Warum kann ich nicht mehr damit umgehen? Nun, jedenfalls wei ich jetzt, wohin man den alten Kerl geschickt hat. Aber vielleicht hat ja alles seine Richtigkeit... Wenn diese Ausgrber fr seinen Tod verantwortlich gemacht werden, werden die Fascini sie vielleicht fortschicken. Dann hat der Raptor bessere Laune und wird aufhren, mich so furchtbar zu qulen. Seitdem sie in den Ruinen whlen, ist er zehnmal schrecklicher als sonst._ Riolla seufzte und entlie den Meuchler, der sich dankbar erhob, denn das kunstvoll gewobene Muster des Teppichs hatte sich schmerzlich in sein Knie gebohrt. Whrend er rckwrts gehend den Raum verlie, erklomm sie die Stufen zum obersten Stockwerk des Geschftes und dachte ber ihren letzten Versuch nach, die Magie der Perle zu beherrschen. Og, du alter Narr, wie hast du es nur gemacht? Wie konntest du nur die Steine dazu bringen, fr dich zu singen? murmelte sie, als sie den Flur erreichte. Sie betrat ihre Schlafkammer, zog die Blenden zum Schutz gegen die Morgensonne herab und legte sich auf die goldbestickte Bettdecke. In dem Moment, als sie am gestrigen Abend mit Hilfe der Perle den Krper des alten Kalkuk hatte bewegen wollen, hatte ihr Kopf zu schmerzen begonnen. Es war Jahre her, seitdem sie zuletzt gewagt hatte, den Stein zu bearbeiten, aber sie war allein und verzweifelt, und aufgrund der zunehmenden Zahlungsforderungen des Raptors bei ihr war sie gezwungen gewesen, den alten Kalkuk einzusammeln. Und Riolla wute, da der Raptor, obwohl sie die Mercanto Schreefa war, sie ohne Umstnde einsammeln wrde, wenn sie sich mit den Schutzzahlungen versptete. Es war in der Tat eine Schande. Kalkuk war ihr bester Lieferant gewesen. Der Mann hatte Dinge angeschleppt, bei denen die anderen nicht mithalten konnten. Die Quelle seiner Funde hatte sie nie gekannt. Aber diesmal hatte der arme Kalkuk nicht wie versprochen geliefert - er hatte dauernd von einer antiken Spieluhr geschwafelt und erzhlt, da sie sich seit unzhligen Generationen im Besitz seiner Familie befand und so alt war, da sie einst dem Sammler gehrt haben mochte. Natrlich, natrlich, alle, die Schulden haben, besitzen solche Schtze. Riolla hatte ihn angegrinst, seinen Namen von der Liste der Schuldner gestrichen und sich wieder ihrer Arbeit zugewandt. Als der Befehl des Raptors, ihn innerhalb von drei Tagen mit der doppelten Zahlung aufzusuchen, sie erreichte, war sie persnlich zu Kalkuks Laden gegangen, hatte das Artefakt gefordert, und er hatte sie mit einem alten Totem bedroht, den er von einem Regal holte. _Das httest du nicht tun sollen, Kalkuk. Da mute ich dich tten._ Sie hob den Bimsstein auf und feilte an einem Ri in einem der langen, scharfen Fingerngel herum. _Es spricht sich herum, wenn die Schreefa weich wird. Dann geht alles schief._ Sie seufzte. Der Kopf wollte ihr vor finsteren Bildern gerade zerspringen, und der Geruch von totem Seetang drang ihr in die Nase. Sie hob eine Tasse Tee an die Lippen und nahm einen winzigen Schluck des wrzigen Gebrus zu sich. Es schmeckte nach Verwesung, genau wie das Frhstck und das gestrige Abendessen. Og hatte sie vor der Perle gewarnt. Von allen Steinen des Rings war sie derjenige, den man am einfachsten benutzen konnte, der aber am schwierigsten zu beherrschen war. Wenn sie das Wagnis frher eingegangen war, hatte sie sich nie so schlecht gefhlt. Warum hatte das Lied nicht gewirkt? Sie hatte es so gesungen, wie Og es sie gelehrt hatte. Sie hatte den Leichnam in der Mitte von Mercantos Sonnenuhr drapieren wollen, genau vor dem unfreundlichen Gesicht von Nin, wo er den anderen Hndlern und Frauen, die Riolla Schutzgeld zahlten, als Warnung gedient htte. Ganz besonders denen, die ein wenig zu spt zahlten. Wieso war der Krper in der Wste gelandet? In einem alten Haus? Sie hatte nicht einmal gewut, da da drauen Huser standen. Stell sich einer vor, die alte Stadt Sumifa war tatschlich kein Mrchen. Riolla hielt inne; die Perle in ihrer Hand fhlte sich seltsam warm an. Sie lchelte ein wenig. Dann etwas mehr. Denn wenn es die uralte Stadt wirklich gab, warum sollte es dann nicht auch die Uhr selbst geben? Vielleicht gab es den Schatz, nach dem die dummen Barcaner immer suchten, wirklich. Sie wrde sich danach erkundigen, wenn sie wieder klar denken konnte. _So war das also mit Kalkuk,_ dachte sie und nippte erneut an dem Tee, ohne da er besser schmeckte. _Aber seine Bezahlung habe ich 'immer noch nicht._ Und ihre eigene Zeit lief ausgesprochen schnell davon. Ein bescheidenes Klopfen an der Tr lie Riolla den Kopf zu hastig hochreien, und der Laut schien entsetzliche Ausmae anzunehmen. Ja! Ja! Aufhren. Was ist los? fauchte sie, und die eigene Stimme schien ihr in den Ohren zu drhnen. Schreefa, Prinz Maceo schickt seine Gre. Er lt ausrichten, da er deinen Vorschlag noch einmal erwogen hat. Und ich behaupte immer noch, Javin, da kein Mensch diesen Marmorblock htte bewegen knnen, und auf gar keinen Fall htte jemand den Tunnel benutzen knnen, wiederholte Cheyne und knallte den Wasserkrug auf den Tisch, auf dem seine Zeichnungen ausgebreitet lagen. Ein paar herausspritzende Tropfen verfrbten ein paar Sekunden lang das Batapapier, verblaten und trockneten schnell. Geh hinab und schau es dir selbst an, wenn du willst. Das ist blo ein altes Loch der Plnderer, das vor langer Zeit von Sandstrmen zugeschttet wurde. Javin trommelte mit seinen Fingern auf den Tisch und schttelte den Kopf. Ich behaupte nicht, da du unrecht hast. Doch gefllt mir die Alternative nicht. Die Todesart sah zu vertraut aus. Auerdem solltest du immer in meiner Nhe bleiben, bis das hier vorbei ist. Sie knnten doch wissen, da wir hier sind. Redest du von dem Verschwundenen Zauberkreis, den Ninniten? Sprich nicht so laut! Javin runzelte die Stirn. Javin, warum soll jedesmal, wenn wir auf etwas stoen, das du dir nicht erklren kannst, es an einem alten Zwist zwischen einer Horde Zauberer liegen, die lange tot sind? Cheyne sah Javin lange in die Augen. Diesmal mochte ich alles erfahren. Es ist besser, wenn du es noch nicht weit. Auerdem knnte ich dir gar nicht mehr erzhlen, selbst wenn ich wollte. Es ist zu gefhrlich. Javin, seufzte Cheyne, wenn ich immer noch zehn Jahre alt wre, wre das die richtige Antwort. Aber ich bin ein erwachsener Mann. Es wird Zeit, da ich fr mich selbst sorge. Ich will eine Frau und meine eigene Arbeit finden. Und meinen _Namen_. Ich habe schon immer gewut, da diese ganzen Erzhlungen und diese Zaubereien, an die du fortwhrend denkst, etwas mit mir zu tun haben. Wer bin ich? Was geschah whrend meiner ersten zehn Lebensjahre? Warum kann ich mich nicht in einem Spiegel sehen, wie alle anderen Menschen? Was auch immer du ber diese Dinge weit, Javin, das verdiene auch ich zu wissen. Schlielich sind wir in Sumifa - und diese Stadt hat etwas Vertrautes fr mich, das mir sehr bekannt vorkommt. Ich mu frei sein, um diesen Ort zu erkunden. Vielleicht werde ich hier jemanden finden, der wei, was dies bedeutet..., fgte er leise hinzu und zog ein Amulett unter dem Hemd hervor, das mit einem seltsamen Zeichen, das wie ein winziger Fingerabdruck aussah, der tief und makellos in das Ende des glatten, zylindrischen Steins gemeielt worden war. Javin war zu keiner Antwort bereit und erhob sich, um zu gehen - seine Art, jedes Gesprch ber Cheynes Vergangenheit zu beenden. Dann setzte er sich wieder auf den Bambusstuhl und starrte Cheyne lange Zeit an. Wir haben schon unzhlige Male darber gesprochen. Es ist noch zu frh. Du mut mir vertrauen. Eines Tages wird alles geklrt. Aber noch nicht jetzt. Wenn mein Verdacht ber diesen Mord begrndet ist, ist es besser, wenn du nichts weit. Und, wie ich schon sagte, geh nicht in die Stadt. Unsere Beziehungen zu den Sumifanern werden leicht gespannt sein, bis der Mord aufgeklrt ist. Wir treffen uns am Haus. Wir werden das Zimmer freigraben. Ich wei, da der Sammler in der Nhe ist. Er mu es einfach sein. Der Schmerz in Javins Stimme drang in Cheynes Herz wie ein Dolch. Javin sammelte die Zeichnungen ein, nahm den Wasserkrug an sich und schritt hinaus. Cheyne bi die Zhne zusammen und rieb in seiner Enttuschung immer fester an dem Totem, das er in der Hand des Leichnams gefunden hatte, den die Arbeiter in die Stadt getragen hatten. Gleich den brigen Familientotems, die sie bisher entdeckt hatten, war auch dieser Stein mit Glyphen beschrieben. Als Cheyne fester rieb, wurden die Umrisse sichtbar und leserlich, falls man Althochsumifanisch lesen konnte. Er grub den Fingernagel in die Linien und suberte sie vom tief eingefressenen Schmutz. Eigentlich waren die Glyphen Bilder, und Cheyne konnte eine gewellte Linie entdecken, von der Muni behauptete, sie bedeute Wasser, ein stilisierter Skorpion - wahrscheinlich hnlich denen, die er im Gang gesehen hatte - und eine Art Korb. Zwei weitere waren so schwach, da er sie nicht entziffern konnte. Er rieb den Ganzitstein so sauber, wie er nur konnte und beobachtete gebannt, wie farbiges Licht die Kanten umtanzte. Er legte einen Korb und ein Boot frei. Aber am unteren Teil befand sich immer noch ein hartnckiger Fleck. Wieder rieb er daran, benutzte auch ein wenig Speichel, und als der Fleck nicht verschwand, nahm er noch ein rauhes Tuch zu Hilfe. Der Fleck schien so haltbar wie die gemeielten Glyphen zu sein. Voller Neugierde whlte Cheyne in seiner Tasche nach dem Vergrerungsglas, fand es und hielt es ber das Totem. Er konnte kaum glauben, was er sah. Unter der zhen Schmutzschicht war ein winziger Fingerabdruck in den Ganzit eingraviert worden, dessen Linien klar und deutlich zu erkennen waren und haargenau zu dem Abdruck seines eigenen, rtselhaften Amuletts paten. Cheyne, ich brauche dich. Du mut mit dieser Mauer fertig werden. Wir haben noch eine Stunde, bis es zu hei zum Arbeiten wird! rief Javin von auerhalb des Zeltes. Wir sollten so viel schaffen, wie wir nur knnen. Bis sich der Zwischenfall herumspricht, mssen wir unsere Zeit gut genutzt haben. Cheyne sprte, da sein Mund pltzlich sehr trocken war, und das hatte nichts mit der Wstenhitze zu tun. Ich komme, Javin! war alles, was er herausbrachte. In seinem Kopf herrschte Verwirrung. Er stopfte das Totem in die Tasche, sammelte sein Werkzeug ein und nahm einen Wasserkrug mit. Er wusch sich das Gesicht in einem Becken nahe der Tr und vermied aus Gewohnheit, in den darber hngenden Spiegel zu sehen. Als sich die Sonne dem hchsten Punkt im Zenit nherte, stapfte Cheyne zur nrdlichen Mauer und fand glcklicherweise ein bichen Schatten bei den greren Steinen, in den er sich zum Zeichnen begab. Die Zeit verging, und er dachte kaum ber die Steine nach, die er zu Papier brachte, denn das letzte Zeichen des Totems tanzte ihm immer noch vor den Augen herum. Beim letzten Strich der ockerfarbenen Kreide war der Schatten vollstndig verschwunden. Cheyne packte seine Sachen zusammen und wanderte zu den Zelten zurck, whrend er ber sein weiteres Vorgehen nachgrbelte. Das Amulett um seinen Nacken erschien ihm schwerer als je zuvor, und bei jedem Schritt schlug es ihm gegen die Brust. Das Hauptzelt war leer, Javin war noch nicht zurckgekehrt. Aber es wrde nicht mehr lange dauern - nicht einmal Javin konnte bei dieser Hitze arbeiten. Er berlegte, ob er zum Schuppen gehen sollte, um Javins Pferd zu holen, aber dann fiel ihm ein, da es gebraucht wurde, um die Leiche wegzubringen. Cheyne legte die Zeichnung ordentlich auf den Tisch, fllte den Wasserschlauch auf, zog sich saubere Gewnder an und vertauschte den Hut mit einer Kaffiyeh der Einheimischen. Dann folgte er der rauhen Strae nach Sumifa. ~KAPITEL 2 Die mehr als siebenhundert Jahre alte neue Stadt Sumifa lag in einem breiten, flachen Tal zwischen der stlichen Wste nahe Fallajian und dem westlichen Erg, das an das Buschland grenzte und zu dem Knigreich der unberechenbaren Wyrvil Orks gehrte. Der Flu Nantas, ein trge dahinflieender Streifen schlickbeladenen Wassers, verlieh dem Tal whrend der Wintermonate ein grnes Kleid, trocknete aber im Sommer ein. Da man sich im Monat Sul befand, flo der Nantas wieder, und Cheyne whlte einen Pfad am Flu entlang, wo es wegen des leisen Windhauchs, der fortwhrend vom Wasser herberstrich, ein wenig khler war. Am gegenberliegenden Ufer lief eine Schafherde an ihm vorbei, die auf dem Weg zur Trnke war. Die Hirten in ihren leuchtend rot-violetten Roben winkten ihm nacheinander zu, whrend sie die durstigen Tiere zum Wasser trieben. Chamleons, die ihre Farbe den blaugrauen Felsen angepat hatten, sonnten sich scharenweise, nickten mit den Kpfen und rannten sofort schutzsuchend davon, wenn Cheyne an ihnen vorberschritt. Ein einsamer Einbaum trieb fluabwrts, von einem rothaarigen neffianischen Sklaven gerudert, whrend ein zweiter ein Netz voller Fische in das Boot zog. Die Zikaden sangen ihr Lied, dessen Melodie im Gleichklang mit den heien Windstrmen, die vom Erg herberwehten, auf- und abschwoll. Nach einer Stunde fand sich Cheyne, der sich durch die Hitze und das flache, eintnige Landschaftsbild wie hypnotisiert vorkam, an der majesttischen, goldenen Lwentorbrcke wieder, dem Haupttor von Sumifa, der Hauptstadt von Almaaz. Sie war die lteste Ansiedlung der westlichen Welt und der einzige Teil des Kontinents, der von der berschwemmung verschont geblieben war, die dem groen Tauwetter folgte. Architektonisch hatte sich in den Jahren nicht viel verndert, seitdem Sumifas Einwohner aus den Basalt- und Kalksandsteinhusern, die Cheyne und Javin gerade ausgruben, in diese riesige, befestigte Stadt zogen. hnlich den Ruinen war auch diese Stadt in unregelmigen, konzentrischen Kreisen erbaut worden, von denen ein jeder sein eigenes Tor hatte, um im Angriffsfall besser geschtzt zu sein. Innerhalb der Stadt waren die Tore stufenfrmig angeordnet, und keines hnelte dem anderen, so da ein Spaziergang durch die Stadt wie die Wanderung in einem hochgelegenen Labyrinth erschien. In den Aufzeichnungen ber das Chaos, das den Kriegen des Listigen gefolgt war, erzhlten die Schreiber, da diese Mauern die Stadt vor der Belagerung durch Diebe und vor den heftigen Angriffen der kriegerischen Nomadenstmme bewahrt hatten, die auf der Suche nach ihren verschwundenen Anfhrern durch die Dnen streunten. Heute nutzte das fortschrittliche Sumifa die Mauern auf eine Weise, die man bei den alten Ruinen nicht entdeckt hatte. Die zehn Fu dicken und zwanzig Fu hohen Basaltmauern trennten die Armen von den Hndlern und die Hndler von den reichen Fascini - jede Mauer bildete einen festen, grimmigen Wall, der an die unsichtbaren und unberwindlichen Grenzen zwischen den verschiedenen Klassen dieser Stadt erinnerte. Der Duft von gebratenem Fleisch vermischte sich mit dem Geruch des Shirrirgewrzes, aber Cheyne beachtete sein pltzlich nagendes Hungergefhl nicht, berquerte den Nantas und eilte durch die Randbezirke der Stadt, das Totem fest in der Hand haltend, die er in seinem Gewand verbarg. Obwohl die Ausgrabungen bereits vor einem Monat begonnen hatten war dies Cheynes erster alleiniger Ausflug in die Stadt. Da sich Javin nicht von den Ruinen losreien konnte, hatte Muni Cheyne immer begleitet und sie waren gekommen, um Vorrte oder Werkzeug zu kaufen, oder hatten kleine Funde gebracht, um die Fascini bei Laune zu halten. Innerhalb weniger Stunden hatten sie Sumifa wieder verlassen, um sich an die Arbeit zu machen. Aber heute nahm sich Cheyne Zeit. Alles sah irgendwie anders aus und viel interessanter. Er erinnerte sich daran, da er sich in der Mitte der Strae halten sollte, um den Taschendieben und Schlaglchern auszuweichen, hielt aber angestrengt Ausschau nach dem Elfen, den er suchte. Als er das nchste Tor erreichte und bereits eine halbe Meile in die Stadt eingedrungen war, stie er mit einer der kniglichen Snften der Fascini zusammen, die von neffianischen Sklaven, deren Krper ockerfarben bemalt waren, getragen wurde. Die Snfte geriet ins Schwanken, und Cheyne wurde zur Seite geschleudert. He! rief er, als er unsanft gegen eine Mauer prallte und verga, da er in Sumifa, wo die Menschen nach ihren Vorfahren beurteilt wurden, weder Rang noch Namen besa. Er umklammerte das Totem, als ein scharfer Befehl aus dem Innern der Snfte ertnte, die Sklaven auf der Stelle anhielten und ihn mit offenen Mndern unverhohlen anstarrten. Eine bleiche, juwelengeschmckte Hand zog die violetten, bestickten Vorhnge zur Seite - die, wie Cheyne bemerkte, ein wenig verschlissen waren. Da der Mann ganz auf einer Seite sa, nahm Cheyne an, da sich insgesamt zwei Personen in der Snfte befanden. Du wagst es, die Strae zu benutzen, wenn ich von ihr Gebrauch mache? Doulos, frage diesen Sklaven, warum er frei herumluft und wem er gehrt. Verlange nach seinem Namen. Trotz der sengenden Hitze klangen die Worte, als seien sie aus Eis. Cheyne verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Die Antwort auf jene Frage suchte er schon ein Leben lang, und sie war der Grund, weshalb er sich Javin widersetzte und in die Stadt gekommen war. Noch immer konnte Cheyne nicht sehen, wer mit ihm sprach, daher hob er sein Bndel auf, klopfte sich die Hnde ab und trat auf die Snfte zu. Bevor der am nchsten stehende Sklave die Frage seines Herrn wiederholen oder den jungen Mann warnend ansehen konnte, hatte Cheyne den Vorhang ein Stck weiter geffnet und erhielt augenblicklich einen festen Hieb mit der Reitgerte des Mannes. Fa das nicht an, du aufsssiger Sklave! Ich habe dich etwas gefragt. Wer bist du und wie kannst du es wagen, dich mir in den Weg zu stellen oder deine Hand an meine Snfte zu legen? Weit du nicht, wer ich bin? Wiederhole meine Worte, Doulos, befahl er dem Sklaven, der dem Befehl folgte und auch den hysterischen Unterton nicht verga. Cheyne wartete ab, lauschte geduldig und rieb sich die schmerzenden Finger, dachte aber nur an das, was er im Innern der Snfte gesehen hatte. Die Frau war verschleiert, doch den Mann konnte man sehen. Er war hager und hatte schwarzes Haar, grne Augen, eine fahle Hautfarbe und einen gezwirbelten Schnurrbart. Obwohl dies die erste Begegnung Cheynes mit den Fascini war, bereitete es ihm keine Schwierigkeiten, alle Merkmale der faulenzenden, krnklichen Oberschicht Sumifas zu erkennen. Aber wer war die Frau? Sie trug weder Violett noch den Schleier der verheirateten Frauen. Er wute, da die Fascini hin und wieder Frauen aus den reichsten Mercantofamilien whlten oder aus den Adelshusern weit entlegener Stdte, aber Javin hatte ihm erklrt, da man nie richtig zu ihnen gehrte, wenn man nicht in diese Klasse hineingeboren wurde. So wollten es die Fascini. Je weniger Leute sie waren, desto reicher blieben sie. Insbesondere seit die Karawanen aus dem Westen nicht mehr hierher kamen. Handelsgter waren viel teurer und schwerer zu bekommen. Aber auch das bedeutete Gewinne, zumindest fr einige Leute. Der geduldige Sklave hatte zu Ende gesprochen und wartete auf Cheynes Antwort. Ich bin kein Sklave. Ich ... ich komme aus dem Osten, erwiderte Cheyne vorsichtig, da er an die Schwierigkeiten an der Ausgrabungssttte dachte. Ich habe deine Snfte nicht rechtzeitig gesehen. Aber deine Sklaven haben mich beinahe umgerannt. Oh, um Nins willen, sprich zu dem Mann da rechts, du Narr. Du darfst mich niemals direkt ansprechen. Aus dem Osten, aus dem Osten. Wo es weder eine Kultur noch die Anerkennung alter, ehrenwerter Traditionen gibt. Wo sich Personen von Stand einfach mit gewhnlichen Leuten vermischen; wo Sklaven, deren Vorfahren noch in Hhlen lebten, es wagen, Adlige anzusprechen. Also wirklich, man sollte es euch Auslndern nicht gestatten, euch innerhalb der Tore Sumifas zu bewegen, bis ihr wit, wie man sich zu benehmen hat. Du hast mich beleidigt. Weit du, da ich dich fr das, was du gerade getan hast, auf die vier schmerzhaftesten Arten auspeitschen lassen knnte? Nun, da ich heute in viel besserer Laune bin als sonst, werde ich dich lebendig begraben lassen, erklrte der Fascini ungeduldig. Der Sklave holte tief Luft und wiederholte die Worte seines Herrn. Cheyne schttelte den Kopf und berlegte, welches die schlimmere Snde sein mochte: im Wege zu stehen, whrend man berrannt wurde, oder den Fascini anzusprechen. Er entschied sich fr letzteres, war sich aber nicht ganz sicher. Der Sklave zuckte die Achseln, und ein besorgter Ausdruck ersetzte seine besorgte Reglosigkeit. Da sagte sich Cheyne, da der Fascini es ernst meinte, ihn lebendig begraben zu wollen. Gerade wollte er ber das Gelnder springen und davonlaufen, als er eine zweite Stimme vernahm. Maceo, er kann doch nicht wissen, da er mit dem Thronerben Sumifas redet. Erst heute nachmittag hat man dich zum Knig ausgerufen. Er hat nichts getan, um mit dem Tod bestraft zu werden. Die sanfte Stimme klang verzweifelt und flehend. Maceo zog schnell den Vorhang zu, und Cheyne strengte sich an, dem Gesprch zu lauschen. Der neffianische Sklave starrte ausdruckslos vor sich hin, bis er gemeinsam mit den anderen Trgern die Snfte aufhob, als htten sie einen Befehl vernommen, den Cheyne nicht hren konnte. Aber Maceo hatte das letzte Wort. Namenloser Idiot! Unbekannter Narr! Heute hat dir die Frau dein wertloses Leben gerettet. Wenn ich als Knig eingesetzt bin und du es wagst, diese Straen zu betreten, wirst du es ben! rief der Fascini, als die Snfte davongetragen wurde, und ein rotes Band fiel auf die Strae. Das nchste Tor ragte vor ihm auf, und Cheyne ging langsam darauf zu. Schon bald hatte er die Snfte aus den Augen verloren, die um eine Kurve bog. Er drehte sich auf dem Absatz um und machte sich auf den Weg in das belste Viertel der Barca. Trotz der Menschenmenge, die sich versammelt hatte und seine ffentliche Abfuhr miterlebte, konnte Cheyne nur an die weinende Frau denken. Er bckte sich und hob das rote Band auf, bevor ein Karren darber hinwegfuhr. Es roch nach Myrrhe und Bergamotte - beide intensive, schwere Dfte. Er stopfte es in sein Bndel, ging durch das Tor und fragte sich, wie das Gesicht hinter dem Schleier aussehen mochte. Ich habe dir doch gesagt, es knnte Ganzit aus Elclesia oder Trufi sein, oder sogar aus dem Glockenspiel, obwohl _ich_ diese sagenhaften Steine noch nie gesehen habe. Der Ladenbesitzer verdrehte die Augen, da er des Ratens mde war. Sieht wie jedes alte Totem aus, bis auf das letzte Zeichen und die seltsame Form. Woher, sagtest du, hast du ihn? Der Uhrmacher stellte das Totem auf den berfllten Ladentisch und wartete auf Cheynes Antwort. Danke. Vielen Dank fr deine Hilfe. Es war nur so eine Frage, denn ich wei, da du eigentlich nichts mit diesen Dingen zu tun hast. Das stimmte. Cheyne hatte den Laden des Uhrmachers nur aufgesucht, weil er gerade in der Nhe war. Es war der letzte Ort, fr den er Zeit gehabt htte, und das Geschft war wirklich entsetzlich heruntergekommen. Cheyne war drei Stunden lang im Hndlerviertel herumgewandert, hatte jeden Antiquittenstand und jeden Kunsthandel durchstbert, und jedesmal fragende Blicke und Schulterzucken erhalten. Seine Fragen nach dem Elfen hatten nur Gelchter und die Antwort hervorgerufen, da man in Sumifa seit der groen Wanderung keine Elfen mehr gesehen habe. Noch schlimmer war, da niemand etwas mit der letzten Glyphe auf dem Totem anfangen konnte, geschweige denn, Interesse dafr zeigte. Aus diesem Grund war es auch seltsam, da der unordentlich gekleidete Uhrmacher Cheyne die ganze Zeit anstarrte und ihm erwartungsvoll sein faltiges Gesicht zuwandte, whrend ber seinem Kopf zwei Schmeifliegen herumsurrten. Cheyne nickte zum Abschied, steckte das Totem in seine Tasche und ging zur Tr hinaus. Die Sonne war zum westlichen Teil der Mauer gewandert - es war Zeit fr ihn zurckzukehren. Javin war bestimmt schon wtend genug. Oh, vielleicht kenne ich jemanden, der dir mit deinem Problem helfen kann, schmeichelte der Uhrmacher. Cheyne blieb stehen und drehte sich um. Ihr Name ist Riolla Hifrata. Sie ist eine ehrenwerte Frau, die sich gut mit Antiquitten auskennt. Hier ist ihre Adresse. Der Ladenbesitzer fummelte an dem rmel seines fleckigen Kaftans herum und zog ein kleines Stck beschmutzten Pergaments mit seiner noch schmutzigeren Hand heraus. Mit unbeweglicher Miene schob er es Cheyne zu. Eine der Uhren im Hinterzimmer begann zu knarren und zu rasseln, und alle anderen fielen ein. Cheyne dankte dem Mann, griff nach dem Pergament und verlie den Raum mit drhnenden Ohren. Es schien, als htten sich die Straen ein wenig geleert, whrend er im Laden des Uhrmachers weilte. Nur ein in Lumpen gehllter Vagabund hockte im Schatten eines Marktstandes, summte vor sich hin und hielt eine fast leere Flasche in der Hand. Der Mann war eigentlich vllig unscheinbar, wre nicht die wahrhaft riesige Nase gewesen, die unter der Kapuze hervorschaute. Cheyne wunderte sich, verbarg sein Erstaunen aber hinter einem hflichen Lcheln, als er an dem Mann vorberschritt. Whrend er auf das Tor des inneren Stadtrings zuschritt, fragte er sich, ob er wirklich Zeit fr diesen Besuch hatte, entschied aber dann, da, wenn Javin wirklich wtend war, die Aufregung sich wenigstens lohnen sollte. Auerdem war er nicht in Schwierigkeiten geraten, wenn man von dem Vorfall auf dem Ausgrabungsgelnde absah. Und niemand, auer Prinz Maceo, hatte ihn hier beachtet. Die Mauern im Westen warfen lngere Schatten, als Cheyne lieb war, aber die Verlockung, die von der Karte ausging, war strker. Da sich die Suche nach dem Elfen als vergeblich erwiesen hatte, konnte dies die einzige Mglichkeit bedeuten, die ihm noch blieb, um etwas ber die Bedeutung der Glyphe herauszufinden. Vielleicht waren die Fascini schon dabei, die Ausgrabungen zu verbieten, und wenn sie fortgehen muten - dessen war sich Cheyne sicher - wrde er niemals mehr hierher zurckkehren. Er hastete durch die verlassenen Straen und hatte die Adresse, die auf der Karte stand, schon bald erreicht. Das Arkanum, stand mit beraus kunstvollen, goldenen Buchstaben auf dem Schild geschrieben. Der kleine Laden lehnte sich gegen die Mauern der Zitadelle und lag direkt vor dem Tor des inneren Stadtrings. Cheyne zog am Glockenstrang und wartete minutenlang ungeduldig, bis ein Guckloch geffnet wurde. Nach weiteren Minuten des Wartens wurde die Tr entriegelt, um ihn einzulassen. Anscheinend durften nur ganz besondere Kunden das Arkanum betreten. In der Eingangshalle berfiel ihn der durchdringende Geruch von Zimt, Gewrznelken und Shirrirrauch - ein verbotenes Rauschmittel, das wahrscheinlich von einer der wenigen Karawanen, die noch nach Sumifa reisten, hierhergeschmuggelt worden war. Er wartete einen Augenblick im Dmmerlicht, bis sich die Augen daran gewhnt hatten und er die Frau erkennen konnte, die ihn hereingelassen hatte. Hallo. Ich bin hergekommen, weil..., begann er, aber die Frau hob ihre plumpe Hand mit spitzen Fingerngeln, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ja, ich wei, weshalb du gekommen bist. Sofort, nachdem du Vinzos Geschft verlieest, hat er mir einen Boten geschickt. Bitte folge mir in die Zhlstube, dort herrscht besseres Licht, erklrte die Frau, deren Worte zwar kultiviert, deren Stimme aber unangenehm rauh klang. Cheyne fhlte sich ausgesprochen unwohl, folgte ihr aber durch einen aus violetten Schnren bestehenden Vorhang in einen hell erleuchteten Raum. Entlang der weien Wnde standen Regale, die mit Bchern und Schriftrollen vollgepackt waren. Auf allen verfgbaren ebenen Flchen standen Uhren und jegliche Art von Zeitmessern herum. Kein Wunder, da der heruntergekommene Uhrmacher diese Frau kannte. Wahrscheinlich hatte er ihr die meisten Stcke verschafft. Ein Diener warf ein Tuch ber den mit rotem Samt bezogenen Stuhl, der Cheyne angeboten wurde, whrend sich die Frau ihm gegenber, auf der anderen Seite des Glastisches, niederlie. Die frisch durchgeschnittene Hlfte einer Blutorange lag auf der Tischplatte, und ein kleiner, mit Rubinen verzierter Dolch, von dessen Klinge der dunkelrote Saft tropfte, lag daneben. Ich heie Riolla Hifrata. Wie du siehst, interessiere ich mich fr Antiquitten. Vielleicht kann ich dir helfen. Drfte ich das Totem einmal sehen? Cheyne zgerte und starrte die Frau unhflich an. Noch nie hatte er jemanden wie Riolla kennengelernt. Sie schien nicht viel lter zu sein als er selbst, aber das war schwer zu beurteilen - unter dem dick aufgetragenen, blassen Gesichtspuder konnte sich Jugend oder Alter verbergen. Die Augenbrauen zogen sich in dnnen, dunklen Linien empor, und das strahlende Lcheln schien die vollen Lippen nie zu verlassen. Die Augen leuchteten so blau wie das Wasser der Bergseen in Tarnrish, daheim in Argivia. Aber am meisten fesselte Cheyne Riollas Haarschopf. Helle messingfarbene Locken trmten sich zu einer unglaublichen Hhe auf, um dann am Rcken hinabzustrzen. Einzelne Locken schlngelten sich um den Nacken und rahmten die Halskette ein: Eine einzelne schwarze Perle hing daran. Noch nie hatte er so viele Haare gesehen. Und noch nie so eine Haarfarbe. Obwohl sie sich wie eine Fascini benahm, sah Riolla ebenso neffianisch aus wie die Sklaven, die Maceos Snfte trugen. Ich fragte, ob ich das Totem einmal sehen kann, wiederholte sie, und ein seltsam dringlicher Unterton lag in ihrer Stimme. Oh. Das Totem. Ja, nun, ich habe mich gefragt, ob du mir helfen kannst, die Glyphen zu entziffern. Ich vermute, da es sich um Althochsumifanisch handelt, und anscheinend gibt es niemanden mehr, der das noch lesen kann. Das ist auch schon alles, was ich wissen mchte. Er whlte in seinem Bndel herum und zog das Totem vorsichtig heraus. Natrlich, Muje... Sie lchelte noch immer, und in den Mundwinkeln bildeten sich Grbchen. Cheyne heie ich, einfach nur Cheyne, erwiderte er. Cheyne. Natrlich. Sie zuckte zusammen und wandte die Augen angewidert ab. Er hatte keinen zweiten Namen - in Sumifa eine unverzeihliche Snde. Und mit diesen blauen Augen und dem hellen Haar sah er wie ein Sklave aus. Lege ihn dorthin. Sie klopfte auf die Tischplatte. Cheyne war etwas berrascht und zgerte. Er fragte sich, weshalb Riolla das gleiche Benehmen wie Maceo an den Tag legte, obwohl sie ganz offensichtlich keine Fascini war, aber dann legte er das Totem auf den Tisch. Der Diener hob es auf, wischte es ab und reichte es seiner Herrin. Nachdem sie die Glyphen minutenlang studiert hatte, schrieb Riolla sechs der sieben Symbole und deren Bedeutung nieder. Eine Weile trommelte sie mit den Fingern auf die Tischplatte und konzentrierte sich vllig auf die letzte Glyphe. Die Uhren tickten und summten ihre Melodien. Riolla schwieg. Schlielich rutschte Cheyne unruhig auf dem zierlichen Stuhl herum, dessen zerbrechliche Lehne laut und vernehmlich knarrte. Riolla schaute auf und lchelte mechanisch, bevor sie antwortete. Cheyne sprte, da sie log, noch ehe sie ein Wort gesagt hatte. Das letzte Zeichen ist das des Strudelbeckens. Man sieht es nicht sehr oft. Als diese Inschrift eingraviert wurde, war die Familie von geringer Bedeutung. Das ist alles: Ihr Lcheln verbreiterte sich, und sie wartete auf seine Zustimmung. Als er zur Seite blickte, wandte sie sich erneut dem Totem zu und gab vor, die Verzierungen und Gravierungen zu bewundern. Und wo, wenn ich fragen darf, hast du dieses Stck gefunden? erkundigte sie sich betont beilufig, ohne da es ihr gelang, ihr brennendes Interesse zu unterdrcken. Ich habe es in den Dnen entdeckt, sagte Cheyne und streckte die Hand nach dem Totem aus. Riolla tat, als sei sie noch immer in den Anblick vertieft und beachtete seine ausgestreckte Hand nicht. Natrlich. Du gehrst zu den Ausgrbern, nicht wahr? Als er zusammenzuckte, lchelte sie mitfhlend. Cheyne, du gefllst mir. Es tut mir leid, dir nicht mitteilen zu knnen, ob du ein wertvolles oder wichtiges Stck gefunden hast. Ich wei, wie hart ihr fr das Wenige, das ihr findet, arbeitet. Aber ich werde dir dein Hierherkommen lohnen. Normalerweise tue ich das nicht, aber ich mchte dir behilflich sein. Ich werde dir das Totem abkaufen, erklrte sie grozgig. Ich biete dir zwanzig Kohli, und du wirst nie wieder ein besseres Angebot bekommen. Ich verrate dir auch, weshalb: Dieses Stck ist nicht einmal zehn Kohli wert, aber es stammt aus der Zeit vor der groen Wanderung, und wie du siehst, sammle ich Dinge aus jener Epoche. Sie deutete mit spitzen Fingern auf die Gegenstnde im Raum. Vielen Dank, Riolla, aber auch fr mich ist es etwas Besonderes, obwohl es nicht von groem Wert ist. Er nahm das Totem vom Tisch und stie versehentlich mit der Hand an den zierlichen Dolch, der bis zur Kante des Tischchens glitt, sich dort drehte und, mit der Klinge auf Riolla weisend, liegenblieb. Sie folgte der Waffe mit ihren Augen und sah dann langsam zu Cheyne auf. Der junge Mann schwieg. Er stopfte den Ganzitstein in sein Bndel und wollte aufbrechen, Riollas falsches Lcheln fiel ein wenig in sich zusammen, und die Augen wurden zu funkelnden, harten Saphiren. Natrlich. Das macht dann fnfzig Kohli fr die Beratung. Und la meine Karte hier, sagte sie knapp. Nachdem er jeden Antiquittenhndler des Mercantoviertels bezahlt hatte, besa Cheyne nur noch zweiundfnfzig Kohli. Er griff in seine Tasche, reichte ihr das Geld und stellte mit Erstaunen fest, da ihr Kastenbewutsein sich anscheinend nicht auf Bezahlungen erstreckte. Dann nahm er das Papier, auf dem sie die Bedeutung der Glyphen notiert hatte und verlie Riolla Hifrata, die, zu einer wtenden Statue erstarrt, an ihrem Tisch sa. Die Karte mit der Anschrift lag unter der klebrigen Klinge des mit Juwelen besetzten Dolches. Noch ehe Cheyne die Haustr erreicht hatte, ri der Diener das Tuch von dem Stuhl, faltete es ordentlich zusammen und legte es auf den Abfallhaufen hinter dem Laden. Gerade als die Tr des Arkanums hinter ihm zufiel, hrte er die letzten Glocken im Abstand weniger Minuten dreimal schlagen. Sie kndeten das Schlieen der Tore an - zuerst das Tor der Zitadelle, dann das Tor des Hndlerviertels und schlielich das uere Tor der Barca. Dies bedeutete, da er ber zwei Mauern klettern mute, wenn er sich nicht beeilte. Er hastete durch die engen, gewundenen Gassen und versuchte sich zu entsinnen, wie er vorhin zum Arkanum gekommen war. Die Schatten verwirrten ihn und lieen die Straen anders aussehen. Bestimmte Lden tauchten an Stellen auf, wo er sie vorher nicht gesehen hatte, und andere Merkmale verloren sich im Gewirr der Gassen. Allmhlich wurde er von Panik ergriffen. Er war ein Fremder ohne Namen und Bedeutung und inzwischen auch ohne Geld, gefangen in einer Stadt, in der man nur mit Hilfe dieser Dinge aus Schwierigkeiten herauskommen konnte. Und Schwierigkeiten, das hatte ihm Muni immer wieder erzhlt, lauerten in der Dunkelheit Sumifas fortwhrend. Gleichzeitig schossen ihm Gedanken an Javins Sorge ber seine Abwesenheit durch den Kopf - noch nie, seitdem ihn Javin mit zu Ausgrabungen genommen hatte, hatte Cheyne seine Warnungen derart unbeachtet gelassen. Der Ausflug war nicht einmal die Kosten von Madame Hifratas Dienst wert gewesen, geschweige denn den Verlust von Javins Vertrauen. Die furchtsamen Gedanken ergriffen so sehr Besitz von ihm, da er den Bettler nicht bemerkte und unversehens ber ihn stolperte. Doch erwies sich der Sturz als Glcksfall. Wre Cheynes Kopf nicht nach unten geschnellt als er ber den Mann fiel, htte ihn die gut gezielte Wurfscheibe, die pltzlich ber die beiden hinwegflog, vom Rumpf getrennt. Der Diskus prallte mit voller Wucht gegen eine Basarmauer, und die Messingscheibe klirrte sanft, als sie in den Sand fiel. Bleib unten! zischte der Bettler und lauschte angestrengt dem Klirren. Und folge mir. Er zog einen kurzen Dolch, kroch um die Ecke eines Hauses und zog Cheyne hinter sich her. Einen Augenblick lang drckten sie sich gegen die warmen Ziegelmauern, dann - als eilige Schritte verklangen - winkte der Mann Cheyne, ihm eine Strickleiter hinauf zu folgen. Cheyne blieb keine Wahl. Schon vernahm er die leisen Schritte des unbekannten Angreifers, der zurckkehrte, da er ihre List durchschaut haben mute. Cheyne kletterte auf das flache Dach des Gebudes, dessen Oberflche die Hitze des Wstentages gespeichert hatte, die durch die Sohlen seiner Stiefel drang. Sicher wrde der Angreifer nicht lange brauchen, bis er auch diesen Weg entdeckte. Gerade wollte Cheyne seine Zweifel uern, als der Bettler ihm deutlich machte, da er nicht die Absicht hatte, hier zu verweilen. Er zog den jungen Archologen zum Rand des Daches, das ber die Strae hinausragte, und als der Verfolger unten vorbeischlich, lie er sich mit einem gellenden Kreischen auf ihn fallen. Bis Cheyne einen ungefhrlicheren Weg entdeckt hatte, nach unten zu gelangen, waren der Bettler und der Fremde bereits in eine Messerstecherei verwickelt, die bedeutend ausgewogener ausgetragen wurde, als Cheyne fr mglich gehalten htte. Der Bettler verfgte ber einige akrobatische Fhigkeiten und beschftigte den Gegner aufs trefflichste. Bisher war noch kein Blut geflossen. Als er eine Mglichkeit sah, griff Cheyne ein und versetzte dem Fremden einen vernichtenden Schlag, der ihn wie einen Sack Salz zusammensinken lie. Cheyne klopfte sich den Staub von den Kleidern und nahm dem Mann den gekrmmten, kostbar verzierten Dolch aus der Hand. Es handelte sich um den gleichen Dolch, den er auf Riollas Tisch gesehen hatte. Die Klinge war noch immer vom Saft der Orange verklebt. Gut abgepat, gratulierte ihm der Bettler. Cheyne wandte sich um, um seinen Retter anzusehen. Die Kapuze war whrend des Kampfes nach hinten gerutscht, und nun wute Cheyne, wieso ihm der Mann so bekannt vorkam. Die Nase des Bettlers war ein regelrechter Kolo und erinnerte ihn an den zwanzig Fu hohen Kopf Nins, der vor der zerstrten Mauer an der Ausgrabungssttte stand. Das stliche Gesicht und die riesigen Ohren waren schon vor langer Zeit verwittert oder abgebrochen und lieen das strenge, westliche Gesicht lcherlich wirken. Als habe er Cheynes Gedanken gelesen, zog sich der Bettler hastig wieder die Kapuze ber den Kopf, aber die sonnenverbrannte Nase ragte noch immer darunter hervor. Warte mal - du hast vor dem Laden des Uhrmachers gesessen..., sagte Cheyne. Ja. Und da werde ich auch wieder hingehen, wenn du mir keinen schneren Platz vorschlagen kannst... Der Bettler deutete auf das hin- und herschaukelnde Schild eines Raqaladens, der ein Stck die Strae hinauf lag. Nichts entfacht einen kleinen Durst so gut wie ein netter Zwist. Wrdest du mir einen ausgeben? Er schwankte pltzlich, und Cheyne ergriff ihn am Arm. He, ist alles in Ordnung? La mich dir helfen. Leider kann ich dir keinen ausgeben. Ich habe nur noch zwei Kohli, entschuldigte er sich und suchte nach den Geldstcken. Natrlich fand er sie nicht. Der Bettler schttelte den Kopf, und die Geste wurde durch die enorme Nase noch unterstrichen. Nein, nein. Ist schon gut, keuchte er und blies Cheyne seinen Atem ins Gesicht. Beinahe htte der Raqagestank das vollbracht, was der Meuchler nicht geschafft hatte. Cheyne wute jetzt, warum der Bettler so auergewhnlich mutig gewesen war. Hier. Ich werde dich in den Schatten fhren. Dann hole ich Wasser..., sagte er zgernd. Wasser? Nein, guter Mann, bitte nicht. Ich brauche jetzt einen gut abgelagerten Raqa - das se, zerstampfte Herz des Wstenkaktus, der mindestens eine Woche im eigenen Kummer schmorte - und einen festen Laib Bappir, der genauso alt ist, widersprach der Bettler grinsend, dessen Ausdrucksfhigkeit, genau wie sein Mut, ungewhnliche Ausmae angenommen hatte. Mir geht's gut, junger Herr. Ein paar Beulen werd ich haben, wenn ich wieder nchtern bin. Aber die spre ich _jetzt_ nicht, oder? Und vielen Dank fr die Mnzen. Cheyne steckte die Hand in die Tasche und runzelte die Stirn. Nun ja, ein grozgiger Mann wird niemals hungern mssen. Du kannst auf der anderen Seite des Markstandes durchschlpfen. Wir sollten uns besser aus dem Staub machen, ehe der Herr, der deinen Kopf wollte, aufwacht. Cheyne wute, da der Bettler recht hatte, aber inzwischen war das Luten der Glocken verstummt, und die ueren Tore waren geschlossen. Er steckte fr heute nacht fest, und sein einziger Freund in dieser Stadt schien dieser arme Teufel zu sein, auch wenn er ihm seine zwei letzten Kohli gestohlen hatte. Er wrde ihn nicht einfach verschwinden lassen. Aber als sich Cheyne zu der Stelle umdrehte, auf die der Bettler gezeigt hatte, verschwand der Mann im Schatten der Huser. Da ihm nun nichts anderes brig blieb, klopfte sich Cheyne den Staub vom Gewand und ging zu dem Currystand hinber, der angeblich einen Ausweg bot und hoffte, es handele sich nicht um eine List. Der Besitzer des Standes hatte den Hinweis des Bettlers mit einer seltsamen Geste beantwortet. Als er das Zelt erreichte, betrachtete er sehnschtig die Waren. Anscheinend sah er so aus, aus wrde er gleich vor Hunger umfallen, denn der Hndler, der sein Kohlebecken suberte, wies auf eine Lammkeule und nickte Cheyne aufmunternd zu, bevor er mit der Wand zu verschmelzen schien. Eifrig schnappte sich der junge Mann das Fleisch. Die zahlreichen Sandkrner, die daran klebten, waren ihm vollkommen gleichgltig. Das Lamm war zh und trocken, sehnig und zerkocht, aber Cheyne verschlang es heihungrig. Kurz darauf stand er vor dem Stand, leckte sich die Finger und fragte sich, wie er wohl aus diesem Viertel herauskommen wrde. Dann durchschaute er, weshalb der Ladenbesitzer so schnell verschwunden war. Hinter dem schwankenden Zelt, im Schatten der Mauer beinahe unsichtbar, klaffte ein Spalt im Mauerwerk. Cheyne blickte sich um, und da ihn niemand zu beachten schien, holte er tief Luft, zwngte sich durch die enge ffnung, gelangte in ein finsteres Schlachthaus und stand in der Barca. Dem ausgetretenen Pfad und dem betubenden Geruch nach altem Blut nach zu urteilen, bestanden sowohl das Schlachthaus wie auch der versteckte Durchgang seit ewigen Zeiten. Nach frischer Luft schnappend wanderte Cheyne durch die schbigen Gassen, bis er an die Auenmauer gelangte, die er nach hnlichen ffnungen absuchte. Hinter den herunterhngenden Zeltbahnen und Htten fand er Dutzende davon, die zumeist vllig natrlich wirkten und die alten Mauern seit Jahrhunderten durchzogen. _Es sieht von auen so stabil aus, doch besteht sie nur aus unzhligen Kalkschichten. Wahrscheinlich lassen die Fascini nichts instandsetzen, was sie nicht ansehen mssen,_ dachte Cheyne. Kurz darauf befand er sich auf der flachen, staubigen Strae, die zur Ruinenstadt fhrte und dachte darber nach, was er Javin erzhlen wrde. ~KAPITEL 3 Verstehe ich dich richtig? Du hast kein Geld bekommen, weil ... du hattest dein Opfer vor dir und lieest es den Laden verlassen? Und dann ist er deinem Mann in den Straen entkommen? Riolla, ich bin sehr enttuscht von dir. Ich glaubte, ich htte dir beigebracht, da man nicht so unachtsam sein darf. Und nicht mit so einer phantasielosen Entschuldigung kommen sollte. Der vermummte Mann sprach mit sanfter Stimme, aber die Worte bohrten sich durch Riollas Herz. Und warum das alles? Wie viele andere hast du vielleicht schon entkommen lassen? Hat dieser junge Mann dich mit Blindheit geschlagen oder bist du wegen deiner neuen Liebe so unfhig? Ich habe mein Bestes getan, Raptor, entgegnete Riolla, deren Furcht die Worte unwahr klingen lie. Sie beachtete die Bemerkung des Raptors ob ihres jngsten Versuches, den Thron von Sumifa an sich zu reien, nicht. Aber Saelin, mein bester Meuchler, erklrte, er sei ratlos. Es ist, als fhle der Junge jede Gefahr. Saelin berichtete, da er sich in der Sekunde, bevor ihn die lautlose Diskusscheibe treffen sollte, fallen lie. Saelin der Metzger ist noch nie ohne den Kopf zurckgekommen, nach dem ich ihn geschickt habe. Vielleicht ist Magie im Spiel oder einfach blo Pech. Ein paar Menschen werden vom Glck verfolgt, weit du. Sie gehen vllig sorglos durchs Leben, verneigen sich niemals vor unserem verehrten Caelus Nin, ehren die Ahnen nicht, aber trotzdem geschieht ihnen nie etwas Bses. Riolla bemerkte, da sie nervs vor sich hin schwatzte, und schwieg. Kein echter Fascini wrde das tun! Der Raptor wrde sie nicht mehr respektieren. Sie wandte sich einer anderen Taktik zu, von der sie wute, da der Raptor ihr nicht widerstehen konnte. Vielleicht knnten wir unsere zuknftigen Plne bezglich dieses jungen Mannes besprechen, anstatt vergangene Fehler zu erwhnen. Ich denke, er konnte sich als wertvoll erweisen. Schlielich gehrt er zu den Ausgrbern, und die sind immer hinter Schtzen her. Ich vermute, er hat etwas entdeckt. Er fragte mich wegen eines Totems, auf dem eine seltsame Glyphe eingraviert war, die noch in der alten Sprache verfat ist, fuhr Riolla fort und steckte ihre Angst im Geiste in eine Tasche. In dem dunklen heien Raum, der heute ganz besonders stickig zu sein schien, wartete sie darauf, da der Raptor ihre verlockenden Worte berdachte. Wie sie sich nach einem offenen Fenster sehnte... Der Raptor bewohnte das oberste Stockwerk im hchsten Haus von Sumifa, genau in der Mitte der Zitadelle, dem Mittelpunkt Sumifas. Er verfgte ber einen unglaublich schnen Ausblick. Aber in den vielen Jahren, in denen Riolla den Mann kennengelernt hatte und ihn fr den Schutz bezahlte, den er ihren Geschften - sowohl den ehrbaren als auch den brigen - zuteil werden lie, hatte sie nie erlebt, da er ein Fenster geffnet, eine Lampe angezndet oder den stickigen Raum tagsber verlassen hatte. Noch nie hatte sie sein Gesicht gesehen, und auch jetzt, als er unruhig im Zimmer auf und ab ging, konnte sie seinen Standort nur anhand des Rascheins seiner Gewnder und des Klackens seiner Abstze auf dem schwarzen Marmorboden ausmachen. _Wie froh ich bin, wenn ich dich nicht mehr brauche, du hartherziger, ichbezogener, furchteinflender Aasfresser. Wenn ich erst Prinz Maceo geheiratet habe, werde ich dich aus diesem dunklen Bau hinauswerfen und das Haus subern lassen. Saelin macht keine Fehler. Wenn dieser junge Ausgrber meinem besten Meuchler entkommen konnte, mag er wohl ber den Zauber verfgen, der mich zu der Uhr und dem Schatz fhren wird, und dann wird das gesamte Mercantoviertel zu mir aufschauen, und ich werde bestimmen, wer wann belohnt wird. Noch in diesem Monat wird Maceo gekrnt, und an diesem Tag werde ich ihn heiraten. Die Fascini werden Feste abhalten, nur um sich zu streiten, mit wem von ihnen ich auf welche Art verwandt bin, denn dann bin ich die Knigin von Sumifa. Natrlich wird Maceo einen tragischen und vllig unerwarteten, frhen Tod finden. Und wenn ich erst die Schtze der Uhr besitze, dann werde ich einen Weg finden, auch dich zu vernichten, Raptor. Nie wieder wirst du mich soweit bringen, da ich mich unwichtig und klein fhle._ Riolla lchelte vor sich hin. Ihre rubinroten Lippen verzogen sich, ihre Augen starrten blicklos ins Leere. Schwei sammelte sich in der Halsgrube. Wie immer hatte sie die schwarze Perle vor dem Gesprch mit dem Raptor abgelegt - sie war der einzige Gegenstand, den sie ihm niemals geben wrde. Sie ffnete einen Fcher, der aus den weien Federn einer ausgestorbenen Pfauenart gefertigt worden war und fchelte sich Luft zu, whrend der Raptor stehenblieb und endlich antwortete. Seine Stimme klang hart und scharf wie sumifanischer Stahl. Riolla, wieviele Archologen weilen deinen Spionen zufolge in den Ruinen? Drei, Raptor. Der Anfhrer, der Sprachenforscher und der junge Mann. Die Frage verwirrte Riolla. Und der junge Mann ... wie alt ist er? Nun, ich wrde sagen, er steht wohl in seinem Namensjahr - wenn er einen Namen hat, den er annehmen kann. Obwohl Riolla nicht erklren konnte, wieso, schienen die Dinge eine unangenehme Wendung zu nehmen. Und Saelin behauptet, er knne zaubern? Zaubern? Dann mu er derjenige sein. Leider habe ich ihn nicht gesehen. Wie ausgesprochen klug von Javin ... aber er wird fr diese Frechheit und Klugheit ben. Seine Zeit, so denke ich, ist bald abgelaufen, murmelte der Raptor vor sich hin. Obwohl Riolla nicht verstand, wovon er redete, lauschte sie angestrengt. Neuigkeiten waren nie zu verachten. Durch die Gnade Nins, Riolla, bist du dem Tod durch deinen eigenen Meuchler entkommen. Hatte Saelin den Kopf des Jungen genommen, htte er mir deinen Kopf bringen mssen. Erstaunt lie Riolla den Fcher sinken und hrte zu, was jetzt kam. Aber ... es knnte Schlimmeres geben, als da dich dieser Ausgrber zu seinem Schatz fhrt, ihn ans Tageslicht holt und du ihn dann von meinen lteren Ansprchen in Kenntnis setzen wirst. Wieder ging der Raptor auf und ab. Ja. Du wirst ihm folgen. Wahrscheinlich geht er nach Westen, durch die Wste. Vielleicht tut dir eine lange Reise gut. In letzter Zeit bist du nicht viel herumgekommen. Riolla wedelte wieder mit dem Fcher und wand sich in ihrer hellen und zarten Haut bei dem Gedanken an eine Reise durch die Wste, das Schlafen auf dem Boden und die tglichen Gesprche mit gewhnlichen Menschen. Der Raptor schwieg eine Weile. Riolla sprte, wie ihr der Schwei den Rcken hinablief, aber der Fcher bewegte sich fortwhrend und schien die Sekunden zu zhlen. Schlielich antwortete sie: Wie du wnschst. Der Raptor stellte die nchste Frage. Riolla, was weit du ber Kalkuk? Kalkuk? Sie hustete, denn die Frage kam unerwartet. Ich habe ihn seit einiger Zeit nicht mehr gesehen... Wenn der Raptor wute, da sie den alten Hndler gettet hatte, wrde er auch wissen wollen, warum sie ihn in der Ruine versteckt hatte. Die Perle... Das ist komisch. Er wurde tot in den Ruinen gefunden. Soviel ich wei, unter uerst seltsamen Umstnden. Ich frage mich... Er hielt inne. Riolla bemhte sich, den Fcher ruhig zu halten und bewegte ihn mit gleichmigen, rhythmischen Handbewegungen, wie sie es auch vor dieser Frage getan hatte. Der Raptor schwieg. Vielleicht haben ihn die Ausgrber selbst umgebracht meinte sie. Vielleicht ist er ihnen in die Quere gekommen oder hat versucht, etwas zu stehlen, was sie ausgegraben hatten. Das wrde doch einen Sinn ergeben. Er lag mit den Zahlungen im Rckstand, was auch der Grund ist, weshalb ich mich versptet habe, log sie. Der Raptor lachte leise. Vielleicht tust du auch nur so. Wenn du mich anlgst, Riolla... Raptor, beim zerstrten Angesicht von Caelus Nin und meiner hochverehrten Ahnen, ich wre dumm, wenn ich dich anlgen wrde. Ich versuche nur, eine mgliche Erklrung fr den zu frhen Tod eines meiner besten Kunden zu finden. Ich werde ihn sehr vermissen. Du wirst seine Zahlungen sehr vermissen. Und _deine_ hochverehrten Ahnen hast du gekauft. Aber du wirst weiterhin Kalkuks Anteil zahlen, Riolla. Sonst bin ich gezwungen, mich ein wenig um diesen, wie du sagtest, zu frhen Tod zu kmmern. Riolla wute, wann sie schweigen mute. Der Raptor ging immer noch unruhig hin und her. Nach einer Weile fuhr er fort: Was diesen glcklichen jungen Mann angeht: Wenn er derjenige ist, fr den ich ihn halte - oder es zumindest hoffe -, dann habe ich zehn Jahre auf ihn gewartet. Ich will ihn lebend und unversehrt. Folge ihm. Wie ich schon sagte: Er wird nach Westen gehen. Mach seinen Weg ausfindig, bevor er ihn einschlgt, damit du ihn nicht wieder verlierst. Ich mchte noch einmal betonen, da du ihn nicht verletzen darfst, hast du verstanden? Dein Meuchler wurde von Drufalden ausgebildet. Er wird seinen Stolz rchen wollen. Du mut Saelin davon abhalten. Ich glaube, du bist dazu in der Lage. Wenn er nicht am Leben bleibt, wie sollte er dann den Schatz fr mich finden? Da sie viel Erfahrung besa, den Tonfall dieser Stimme zu deuten, fiel Riolla auf, da der Raptor milder zu werden begann, und es schien, als sei er der Meinung, er habe ihr bereits zuviel erzhlt. Sie fhlte sich ein wenig sicherer. Er war uerst interessiert an dem Ausgrber und dessen Schatz. Dadurch stieg ihr Verlangen noch mehr. Du hast schon frher mit den Leuten entlang der alten Handelswege gesprochen, fuhr er fort. Aber denke daran, da du meine Gesandte bist, wenn du die Landesgrenzen berschreitest. Nimm das hier mit. Gib es Drufalden, damit dein Schutz gewhrleistet ist. Ich werde es mir spter wiederholen. Eine uralte Mnze mit dem Bildnis Caelus Nins darauf - auf der einen Seite das stliche, auf der anderen das westliche Gesicht - klingelte wie ein Silberglckchen auf den Steinen und fiel Riolla vor die Fe. Ich erwarte, die Mnze wiederzusehen. Ich werde dir jemanden schicken, der dich aufsucht, bevor du die Grenze berschreitest. Jetzt la mich in Ruhe, und komm nicht eher wieder, bis du mir den Schatz und den seltsamen fremden jungen Ausgrber heil hierherbringst. Riolla stand auf, um den stickigen Raum zu verlassen, da sie entlassen war. Trotzdem fhlte sie sich nicht besonders wohl. Kurz ehe sie ber die Schwelle trat, sprach der Raptor noch einmal. Riolla. Ja, Raptor? Bezahle dein Schutzgeld. Ja, ich bin wtend. Cheyne, es steht mehr auf dem Spiel, als du ahnst. Wenn du jnger wrest, wrde ich dich heimschicken. Jetzt hr gut zu und handele wie ein erwachsener Mann. Erstens hast du hoffentlich niemandem erzhlt, wo du heute hingegangen bist. Abgesehen von der Tatsache, da wir hier zu wenig Leute haben, war ich schrecklich besorgt, bis du gesund zurckkehrtest. Wir haben eine Leiche gefunden! Und keiner wei, was es damit auf sich hat, auer, da wir bestimmt in der Nhe des Sammlers sind. Du gehst fort und verschwindest - was soll ich davon halten? Abgesehen von deinem kleinen Ausflug herrscht auch noch Unruhe in den Reihen der Fascini. Der alte Knig hat uns wenigstens gewhren lassen. Solange wir ihn nicht strten, war ihm egal, was wir auf diesem gtterverlassenen Sandhgel machten. Aber Maceo ist anders. Ich nehme an, da Knig Thedeso noch nicht vllig kalt sein wird, bevor sich sein grlicher Sohn hierherbringen lt, um unsere sofortige Entlassung zu verknden. Cheyne wollte einwerfen, da er den Thronerben bereits kennengelernt hatte, aber er erhielt keine Mglichkeit dazu. Javin redete weiter - beinahe ohne Luft zu holen. Es knnte Streit geben, aber ich werde mich weigern, fortzugehen. Es ist meine letzte Gelegenheit, den Sammler zu finden. Von nun an mu ich jederzeit wissen, wo du dich aufhltst. Javin lie den Kopf zwischen die Hnde sinken, die Ellbogen hatte er auf den Knien aufgesttzt. Und ich mu die Fascini berzeugen, uns wenigstens noch etwas Zeit zu gewhren. Es wre gut, wenn wir gengend Geld htten, um Maceo zu bestechen. Aber bis wir den Schatz des Sammlers finden, kann ich ihm nur einen Anteil daran versprechen. Es wird alles von meiner berzeugungskraft abhngen. Wenn ich sie danach beurteile, wie sie heute auf dich gewirkt hat, dann mu ich sagen, da diese Ausgrabung am Ende ist, fgte er trbsinnig hinzu. Javin, ich mute gehen. Eben weil ich ein erwachsener Mann bin, begann Cheyne, der sicher war, da Javin niemanden in die Stadt geschickt hatte, um nach ihm zu suchen. Wahrscheinlich hatte man ihn erst vermit, als der Wchter gesehen hatte, wie er die Lampe in seinem Zelt anzndete. Javin hatte viel zu viel anderes im Kopf. Du verstehst mich einfach nicht. Es geht mir nicht um den Schatz. Es geht um meine Herkunft. Du hast diese Frage nie stellen mssen. Du kanntest deine Eltern, dein Land und deine Arbeit. Ich wei nicht einmal, wie mein Gesicht aussieht oder wie mein vollstndiger Name lautet. Egal, wohin wir auch reisen, berall auf diesem Kontinent haben die Menschen einen Nachnamen. Sogar die Sumifaner, die in der Barca leben. Es gibt bei mir zu viele Rtsel. Ich werde nicht immer bei deinen Ausgrabungen mitarbeiten, Javin. Ich will mein eigenes Leben fhren. Ich will meinen Namen kennen. Wie soll ich mir eine Zukunft aufbauen, wenn ich keine Vergangenheit habe? Ich mu wissen, wohin ich gehre. Gerade, als Cheyne das Amulett unter dem Hemd hervorziehen wollte, um Javin auf die bereinstimmung mit der Glyphe des Totems hinzuweisen, schlug Javin wtend auf den Tisch, denn seine Geduld war durch die Hitze und die unangenehmen Ereignisse des Tages erschpft. Cheyne! Ich erteilte dir den Befehl die Ruinen nicht zu verlassen. Du hast nicht gehorcht. Warum? Weil du nicht ber deine eigenen Bedrfnisse hinausschauen kannst. Falls wir - sobald wir - den Sammler finden, bin ich ganz sicher, da du die Antwort auf deine Fragen erhltst. Aber ich erwarte, da du dich auch noch um etwas anderes als deine kleinlichen Sorgen kmmerst. Es geht hier um etwas bedeutend Greres, als dein Verlangen nach einem Namen. Bei Javins letzten Worten begann Cheynes Gesicht zu brennen, und er lie das Amulett zurck unter das Hemd sinken. Ein schrecklicher Gedanke beschlich ihn. Machte das alles Javin etwas aus? Hatte es ihm jemals etwas ausgemacht? Als er Cheyne damals gefunden hatte, war Javin, wie immer, auf der Suche nach dem Sammler gewesen. Er hatte ihm nur erzhlt, da Cheyne der einzige berlebende einer brutalen Attacke auf eine Handelskarawane gewesen war. Cheyne hatte sich die Geschichte immer wieder durch den Kopf gehen lassen, und alle Einzelheiten, die Javin zwecks zeitlicher Angaben und hnlicher Dinge berichtet hatte, auf ihre Wahrscheinlichkeit berprft. Es gab einiges, was nicht echt klang. Zum einen war es seltsam, da die Ork-Banditen die Fuhrleute und die mit den Hndlern reisenden Familien gettet hatten. Normalerweise nahmen die Orks, die fr ihre Faulheit und Desorganisation bekannt waren, bei einem Blitzberfall alles mit, was sie tragen konnten und lieen die Karawanen weiterziehen, denn sie wuten, die Hndler wrden auf dem gleichen Pfad - dem _einzigen_ Pfad - mit noch mehr Gtern beladen zurckkehren. Die Orks hatten ein paar tausend Jahre gebraucht, um das Prinzip zu begreifen, und nun hielten sie sich getreulich daran. Also warum htten sie dann ihre Einnahmequelle zerstren sollen, nur um eine Karawane auszuplndern? Das machte keinen Sinn und war ihm. schon immer klar. Abgesehen von seinem Vornamen konnte sich Cheyne an nichts mehr erinnern, was vor jenem Tag geschehen war. Die ganze Zeit ber hatten einige Fragen wie Ratten an ihm genagt, wie etwa: Warum war er bei der Karawane? Wer war seine Familie? Diese Fragen waren mit dem Ende jeden Sommers, dem Zeitpunkt des berfalls, qulender geworden. Nun war er einundzwanzig Jahre alt, lebte in Argive, beziehungsweise in Sumifa und hatte das Alter erreicht, in dem man einen Namen erhielt und das Haus des Vaters verlie. Aber er besa nicht mehr als das Amulett und Javins unwahrscheinliche Geschichte als Erbe. Cheynes Leben hatte fr ihn in dem Moment begonnen, als Javin ihn wachgerttelt hatte, aus einem Zauberschlaf gerissen hatte, und nur das rtselhafte Amulett um seinen Hals galt als Beweis fr die ersten zehn Lebensjahre. Monatelang hatte er nicht sprechen knnen. Damals war Muni gekommen. Muni war der beste Sprachforscher der Welt, und er hatte beinahe ein Jahr gebraucht um dem Jungen flssiges Sprechen beizubringen. Die ganze Zeit ber war Cheyne nachts schweigebadet aufgewacht, hatte gezittert und war durch unerklrliche, immer wiederkehrende Trume - eigentmliche Gebilde aus Licht und Farben, in denen ein groer, narbengesichtiger Elf und ein gesichtsloser Mann vorkamen - in Angst und Schrecken versetzt worden. Aber nicht nur Cheynes Alptrume boten Grund zur Sorge. Bevor Javin wieder an seine Ausgrabungen zurckkehren konnte, hrten die Fascini von den unglcklichen Hndlern und schlossen den Karawanenweg endgltig, worauf sich die Elfen in ihren Zauberwald zurckzogen und den Auenseitern keine Wege durch den Vorhang des Lichts berlieen. Und als wre das noch nicht genug gewesen, hatte Javin auch noch die Untersttzung der zuknftigen Helfer verloren, denn niemand wollte mehr Orte aufsuchen, an denen so grausame Orks lebten. Auf dem Rckweg war Javin ihnen dreimal knapp entkommen und wute daher, da er es allein niemals durch das feindliche Gebiet der Wyrvils schaffen konnte, selbst wenn er die Elfen berzeugen wrde, ihn einzulassen. So hatte Javin die Mglichkeit, im Grenzgebiet zu arbeiten, fr immer verloren, weil er sich um Cheyne gekmmert hatte. Also warum sollte sich Javin _jemals_ ber Cheynes verzweifeltes Verlangen, seine Herkunft festzustellen, den Kopf zerbrechen? Die Wahrheit traf ihn mit erdrckender Hrte. Fr Javin stand zuviel auf dem Spiel, um sich durch irgend etwas ablenken zu lassen. Fr einen Mann wie Javin, der - bevor er Cheyne fand - zwei Frauen durch Pestepidemien verloren hatte und seither weder Freundschaften noch Wurzeln entstehen lie, ging seine Arbeit ber alles. Javins Herz hing an diesem Ort. Weder die Fascini noch ein Wirbelsturm wrden ihm diese letzte Mglichkeit rauben, das Grab des Sammlers zu finden. Cheyne, mir reicht es. Ich gehe zu Bett. Muni hat einen Mann gefunden, der neben dem Raum Wache halten wird. Wir haben den Groteil des Sandes herausgeschaufelt nur in einer Ecke liegt noch etwas. Der Sammler ist nicht da unten, aber ich bin sicher, da es sein Haus ist. Vielleicht liegt er im nchsten Stockwerk, aber zuerst mssen wir dieses leeren. Denkst du, da du Muni heute nacht helfen kannst, wenn es etwas khler geworden ist? Ich wei nicht, wann die Fascini kommen. Wir mssen uns so sehr beeilen, wie wir nur knnen, erklrte Javin, dessen Stimme vllig bermdet klang. Ja, Javin, antwortete Cheyne matt. Als Cheyne durch die Dnen wanderte, erschienen, eine nach der anderen, die Drei Schwestern, die ersten Abendsterne, die hier am nchtlichen Himmel aufgingen. Obwohl die Sonne vor einer Stunde untergegangen war, flimmerte die Hitze ber den westlichen Dnen, und die Wrme des Tages strich Cheyne ber Hnde und Gesicht. Schon bald wrde sich die warme Luft in einen kalten und ausdauernden Windhauch verwandeln, der die Ausgrabungssttte bis zum Morgengrauen ruhelos berflog. Cheyne erklomm den hchsten Sandhgel, als sich gerade das blaue Dmmerlicht in vllige Finsternis verwandelte. Einen Augenblick lang blieb er stehen und sah auf den verblassenden Horizont, und der friedvolle Anblick linderte den Schmerz ber Javins Gleichgltigkeit. Ein paar Sulen des alten Palastes, die noch vor wenigen Wochen unsichtbar gewesen waren, umringten die Sttte wie schweigsame Wchter. Die Basaltgesichter waren gesplissen, abgesplittert oder gar nicht mehr vorhanden. Aber dennoch fand Cheyne, da sie kniglich aussahen, als sich ihre dunklen Umrisse gegen den Himmel abzeichneten. Hinter ihm erhob sich in schlichter Eleganz die zerbrochene Auenmauer eines runden Wachturms, der den wahrscheinlich hchsten Teil der Gebude darstellte. Er zog das Totem aus seiner Tunika, hielt es gen Himmel und beobachtete, wie die Farben in den Ecken im schwachen Licht aufleuchteten. Er dachte ber die Glyphen nach und stellte sich vor, sie stellten seinen Namen dar, seinen wirklichen Namen, der dort eingraviert stand, der Name des geliebten Knigs eines groen und mchtigen Volkes, der inmitten dieser Sulen Hof hielt, in deren Stein die Gesichter seiner Ahnen gemeielt waren, die gndig auf ihn herniederblickten. Er mute ber seine Phantasien laut auflachen, denn, egal, wie seine Vergangenheit beschaffen sein mochte, so war sie gewi nicht gewesen. Seine Stimme hallte seltsam innerhalb des Sulenrings wider, und genau in diesem Augenblick zuckte ein greller Blitz, ergriff die Farben des Totems und lie sie gen Himmel sprhen. Die Strahlen zerflossen zu dem Bildnis einer Frauenhand, von der die beiden ersten Finger sich am ersten Gelenk eigentmlich krmmten. Das Bild verschwand, bevor Cheyne es eingehend betrachten konnte. Er drehte das Totem in alle Richtungen, um die Erscheinung noch einmal zu sehen, aber der Blitz entschwand, und der Himmel blieb vllig dunkel. Unglubig schttelte er den Kopf und dachte, die Wste gaukele ihm Trugbilder vor und der Blitz habe ihn betrogen. Er steckte das Totem in seine Tasche zurck und ging zu dem ausgegrabenen Haus hinber. Die Wstenluft roch sauber und rein, die hellen weileuchtenden Sterne stachen den groen Mond und seinen kleinen Gefhrten beinahe aus. Cheyne hatte sich schon oft ber den kleinen Mond gewundert - er war ein Teil jeder uralten Zivilisation gewesen, die er studiert hatte. In Argive lauteten allerdings smtliche Berichte ber das Auftauchen des Mondes gleich. In der einen Nacht hatte es ihn nicht gegeben - in der folgenden erschien er und war seitdem nicht wieder verschwunden. _Er tauchte einfach auf, und niemand wute, warum. Wie ich,_ dachte Cheyne, whrend er die Sandhgel berquerte, um zu dem Haus zu gelangen, wo Muni lssig an dem Marmorblock lehnte, den sie am Morgen weggeschoben hatten. Er lag noch an der gleichen Stelle, auch die geknpften Seile hingen noch daran. Ich bin froh, da du heil von deinem Abenteuer zurckgekehrt bist. brigens tut es mir wegen des Meuchlers leid, aber du hast dich gut geschlagen. Ich hatte genug mit seinen drei Freunden zu tun. Du bist mir gefolgt? Cheyne starrte ihn unglubig an. Muni lchelte strahlend. Seine Zhne blitzen sogar in der Dunkelheit. Nein. Ich brachte einen toten Mann heim. Auf dem Rckweg sah ich dich in Schwierigkeiten. Muni hielt die Seile hoch und bot Cheyne eines davon an, whrend er sich das andere um die Hften schlang. Cheyne rhrte sich nicht. Muni seufzte. Cheyne, du kannst kommen und gehen, wann du magst. Wenn sich unsere Pfade kreuzen, fhle ich mich verpflichtet, dir zu helfen. Ein schlichtes Danke reicht, mein Freund. Muni verneigte sich tief, wie es bei den Mnnern von Almaaza blich war. Cheyne war froh, da es dunkel war, denn so wurde seine Verlegenheit verdeckt. Zum ersten Mal hatte ihn Muni als Gleichgestellten anerkannt, und beinahe hatte er sich durch seinen rger zum Narren gemacht. Er erwiderte die Verneigung und nahm das Seil entgegen. Steigst du nicht mit hinab? Nein. Kifran und ich werden hier oben Wache stehen. Ich werde dir Eimer reichen und sie anschlieend ausleeren. Da drinnen wirst du nur das _lebende_ Ungeziefer stren. Er lchelte. Kifran, ein hochgewachsener, brtiger Sumifaner, salutierte vor Muni und nahm seinen Platz am Fue der hchsten Sule ein. Er gehrte zu Munis Leuten und war einer der wenigen, die nicht an die alten Geschichten ber einen bsen Dschinn glaubten, der tdliche Sandstrme geschaffen und den Ort unbewohnbar gemacht hatte, weshalb Sumifa an der jetzigen Stelle neu erbaut wurde, Muni hatte es Cheyne recht schlicht erklrt: Die Bevlkerung war so gro geworden, und der Flu hatte seinen Lauf ber die Jahre hinaus derartig gendert, da man gezwungen war, weiter westlich, auf der anderen Seite des Nantas zu bauen, wo sich die Stadt nun ausbreitete und man immer wieder neue Mauern errichtete, je mehr Brger dort lebten. Aber die meisten Einwohner Sumifas waren von den alten Legenden gefesselt - man konnte jeden am Hofe der Fascini fragen, und die Antwort lautete immer gleich, Sumifa war neu erbaut worden, da eine bse Macht die noch immer ber die Dnen strich, die alte Stadt vernichtet hatte. Muni? Ja, mein Freund? Hast du in der Stadt zufllig einen Elfen gesehen? Nein, das habe ich nicht. Muni lachte. Aber wenn ich einen gesehen htte oder jemals einen sehe, bist du der erste, dem ich es erzhle. Cheyne seufzte und lie sich in die Tiefe fallen, wo die Fackel, die Muni vorher hinabgeworfen hatte, brennend auf dem frisch gefegten Marmorboden lag. Wie Muni vorhergesagt hatte, rannten ein paar Skorpione herum, die vor dem Feuer flohen. Zwei Fcherkragenechsen, die grten Feinde der Skorpione, setzten ihnen nach; ihre winzigen Krallen kratzten leise ber den Fuboden. _Die Natur hlt alles im Gleichgewicht,_ dachte Cheyne, nahm einen Eimer entgegen, schaufelte Sand hinein und reichte ihn nach oben, um dann einen leeren in Empfang zu nehmen. Eine Stunde lang arbeiteten sie im gleichen Rhythmus und ohne Zwischenflle, und Cheynes Gedanken schweiften zu dem Abenteuer des Nachmittags ab. Er wanderte noch einmal durch die Straen Sumifas, sah Riolla, kmpfte mit dem Meuchler und traf den seltsamen Helfer, den er so bald schon wieder aus den Augen, verlor. Was hatte es mit dem Totem auf sich, da Riolla, die Mercanto Schreefa, ihn so sehr begehrte, da sie ihn deshalb sogar tten wollte? Sie hatte wegen der letzten Glyphe gelogen. Vielleicht wute sie, was das Zeichen bedeutete. Cheyne dachte an den seltsamen kleinen Mann, der ihm geholfen hatte. Er wnschte, er htte dem Bettler eine warme Mahlzeit oder ein Bett fr die Nacht bezahlen knnen, _auch wenn er mir die letzten beiden Kohli stahl,_ dachte Cheyne lchelnd. Wenigstens ein Laib Bappir htte es sein sollen, dieses fremdartige, se Krnerbrot, das alle Sumifaner so liebten. Er gelobte sich, da er sich bei dem Mann mit der groen Nase richtig bedanken wrde, wenn er ihn jemals wiedershe. Cheyne? rief Muni von oben. Der leere Eimer tanzte am Seil auf und ab. Schon da, Muni. Habe getrumt. Tut mir leid. In der Ecke lagen nur noch vier oder fnf Fu Sand, die noch entfernt werden muten. Danach konnte er schlafen. Mit einem krftigen Zug an dem Eimer warf sich Cheyne mit frischer Kraft auf die Arbeit. Gerade da loderte die Fackel einen Augenblick lang hell auf und erleuchtete die dunkle Ecke, in der Cheyne stand. Er hielt in seiner Bewegung inne, da er etwas gesehen hatte. Cheyne trat zurck, griff nach der Fackel und hielt sie dicht ber den feinen Sand. Dicht unter der Oberflche glnzte der Rand eines Tonkrugs, der mit kunstvollen Goldverzierungen versehen war. Der sichelfrmige Umri war unverkennbar. Cheyne steckte die Fackel in den Sand, zog den Handfeger heraus und brstete die dnne Sandschicht ab. Nach wenigen Minuten hatte er mehrere Scherben eines ziemlich groen Tonbehlters freigelegt. Muni! Ich habe etwas entdeckt - auer Sand, meine ich, rief Cheyne aufgeregt halblaut nach oben. Aber sein alter Freund hatte sich einen Augenblick lang vom Eingang entfernt - Cheyne hrte ihn unwirsch mit Kifran reden, konnte die Worte aber nicht verstehen. Es war nicht Munis Art sich aufzuregen. Besorgt wandte sich Cheyne zu den Scherben des Tonkrugs um, ergriff die Fackel und leuchtete sie an, Sand, sehr viel Sand. Schnell zeichnete er den Fund auf und griff dann mit der Hand in den Sand, den er durch die Finger rieseln lie. Die scharfkantigen Krnchen funkelten im sanften Fackellicht wie Goldstaub. Der Sand, der zwischen den Scherben lag, sah anders aus als jener, den er die ganze Zeit ber weggeschaufelt hatte - rtlicher und krniger. Auch wirkte er vllig anders als jeglicher Sand in Almaaza, dessen Krnchen runder, stumpfer und glanzlos waren, nachdem sie jahrhundertelang von den starken, heulenden Strmen des stlichen Erg herumgewirbelt worden waren und sich irgendwann zur Erde senkten. Man sagte, da es an der Oberflche des Erg Unmengen davon gab. In diesem Sand konnte man ertrinken, obwohl es meilenweit kein Wasser gab. Man versank in der glatten Sandflche und sank tiefer und tiefer, bis man vllig zudeckt war. Es war, als ertrnke man in Seide. Aber die Kristalle, die er in der Hand hielt, waren noch neu gewesen, als sie in den Krug geweht worden waren - als habe man sie gerade erschaffen. Die Kanten waren scharf und geschliffen wie winzige Spiegel, und sie fingen das Licht in glitzernden Wellen ein. Er fuhr mit der Hand durch die angenehm rauhen Krnchen, vernderte das Lichtmuster, und winzige Regenbogen schimmerten sekundenlang durch den Raum, wann immer die Fackel ein wenig zitterte. Gebannt holte Cheyne immer mehr feinen Sand aus dem Krug. Als er mit der Hand an etwas Scharfes stie, sprang er zurck, da er befrchtete, ein Skorpion habe ihn gestochen. Im Schein der Laterne bemerkte er jedoch, da er einen Kratzer und keine Stichwunde hatte. Erleichtert setzte er die Suche fort und brachte ein kleines, in Bronze gebundenes Buch zum Vorschein. In diesem Augenblick sah er Munis Gesicht in der Einstiegsffnung. Tut mir leid, Cheyne, ich dachte, ich htte etwas in den Dnen gesehen - Cheyne? Muni sphte in den Raum hinab; ein Lcheln breitete sich auf dem wettergegerbten Gesicht aus. Wie ich sehe, hast du also auer Ungeziefer noch etwas gefunden, stellte er erfreut fest. Was ist es denn? Was? Ach, du meinst die Scherben! beeilte sich Cheyne zu sagen, und versteckte das kleine Buch in der Tasche des Gewandes. Er wollte es ungestrt lesen, bevor er es weitergab. Wenn es um Geschriebenes ging, das ein Sprachforscher in die Finger bekam, konnte es Monate dauern, bis er es zurckerhielt. Ja, ich sehe sie mir gerade an. Ich glaube nicht, da es ein sumifanisches Stck ist. Der Entwurf und der Ton sind vllig anders, findest du nicht auch? Hm. Wir mssen es bei Tageslicht sehen. Dein Vater wird sich freuen. Und das wre derzeit nicht von Nachteil, sagte Muni schlau. Muni, ich hre fr einen Moment auf und zeichne die Muster der Scherben ab. Gute Idee. Aber beeil dich - wir mssen den Raum noch leer bekommen. Hier oben stimmt etwas nicht. Ich glaube, eine Art Schatten auf das Lager zueilen gesehen. zu haben. Der bse Geist, ber den die Mnner dauernd reden? Nicht auch noch du, Muni! Cheyne lachte, zog das Zeichenbrett hervor und brachte mit schnellen Strichen die seltsamen Formen zu Papier, die in den Krug geritzt worden waren. Lange bevor er Muni rief, um mit dem Sandschaufeln weiterzumachen, war er fertig - so blieb ihm Zeit genug, das kleine Buch zu untersuchen und festzustellen, da es mit Sicherheit jenes war, nach dem Javin suchte. Jetzt wird er begreifen, warum ich meine Vergangenheit finden mu, dachte er sich. Er verstaute das Buch in seiner Tasche, da er es zuerst Javin zeigen wollte. Er wute, Muni wrde es verstehen. Eine Stunde spter verlieen sie Kifran, der allein wachen sollte. Anscheinend habe ich mich wegen des Dschinns geirrt. Ich habe seit einer Weile nichts Ungewhnliches gehrt oder gesehen. Aber das komische Gefhl ist immer noch da. Also tu mir bitte den Gefallen und schlafe heute nacht im Gemeinschaftszelt. Ich werde in deinem Zelt bleiben. Mge die Sonne dich gesund vorfinden; mge dein Schlaf frei von Alptrumen sein. Muni verneigte sich, als er den Nachtgru aussprach und ging leise zu dem Schutzdach der Arbeiter davon. Cheyne blieb vor dem dunklen Hauptzelt stehen und zuckte die Achseln. Er wute, da er die ganze Nacht warten mute, wenn er Muni berreden wollte, seine Vorsichtsmanahmen fallen zu lassen. Javin schlief tief unter einem Insektennetz. Cheyne zndete eine kleine llampe an und zog das Buch aus der Tasche. Wach auf, Javin. Trotz seiner ungeheueren Aufregung versetzte er den Fen seines Vaters nur einen sanften Sto. Sieh nur, was ich gefunden habe. Cheyne hielt ihm zuerst die Zeichnungen hin, da er sich das Buch bis zum Schlu aufsparen wollte, aber Javin rhrte sich nicht. Javin... Jetzt hielt er das kleine, in Bronze eingebundene Buch in die Hhe. Javin schnarchte laut, blies durch den Atem das Netz vor seinem Gesicht ein wenig auf und schlief weiter, von den dnnen Decken zugedeckt, die am Fuende fest eingeschlagen waren, um unwillkommene, nchtliche Besucher fernzuhalten. Enttuscht legte Cheyne die Zeichnungen auf den Tisch, setzte sich auf die Bank und pustete die Lampe aus. In dem dunklen Zelt sitzend kmpfte er mit sich, ob er das kleine Buch liegenlassen sollte, damit Javin es am Morgen entdeckte. Er wute, woher der alte Tonkrug stammte. Die Gravur sah genau so aus wie die auf einigen Mehltpfen, die nach Javins Aussage aus dem Sarrazanwald stammten. Er war mit diesen beiden, von Elfen gefertigten Tpfen aufgewachsen, da sie zu beiden Seiten von Javins groem Kamin standen. Und die gleiche Glyphe, die auf den Tongefen war, verzierte auch die Mantelspange des hochgewachsenen Elfen. Und, was noch wichtiger war; Sie gehrte zu den Wortsymbolen aus dem Althochsumifanischen. Da er den Elfen in Sumifa gesehen hatte, hegte Cheyne den Verdacht, da nur noch die sarrazanischen Tpfer in der Lage waren, das unverstndliche Amulett und die Gravur des Totem zu entziffern. Jetzt war er sich seiner Sache vllig sicher. Aber die Elfen lebten im Grenzgebiet ... hinter dem westlichen Erg, hinter den Wyrvilgebieten und dem Vorhang des Lichts, jenseits von Zeit und Erinnerung. _Na gut, Javin, ich habe, es versucht. Ich versuchte es auch schon frher und nun noch einmal, um dir zu erzhlen, was ich gefunden habe. Aber dich interessieren blo deine eigenen kleinen Sorgen. Nun, mir soll es recht sein. Du hast deine Pflicht getan - hast mich aufgezogen und mir Schutz geboten. Warum sollte ich mehr als das erwarten? Du nahmst die Gelegenheit wahr, hierher zu kommen, um deinem Traum zu folgen. Jetzt werde auch ich das tun. Spar dir deine Kraft fr den Sammler auf. Fr mich wird es Zeit, nach meiner Vergangenheit zu suchen._ Cheynes Gesicht rtete sich vor Stolz und Entschlossenheit. Er hatte eine Entscheidung gefllt. Er wrde die Ausgrabungen verlassen - Javin erledigte die wichtigen Arbeiten sowieso selbst - und zum Grenzgebiet ziehen, egal wie weit oder wie gefhrlich die Reise sein mochte. _Und ich werde nicht zurcksehen,_ versprach er sich. _Ich werde niemals zurcksehen._ Leise nahm er die Schlssel der Vorratshtte von dem Haken neben Javins Bett. Die Nacht wrde kurz sein. Morgen, noch ehe die Drei Schwestern wieder erschienen und Muni aufstand, um Kifran abzulsen, noch ehe Javin das Licht spren und den Kopf heben wrde, war Cheyne wieder in Sumifa und wrde sich einen Fhrer fr seine Expedition suchen. Hinter den Dnen, in der neuen Stadt, ri ein Wirbelwind den Sand mit sich und lie ihn ber die Barca regnen, warf die Stnde um, zerschmetterte Tpferware und blendete drei Mnner und eine betrunkene Frau, die auf den Dchern schliefen. Als der Wind ber dem Mercanto stand, blies er das Schild ber Riollas Laden herab und fuhr dann mit frischer Kraft ber die Zitadelle hin, wo er ber dem hohen Finger hielt, der den Turm des Raptors darstellte. Sekunden spter fiel rings um den Turm herum Sand zu Boden, der wie ein Wasserfall ber die Balsaltmauern strmte. ~KAPITEL 4 Das alte Buch, das er in dem Krug entdeckt hatte, faszinierte ihn. Das Pergament befand sich in ausgezeichnetem Zustand, da der trockene Sand und die Luft in jenem Raum es aufs vorzglichste erhalten hatten. Der Bronzeeinband war ein wenig angelaufen und wies noch immer die schwach sichtbaren, schwrzlichen Fingerabdrcke des Vorbesitzers auf, und die Bltter waren nur ein winziges Stck vom Buchrcken abgebogen. Obwohl das Buch einst sorgfltig behandelt worden zu sein schien, war seltsamerweise die letzte Seite zerrissen und hing nur noch locker am Rcken des Buches. Jene Seite war auch mit Flecken bedeckt, die wie Blut aussahen, als sei etwas Unerwartetes und Gewaltsames geschehen. Cheyne dachte an die Glasscherben, die Muni und er im gleichen Raum entdeckt hatten und fragte sich, ob es einen Zusammenhang gab. Er lehnte sich gegen die Tore des Hndlerviertels, um im schwachen Dmmerlicht besser sehen zu knnen und holte das Vergrerungsglas hervor, konnte aber noch immer nichts entziffern. Die letzten Seiten schienen mit ruhiger Hand geschrieben worden zu sein, in einem engen und gedrngt wirkenden Schriftgefge. Die Zeilen in Althochsumifanisch waren sorgfltig zwischen die restlichen, unleserlichen Zeilen eingefgt worden. Nur die allerletzte Seite sah anders aus. Dort war die Schrift mit mehr alten Glyphen berdeckt worden, und die neuen Worte verdeckten die ursprnglichen Zeilen teilweise. Die Blutflecken, darum handelte es sich mit Sicherheit, verwischten viele Zeichen. Ohne die Sprache zu kennen, war es unmglich, dieses Durcheinander zu ordnen. Cheyne fragte sich, weshalb jemand die ersten Zeilen berschrieben hatte - je sorgfltiger er hinsah, desto deutlicher erkannte er, da die Glyphen hier wie _eingebrannt_ wirkten, und nicht wie mit Tinte geschrieben. _Wenn ich doch nur Althochsumifanisch knnte! Wenn doch blo irgendwer hier es knnte. Jemand, den ich auch wiederfinden knnte,_ dachte er, als ihm der verschwundene Elf einfiel. Die lange Reise nach Westen, die er sich vorgenommen hatte, erschien ihm lnger, als er beim ersten Licht des Tages Und der aufsteigenden Wstenhitze bewltigen konnte. Nachdem er aus dem Zelt heraus erneut in die Stadt geschlichen war - wie durch ein Wunder hatte er das gleiche Loch in der Auenmauer wiedergefunden, das er schon am Vortage benutzt hatte -, war ihm eingefallen, da er irgendwie am westlichen Erg und anschlieend an dem Gebiet der Wyrvilorks vorbei mute. Sogar die flchtige Erinnerung daran, ber die Ebene und die Salzbden des dlands zu laufen, als Javin ihn gefunden hatte, reichte beinahe aus, um seine Zuversicht zu ersticken. Im Alter von zehn Jahren hatte Cheyne seinen ersten und einzigen Ork gesehen - einen Toten, aber der Gedanke an die zwei Zoll langen Zhne, die buschigen Brauen und die grnliche Haut dieses Wesens lieen ihn schaudern. Sogar im Tode hatte es bestialisch und wild ausgesehen - mehr wie ein Monstrum als ein denkendes Wesen. _Aber ich bin inzwischen erwachsen geworden,_ dachte Cheyne. _Vielleicht ist meine Erinnerung grausiger als die Wirklichkeit._ Behutsam schlo er das kleine Buch und verstaute es sorgfltig in seinem Bndel. Schon in aller Frhe war man in Sumifa geschftig: Die Tore des Mercantoviertels ffneten sich genau in jenem Augenblick, als der Scharten des Gnoms das fnfte Zeichen der Sonnenuhr berhrte. Cheyne schritt hindurch und begab sich zu dem Stand, den er am Vortag bemerkt hatte. Dort hatten sich bereits mehrere ehemalige Karawanenfhrer versammelt, die auf Arbeit warteten. Sie hatten ihre Kapuzen tief ber die Augen und die sonnenverbrannten Gesichter gezogen, whrend sie einander Geschichten vergangener Abenteuer erzhlten. Einer von ihnen schilderte mit lauter Stimme, wie ein hungriges Dromedar den Schuh seines letzten Kunden verschlang, und wie das Tier nach dieser grlichen Mahlzeit sofort verendete. Der Mann hatte den ganzen Heimweg humpelnd und auf den Arm des unglcklichen Fhrers gesttzt zurcklegen mssen. Der Kunde eines anderen Fhrers hatte verlangt, auf die Jagd nach wilden Ziegen zu gehen, ein wenig abseits der blichen Pfade, und ihm waren bei dem Angriff der rasenden Ziegen die Fe vom Leib getrennt worden, worauf ihn der unglckliche Fhrer auf dem Rcken nach Hause tragen mute. Der Auftraggeber des dritten Fhrers hatte befohlen, er mge ihn zur Jagd in den Korkwald geleiten, weit ab von den sicheren Wegen, und er war einem brnstigen Einhorn begegnet, das ihn mit dem Horn an einen Baum nagelte. Daraufhin wurde der rmste von der ganzen Herde verschlungen - vor den Augen des Fhrers und sechs namhaften Persnlichkeiten. Jener unglckliche Mensch war so vollstndig zerrissen worden, da der arme Fhrer nur noch den Geldbeutel fand, den er nach Hause trug. Inmitten des Gelchters, das die letzte Geschichte unter den Mnnern hervorrief, trat Cheyne in ihren Kreis, lchelte und trug sein Anliegen vor. Guten Morgen, ihr Leute, einen schnen Tag. Mgen die Zwlf Segnungen euer Leben beglcken. Ist einer von euch bereit, mich ber das westliche Erg ins Grenzgebiet zu bringen? Augenblicklich schwiegen die Mnner und entfernten sich. Der Mann, dessen Geschichte bejubelt worden war, warf Cheyne einen zornigen Blick zu. Cheyne zuckte die Achseln und ging weiter. Er folgte der gepflasterten Strae, die zum Zentrum des Viertels fhrte. Nach mehreren Stunden und ebenso vielen Begebenheiten, die der ersten sehr hnelten, erreichte er einen kleinen Raqastand und lie sich in dessen Schatten nieder. Als die lchelnde Bedienerin mit einer kleinen Tasse und einer groen Flasche nherkam, winkte er abwehrend und nahm einen groen Schluck aus seinem Wasserschlauch. Nein, nein, nein! Du kannst da nicht sitzen. Wenn du nichts kaufst, darfst du hier nicht sitzen bleiben. Nein. Verschwinde! brllte sie ihm ins Ohr, und ihre Freundlichkeit verwandelte sich pltzlich in ein zahnloses Fauchen. Cheyne wich der nicht gerade kleinen Keule aus, die sie pltzlich unter dem Ladentisch hervorzog, indem er sich an einigen Stnden vorbeischlngelte und immer weiterlief, bis er sich unversehens in der Barca wiederfand, leider noch immer ohne Fhrer. Er wanderte eine Weile durch die schmutzigen, engen Gassen des Sdviertels, wo ihm die Kurtisanen mit ihren roten Lippen und ihren grnen Lidern, die von Shirrirwolken und Raqagerchen umgeben waren, zuwinkten. Er lchelte sie an, aber sie erinnerten ihn an die glnzenden Echsen, die er auf den Steinen unten am Flu gesehen hatte: hbsch, aber giftig. Er ging weiter, bis er seinen Wasserschlauch nachfllen mute, doch die einzigen Orte, wo man nicht bezahlen mute, waren die ffentlichen Brunnen, die unter den Arbeitern im Lager fr ihren unappetitlichen Inhalt bekannt waren. Als er einen Brunnen fand, steckte er den Kopf unter dessen Dach, das aus einer groen, flachen Steinplatte bestand, die von drei kleineren Steinen gesttzt wurde; dieses Dach sorgte fr Schatten, und er warf einen Blick auf das, was im Brunnen herumtrieb. Oh, hallo, du. So trifft man sich wieder, ertnte eine Stimme. Diese Nase hatte Cheyne schon gesehen. Du? Wie bist du...? Cheyne deutete auf den Brunnen. ...in den Brunnen gekommen? Gefallen. Denke ich. Sag mal, knntest du den Eimer herablassen und mir raushelfen? Ich bin schon fast nchtern und mchte in diesem Zustand nicht lnger hier unten hngen, erklrte der Vagabund, und der Anflug eines Lchelns stahl sich um seine Mundwinkel. Natrlich. Warte einen Augenblick da unten. Cheyne verschwand kurz auer Sichtweite, erschien aber gleich wieder ber dem Brunnenrand. Entschuldige. Wo solltest du auch schon hingehen knnen? fgte er verlegen hinzu. Der Bettler grinste ihn verstndnisvoll an. Wieder verschwand Cheyne, um gleich darauf mit einem Eimer und einem Seil aufzutauchen. Kurz darauf stand der Bettler tropfna auf der Strae, aber abgesehen von der Nsse fehlte ihm nichts. Vielen Dank, werter Herr. Jetzt sind wir quitt, ein Leben fr ein Leben. Wenngleich das deine, wie ich behaupten mchte, der Schreefa mehr wert ist als das meine, sagte der Mann und wrang seine Gewnder aus. Nun, es war mir ein Vergngen, antwortete Cheyne und dachte, er wrde sich einen anderen Brunnen suchen, um Wasser zu schpfen. Nach einem Moment verlegenen Schweigens verbeugte sich der Bettler anmutig und tief und stellte sich vor. Ich heie Ogwater Rifkin. Cheyne. Wieder verbeugte sich Ogwater und schien das Fehlen von Cheynes Nachnamen nicht zu beachten. Ich freue mich. Ich wrde mich noch mehr ber den Preis einer Flasche Raqa freuen, Cheyne. Ertrinken ist harte Arbeit und macht durstig. Cheyne lchelte hilflos. Muje Rifkin... Og. Der Bettler grinste stark und zeigte seine makellosen, strahlend weien Zahne. Cheyne setzte noch einmal zum Sprechen an. Og, das Geld, das ich besitze, brauche ich, um einen Fhrer zu bezahlen und Vorrte zu kaufen. Es tut mir leid. Der Bettler zuckte mit den Schultern; sein Gesicht wurde etwas trbe. Macht nichts. Einen Fhrer? Cheyne nickte. Og grinste wieder. Muni? Du mut nach drauen kommen... Muni erwachte mit fuchtelnden Hnden, da der bse Dschinn wieder durch seine Trume gegeistert war. Die Stimme erschien ihm unbekannt. Er setzte sich in dem niedrigen Bett auf und suchte nach einer Lampe, bevor er die Fe auf den Boden stellte. Diese Vorsichtsmanahme war im Laufe der Jahre zur Gewohnheit geworden. Ehe er das Zunderkstchen und die Lampe finden konnte, hob Kifran die Zeltplane an. Er hielt eine Fackel in der Hand. Muni war hellwach, als das Licht ber sein Gesicht fiel und er das grimmige Gesicht des Wchters erblickte. Heute morgen ist Muje Javin nicht erschienen. Bis Tagesanbruch habe ich auf ihn gewartet, dann suchte ich nach ihm. Er liegt krank im Bett und verlangt nach dir. Kifran lie die Plane sinken und wartete, bis Muni seine Gewnder und Stiefel angezogen hatte. Kurz darauf rannten die beiden auf Javins Zelt zu. Muni kam als erster an. Mein alter Freund ... was ist geschehen? keuchte Muni mit heiserer Stimme. Javin ffnete die grauen Augen und versuchte zu lcheln. Sein Gesicht brannte vor Fieber, die gertete, sonnenverbrannte Haut spannte sich ber den kantigen Zgen. Wie bekmpft man Ungeziefer? ... Sie waren hier, flsterte er und hob mhevoll die Hand, um in eine Ecke des Zeltes zu deuten. Muni folgte der Geste mit seinem Blick und sah einen einzelnen toten Skorpion am Boden liegen. Einen Skorpion? Wann, Javin? Wann hast du ihn gesehen? Muni rttelte den Freund wieder zu Bewutsein. Ich wei nicht. Ich konnte mich die ganze Nacht lang nicht bewegen. Im Traum habe ich gegen sie gekmpft. Er schauderte und schwieg vor Erschpfung. Muni ermahnte sich zur Ruhe und versuchte, nicht an die ungeduldigen Fascini, nicht an das Schlieen der Ausgrabungssttte vor Auffinden des Sammlers zu denken, nicht an Javins Tod und nicht an seine eigene Hilflosigkeit den alten Freund zu heilen. Nein, nein, Javin, du wirst nicht sterben. Wir haben noch viel zu tun, und du schuldest mir noch ein Schachspiel, scherzte er und lchelte dabei. Dann wandte er sich zu Kifran um, der am Eingang wartete, die Fackel in der Hand haltend. Wo ist Cheyne? Such ihn und begleite ihn in die Stadt, um einen Heilkundigen zu holen. Kifran verneigte sich, zndete eine Lampe fr Muni an und verschwand. _Das ist kein gewhnliches Tier,_ dachte der Sprachgelehrte, der gezwungenermaen zu einem Experten auf diesem Gebiet geworden war, als er sich bckte, um das Wesen zu untersuchen. Der tote Skorpion, der recht gro und braun war, lag zu einem Ring zusammengerollt, den giftigen Stachel am Schwanzende in den eigenen Kopf vergraben. _Ah, die Ninniten. Sie haben ihn also wieder aufgesprt,_ dachte Muni wtend, der dieses Zeichen verstand. Der Skorpion war durch einen Zauber herbeigerufen worden, und es handelte sich um ein Wesen aus einer anderen Welt, nicht um das bliche Ungeziefer, das hier herumkroch oder sich in den dunklen Mauerspalten der Stadt verbarg. Ein Wesen aus einer fremden Welt. Die Ninniten waren Javin von einem Ende von Almaaz zum anderen gefolgt sogar bis zu seinem Heim in Argive. Egal, wie oft er umzog, egal, wo er auch grub - sie fanden ihn immer wieder, aber bisher hatte er ihr Kommen immer gesprt. Javin war ein vorsichtiger Mensch, aber diese besondere Ausgrabung hatte ihn zu sehr abgelenkt. Muni ging wieder zum Bett des Freundes zurck, der im Schlaf murmelte. Er setzte dem fiebernden Mann eine Tontasse an den Mund und zwang das abgestandene Wasser ber die geschwollenen Lippen. Javin hustete ein wenig und ffnete die Augen. Ich danke dir. Mge dein Haus unter einer Flut von Segenswnschen davongesplt werden. Er grinste und hustete erneut. Schweig still, mein Freund. Muni go ein wenig Wasser auf ein Tuch und tupfte Javin die glhende Stirn ab. Bald wird Cheyne mit dem Heiler hier sein, und du wirst dich viel besser fhlen. Ja, du wirst es berleben. Er tastete nach Javins rechter Hand und prfte den Pulsschlag, der sich glcklicherweise stark anfhlte. Als er sich vorbeugte, um die Hand des Archologen auf dessen Brust zu legen, entdeckte Muni den Einstich: Javins linke Hand lag seitlich neben ihm, die Finger waren auf die dreifache Gre angeschwollen, und um einen kleinen, dunklen Blutflecken am Ringfinger war ein winziger weier Kreis gezeichnet. Die Wunde schien mehrere Stunden alt zu sein und sah schmerzhaft aus. Muni hatte schon frher solche Flle erlebt, als er bei den Fallaji-Magiern gelebt und gearbeitet hatte - das Gift kam und ging, die Wunde heilte und schlo sich, aber die Person wurde derartig geschwcht, bis schlielich die Kraft soweit verbraucht _war_, da keine Heilung mehr mglich war. Kurz darauf setzte eine Blutvergiftung ein. Du kannst gesund werden, mein Freund. Aber hr mir gut zu, Javin: Wir mssen den Finger entfernen, sonst wird sich das Gift ausbreiten. Ich werde dir jetzt frisches Wasser holen. Ruh dich aus, flsterte er. Nein, Muni. Ich komme wieder auf die Beine. Es geht mir schon viel besser. Es ist gar nicht ntig, den Finger zu amputieren. Und ich mu dir erzhlen ... was ich im Traum sah ... den Mann ohne Gesicht ... den Raptor. Ich konnte mich nicht bewegen, ich war machtlos. Diesmal wollte er mich tten. Ich bin der letzte, weit du. Aber nun verstehe ich alles: Jemand hat ihm von Cheyne erzhlt. Wo ist Cheyne? Er setzte sich im Bett auf. Spare deine Krfte, Freund. Saelin heit jener, der hinter deinem Sohn her ist. Er ist der bedeutendste Meuchler der Ninniten, aber er hat schon einmal versagt. Er ist nicht so gut, wie er glaubt, erklrte Muni beruhigend. Nein, du begreifst nicht..., wehrte sich Javin. Muni! Kifran ffnete die Zeltplane und hielt die Hand hoch, in der er ein paar Seiten aus Cheynes Zeichenbuch hielt. Javins Sohn ist verschwunden. Nur das hier habe ich gefunden. ~KAPITEL 5 He, hallo Og - hast du schon wieder zur falschen Jahreszeit gebadet? brllte der dunkelhutige Wirt, als Og und Cheyne das Raqahaus betraten, dessen grell bemalte Wnde ein anatomisches Wunder waren und dessen mit Sgemehl bedeckter Boden gefhrlich mit Muscheln und Fischgrten berst war. Noch war es zu frh fr die mittglichen Gste, nur ein einzelner Mann, der die Kapuze aufbehalten hatte und in der Ecke sa und eine uralte Pfeife rauchte, hob so langsam die Hand, wie der Rauch seiner Pfeife aufstieg, als ihm Og einen Gru zunickte. Nahe der Tr setzten sie sich an einen Tisch. Cheyne pustete die Krmel von seiner Seite des verschlissenen Wachstuches, das nach der letzten Mahlzeit des gestrigen Abends nicht gesubert worden war. Og fiel die Pftze sauren Raqas gar nicht auf, durch die er seinen rmel zog, als er die Hand hob, um dem Wirt zu winken. Beachte den Narren hinter der Theke nicht, sagte er verrgert. Als sich der Wirt nherte, bestellte Og zwei Glser und eine Flasche, aber Cheyne schttelte den Kopf und nderte die Bestellung in Wasser und zwei Laibe Bappir um. Der Wirt grinste und verneigte sich, whrend er Og einen Klaps versetzte. Dann ging er, um der bedeutend eintrglicheren Bestellung nachzukommen. Was hat er damit gemeint, als er fragte, ob du schon wieder zur falschen Jahreszeit gebadet hast? erkundigte sich Cheyne lchelnd. Du hast nicht zufllig da unten im Brunnen auf mich gewartet, damit du doch noch zu deinem Raqa kommst? Og schaute uerst beleidigt drein. Bei den Drei Schwestern und den Fnf Heiligsten Gelbden, natrlich nicht! erklrte er und schlug mit der Faust auf den Tisch. Ich wrde fr niemanden ertrinken! Dann... Ich werde es dir erklren. Spter, sagte Og, als die Wasserkaraffe erschien. Anscheinend wurde sie nicht oft benutzt - sie schien der sauberste Gegenstand im ganzen Laden zu sein. Cheyne schenkte sich ein, Og jedoch lehnte mit gerunzelter Stirn ab. Fasse das Zeug nicht an. Zu gefhrlich, erklrte er und wrang sein Gewand ber dem Sgemehl aus. Da sich seine Kehle inzwischen wie ausgetrocknet anfhlte, beachtete Cheyne das Gerede nicht und trank, schenkte sich noch ein Glas ein und leerte es ebenfalls. Dann verstaute er einen der groen runden Brotlaibe in seinem Bndel und ri den anderen entzwei. Die Hlfte bot er Og an, der ihn gierig entgegennahm, aber nicht hineinbi. Als sich Cheyne auf dem niedrigen geflochtenen Hocker vorbeugte, ging Og zum Angriff ber. Du scheinst ein Mann von Wohlstand und guter Herkunft zu sein. Warum willst du das westliche Erg berqueren? fragte er. Du bist wirklich _nchtern_. Woher weit du, da ich dorthin will? fragte Cheyne berrascht. Du bist schon den ganzen Morgen in der Stadt, bist wahrscheinlich vor Tagesanbruch angekommen. Alle Jagdfhrer ziehen vor der sechsten Glocke los, aber nun ist bereits die zehnte Glocke verklungen. Der einzige Grund, weshalb sie dich nicht f hren wollten - fr einen vllig berteuerten Preis, wie ich dir versichern mchte -, ist der, da sie um keinen Preis dorthin gehen wollen, wohin du willst. Und wenn sie es nicht tun, mu es sehr gefhrlich und weit entfernt sein. Und das ist das Gebiet des westlichen Ergs. Seit dem Massaker weigern sich alle Fhrer, die Wyrvillndereien zu betreten, erluterte Og, der sich wie einer der besten Lehrmeister Cheynes am Institut von Argivia anhrte. Der junge Mann lchelte, da er ahnte, wohin das Gesprch fhren wrde. Und seit wann arbeitest _du_ als Fhrer, Og? Das wre eine neue Aufgabe fr mich, aber ich glaube, ich wrde sie bestens erfllen. Og lchelte zurck und schielte kurz an seiner Nase herunter. Ich habe dich letzte Nacht gut nach Hause gebracht, nicht wahr? Cheyne sa so dicht vor Og, da dieser sein Gesicht nicht allzu gut beobachten konnte. Aber aus dem gutmtigen Grinsen und dem fest gewebten Stoff des Umhangs schlo er, da der junge Mann wohl fr ein neues Paar Stiefel und, wenn Og es geschickt anging, auch fr ein oder zwei Flaschen Raqa gut sein mochte. Obwohl er keineswegs plante, Sumifa zu verlassen, war der junge Mann die Zeit wert und hatte ihn mittlerweile schon besser unterhalten, als in den letzten Monaten geschehen war. Og sprte wegen seiner unehrlichen Absichten ein kleines bichen Reue. Aber das reichte nicht aus, um sie fallenzulassen. Und weshalb bist du dir deines Erfolges so sicher? fragte Cheyne und stopfte sich den Rest des sen Brotes in den Mund. Weil ich gerade meine letzte Stelle verloren habe. Og rollte die Augen und senkte dann den Blick auf die schmutzige Tischdecke. Cheyne lchelte, lachte aber nicht. Lange Zeit starrte er Og an. Na gut, weil ich auch nichts zu verlieren habe, murmelte Og fast unhrbar. So war das mit den bsen Absichten. Aber wer konnte auch in diese stechenden Augen sehen und lgen? Schweigend dachte Cheyne nach. Entweder war Og ein wirklich gerissener Betrger, oder aber er sprach die Wahrheit. Er beschlo, es herauszufinden. Und woher soll ich wissen, da du auch kannst, was du behauptest? Du bist ein Bettler, und ich kenne dich kaum, sagte Cheyne, als knne er sich einen Fhrer aussuchen. Und du bist ein namenloser Fremder, der mir noch keine weitere Mnze gezeigt oder einen richtigen Trunk spendiert hat. Also, willst du gehen? fragte Og, der genau wute, da er Cheynes einzige Hoffnung war. Whrend Cheyne noch darber nachdachte, schenkte er sich ein Glas Wasser ein. Als Antwort zog er das Totem hervor. Hast du so etwas schon einmal gesehen? Ich meine natrlich nicht den Ganzit, sondern die letzte Glyphe. Og schttelte den Kopf und betrachtete den Gegenstand, so gut er ihn in dem schummrigen Licht des heruntergekommenen Raqaladens sehen konnte. In diesem Augenblick bewegte sich der Wirt von der Trffnung weg, ein heller Strahl der Morgensonne schien auf die Kante des Totems und schickte ein buntes Band aus vielen Farben ber die geborstenen Wnde des Raumes. Der Mann mit der Kapuze zuckte zusammen, als der Regenbogen ber ihn hinwegglitt und tanzend in der Ecke des Ladens landete. Ogs Augen leuchteten auf. Das ist das zweitschnste Ding, das ich je gesehen habe, sthnte er. Cheyne beugte sich ebenfalls begeistert vor, um den weiblichen Handabdruck zu sehen, den er in den Dnen entdeckt hatte, aber er war unauffindbar. Ja. Er ist wunderschn. Was hltst du davon? Cheyne fragte sich insgeheim, weshalb er einen Bettler mit sprachkundlichen Fragen bedrngte, aber Og schttelte nur den Kopf, als sei er an solche Bitten gewhnt. Ich glaube, die Symbole stammen aus der alten Sprache. Sie sind auf den meisten Totems. Aber dieses hat eine ungewhnliche Form, und ich kann dir nicht erklren, was die letzte Glyphe bedeutet. Niemand kann das. Jedenfalls nicht hier. Deshalb mu ich zum Sarrazanwald gehen. Die Elfen dort benutzen diese Symbole, um ihre Tonarbeiten zu verzieren. Sie sind die einzige Hoffnung, die mir bleibt, dieses Totem zu entziffern, sagte Cheyne mit leicht gesenkter Stimme. Warum ist das so wichtig? Es ist blo ein altes Totem. Auer da die Form seltsam ist, gibt es davon Tausende, die hnlich sind, die noch gefertigt oder geflscht werden, wie ich hinzufgen mchte. Die Hlfte der Fascini kann die ihrigen nicht einmal lesen. Sie erfinden einfach etwas, erzhlen es ihren ebenso unwissenden Freunden, und damit wird es fr alle Zeit zur Wahrheit. Warum interessiert dich, was auf ihm steht? Es ist doch nicht dein Familientotem, oder? fragte Og mit spttischem Unterton. Du planst doch nicht etwa diese Schinderei durch die Wste, um deinen Namen oder so etwas in der Art zu finden, oder? Cheyne sah ihn ruhig an. Ich wei nicht. Was wre, wenn es so ist? Nun, dann brauche ich wohl eine Landkarte, erwiderte Og trocken. _Ich mu schwach werden,_ dachte er in Anlehnung an seinen Moralkodex. _Ich kann ihn nicht bestehlen. Nun ja, so ist das._ Das Totem zeigte deutlich die Zeichen einer kniglichen Familie - also konnte dieser Junge _jemand von Bedeutung_ sein. Und er war ein ausgebildeter Ausgrber. Ein Gedanke bildete sich in Ogs nach Raqa drstendem Hirn. Vielleicht war das die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte, seitdem ihm Riolla den Ring abgenommen und ihn allein und fast machtlos zurckgelassen hatte. Wenn der Junge zum Sarrazanwald gehen wollte, wrde Og ihn irgendwie durch die Knigreiche fhren, wo eine Mglichkeit bestand, die magischen Juwelen des Rings erneut zu stehlen. Es konnte sehr gefhrlich werden - Riolla hatte bereits ihren besten Meuchler ausgesandt, um den Jungen zu tten, und Saelin war von grausamer Schrfe, wenn er nicht befriedigt wurde. Wie mute er sich jetzt fhlen, da ihm Cheyne entkommen war? Dieses Totem mute der Schreefa viel bedeuten. Og grbelte eine Weile darber nach. Der einzige Grund, der Riolla je zu solchen Taten getrieben hatte, war ihre Gier nach Reichtum. Und der einzige Schatz in der Nhe Sumifas hatte etwas mit den Fabeln der Armageddon-Uhr zu tun ... mit dem alten Sammler und seinem riesigen, verlorenen Schatz. Jetzt fiel Og wieder ein, wie die Balladen ber das mythische Monstrum, die er am Knigshof gesungen hatte, Riolla vor langer Zeit gefesselt hatten. Whrend die jungen Prinzen bei diesen Liedern eingeschlafen waren, hatte ihre Gefhrtin Riolla gebannt und mit staunenden Blicken gelauscht. Es schien alles zu passen. Nur die Mglichkeit, die Uhr zu finden, wrde sie derartig antreiben. Normalerweise beschmutzte die derzeitige Schreefa des Mercantos weder ihre manikrten Hnde noch ihren Ruf mit Morden innerhalb der Stadt. Herzensbrecherin war mehr ihr Stil. Steck das Ding weg, fauchte er, da er den Mann mit der Kapuze pltzlich als strend empfand. Die Stadt hat tausend Augen, und die meisten davon werden von Riolla bezahlt. Oder von dem, fr den sie arbeitet. Cheyne wickelte das Totem wieder ein und legte es in sein Bndel zurck. Woher kennst du Riolla Hifrata? Hr zu, wir gehen besser zum Kartenzeichner, sagte Og und stand auf. Cheyne legte eine Mnze auf den Tisch und fllte den Wasserschlauch mit den Resten aus der Karaffe. Og war schon ein ganzes Stck die Strae hinuntergegangen, als er ihn wieder einholte. Og, woher kennst du Riolla? fragte Cheyne erneut. Jeder im Mercanto kennt Riolla, Junge. Ihr gehrt der grte Teil des Viertels, und von dem Rest verlangt sie Schutzgeld, erklrte Og, wich einem mit Wasserkrgen beladenen Esel aus und wand sich durch einen Strom von Hausfrauen, die zum Markt eilten. Cheyne hatte keine Ahnung, wohin sie gingen. Nur ein Stck weiter, ein paar Straen entlang. Dort werden wir das finden, was du brauchst, versicherte ihm der Bettler. Warte, Og. Wir beide haben noch kein Abkommen getroffen. Ich wei nicht, ob ich mir deine Dienste leisten kann, sagte Cheyne und blieb mitten im Gewimmel der staubigen Strae stehen. Og ging noch zwanzig Meter weiter, ehe er sich umdrehte, sich einen Weg durch die Menge bahnte, Cheynes Hand ergriff, darauf schlug, sie schttelte, sich dreimal verneigte und auf den Boden spuckte, wobei er nur knapp den riesigen, gut beschuhten Fu eines vorbergehenden Schmiedes verfehlte. Ich bitte untertnigst um Verzeihung. Og lchelte den beleidigten Schmied zaghaft an und zerrte Cheyne am rmel durch die Menge, damit der Esel und die Marktfrauen zwischen ihm und dem Schmied waren. Jetzt haben wir eine Abmachung, verkndete er, hielt aber die Hand hinter dem Rcken verborgen, die das Solange es mir gefllt-Zeichen machte, das unter den Hndlern der Barca blich war. Ich werde dich dorthin bringen, wo du hingehen willst. Du wirst mich mit der Hlfte des Schatzes bezahlen. Die Hlfte des Schatzes? Aber ich suche doch blo nach der bersetzung der Glyphe... Versuche nicht, einen Narren zum Narren zu halten. Du sollst wissen, da ich informiert bin. ber den Schatz der Uhr. Und vorher eine Flasche Raqa. Und ein neues Paar Stiefel. Ich kann in diesen keine so lange Reise machen. Er deutete auf seine Sandalen, deren Riemen mit Abfallstcken verschiedenfarbiger Seile geflickt worden waren. Nun... Abgemacht! Jetzt sollten wir keine Zeit mehr verschwenden, betonte Og und sah mitrauisch ber die Schulter. Der wtende Schmied hatte smtliche Hindernisse umgangen und steuerte auf sie zu, da er Ogs Beleidigung erwidern wollte. Wir mssen heute abend zum Aufbruch bereit sein. Oder mchtest du, da dich die Leute, die berall nach dir suchen, finden? Cheyne konnte nicht antworten. Kurz bevor sie der Schmied mit drohenden Fusten erreichte, bogen sie um eine Ecke, schlpften durch eine Lcke in der Mauer des Mercantoviertels, die hinter einem Obst- und Gemsestand der Barca war, und befanden sich in einem Teil Sumifas, den Cheyne noch nie gesehen hatte. Eigentlich sah es so aus, als handele es sich um einen Teil Sumifas, den auch das _Tageslicht_ noch nie erblickt hatte. In den Rinnsteinen wimmelte es von Tausenden von mageren gelben Ratten, die um den Abfall des Marktes kmpften, den Cheyne gerade durchquert hatte. Cheyne zuckte zusammen, da Og gar nicht sah, wohin er trat und den Nagern mit gebter Leichtigkeit auswich. Cheyne fiel auf, da der Gestank entsetzlich gewesen wre, wenn nicht eine blaue Shirrirwolke in der Luft gehangen htte. Sie schritten eine Viertelmeile voran, und Cheyne suchte sich die Zwiebelschalen und Melonenrinden aus dem Haar, whrend sich Og durch ein Gewirr von uralten Abfallhaufen, Wrfelspielen und Shirrirsalons schlngelte, um sie zu einem Geschft zu bringen, das wie der belste Laden auf der belsten Straenseite der belsten Seitengasse der ganzen Stadt aussah. Grelle Farbe bltterte von den Mauern der Huser, und die hohen, unregelmig groen Fenster hatten schon vor Jahrhunderten ihre Verglasung eingebt. Neben dem Torbogen trmten sich Holzkisten und Germpel, als habe die ganze Barca dort seit Monaten ihren Abfall abgeladen. Inmitten dieses Durcheinanders fiel Cheyne eine Fascinisnfte auf, deren violette Fransen wehten, als sich die neffianischen Sklaven in Gang setzten. Nachdem sie sich von dem Laden entfernt hatten, pochte Og in einer schwierigen Reihenfolge von Klopfzeichen gegen die schwere Holztr. Noch whrend er klopfte, wurde die Tr von einem Dienstmdchen geffnet, deren kleines, verwundertes Gesicht Og erst erstaunt und dann bestrzt musterte. Wo ist Kalkuk? fragte Og. Die junge Frau an der Tr zuckte zusammen und winkte sie dann, eine Flasche Leinsamenl in der Hand, herein. Tot. Man hat ihn gerade begraben. Ihr werdet auch sterben, wenn _sie_ euch hier findet. Was ist geschehen, Vashki? Wieso ist Kalkuk tot? Ich habe ihn gestern noch gesehen, und da war er vllig gesund und munter - mge er so wenig Zeit wie mglich im Vierten Fegefeuer verbringen, murmelte Og mit ebenso leiser Stimme wie das Mdchen. Er wurde von den Arbeitern gefunden, die fr den auslndischen Ausgrber im alten Sumifa arbeiten. Man versucht, es zu vertuschen, aber mein Mann arbeitet auch da drauen und sagte, da sie gestern frher nach Hause geschickt wurden. Kirmah hat Kalkuk erkannt. Wir alle wuten, da Kalkuk mit seinen Zahlungen an Riolla im Rckstand war, aber es handelte sich blo um wenige Tage, und wir glaubten, ihm wrde etwas einfallen. Sie brachten ihn hierher, und heute morgen hat ihn seine Verwandte beerdigen lassen. Hr zu, ich mu an die Arbeit, und ihr mt verschwinden. Die Dame ist gerade zurckgekehrt, und sie ist nicht gut gelaunt. Sie ist Kalkuks Nichte; wir haben hin und wieder gemeinsam hier gearbeitet, aber nun ist sie die Herrin... Vashki? Mit wem redest du da? Cheyne wandte sich dem Klang der Stimme zu. Sofort wurde der Raum von einem Duft erfllt: Bergamotte und Myrrhe. Die Besitzerin des rotes Bandes, die Begleiterin des Prinzen. Oh, h, stotterte Vashki und ging sofort wieder an die Arbeit. Jetzt wird man euch auch hinauswerfen. Genau wie den noblen Freund der Fascini, der zuvor hier war. Der junge Prinz Maceo persnlich tat es! Eine schlanke Frau betrat das Zimmer; das groe Bndel in ihren Armen verdeckte ihr Gesicht. Cheyne sah nur eine Unmenge schwarzer Locken, die mit roten Bndern und Kmmen auf dem Kopf aufgetrmt waren. Sie stellte die Last auf den Tisch. Cheyne sah jetzt mehr. Viel mehr. Da er an den Toten aus den Ruinen gedacht hatte, um den es sich bei Kalkuk handeln mute, hatte Cheyne bisher geschwiegen. Nun rusperte er sich laut, um sich vorzustellen und ihr das Totem zu zeigen, in der Hoffnung, sie mge es erkennen und alle Rtsel auf einen Schlag lsen. Aber Og zupfte ihn fest an seinem Umhang, und der junge Mann schluckte die Worte hinunter. Wir sind gekommen, da wir eine Karte suchen. Ich habe seit vielen Jahren geschftlich mit deinem Onkel zu tun. Vashki erzhlte, er sei gestorben. Ich hoffe, es hat sich nicht um eines der Fnf Tdlichen Fieber gehandelt. Og verneigte sich tief, so da seine Nase fast den frisch gekehrten Boden berhrte. Wer seid ihr? Ihr kommt mir beide bekannt vor, sagte die Frau mit blitzenden Augen. Mein Name ist Ogwater Rifkin, Fhrer von Beruf, und dies ist mein Freund, der einen Weg ber das Erg sucht. Dein Onkel hat die besten Karten von ganz Sumifa verkauft. Du warst einer der Kunden meines Onkels? O ja, sehr oft sogar. Er und ich haben gute Geschfte miteinander gemacht, erklrte Og. Cheyne blickte ihn verwundert an und fragte sich pltzlich, ob Og etwas mit dem Mord zu tun haben knnte. Nun, jedenfalls haben wir miteinander verhandelt, schrnkte Og die Behauptung ein. Da keine anderen Kunden im Raum waren, starrte ihn die Frau einen Augenblick lang aus ihren roten, verschwollenen Augen an, seufzte tief und winkte sie dann zum Ladentisch hinber. Bitte fat nichts an, sagte sie mit mder und hochmtiger Stimme. Natrlich nicht, natrlich nicht. Oh, du hast aber sauber aufgerumt. Ich habe es hier noch nie so ... leer gesehen, sagte Og und hielt Ausschau nach den Bronzeskulpturen, die mit gesetzwidrigem Shirrir aus Glavia gefllt waren, nach den gestohlenen Gemlden, die darauf warteten, von einer mitternchtlichen Karawane abgeholt zu werden und den kleinen Stapeln Dattelsteinen, die einst berall in seinem Lieblingsladen des Schwarzmarktes herumgelegen hatten. Er war erstaunt, was an einem Tag alles geschehen konnte. Das Mdchen hatte schnell gearbeitet. Der Laden, Muje Rifkin, ist nicht mehr das, was er einmal war. Ich bin die Kartographin, die die Karten gezeichnet hat - die echten - die mein Onkel verkaufte. Ich mchte dich bitten, nie wieder wegen der Geschfte hierher zu kommen, die du zweifellos mit meinem Onkel gettigt hast. Aber heute werde ich dir eine echte Karte fr den richtigen Preis in Kohli verkaufen. Cheyne konnte sich nicht lnger zurckhalten. Mujida, wir bedauern deinen Verlust und danken dir fr die Untersttzung. Ich heie Cheyne, stellte er sich vor. Darf ich um die Ehre bitten, deinen Namen zu erfahren? Ogwater runzelte mivergngt die Stirn, da sie sich seiner Meinung nach viel zu lange aufhielten, und er hatte inzwischen die Grenzen der Nchternheit erreicht. Die Hnde zitterten ihm, und sein Mund fhlte sich trockener an als die Wste. Ich heie Claria. Wohin wollt ihr reisen? antwortete sie mit etwas sanfterer Stimme, und die Andeutung eines Lchelns umspielte ihre Mundwinkel. Cheyne sprte, wie seine Wangen sich bei dem musikalischen Klang von Clarias ungewhnlichem, schnem Namen verfrbten. Beinahe htte er vergessen, ihr zu antworten. h ... zum Wald von Sarrazan, glaube ich, stotterte er schlielich. Zum Grenzgebiet? fragte sie, und ein sonderbarer Ausdruck entstand in ihrem Gesicht. Warte - jetzt erinnere ich mich an dich. Maceo hat dich gestern auf der Hauptstrae umgerannt. Du bist nicht von hier. Weit du denn nicht... Er wei, wohin er reisen will, warf Og hastig ein. Claria hob die dunklen Brauen, sagte aber nichts. Es gab keinen Ausweg. Er wrde sie fragen mssen, ob sie das Totem erkannte. Cheyne griff in sein Bndel und zog den Ganzit hervor. Claria nahm ihn ohne die erwartete Regung entgegen, schien aber von den Gravuren fasziniert. Wo...? begann sie. Bei den Ausgrabungen. In einer Art Krypta. Er vermied, ihr mitzuteilen, da er das Totem in der Hand ihres toten Onkels gefunden hatte. Ich mu herausfinden, was die Glyphen sagen. Wenn du sie lesen kannst, mssen wir die Reise nicht unternehmen, sagte Cheyne hoffnungsvoll. Og schlug sich entsetzt an die Stirn. Vashki kicherte im Hintergrund. Bei der Ausgrabungssttte? Du bist Ausgrber? Du mut dabeigewesen sein, als man Kalkuk fand. Weit du, was mit meinem Onkel geschah? Du mut es mir sagen. Man hat mir nur mitgeteilt, da er ermordet wurde, und da Riolla es angeordnet hat. Claria hatte erneut Trnen in den Augen, und Cheyne schttelte nur den Kopf. Es tut mir so leid. Ich wei noch weniger als du. Bis jetzt wuten wir nicht einmal seinen Namen. Aber ich werde es meinem Vater sagen. Vielleicht mchte er mit dir reden, bot er an. Claria nickte, hielt das Totem ins Licht und zwang sich, wieder an sein Anliegen zu denken. Cheyne fiel das bedeutend schwerer. Ihre Augen sahen so klar und so golden aus, whrend sie das Totem betrachtete. Wieso kannst du die Sprache nicht lesen, wenn du doch ein Ausgrber bist? Ich dachte, das gehrt zu den besonderen Fhigkeiten der Ausgrber, sagte Claria nachdenklich und ergriff ein Vergrerungsglas, um die Zeichen besser sehen zu knnen. Weil Archologen nicht unbedingt Schriftgelehrte sein mssen. Und unser Fachmann, der der Beste seiner Zunft ist, kann diese Sprache auch nicht entziffern. Claria blickte auf. Ich auch nicht. Es tut mir leid. Diese Schrift kann ich nicht lesen. Sie ist zu alt. Aber die letzte Glyphe - die ist, h, sehr seltsam, und mir ist, als habe ich sie schon einmal gesehen... Claria tippte gedankenversunken auf den Kristall. Schlielich gab sie ihn Cheyne zurck. Nein. Aber wenn du wirklich zum Grenzgebiet willst, dann habe ich etwas, was dir helfen wird, erklrte sie und beachtete weder Og noch Vashki, die beide ausgesprochen belustigt dreinsahen. Sie sphte die Strae hinab, und zog, als sie niemanden erblickte, eine Pergamentrolle unter dem Ladentisch hervor und rollte sie auf der Oberflche aus. Darauf war eine gute Zeichnung von Almaaz und den Gebieten westlich des Landes zu sehen, bis hin zum Wald von Sarrazan und noch ein Stck weiter. Das ist meine beste Arbeit. Ich nahm die alten Karten aller Karawanenfhrer, die auf den Wstenstraen wanderten, bevor man sie schlo, und zeichnete diese Ansicht. Die Karte ist einzigartig. Sie ist mehrere Jahre alt, aber in Almaaz verndert sich nie sehr viel. Ich trenne mich ungern davon, aber mit dem Erls kann ich die sechzehn Tage des Requiems fr meinen Onkel bezahlen. Trauer ist teuer. Das mu Monate gedauert haben..., sagte Cheyne atemlos, als er mit dem Finger ber die vergoldete Komparose fuhr. Claria nickte lchelnd, legte Gewichte auf die Ecken der Karte und legte dann ein Stck violetten Faden auf die mgliche Wegstrecke, die ber das westliche Erg fhrte; zuerst durch die grasbewachsene Ebene, dann ber die Berge. Eine lange und gefahrvolle Reise, Cheyne. Was du suchst, mu sehr wichtig sein. Gefhrlicher, als du ahnst, murmelte Og und suchte einen anderen Weg. Wir mssen hier und auch dort durch. Mit seinem schmutzigen Finger tippte er zuerst auf das Wyrvilgebiet, dann auf einen anderen Punkt, wo Claria den lngeren, aber weitaus sichereren Weg gesucht hatte. Wie knnt ihr durch Orkland reisen, Muje Rifkin? Du hast den alten Karawanenweg gewhlt - es ist verboten, ihn zu benutzen. Ihr werdet nie zurckkehren, mahnte sie besorgt und zuckte beim Anblick der Schmutzflecken zusammen, die er auf dem sauberen Pergament hinterlassen hatte. Wir haben es eilig. Ich habe noch, alte Freunde, die an der Strae leben. Ich denke, da wir die meiste Zeit ungehindert reisen knnen. Die meiste Zeit? Cheyne wandte sich Og zu, der noch immer auf die Karte starrte. Was soll das heien? Keine Bange. Wir nehmen sie. Bitte bezahle sie. Wir mssen jetzt los, drngte Og und versuchte sich daran zu erinnern, wo der nchstgelegene Raqaladen war. Bestimmt in der Nhe der Gerberei. Beide Lden teilten sich fr gewhnlich gewisse Vorgnge des Trocknens. Cheyne starrte lange Zeit auf die Karte. Der Weg, den Og gewhlt hatte, wrde um ein paar Wochen, wenn nicht sogar Monate krzer sein. Cheyne besa nicht genug Geld fr eine noch lngere Reise. Und wenn sie die alte Karawanenstrae benutzten, konnte vielleicht etwas auftauchen, das ihm bekannt vorkam und seine Erinnerung auffrischte. Die Strecke ist jetzt verboten, sagtest du? Claria dachte eine Weile nach. Sie wurde fr Karawanen verboten. Jeder, der Gter transportieren will, mu die Schreefa um Erlaubnis bitten, da Gebhren an sie gezahlt werden. Nun, da die Strae unsicher _ist_, wollen die Leute nicht mehr bezahlen. Niemand mchte sich diesen Gefahren aussetzen. Die verlorengegangene Karawane war in der Tat etwas ganz Entsetzliches. Dreihundert Hndler, von denen mindestens die Hlfte aus Sumifa stammte, verschwanden, Sie grbelte vor sich hin. Ich wei aber nichts von einem Verbot fr einzelne Brger. Aber trotzdem wrde ich die Schreefa nicht darauf aufmerksam machen. Ein Ausdruck puren Hasses berflog Clarias Gesicht, aber sie ri sich zusammen und stellte ihnen eine Rechnung aus. Og trommelte in nervenzermrbendem Rhythmus mit den Fingern auf den hlzernen Ladentisch, whrend Cheyne vorgab, die Rechnung zu betrachten und berlegte, was er Galantes und Schmeichelhaftes wegen des Bandes sagen konnte. Claria spielte abwesend mit der winziges Duftflasche, die sie um den Hals trug und dachte, sie htte zuviel fr die Karte verlangt; vielleicht wrde Cheyne sie doch nicht kaufen. Schlielich nickte er und fischte in seinem Bndel nach den ntigen Mnzen, die er ihr in die Hand zhlte. Dann rollte er das Pergament zusammen. Der Handel war abgeschlossen. Du hast dies hier fallen gelassen. Er reichte ihr das rote Band. Ich nehme an, du mchtest es wieder haben, fgte er unbeholfen hinzu. Und ich danke dir, da du mir das Leben gerettet hast. Claria lchelte, nahm das Band entgegen und knotete es um die Karte. Gute Reise, Cheyne. Cheynes Handflche brannte da, wo sie ihn berhrt hatte, und er sprte, da seine Wangen glhten. Er drehte sich nach Og um, aber sein Fhrer war bereits durch die Ladentr verschwunden, und wieder einmal mute er ihm nachlaufen. h ... danke. Ich hoffe, wir werden uns bald wiedersehen. Vielleicht darf ich dich aufsuchen, wenn ich zurckkehre. Cheyne verneigte sich eilig vor Claria, dann vor Vashki, verstaute die Karte sorgfltig in seinem Bndel und rannte hinter Og her. Claria sah ihm nach und fragte sich, ob sie ihn je wiedersehen wrde. Sie zerrte an dem Ring an der linken Hand, aber er steckte fest. Sie mute ber diese Ironie schmunzeln. Maceo hatte sich gerade fr immer von ihr verabschiedet, aber sein Verlobungsring steckte fest. Solches Benehmen gibt es im Mercantoviertel nicht. Und erst recht nicht in der Zitadelle, neckte Vashki, als Claria eine Brechstange aufhob und versuchte, die Ngel an einer staubigen Kiste aufzubrechen. Nein ... in der Zitadelle ganz sicher nicht. Aber la uns die Luft nicht mit den Worten Prinz Maceos verunreinigen. Er soll seine geschftstchtige, rothaarige Buhle und ihr ganzes Geld haben. Jenes Geld, das sie den Armen dieser elenden Stadt aus der Tasche stiehlt, um sie vor dem geheimnisvollen Zauberkreis zu schtzen. Wer hat denn jemals einen davon gesehen? Es sind ihre eigenen Halunken, vor denen Riolla uns schtzt. Und Maceo ist ein rechter Narr, wenn er auch nur eine Minute lang glaubt, da sie ihn liebt - soll sie in ihren Freudentrnen nur ertrinken! Sie will blo ihr Vermgen vergrern. Und er braucht ihren Reichtum, um seine rzte zu bezahlen, die ihn von seinen eingebildeten Krankheiten heilen sollen. Aber schon bald wird er keine rzte mehr brauchen - sie wird ihn umbringen, bevor noch zehn Tage vergangen sind, um Knigin von Sumifa zu werden. Ein Blinder knnte sehen, worauf sie hinaus will. Aber was fr eine berraschung - beide bekommen, was sie verdienen! Ha, er ist mir sowieso egal! wtete Claria, die mit Trnen in den Augen das Brecheisen kraftvoll auf und ab drckte, um den Kistendeckel zu lockern. Was glaubst du, was Onkel Kalkuk in dieser alten Kiste aufbewahrte? knurrte sie. Alles, was er besa, hat er mindestens fnfmal verkauft. Vashki zuckte mit den Schultern. Sie kannte Kalkuk, seitdem sie ein kleines Mdchen war, und die einzigen Wertsachen, die er je besessen hatte, hatten immer anderen Leuten gehrt. Vielleicht handelte es sich um den Schatz der Uhr - obwohl ihn nie jemand ernst nahm, hatte Kalkuk immer behauptet, er gehre rechtmig seiner Familie. Vashkis Herz klopfte schneller, als sich der Deckel endlich lste und an der Brechstange hngen blieb. Claria warf ihn beiseite und griff in die Kiste, aus der eine Staubwolke emporstieg. Vashki fchelte sie fort, whrend Claria ein fest in lhaut gewickeltes Bndel herausnahm und aufmachte. Als sie die letzte Hlle abnahm, lag eine kostbare kleine Uhr vor ihnen, deren Fu aus einer geschnitzten Holzschachtel bestand, die mit goldenen Linien verziert war und ein kunstvolles Muster formten. Claria drehte sie vorsichtig in den Hnden und fhlte die Gltte des uralten Holzes. Was ist das? fragte Vashki enttuscht. Ein Zeitmesser. Eine Musikuhr. Als ich noch ein Kind war, habe ich einmal eine gesehen. Sie werden nicht mehr angefertigt, da niemand mehr die Rdchen schnitzen kann, erklrte Claria. Die Spieluhr klimperte und klingelte, als sie die Uhr auf den Kopf stellte, um nach dem Zeichen des Herstellers und dem Schlssel zu suchen. Dort stand nichts auer einer alten sumifanischen Glyphe, die in das Holz geschnitzt, nein, gebrannt worden war. Sie sah wie ein kleiner Fingerabdruck aus, genau wie ... Clarias Gedanken eilten zu dem Totem zurck, das der gutaussehende junge Mann wieder mitgenommen hatte, der hbsche junge Mann, der zum Grenzgebiet reisen wollte und den sie wahrscheinlich nie wiedersehen wrde. Nun, das ist ja eine berraschung, unterbrach Vashki Clarias Trumereien. Wer htte gedacht, da Kalkuk so etwas besitzt? Claria, das ist nicht der Schatz, aber du bist reich! Sieh nur, die Zeiger sind aus Gold! Die mu doch mindestens... Pst Vashki, da ist jemand an der Hintertr. Vielleicht sind sie zurckgekehrt, sagte sie hoffnungsvoll. Vielleicht haben sie etwas vergessen. Sie wickelte die Uhr wieder ein und legte ein Blatt mit einer halbfertiges Zeichnung darber. Vielleicht, meinte Vashki unglubig. Schlielich hatte es Og zu einem Raqaladen gezogen. Auerdem war das Klopfzeichen falsch. Sie stellte die Flasche mit der Politur auf eine Bank, lste die Brechstange vom Kistendeckel und ging zgernd zur Tr. Fast hatte sie die Tr erreicht. Die alte Tr, die aus morschem, uralten Holz bestand, brach nach innen, als sei ein Sandsack mit Gewalt dagegen geworfen worden und ri Vashki zu Boden, deren Arm wie ein trockener Zweig brach. Sie landete nur wenige Fu vom Ausgang entfernt - fast in Sicherheit. Zwei in dunkle Gewnder gehllte Mnner, von denen einer eine qualmende Fackel trug, deren beiender Rauch durch den Raum drang, strmten, bewaffnet mit Wurfscheiben und glnzenden Dolchen in den Grteln, in den Laden. Wo ist der fremde Mann? Wohin ist er gegangen? brllte der erste, der die Kaffiyeh ber das Gesicht geworfen hatte, um nicht erkannt zu werden. Mit ihrem gesunden Arm schlug Vashki mit der Brechstange zu und traf den Fackeltrger. Der hintere Teil des Ladens stand pltzlich in Flammen, als die Funken der zu Boden strzenden Fackel auf die zerbrochene Politurflasche bergriffen. Nach vorne! Schnell! kreischte Vashki, die noch immer das Brecheisen hielt, als sich der zweite Mann ber den Ladentisch schwang. Claria packte die Uhr und rannte durch den Vordereingang. Dichte schwarze Rauchwolken und mindestens ein Meuchler folgten ihr. ~KAPITEL 6 Langsam, Og, keuchte Cheyne und erwischte ihn an einem flatternden rmel. Hier ist ein Schuhmacher. Zuerst mu ich etwas trinken. Aber wir stehen doch genau vor dem Schuhmacher. La uns reingehen. Cheyne betrat den offenen Laden, dessen gutgegerbte Ware auf Pflcken rings um den Besitzer herumstand, der gerade damit beschftigt war, eine Sohle an den Schuh eines ungeduldigen Kunden zu nageln. Cheyne sah sich um, bis der Schuhmacher fertig war, die Bezahlung entgegengenommen hatte und herberkam, um ihnen behilflich zu sein. Jeder Hammerschlag loste ein Drhnen in Ogs Kopf aus, wie die Trommeln von Caelus Nin in der ersten Nacht von Thanatas. Als der Handwerker fertig war, konnte Og kaum noch erkennen, welche Stiefel ihm Cheyne reichte und hatte Schwierigkeiten, seine Fe zu finden. Er schttelte den Kopf, als gefielen sie ihm nicht. Der Schuhmacher nickte, als Cheyne ein anderes Paar whlte, aber als die Stiefel neben Ogs Fen standen, waren sie eindeutig viel zu klein. Mit breitem Grinsen fand der Schuhmacher ein Paar in der richtigen Gre, aber Cheyne zog eine Grimasse, als er sie hochhielt. Die Verzierungen, die auf dem kleinen Paar noch passend ausgesehen hatten, wirkten auf dem greren vllig unmglich. Ich verkaufe euch diese fr zwlf Kohli. Sie wurden von einem Fascini bestellt, der mir nicht glauben wollte, da das Muster bei dieser riesigen Groe geschmacklos wirken wrde. Seit zwei Jahren hngen sie nutzlos hier herum. Sehen nicht gut aus. Og runzelte die Stirn, zog sie aber trotzdem an. Sie passen natrlich. Er verzog das Gesicht. Zehn Kohli, sagte Cheyne. Abgemacht, antwortete der Schuhmacher. Er htte sie dir auch fr fnf verkauft, hhnte Og. Cheyne reichte dem Handwerker das Geld, und sie machten sich auf die Suche nach einem Getrnk fr Og. Der schnelle Gang des Bettlers verlangsamte sich, da er an eine enge Fubekleidung nicht gewhnt war. Vier Straen weiter, in Sichtweite des Raqaladens, segelte eine Wurfscheibe lautlos ber Ogs Kopf hinweg und verfehlte ihn um gut zwei Fu. Riolla mu ganz schn wtend auf dich sein! schrie Og und suchte hinter einem Marktstand Schutz, whrend die Menschenmenge fluchtartig die Strae rumte. Das war aber nicht fr mich bestimmt, erwiderte Cheyne und rannte die leere Gasse entlang, in die Richtung, aus der die Scheibe gekommen war. Komm schon, Og! Og blickte traurig zu dem Raqaladen hinber und zwang seine gutbeschuhten Fe, die andere Richtung einzuschlagen. Als er Cheyne erreichte, war der junge Mann von drei dunkel gekleideten Mnnern umgeben, die ihn mit gezckten Dolchen langsam umkreisten. Oh, nein..., jammerte Og. Das kann ja ewig dauern! Er wurde von einer krftigen Hand am Nacken gepackt. Na dann los, helfen wir ihm! keuchte Claria, deren Gesicht von der anstrengenden Flucht vor den Meuchlern gertet war. Er gehrt mir. Die Schurken werden ihn nicht an meiner Stelle ermorden. Was? fragte Og, um die Bekanntschaft mit den Dolchen ein wenig hinauszuzgern. Mein Laden ist niedergebrannt, und mein Mdchen hat sich den Arm gebrochen. Sie deutete auf Vashki, die hinter dem Zelt eines Andenkenhndlers hervorlugte. Jetzt besitze ich nichts mehr auer diesem hier. Sie zog die Musikuhr unter dem Gewand hervor. Und das ist nur wegen euch, oder besser gesagt wegen ihm. Wegen ihm, mit seinem sen Lcheln und den guten Manieren, fauchte sie. Jetzt tu _was_, damit sie ihn nicht umbringen. Das werde ich erledigen. Og rang vor Verzweiflung die Hnde und, wie er sich sicher war, vor den Folgen des Raqaentzugs. Dann halte sie wenigstens fest! schrie Claria und gab ihm die Uhr. Und wenn du versuchst, damit wegzulaufen, werde ich dich wie eine Schlange jagen. Ich greife ein. Von ihrem Platz hinter dem violetten Zelt aus starrte Vashki Og fest an. Der nickte nur und stand wie angewachsen da. Claria hatte richtig geraten, als sie seine ersten Gedanken beim Anblick der Uhr aussprach, aber seine Fe waren mit zu vielen Blasen bedeckt, als da er htte davonlaufen knnen. Und er hatte schon frher versucht, Vashki zu entkommen. Ob der Arm gebrochen war oder nicht, sie war sehr schnell. Einen schrillen Kriegsschrei ausstoend, schleuderte Claria den Umhang beiseite, zog die Bronzekmme aus dem Haar und warf sich in den Kampf. Sie erwischte einen der Meuchler mit den glnzenden Zhnen ihres Kamms direkt ber seinem Auge, und er fiel zu Boden. Von ihrer Schnelligkeit und ihrem Mut berrascht, packte Cheyne die Gelegenheit beim Schpf, wich zurck und stie seinen Fu auf die Nase eines Angreifers. Mit dem anderen Fu schlug er dem Mann den gekrmmten Dolch aus der Hand. Auch der zweite Meuchler fiel hin und schrie vor Schmerz, als Cheyne ihn mit dem Ellbogen unterhalb der Rippen erwischte. Der erste Mann, dessen Nase zerquetscht und blutverschmiert war, sprang ihn von hinten an, um ihm das Messer ber die entblte Kehle zu ziehen. Der dritte Angreifer, dessen Gesicht vllig verkratzt war, stand wieder auf, sprang Cheyne rechts an und verhinderte, da sich der junge Mann hinfallen und abrollen lassen konnte, da er ihn am rechten Arm festhielt. Claria rang nach Atem und griff den Feind an, dessen Knochen sie bereits hatte brechen hren. Mit aller Kraft trat sie mit dem Stiefelabsatz gegen das Schienbein des Mannes, der sich daraufhin nicht lnger damit abgab, Cheyne den Arm zu verdrehen. Schnell zog sie ihm den Kamm ber das Ohr, und der Halunke strzte, denn die Fe gaben unter ihm nach, und das Blut strmte ihm ber die Augen. Cheyne ri sich los und schlug eine Rolle rckwrts, um sich dem Dolch zu entziehen, der auf seine Kehle zukam. Die Waffe glitt ab und traf den dritten Angreifer an der Brust. Claria wirbelte herum, um sich den restlichen Mnnern zuzuwenden, aber sie waren zurckgewichen und mit ihren Schatten verschmolzen, wobei nicht einmal ein Fuabdruck auf dem sandigen Pflaster zurckblieb. Phantome? fragte Claria, als sich Cheyne von der schmutzigen Strae erhob. Nein, antwortete Og. Riollas Leute. Sie knnen sich so schnell wie der Wind bewegen. Aber sie sind aus Fleisch und Blut. Unter Schmerzen humpelte er zu dem am Boden liegenden Mann und drehte ihn vorsichtig um. Er nahm der Leiche den juwelenbesetzten Dolch aus der Hand und schob die Kapuze mit der Spitze seines neuen Stiefels zurck. Dann beugte er sich ber ihn, betrachtete das Gesicht und die Ttowierung der zwei Halbmonde hinter dem verletzten Ohr, deren Spitzen sich einander zuneigten, aber nicht berhrten. Vashki humpelte heran, wobei sie sich den Arm hielt, und stellte sich neben die anderen. Es war der Uhrmacher, sagte Cheyne. Der, der mich zu Riolla geschickt hat. Der Meuchler verbeugte sich tief, wobei der Schmerz fr kurze Zeit unertrglich wurde, als das Blut durch die Schnittwunden in seinem Gesicht strmte. Er dachte sich zehn ganz besonders grausame Todesarten fr den Ausgrber und das Mdchen aus, ehe er den Kopf wieder hob. Ich danke dir, Saelin. Gut gemacht! Erwarte meine neuen Befehle im Vorzimmer. Bediene dich von dem Tablett. Die Schnre des Perlenvorhangs mit den rubinroten Glaskugeln schlugen gegeneinander, als Saelin hindurchging, noch ehe Riolla den Satz beendet hatte. Saelin? Riolla sah ihm nach und zuckte mit den Achseln. Dann lste sie den Knoten des roten Bandes, das die Landkarte zusammenhielt, und rollte sie vor ihnen aus. Die Karte war von ausgezeichneter Qualitt und ohne Zweifel einen toten Meuchler wert. Der Weg, den Og gewhlt hatte, war durch die schmutzigen Fingerabdrcke klar zu erkennen. Riolla schttelte verchtlich den Kopf. Niemals whlt er den leichten Weg..., murmelte sie. Dann hielt sie inne und starrte wieder auf die Karte, da ihr bestimmte Punkte pltzlich bekannt vorkamen. Er will zu Rotapans Tempel? Zum Wald der Selkies? Sogar ins Grenzgebiet? Beim geborstenen Gesicht Nins - er nimmt nicht nur die Karawanenstrae, er ist auch hinter den Steinen des Rings her! Dieser verflixte Mistkerl! Wer htte gedacht, da noch Mut in ihm steckt, in diesem heruntergekommenen, raqadurstigen, grlenden, stinkenden, plattnasigen Ungeziefer? rief sie aus und zerknllte die Karte am Rand. Saelin! Der Meuchler hatte sich gerade einen Shirrirkuchen an die Lippen gesetzt. Nimm den Unrat aus dem Mund und komm her! Wenn dies vorbei ist, kannst du das beenden, was du auf der Strae begonnen hast. Hol die Pferde. Nein, warte - die Mnner sollen meine Snfte holen, es knnte eine lange Reise werden. Wir mssen frher aufbrechen, als ich dachte. Wahrscheinlich sind sie uns schon ein gutes Stck voraus, rgerte sich Riolla und steckte ihr rotes Haar hoch auf. Wir gehen, sobald ich mit dem Prinzen gesprochen habe, setzte sie hinzu und dachte bereits darber nach, was sie Maceo sagen wollte. Saelin schob sich den ganzen Kuchen in den Mund, stopfte drei weitere tief in seine Taschen und dachte daran, wie sehr ihn die nchsten Morde erfreuen wrden. Also gut, Cheyne, oder wer auch immer du sein magst, la uns ein paar wichtige Worte darber wechseln, was mit meinem Geschft passiert ist, sagte Claria, als sie Og das Bndel aus seinen zitternden Hnden ri. Cheyne tupfte sich das Blut an der Lippe mit dem rmel seiner Tunika ab. O nein. Sie zog ein Tuch aus der Tasche und warf es ihm zu. Da es viel zu leicht war, flatterte es ihm vor die Fe. Sie sprach weiter, whrend er sich danach bckte. Ich schaffe es, die ganze Schlamperei und den Dreck an einem Tag aufzurumen, werfe Strauchdiebe und Landstreicher hinaus, die mit meinem Onkel Geschfte machen, hoffe, neue Kunden zu finden... Wie den in der Snfte, der floh, als wir den Laden betraten? fiel ihr Cheyne ins Wort. Wahrscheinlich erinnerst du dich daran, da ich ihm auch schon begegnet bin. Diese unerfreulichen Leute sind berall anzutreffen! La den Prinzen aus dem Spiel! Er war nicht geschftlich bei mir, fauchte sie und errtete strker als whrend des Kampfes. Ach? fragte Cheyne leise und grinste schief, da seine Lippe geschwollen war. Du bist unmglich! knurrte Claria. Og rusperte sich. Was ist denn geschehen, Claria? Warum wurdest du von Riollas Meuchlern gejagt? Sie drehte sich zu ihm um und begann eine lange Tirade, wie sie in das Geschft gestrmt waren, nachdem er und Cheyne sie verlassen hatten, und wissen wollten, wo sich die beiden befanden. Dann hatten sie den Laden in Brand gesteckt und sie bis auf die Strae verfolgt, auf der sie nun standen. Vashki war durch die Hintertr entkommen, als die Mnner Claria nachsetzten. Es war ihr gelungen, die Uhr mitzunehmen, die anscheinend der kostbarste Besitz ihres Onkels gewesen war, doch der Rest des Hauses ging zur Zeit in Rauch auf und ri wahrscheinlich die ganze Strae mit sich - dort drben konnte man das Feuer sehen. Als sie zu Ende gesprochen hatte, wies sie mit ihrem schlanken Finger auf die groe schwarze Rauchwolke, die sich ber der Barca bildete. Ich dachte mir gleich, ich knne den Geruch eines brennenden Kartenladens riechen, erklrte Og. Cheyne wunderte sich, da der Bettler diesen Geruch von den anderen unterscheiden konnte, die fortwhrend in der Barca herumschwirrten. Og hielt einfach die Nase in den Wind und schnffelte, und Cheyne fiel erneut das hervorstehende Riechorgan auf, das fr diese Zwecke sicherlich ausgezeichnet geeignet war. Was soll ich dir darber erzhlen, Claria? fragte Cheyne. Ich wei nicht, weshalb mich Riolla tten lassen will, auer, da ich mich weigerte, ihr das Totem zu verkaufen, das ich bei den Ausgrabungen fand. Aber ich brauche es selbst. Ich danke dir, da du mir gegen die Meuchler geholfen hast, und es tut mir wirklich leid, was mit deinem Laden und deiner Gehilfin passiert ist. Ich hatte keine Ahnung, da Riolla noch immer hinter mir her ist oder wute, da ich in der Stadt bin. Mnner! Ihr glaubt wohl, ein kleines Es tut mir leid biegt alles gerade, und ihr knnt stolz und vornehm davongehen, ohne die Greueltaten zu bereinigen, die wegen euch geschehen sind. Nun, das wird euch diesmal nicht gelingen. Ich habe euch geholfen - also knnt ihr mir helfen. Cheyne, du bist Ausgrber. Du willst ins Grenzgebiet reisen. Also wirst du mich mitnehmen, und wir werden den Gewinn deines Abenteuers aufteilen, um den Verlust meines Geschftes damit abzugleichen. Wenn man bedenkt, wieviel Aufmerksamkeit dir Riolla schenkt, sollte man meinen, du httest die Uhr gefunden. Cheynes Augen weiteten sich vor berraschung. Was weit du ber die Uhr? Ich wei, da die Schreefa des Mercantos sich niemals so viel Mhe machen wrde, dich zu fangen, wenn es nicht um Geld ginge. Da du ein Ausgrber bist, hast du wohl etwas Wertvolles gefunden, oder du weit zumindest, wo es liegt. Und was gibt es hier schon Wertvolles auer der Uhr? Sie fuchtelte mit der Hand herum und schlo bei der Geste den Schmutz der Barca mit ein. Dann kniff sie ihre goldfarbenen Augen zusammen und sah ihn an. Cheyne schwieg, aber seine Zge hatten sich bei dem Gedanken verdstert, in eine ausgewachsene Schatzsuche gedrngt zu werden. Du hast sie gefunden, nicht wahr? fragte sie leise, und der bissige Ton war aus ihrer Stimme verschwunden. Nein. Und ich suche auch nicht danach, antwortete Cheyne bestimmt. Sofort erhob Og protestierend die Hand. Halt, halt, so' darfst du nicht sprechen. Wir wissen nicht einmal, ob du die Uhr nicht lngst gefunden hast. Aber ich, Claria, habe bereits eine Vereinbarung mit Cheyne getroffen, da mir die Hlfte des Gewinns gehrt. Warum sollten wir den Schatz der Uhr anders aufteilen? Claria sah ihn mit funkelnden Augen an und lchelte verschlagen. Weil, sie deutete auf Cheynes zerrissenes Bndel, aus dem die Karte fehlte, du vielleicht ein Fhrer sein magst Muje Rifkin, aber ich bin die einzige, die wei, wie man dorthin gelangt. ~KAPITEL 7 In seiner gesunden Hand hielt Javin die Zeichnungen, denn die andere schmerzte und war dick eingebunden, und er stolperte durch die Dnen bis zu dem Ort, wo Cheyne und Muni am Vorabend gearbeitet hatten. Entgegen seiner Befrchtungen hoffte er, Cheyne bereits bei der Arbeit vorzufinden, weil der junge Mann hierher gegangen sein mochte, um allein zu sein, um seine Schwierigkeiten zu berdenken. Aber als Javin die letzte Dne erklommen hatte, war er immer noch allein. Er lie sich auf einer Ecke des wettergegerbten Marmorblocks nieder, auf dessen blasser Oberflche einer von Cheynes vertrauten, holzkohleverschmierten Handabdrcken war. Javin legte die eigene Hand darber und fragte sich, wann die Zeit ihre Hnde gleichgemacht hatte. Er sa still da und lauschte dem Seufzen des heien Windes und dem Gelut der Schafsglocken, als die sumifanischen Hirten ihre Herden zum Grasen an die Ufer des Flusses trieben. Jede Glocke hatte einen anderen Klang; in der eigentmlichen Stille der Ruinen erkannte Javin innerhalb weniger Sekunden schon drei vertraute Tne. So _mu es auch zu Lebzeiten des Sammlers gewesen sein. Als der Zauberkreis und Frieden das Land beherrschten. Als man den Krieg fast aufgehalten htte,_ dachte er und blickte zur neuen Stadt hinber. Die Strae am Flu entlang war von dieser Hhe aus gut zu berblicken. Sie war leer und verlassen. Um diese Zeit htten Munis Arbeiter von der Stadt herberkommen sollen. Also hatten sich die Fascini eingemischt. Javin schttelte enttuscht den Kopf. Wenn Cheyne wieder nach Sumifa gegangen war, mute er einfach abwarten. Javin zog die Bltter mit den Zeichnungen hervor und betrachtete die Bilder zum fnften oder sechsten Mal, um Anzeichen zu finden, die auf den Sammler hinwiesen. Aber Cheyne hatte bei diesen schnell angefertigten Zeichnungen nicht viele Einzelheiten festgehalten. Nur der Grundri und die Mae des Zimmers unterhalb der Marmorplatte waren angegeben. Aber da war noch ein Blatt mit flchtig hingeworfenen Bildern von Tonscherben, das Javin vorher nicht bemerkt hatte. Wahrscheinlich eines, das er in der letzten Nacht gefunden hatte, dachte er und lie den Blick erneut ber die Dnen in Richtung Stadt schweifen - noch war kein Fascini zu sehen. _Ich sollte besser nach unten klettern und sehen, was er entdeckt hat. Das wird meine letzte Gelegenheit sein._ Er seufzte, befestigte die geflochtenen Stricke an einem groen Steinbrocken und lie sich in den Raum hinunter. Kurz darauf befreite er sich von dem Gurt und beugte sich ber die Tonscherben, die er mit den Zeichnungen verglich. _Das ist Sarrazanarbeit - lter als alles, was ich bisher gesehen habe, wenn ich vom Anblick des Tons ausgehe._ Die krnige Oberflche des Kruges und die seltsam gelbliche Frbung fielen ihm auf. Nach den einstigen Verheerungen im Wald war der Ton der Elfen nun dunkel, beinahe rot und bedeutend glatter. Dieses Material stammt aus der Zeit vorher, murmelte er. Die zerbrochenen Stcke wirkten allerdings recht vertraut. Er fuhr mit den Fingern darber hinweg und folgte den geschwungenen Linien und verworrenen Kreisen. Solche Glyphen hatte er daheim auf seinen Krgen gesehen. Und auf dem Totem, das Cheyne poliert hatte. _O nein, Cheyne! Ich htte es wissen mssen. Ich htte es wissen mssen. Aber ich konnte dir nicht mehr sagen. Und nun bist du davongegangen, um den gefhrlichsten Teil von Almaaz aufzusuchen, und der grausamste Meuchler Sumifas ist dir auf den Fersen,_ haderte er mit sich. Dann sammelte er die Scherben auf und steckte sie in seine Tasche. Seine Gedanken berschlugen sich. Javin legte sich die Gurte um. Er durfte keine Zeit verlieren. Als er sich am Seil emporzog, hielt er inne und legte eine Pause ein, um Krfte zu sammeln - der Abstieg war fr seinen Arm und seine schmerzende Hand bedeutend einfacher gewesen. Als er an dem Seil hing, schwang es langsam hin und her, und der neuen Blickwinkel des Raumes fesselte ihn. Von hier aus konnte er erkennen, da aus einem kleinen Spalt auf halber Hhe der Wand Licht fiel. Er schwang sich nher zu der Stelle und hielt sich mit der Hand an einem Ri im Mauerwerk fest, um sich Halt zu verschaffen. Mit der verletzten Hand zog er unter Schmerzen den kleinen Handfeger aus dem Grtel und fegte Staub und Sand beiseite, die sich dort angesammelt hatten. Auf der anderen Seite des Steins schien irgend etwas zu liegen, das das Licht nicht durchlie. Etwas, das entfernt an den Umri einer Menschenhand erinnerte, an deren Fingern goldene Ringe steckten. Aufgeregt und mit wild pochendem Herzen folgte Javin dem Lichtschein und entdeckte eine Art Stoff, dessen violette Farbe noch immer klar und deutlich zu erkennen war. In den Jumageschichten wurde behauptet, der Sammler wre in seinen Roben in der kniglich violetten Farbe gestorben. Javin hing in den Gurten und starrte gebannt auf seine Entdeckung. Beim heiligen Eid des Zauberkreises! Er vergrerte den Spalt so gut er konnte. Der Marmor brach in kleinen Stcken am ursprnglichen Ri entlang ab. Nach einer Weile hatte Javin eine ffnung geschaffen, die an der breitesten Stelle drei Zoll ma. Jetzt konnte er den Krper deutlich erkennen. Ein einziger Sonnenstrahl schien auf die vertrocknete Mumie, beleuchtete das eingesunkene Gesicht und die zerbrechlich wirkende, dunkle Haut. Tausende von Jahren in der trockenen Wstenhitze hatten den Leichnam so hervorragend erhalten, da Javin sogar den Gesichtsausdruck des Mannes erkennen konnte. Samor war lchelnd gestorben, mit gelassenen, zufriedenen Zgen, die auch nicht durch die offensichtlich bereilte Bestattung gestrt worden waren. Javin sehnte sich danach, den Fund genauer zu untersuchen und die Geheimnisse hinter der Mauer zu erkunden. _Ich habe dich gefunden, Samor, ich habe dich gefunden!_ Mit der gesunden Hand schlug er krftig gegen die Wand; sein Herz wurde von Freude und Sehnsucht geradezu zerrissen. Lachend schwang Javin wie ein Pendel an den Seilen hin und her, Trnen strmten ihm ber das Gesicht. Aber er durfte sich nichts vormachen. Selbst wenn das _Heilige Buch der Bekenner_ auf der anderen Seite der Mauer liegen sollte, befand sich Cheyne in grter Gefahr. Javin wischte sich das Gesicht mit seinem rmel ab, zog sich nach oben aus dem Raum hinaus in das Licht und die Hitze des Tages. _Ich komme zurck, Samor. Ich werde dich nicht da unten liegenlassen, vergessen und unbekannt._ Mit einem Gru und dem Segensgebet des Zauberkreises auf den Lippen wanderte Javin zum Gemeinschaftszelt zurck. Die Fe schmerzten ihn, und sein Herz fhlte sich an, als habe man es in zwei Teile zerrissen. Er stopfte so viel Nahrung, wie er finden konnte, in ein Bndel, nahm einen Wasserschlauch und wollte gerade das Zelt verlassen, als die erste Snfte der Fascini am Ausgrabungsort erschien. Dein Pferd fehlt, und Kifran auch, sagte Muni, der pltzlich vor ihm auftauchte. Bei den Sieben, hast du mich erschreckt, Muni! stie Javin hervor. Wo ist mein Pferd? Oh, ich wei, was du meinst. Kifran, sagst du. Muni, den wirst du nie wiedersehen, aber versuche doch, mein Pferd zu finden. Es wird in Krze sicher in irgendeinem Stall der Fascini stehen. Aber nun mu ich los, mit oder ohne Pferd. Ich ziehe ins Grenzgebiet. Wie kannst du nur denken, du wrdest so eine Reise durchhalten, wo doch noch das Gift in deinem Krper wtet? Ich bitte dich, Javin, la dir deinen Finger vom Heiler amputieren. Die Blutvergiftung ist noch lange nicht vorber, sagte Muni. Es geht schon. Der Schmerz kommt und geht; ich kann mich gut bewegen. Der Arzt hat getan, was er konnte. Ich habe keine Zeit mich von einer Amputation zu erholen. Ich brauche die Hand. Ich mu Cheyne folgen. So hat er also eine bestimmte Richtung eingeschlagen. Das berrascht mich nicht. Muni sah Javin lange Zeit an. Also willst du ihnen die Ausgrabungssttte berlassen? Er wies auf die reich verzierten Snften, die um die letzte Kurve vor dem zerborstenen Gesicht von Caelus Nin kamen. Ich berlasse dir die Ausgrabungssttte, mein Freund. Ich habe keine Wahl. Er ist mein Sohn. Javin lie den Kopf hngen, holte tief Luft und sah dem alten Freund in. die Augen. Muni, ich habe ihn gefunden. Ich habe den Sammler gefunden. Er liegt hinter der Mauer in dem Raum unter dem Marmorblock. Sie drfen uns nicht verjagen. Muni lchelte gelassen und hob die Hand zum Abschiedsgru. Wir werden hier sein, wenn ihr zwei zurckkehrt. Ich brauche ein Pferd. Ist der Heiler noch da? fragte Javin. Nein, aber du kannst ihn noch einholen, antwortete Muni lchelnd. Javin schlpfte durch den Hintereingang des Zeltes und lief zum Flu, so da die Ruinen zwischen ihm und den Snften lagen, und hoffte, da man ihn nicht gesehen hatte. Ich hoffe, du strzt nicht in dein Verderben, mein Freund, sagte Muni zu sich selbst. Ein paar Minuten spter, nach tausend an den verwunderten Heiler gerichteten Entschuldigungen, schwang sich Javin auf den Rcken des alten Pferdes und trabte in Richtung Sumifa. Nachdem er das Lwentor hinter sich gelassen hatte, gab er dem Pferd den Kopf frei. Er zog die Kaffiyeh enger um das Gesicht, versteckte die schmerzende Hand unter seinem Gewand und hoffte, der Heiler wrde nicht in unmittelbarer Nhe der Zitadelle leben. Er hatte nichts zu befrchten. Das uralte Pferd hielt in einer Strae an, die zum belsten Teil der Barca gehren mute und weigerte sich, auch nur einen einzigen Schritt weiterzugehen. Javin stieg ab und blickte in die Richtung der Lden und Huser, um herauszufinden, wo sich das Haus des Heilers befand. Eigentlich hatte er gar keine Zeit dafr, aber er hatte dem Arzt versprochen, das Pferd nach Hause zu bringen und sich in Sumifa ein anderes Tier zu verschaffen. Im dritten Torbogen der Strae wartete eine junge Frau und hielt ihren Arm mit schmerzverzerrtem Gesicht fest. Javin zerrte das Pferd dorthin. Ein blauer Halbmond war mit groben Strichen auf die Tr gezeichnet. Mujida, ich bringe das Pferd des Arztes zurck. Ist sonst niemand daheim? Er lebt allein. Ich warte auch auf ihn. Mein Arm ist gebrochen. Er hat ihn gestern abend geschient, aber er tut heute noch strker weh. Ich brauche etwas gegen die Schmerzen. Man sagte mir, er sei zu den Ausgrbern geritten. Mehr wei ich nicht, erklrte sie mit schwacher Stimme. Wie ist das geschehen, Mujida? Kann dir niemand sonst helfen? fragte Javin und wunderte sich, warum sie nicht einfach etwas von dem schmerzlindernden Shirrir nahm, wie es alle anderen in der Barca taten. Das Mdchen lchelte verzerrt. Wie kann ich jemanden um Linderung bitten, der fr die Schreefa arbeitet, wenn der Arm doch von ihren Leuten gebrochen wurde? Der Heiler wird bald zurck sein. Er wird mir etwas geben, damit ich bald wieder arbeiten kann. Sie hrte sich ein wenig zuversichtlicher an, klang aber wtend. Es ist nur die Schuld der Ausgrber, das kann ich dir verraten. Es ist ungewi, ob mein Mann noch Arbeit bekommt, und auch meine Stellung ist nicht mehr vorhanden, weil der Laden niedergebrannt ist. Der junge, hellhaarige Ausgrber ist mit meiner Arbeitgeberin und einem Trunkenbold, der vorgibt, ein Fhrer zu sein, zum westlichen Erg auf Schatzsuche gegangen. Und mir bleibt nur das. Sie hielt ihm ein kleines, in Bronze gebundenes Buch entgegen. Javin glaubte, seinen Augen nicht trauen zu knnen. Mujida, sagte er mit zitternder Stimme, wo hast du dieses Buch gefunden? Bei einem Kampf fiel es aus dem Bndel des Ausgrbers. Sie waren fort, ehe ich es ihm zurckgeben konnte. Aber es ist wertlos - die Worte sind nicht zu entziffern. Der Heiler mag alte Dinge, und es ist ganz bestimmt sehr alt. Ich werde ihn damit bezahlen. Wenn er je zurckkehrt, fgte sie mimutig hinzu und starrte das alte Pferd an. Bitte - ich mchte es dir abkaufen, und du kannst den Heiler fr seine Mhe entlohnen. Du wirst genug brig behalten, um dich durchzubringen, bis du Arbeit findest. Kurz darauf befand sich das unbezahlbare Buch des Sammlers, das _Heilige Buch der Bekenner_, zum Preis von zweihundert Kohli in Javins Besitz. Ich bitte dich noch um einen Gefallen, Mujida, sagte er. Kannst du mir verraten, wie der Ausgrber und seine Begleiter reisen werden? Vashki wies mit dem Kinn nach Westen. Sie sind Narren. Sie nehmen die alte Karawanenstrae. Du wirst sie nie wiedersehen, und ich sie auch nicht. Aber ich segne dich tausendmal fr deine Grozgigkeit, Muje. Es war mir ein Vergngen, Mujida, erwiderte Javin, verneigte sich und berlie ihr das Pferd. Sicher wrde der Heiler bald auftauchen. Er bog um die Straenecke, setzte sich und ffnete vorsichtig das Buch. Ein greller Sonnenstrahl fiel auf die Seiten und lie die alten Worte vor seinen Augen aufleuchten. Die Buchstaben waren vom Alter verblat und rtlich gefrbt. Aber es war _das Buch_. Er schlo die Augen und begann das Gebet, das den Zauberkreis einst zusammengerufen hatte und es dem Sammler ermglichte, die seltsamen Worte zu lesen. Aber nun gab es niemanden mehr, den er htte rufen knnen, und keine Antwort durchdrang seine Gedanken, um auf den Geist des Buches zu warten. Er ffnete die Augen und las die ersten Worte. Frchte dich nicht. Javin sog die Worte gierig auf, und sein Herz fllte sich vor Freude bis zum berschumen, wie er es zuvor nie erfahren hatte. Er versuchte weiterzulesen, aber die Schrift war wieder unlesbar geworden. Javin schlo das wertvolle Buch und verstaute es ehrfrchtig in seiner Tasche, deren Riemen er mit besonderer Sorgfalt verschnrte. Jetzt mute er ein Pferd finden. Ein Paar grauer Augen folgte ihm aus dem Schatten der dunklen Gasse durch einen Ri in der Mauer, als er zu einem Stall schritt. Der Duft des nachtblhenden Jasmins vermischte sich mit dem Rauch des Feuers und wurde dadurch zu einer Art Weihrauch, der von einem Windhauch ber die Wste getragen wurde. Die Drei Schwestern waren am blassen Morgenhimmel verblichen. Cheyne, der vom nchtlichen Marsch erschpft war, stapfte schlurfend ber eine hohe Dne und berschttete Og, der seine neuen Stiefel ausgezogen hatte und mit den alten Riemensandalen ging, mit einem Sandregen. Wie durch ein Wunder war er nicht ohnmchtig geworden oder tot umgefallen, wie er pausenlos prophezeit hatte, seitdem die kleine Gruppe die Stadt und ihren reichhaltigen, unangetasteten Vorrat an Raqa vor vielen Stunden verlassen hatte. Aber trotz der Verbnde, die Claria angelegt hatte, hinterlie er eine feine Blutspur in dem trockenen Sand. Cheyne verlagerte das Gewicht seines Bndels, das nun bedeutend schwerer wog, da sie vor dem Verlassen der Stadt vielerlei Vorrte mitgenommen hatten. Da nun drei Mnder zu stopfen waren, war zu Cheynes grtem Mifallen nicht genug Geld briggeblieben, um auch nur das armseligste Dromedar zu erstehen. Sie muten zu Fu gehen. Wie weit ist es noch bis zu der Oase, Og? Schon bald ist es heller Tag. Wir brauchen Wasser, sagte Cheyne. Und einen Platz zum Ausruhen, mischte sich Claria ein. Wir drfen uns nicht mitten in der Wste von der Sonne ertappen lassen. Soweit ich mich erinnere, mu sie hinter jenen Felsen liegen, erklrte Og. Soweit du dich erinnerst... Cheyne blieb kurz stehen und lie den kleineren Mann aufholen. Er starrte zum Horizont. Es waren keine Felsen zu sehen. Og, weit du, wo sie sich befindet oder nicht? Natrlich wei ich das. Geht weiter. Es wird hei. Gerade wollte Cheyne widersprechen, als Claria aufgeregt mit der Hand fuchtelte und nach links wies. Da! Ich sehe die Felsen. Kommt schon. Tatschlich, eine niedrige Felsgruppe glnzte hell unter den ersten Strahlen der Morgensonne. Mit frischen Krften liefen sie darauf zu, whrend Og langsam folgte, denn seine Fe bluteten von dem langen Marsch und den neuen Stiefeln sowie dem Mangel an Raqa, dessen war er sich sicher. Die Oase war erst vor kurzem aufgesucht worden, oder, besser gesagt, abgenutzt worden, dachte Cheyne. Zwar gab es reichlich frisches Wasser, aber die vorherigen Reisenden hatten berall auf dem grnen Grasteppich Abflle hinterlassen, und die berreste eines Lagerfeuers hatten den Mittelpunkt einer kleinen Lichtung verkohlt, die im Herzen eines Dattelpalmenhains lag. Vorsichtig legte Claria ihr Bndel in den Eingang einer schmalen Hhle nahe der Quelle und zog ihre Stiefel aus. Dann steckte sie den langen Rock hoch und schritt in das khle, klare Wasser. Sie versank in der wohltuenden Frische und sprte weiches Wassergras unter den mden, wunden Fen. Ihre Haut sog die Feuchtigkeit auf, und der Staub und Schmutz der Wste lsten sich. Cheyne hatte bereits einen Stiefel ausgezogen, als sich Og endlich zu ihnen gesellte. Noch nicht. Warte, whrend ich hineingehe. Wenigstens einer von uns sollte Wache halten, verkndete Og und steuerte auf die Quelle zu, wo Claria eine Stelle entdeckt hatte, die tief genug war, um ihre Schultern im Wasser verschwinden zu lassen. Sie lehnte sich zurck, und ihre langen Locken trieben auf dem Wasser. Bunte Papageien schnatterten in den Palmen ber ihrem Kopf. Warum? fragte Cheyne verrgert. Niemand war zu sehen, nicht einmal irgendwelche Spuren; nur die Vgel zankten sich um die reichhaltig vorhandenen Frchte. Og deutete auf etwas, was halb vergraben im Sand nahe der Feuerstelle lag. Cheyne zog den Stiefel wieder an, ging hinber und zog den kleinen Handfeger hervor, um den Sand zu entfernen. Noch bevor die Borsten den Gegenstand berhrten, erstarrte er, und die Hand verweilte in dieser Bewegung ber einem flachen gelben Schdel mit langen Zhnen und leeren Augenhhlen. Orks, erklrte Og. Verfeindete Stmme, nehme ich an. Die Wyrvils fressen sie auf. Manchmal, wenn sie sie respektieren, wenn sie sie wirklich hassen oder wenn sie ihnen einen guten Kampf liefern, dann behalten sie ihre Kpfe. Sie bauen ihre Tempel aus Knochen. Dieser Bursche war entweder alt oder leicht zu tten. Der Schdel war zu weich, um beim Bau verwendet zu werden, also lieen sie ihn liegen. Siehst du den Bergrcken nrdlich der Felsen? Dort verwandelt sich die Wste in Gerll und Unterholz, und die Wolken, die vorn Meer landeinwrts ziehen, verlieren dort den letzten Regen. Dort beginnt das Gebiet der Wyrvils. Langsam zog Cheyne die Hand zurck; eine Gnsehaut berfiel ihn. Er fand ein Stck Bambus und rollte den Schdel damit in die Bsche. Dann nahm er den kleinen Mann beim rmel und geleitete ihn zur Quelle. Claria aalte sich noch immer im Wasser, nun aber steckten ein paar bunte Papageienfedern in ihrem Haar. Woher kennt ein raqaliebender Vagabund die Kriegsbruche der Orks und wei soviel ber das Wetter, Ogwater? fragte Cheyne. Og lie sich auf dem Gras nieder und steckte die schmerzenden Fe mitsamt Sandalen in die Fluten. Ahhh... Er lehnte sich zurck und schlo genlich die Augen. Og! beharrte Cheyne. Schon gut, antwortete der kleine Mann, dessen Nase wie ein Leuchtfeuer gen Himmel ragte. Ich ... ich war einst ein Musikmagier. Vor langer Zeit. Vor vielen, vielen Jahren. Ich war der Beste. Ich arbeitete in der Zitadelle fr die knigliche Familie. Sie behandelten mich wie einen der ihren. Er schpfte eine Handvoll Wasser und lie es auf den Boden tropfen. Ich konnte es in der Wste regnen lassen. Er lachte leise mit einem Ton des Bedauerns. Ich konnte es in der Wste sogar _schneien_ lassen. Dann verlor ich meinen Ring, wit ihr. Die Steine des Rings halfen mir, die rechten Melodien und Klnge zu finden, damit der Zauber wirkte. Ohne ihn hatte der Fasciniknig keine Verwendung mehr fr mich. Und er verbannte mich vom Hof, als sei ich ein Mitglied der Familie. So nahm ich jede Arbeit an, die ich bekommen konnte, und eines Tages lie ich mich anwerben, um eine Karawane der Mercantos zu begleiten, ehe das Verbot, die Wste zu durchqueren, in Kraft trat. Als wir aus den Bergen zurckkehrten, wurden wir von Wyrvils berfallen, und da ich nichts besa, was sie mir htten rauben knnen, nahmen sie mich gefangen. Was sollte ich tun, auer fr sie zu singen oder zu sterben? Ich sang. Ich war sehr schlecht, aber einer von ihnen - Yob - war beeindruckt. Ich hatte zufllig sein Lieblingstrinklied gewhlt, und er hielt das fr ein Zeichen der Gtter. Man lie mich am Leben. Ich blieb fast ein ganzes Jahr bei diesen Halunken. Als sie einmal diese Oase hier aufsuchten, versetzte ich sie in der Nacht fr ein paar Tage in Schlaf und floh. Yob wachte auf und folgte mir, aber die Stadtwachen trieben ihn fort. Er zog sich ein Stck zurck, wartete eine Weile und entschied dann, da ich es nicht wert war, noch weiterhin ernhrt zu werden. Da er wute, wo ich steckte, konnte er immer wieder dafr sorgen, da ein paar seiner Leute nachts heimlich in die Stadt schlichen, mich suchten und hierher oder zu seiner Wohnstatt schleppten, damit ich fr sie sang, wann immer er es wollte. Meistens bei Hochzeiten oder Begrbnissen; immer die gleichen Lieder. Ogs Stimme versagte mit einem erstickten Schluchzer. Claria war zu ihnen herbergeglitten und lauschte gespannt. Wie hast du deinen Ring verloren, Og? fragte sie leise. Og setzte sich aufrecht hin und wischte sich die Trnen fort. Ich gab ihn ab. An Riolla. Prinz Maceo wre beinahe erstickt, als er einen groen Schluck des fnften seiner zwlf regelmigen Heiltrnke zu sich nahm. Seit jenem rger mit den Juma vor einigen Jahren lie sein Augenlicht immer mehr nach. Aber er war sicher, da es Heilung geben mute. Und wenn er ausreichend Geld hinlegte, konnte er sie sich kaufen - dessen war sich Maceo sicher. Wann? Ich wei nicht, wann. Ich habe dir doch gerade erst einen Antrag gemacht, Riolla. Reicht das nicht? Sind wir denn nicht verlobt? Ich wei, da du noch keinen Namensring hast, aber er wird gerade fr dich angefertigt. Du weit, da wir die Wartezeit deiner Reinwaschung einhalten mssen. Obwohl ich kaum erwarten kann, dich zur Frau zu nehmen, mein Liebling, darf keine Hndlerin in unseren Stand aufgenommen werden, ohne die Zeit des Fastens, die Zeit der Entsagung und die Zeit der Verwandlung auf sich genommen zu haben. Man knnte sie auch die Zeit der Erkenntnis nennen. Und ich mchte vorher gekrnt werden. Das Trauerjahr fr meinen Vater hat gerade erst begonnen. Ich bin der Knig, ja, aber offiziell kann ich die Regierung nicht bernehmen, bis das Jahr vorber ist. Es ist ein bser Anfang, wenn man den Thron besteige, ehe nicht der Vorgnger gebhrend betrauert wurde. Ich habe keine Zeit zum Trauern, mein Lieber, suselte Riolla und zog sich den Schleier ber das Gesicht. Ernste Dinge liegen vor mir. Maceo blickte von seinen Trnken auf, da ihn etwas in ihrer Stimme beunruhigte, Riolla lchelte und begegnete seinem Blick voller Unschuld. Ich mu eine kleine Reise unternehmen, Maceo. Es ist etwas Geschftliches. Wenn ich zurckkehre, mchte ich, da wir sofort heiraten. Maceo legte den Kopf in den Nacken und trufelte sich eine silbrige Flssigkeit in beide Augen, um die Schmerzen zu lindern. Seit Monaten hatte nichts mehr gewirkt. Er war beinahe ruiniert, da er so viele Heiler bezahlen mute, und der Gedanke, da jene glnzende schwarze Perle aus seiner Gegenwart verschwinden wrde, war fast mehr, als er ertragen konnte. Egal, bald wrde er Knig sein. Was das bedeutete? Sollte Riolla ihn wegen eines anderen verlassen, sah er sich verarmt und blind in der Barca und - was am schlimmsten war - verspottet und verlacht. Sie wrden nach einem neuen Knig verlangen, der ber die ntigen Geldmittel verfgte und in der Lage war, Korn zu kaufen. Die Fascini wrden in ihren Snften an ihm vorberziehen, whrend er durch die Straen taumelte. Sie wrden ber seine Kleider lachen und ihm Mnzen zuwerfen. Sogar Claria wrde ihn dann nicht mehr heiraten. Er wurde ein kleines bichen traurig, wenn er an Claria dachte. Sie war so wundervoll gewesen, so ehrlich. Wie schade, da sie nie die Mglichkeit haben wrde, so weit aufzusteigen, da er sie zur Frau nehmen konnte. Sie schien ihn wirklich zu lieben und war so verzweifelt gewesen, als er die Verbindung beendete. Htte sie doch nur einen Namen! Sie verstand die Sache mit Riolla nicht und die, hm, _Notwendigkeit_, die richtige Ehe einzugehen, auch wenn es nicht die beste sein wrde. Schade auch um den Ring. Er htte ihn verlangen sollen, bevor er es ihr mitteilte, denn Clarias Finger schwollen immer an, wenn sie verstrt war. Aber er wrde ihn sich nehmen, wenn er Knig war. Vielleicht konnte er auch Claria wiederbekommen. Der Gedanke heiterte Maceo auf, und er lie noch ein wenig von der Flssigkeit in seine Augen tropfen. Eines Tages wrde er es ihr begreiflich machen ... es war entsetzlich gewesen, mit ihr darber zu reden, und jetzt kam noch dieser rger hinzu. Er schniefte und zwang seine Gedanken zurck zu Riolla. Nun ... ich denke, ich knnte einen Weg finden, die Trauer- und Wartezeit zu verkrzen, da ich ja nun Knig bin, meine Perle, und deine Reinheit hergestellt ist. Er betupfte sich die Augen mit den Fingern und dachte nach. Warum bleibe ich nicht einfach hier und bringe alles in Ordnung? ...und wenn du zurckkommst, heiraten wir. Was fr eine vorzgliche Idee, mein Lieber. Ich kann es kaum erwarten. Du wirst mir treu bleiben, nicht wahr? Ich zhle die Stunden, die wir getrennt sein mssen. Riolla lie die Hand ber die Schneide eines vergoldeten Dolches gleiten, einer von Zwlfen, die die Wnde ihres Schlafzimmers schmckten und im gleichmigen Abstand kreisfrmig um die beiden Gesichter von Nin aufgereiht waren, und ihre Spitzen bildeten Strahlen, wie die der Mittagssonne. Maceo nickte nachdrcklich, obwohl er immer noch nichts sehen konnte. Du hast Riolla den magischen Ring gegeben - dieser machthungrigen, hinterlistigen Dmonin? Riolla, der Schreefa, die meinen Onkel ttete, weil er drei Tage mit dem Schutzgeld im Rckstand war? Claria schlug mit ihrer Hand auf die Wasseroberflche, worauf ein Sprhregen ber Cheyne niederging und eine Woge in Ogs Scho landete. Mge Riollas Zukunft - die Meuchler in meinen Laden schickt, um ihn niederzubrennen - mit zu viel von allem gesegnet werden. Cheyne lchelte niedergeschlagen, da er an seine Begegnungen mit der Schreefa und ihren Handlangem dachte. Bist du vllig verrckt geworden? Clarias goldene Augen funkelten unter den feuchten Lidern. Og stand auf und lie einen stndig wachsenden Haufen Dattelkerne zurck. Ja, das bin ich, schnaubte er. Das war ich immer schon, wenn es um Riolla ging. Er fand eine Aloe, brach ein Blatt ab, rieb sich den Saft auf die Blasen und zog die Sandalen wieder an. Claria scho aus dem Wasser, wrang sich die Rcke aus und schttelte ihre dunkle Mhne. Auf halber Hhe den Hang hinauf fand sie einen sonnenbeschienenen Felsen und setzte sich hin, um sich duftendes l auf die Haut zu reiben, whrend ihre Kleider in der Sonne zu dampfen begannen. Cheyne beobachtete sie und bewunderte, wie sich das Licht auf ihrer Haut brach und wie die bunten Papageienfedern ihre Haarfarbe besser zur Geltung brachten. Wie sich die Luft mit dem wunderbaren Duft nach Bergamotte und Myrrhe fllte, und wie Claria immer wieder die Augen abtupfte, wobei sie das Gesicht von ihnen abwandte. Dann schaute er Og verwundert an. Ich glaube, du solltest es uns besser erklren, Og. Og ruckte. Einverstanden. Claria drehte sich um, da sie seine Erklrung hren wollte, und war bereit, ihn wieder anzufauchen, wenn sie nicht einleuchtend genug klang. Nun, ich habe euch gesagt, da ich ein Musikmagier war. Nun, einst diente Riolla in der Zitadelle... Er hielt inne, als er Claria nach Luft ringen hrte. Ja, Riolla wurde als Sklavin geboren; sie war nicht immer die reichste Frau des Mercantos. Jedenfalls wuchs sie als Gefhrtin eines Fascinikindes auf, einer Tochter des Knigs, und dieses Kind liebte sie so sehr, da es schmollte und die ganze Familie bedrngte, wenn Riolla irgend etwas nicht mitmachen durfte. Als man mich zum Lehrer der Prinzessin bestimmte, um sie in Musik und Tanz zu unterrichten, erlaubte man Riolla, dabei zu sein. Als der alte Knig merkte, da Riolla in diesen Knsten die berlegene war, lie er den Unterricht beenden. Jahre vergingen. Eines Tages, als sie erwachsen war, geriet die Prinzessin in Wut, als sie bemerkte, da ihr Riolla den Geliebten vor der Nase weggeschnappt hatte. Riolla lief fort und suchte mein Haus auf, lud sich ein und bat mich, ihr mehr Magie beizubringen. Ich gestehe, da ich mich auf der Stelle in sie verliebte. Sie war jung und schn - diese herrlichen roten Haare, diese blauen Augen. Und sie konnte singen. Sie schien sich sehr fr Musik zu interessieren, fr die Art und Weise, wie man die richtige Lautstrke fand und sie regulierte, wie man die leisen Stellen herausarbeitete. Ich lehrte sie alles, was ich wute, und dann brachte ich mich dazu, noch mehr zu lernen, um sie weiterzubringen. Jeden Tag liebte ich sie mehr und setzte sogar mein Leben aufs Spiel, sollte der Knig herausfinden, wo sie steckte. Ich wollte sie heiraten und ihr meinen Namen geben. Er ist alt und angesehen, wit ihr, auch wenn ich nicht danach aussehen mag. Eines Morgens, als ich glaubte, ich htte die richtigen Worte gefunden, die Worte, von denen ich annahm, sie wrden mir ihre Liebe versichern, gab ich ihr den Ring. Es ist Brauch, einen Ring zu verschenken, wenn man einen Namen teilen will, erklrte er Cheyne, whrend Claria unbewut an dem Ring herumfingerte, der ihren eigenen Finger zierte. Es handelte sich um meinen kostbarsten Besitz, und ich wollte ihr klarmachen, da mir ihre Liebe noch mehr wert war und ich alles mit ihr teilen wrde. Sie nahm den Ring, gab vor, geehrt zu sein, stimmte meinem Heiratswunsch zu und beteuerte, da wir gemeinsam fr alle Zeiten Zauber wirken wrden. Ich war der glcklichste Mann unter der Sonne. Ich ging, um Bandro zu holen, der zu jener Zeit der Mercanto Schreef war, damit er uns vermhlte. Nun, was geschah? fragte Claria mit gerunzelter Stirn, die sich nicht von Ogs romantischer Geschichte beeinflussen lassen wollte. Og starrte sie an, sein Gesicht erschien bla und leer hinter der gerteten Nase. Als ich zurckkehrte, war sie verschwunden. Alles, was sie besa - und das meiste von dem, was ich besa -, hatte sie mitgenommen. So also ist aus Riolla die Schreefa geworden! sagte Claria mit eisiger Stimme. Ich wute, da sie irgend etwas mit Magie zu tun hat. Sonst htte sich Maceo nicht in sie verliebt. Oh, Maceo, ja. Nun, anfangs benutzte sie Zauberknste. Sie konnte mit dem Ring ein wenig zaubern, aber es gelang ihr nie, die Macht der vier Steine zu beherrschen. Einmal brannte sie ihr Haus nieder und verwandelte einen armen Diener in eine weie Kchenschabe, weil er ihr das falsche Getrnk brachte. Aber zum Schlu brach sie die Steine ab und verteilte sie. Ich hrte zum ersten Mal auf der Strae davon. Sie hatte mit dem ersten Stein ihre Freiheit erkauft, aber sie stahl ihn keine drei Stunden spter zurck. Die brigen Steine verteilte sie, um politische Gunst und Vorrechte zu genieen. Auch die Beherrscher dieser Karawanenstrae bezahlte sie damit. Cheyne unterbrach ihn. Die Beherrscher dieser Karawanenstrae? Warum sollte sie das tun? Ach, es geht darum, da die Anfhrer gewisser Stmme in Almaaz nur Riollas Karawanen ungehindert passieren lassen, denn sonst plndern sie, und schon bald htte Riolla nichts mehr - so wie die vielen Menschen, die sie aus dem Geschft vertrieben hat. Dies ist, nein, es war der krzeste Weg, um Ch'mina nach Sumifa zu bringen. Es wchst hier nicht, nur an Berghngen, und ist der Hauptbestandteil von Bappir. Seitdem der Flu jedes Jahr sechs Monate lang austrocknet, lebt Sumifa davon. Der lange Weg ist so zeitraubend, da die Ware verdirbt, bevor sie die Stadt erreicht. Riolla hat sich auf dem Markt breit gemacht. Sie kaufte es tonnenweise auf, lie es zu einem Mehl verarbeiten, das sich unendlich lange hlt, und lagerte es in jenen groen runden Gebuden, die zwischen dem Mercanto und der Zitadelle liegen. So gelangten nur noch ihre Karawanen hierher, und so, liebe Claria, wurde sie reich. Wie gesagt, sie beherrscht nicht alle vier Steine; das kann nur ich, endete er und verlor sich in den Erinnerungen an eine bessere Zeit, Cheyne sah weg, und sogar Clarias rger ber Og hatte nachgelassen. Der Stein an ihrer Kette - ist er ein Teil des Rings? fragte Cheyne. Ja. Die schwarze Perle von Nadrum, mit der sie sich ihre Freiheit erkaufte. Ihre Magie ist leichter zu benutzen als die der anderen Steine, solange kein genauer Ton bentigt wird. Auf sich allein gestellt, kann die perle fast alles, vom Heilen bis zum Tten, aber das hngt von dem Benutzer ab. Sie ist sehr wechselhaft, die Perle. Wird sie aber zusammen mit den restlichen Steinen benutzt, sorgt sie fr die Batne und die Lautstrke und regelt die Macht, die ich fr meine Sprche bentige. Selbst wenn alle Steine des Rings wieder vereint wrden, knnte sie Riolla wegen der dunklen, verwirrenden Klnge der Perle nicht nutzen. Sie rauben viel Kraft. Noch tagelang, nachdem man sie allein angewandt hat, hat man bse Trume und Schmerzen. Trume von Smpfen und schmutzigen, ekelhaften Orten. Sehr unangenehm, sagte Og und rmpfte die Nase. Eine Weile dachte Cheyne ber Ogs Geschichte nach. Eines wute er: Riollas Karawanenstrae war seit vielen Jahren geschlossen. Egal, wieviel Ch'mina sie in die Stadt gebracht und dort gelagert hatte, langsam mute sich der Vorrat dem Ende zuneigen. Gedankenverloren zog Cheyne Stiefel und Tunika aus und lie sich in das khle Wasser gleiten. Obwohl Claria es gar nicht wollte, konnte sie nicht umhin zu bemerken, wie das Wasser und das Sonnenlicht auf dem muskulsen Krper spielten. Og? fragte Cheyne mit trumerischem Blick. Ja? Og, wer hat die Steine? Lchelnd dachte der kleine Mann nach. Soviel ich wei... Er grinste breit. Was? fragte Cheyne energisch, da er pltzlich einen Verdacht hegte, weshalb Og diese Strecke gewhlt hatte. Er strich sich das nasse blonde Haar aus seiner Stirn und schlug nach einer beharrlichen Stechmcke. Nun, einst besaen die Selkies einen Stein, der frher Drufalden gehrte, und die Elfen - ja, die Elfen - sie haben den Feuerbann, den sie aber durch einen der ihren erhielten, der sich als Verrter erwies. Riolla machte ein Geschft wegen des Ch'mina mit ihm, und er benutzte den Stein, um die Ernte zu vernichten, die anderen Hndlern versprochen war. Ich glaube, er hie Shalikre, aber er ist jetzt tot, und die Elfen wenden den Feuerbann nur an, um zu heilen. Und der Wyrvilherrscher hat einen, den Ajada. Og grinste verlegen. Wir knnten dorthin gehen, dann knntet ihr ihn mit eigenen Augen sehen. Der Herrscher, dessen Name Rotapan ist - auf orkisch heit das Ein-Lippe, aber das drft ihr nie, nie sagen - lie daraus einen Stab anfertigen. Niemals verlt er seinen Tempel, der brigens ein Ort ist, den man wirklich gesehen haben mu. Er kann ein oder zwei Dinge mit dem Ajada tun, aber nichts wirklich Wichtiges. Nichts, was uns schaden kann. Oh, und ich habe gehrt, da er ihn sogar vor Schlangengift schtzt. Claria durchkmmte ihr Haar mit ihren Fingern, das in der heien Sonne schnell trocknete. Wrde sich das Gift auch auf einen Orkspeer legen lassen knnen? fragte sie ausdruckslos und mit einem Gesicht, das vor Angst starr und wei war. Ich wei nicht, antwortete Og. Warum fragst du, Claria? mischte sich Cheyne ein, der dann wtend unter Wasser tauchte, um einem Insekt zu entgehen. Die Antwort verfehlte seinen Kopf und bohrte sich in den Stamm einer Dattelpalme, die auf der anderen Seite der Quelle stand, jagte die Papageien in wilder Flucht davon und lie einen Dattelregen auf Ogs ungeschtzten Kopf niedergehen. Oh. Warum hast du das nicht gleich gesagt, prustete Cheyne, als er wieder auftauchte. ~KAPITEL 8 Das gehrte aber nicht zu unserer Abmachung, Og. Du solltest mich in den Wald von Sarrazan bringen, aber nicht unter eine Gruppe kriegerischer Orks. Auerdem solltest du Wache stehen. Was ist passiert? murmelte Cheyne leise, whrend er an den Stricken zerrte. Ich war traurig. Das ganze Gerede ber Riolla. Jedesmal, wenn ich an sie denke, scheint alles noch einmal zu geschehen. Auerdem sind wir noch nicht tot, und er fhlt sich wohl nicht bedroht genug, um es nachzuholen. Der Anfhrer ist Yob, ein Wyrvilhuptling. Er lebt nicht weit von hier. Die beiden, an deren Grteln die Kpfe hngen, gehren zu Rotapan. Siehst du die Kerben in ihren Ohren? In den Ohren der Orks, nicht der Menschen. Rotapan beit sie ihnen hinein, wenn sie in seinen Dienst treten. Yob trgt die vollstndige Kampfkleidung; er ist viel zu aufgetakelt fr einen gewhnlichen Jagdausflug. Wahrscheinlich gehen sie alle zum Tempel ... vierteljhrliche Zahlungen oder so etwas. Das knnte sich gut fr uns entwickeln, wenn ich mich an ein paar Lieder erinnere. Dann bringen sie uns genau dorthin, wo wir hin mssen. Du meinst wohl, wohin du willst, knurrte Cheyne, dessen groer Finger schon zum vierten Mal mit demselben Knoten kmpften. Og drehte Cheyne, so gut es ging, das Gesicht zu. Sieh mal, mein Freund, es sieht folgendermaen aus: Rotapan hat den Ajada. Ich mu die Steine zurckhaben, sonst kannst auch du nicht an den Ort, an den du mchtest. Und zurckgehen kannst du auch nicht, denn - falls du dich erinnerst - nach deinem Kopf wird gefahndet. Bleib ruhig. Spare deine Kraft auf. Das Fesseln ist blo eine uerlichkeit fr Yob. Es beeindruckt die anderen und gibt ihm Gelegenheit zum Nachdenken, obwohl das den ganzen Tag dauern kann. Aber du sollst wissen, da es mir sehr leid tut. Da ich euch hintergangen habe, meine ich. Og schwieg, von der langen Rede erschpft. Es war mehr, als Claria aushalten konnte. Oh, schon wieder entschuldigt sich ein Mann und denkt, damit wre alles in Ordnung, fauchte sie ihn an. Es tut mir so leid, Claria, da ich dich in Schwierigkeiten gebracht habe. Es tut mir so leid, Claria, da ich nicht besser gewacht habe und verlangte, da wir den gefhrlichsten Weg gehen sollten. Es tut mir so leid, Claria, aber es kann nicht sein. In all den wichtigen Dingen liegen wir zu weit auseinander. He! Das ist meine Hand, die du jetzt anfat. Tut mir leid, tut mir leid, murmelte Cheyne. Dann setzte er sich aufrecht hin, holte tief Luft und erwischte den hartnckigen Knoten. Das ist das letzte Mal, da ich mich frs Entschuldigen entschuldige. Claria, ich versuche nur, uns zu befreien. Die Unannehmlichkeit, da ich dich berhre oder du mich, besteht nur vorbergehend, das versichere ich dir. Jetzt halte bitte dieses Ende - gut. Danke. Cheyne lste den Knoten mit einem festen Zerren. Bleib still sitzen. Wir sind frei, und du willst, da wir hier sitzen bleiben? murrte sie. Bitte. Ich will nicht an deinen beachtlichen kmpferischen Fhigkeiten zweifeln, aber denke daran: Sie sind zwlf und wir nur drei, und einer von uns ist lahm. Sie haben Speere und jetzt auch noch unsere Dolche. Soll Og mit ihnen sprechen. Spiel einfach mit. Auerdem ist jeder von ihnen doppelt so gro wie du, Claria. Wahrscheinlich hast du die Kpfe nicht gesehen, die an ihren Grteln baumeln. Da kommen sie. Og, du kennst sie, also rede mit ihnen. Und sieh zu, da wir am Leben bleiben, klar? Natrlich, sagte Og und bte sich in seinem freundlichsten Tonfall. Nimm dein Stichwort auf, wenn ich es dir gebe; mach etwas Aufsehenerregendes, wenn mglich. Der Ork, den Cheyne fr den Anfhrer hielt, schlenderte auf sie zu, blieb stehen und schnffelte. Og. Du warst lange fort. Meine Tochter weint jede Nacht um dich. Du bist der einzige Mensch, den sie nicht vergit. Du hast nicht einmal Auf Wiedersehen gesagt. Vielleicht vermit du sie auch? Bist du deshalb zurck in meine Wste gekommen? Die breiten Zhne des Orks schlugen aufeinander, whrend er sprach, und zwei oder drei Fliegen flogen ihm in den Mund, wo sie sich sehr heimisch zu fhlen schienen. Cheyne hatte keine Ahnung, ob er lchelte oder nicht. Claria, fr die die Anspannung zu gro wurde, brach bei der Erwhnung einer liebeskranken Tochter in nervses Gekicher aus und wandte den Kopf, um es zu ersticken und um dem Geruch des Orks auszuweichen, der genauso stank wie das Schlachthaus der Barca an einem geschftigen Tag. Womba geht es hoffentlich gut. Og lchelte gewinnend. Ich habe oft an sie gedacht. Um bei der Wahrheit zu bleiben, Yob, wir sind nur auf der Durchreise und werden dir die Ehre erweisen, uns zum Grenzgebiet zu begleiten. Cheyne mute zugeben, da in der Stimme des kleinen Mannes eine gewisse Macht lag. Der Ork zerquetschte ihnen auch nicht die Kpfe, wie man es angesichts einer solchen Forderung erwartet hatte. Trotzdem fragte er sich, ob es so eine gute Idee gewesen war, Og reden zu lassen. Yob kratzte sich am Kopf und versuchte, Ogs Antwort einzuordnen und herauszufinden, welcher Vorteil fr ihn dabei heraussprang und wer hier eigentlich das Sagen hatte, Du bringst meinen Kopf immer zum Schmerzen, Og. Das hatte ich schon ganz vergessen. Jetzt mut du fr uns singen. Die anderen Orks hoben die Speere und jubelten laut. Sieht so aus, als gefiele ihnen der Gedanke, Og, neckte ihn Claria. Alle Ideen gefallen ihnen. Deshalb ist Yob der Anfhrer. Er hat Ideen, erwiderte Og mimutig. Ich schlage dir einen Handel vor, Yob. Ein Lied auf unsere Freilassung und unser Wohlbefinden. Und vielleicht hast du eine Flasche... Og! warnte ihn Cheyne. Spter vielleicht. Aber ich werde jetzt gleich ein bichen fr dich zaubern. Og warf Cheyne einen abflligen Blick zu und begann leise zu summen. Eine sanfte, beinahe klanglose Melodie, die Cheyne unter die Haut ging und ihn unruhig machte. Auch Claria rutschte hin und her. Dann sprang Og auf, hpfte zweimal aus dem Stand in Luft, hielt die Hnde hoch und grinste breit. Yob wich zurck, als habe man ihn gestochen; seine gelben Augen waren weit aufgerissen. Bevor jemand etwas tun konnte, brach er in drhnendes Gelchter aus, und die Zahn- und Knochenketten, die ber seiner Brust baumelten, schwangen hin und her und spielten ihre eigene, seltsame Musik. Gut gemacht, Og. Finde ich sehr gut. Ha! Er beruhigte sich wieder. Mach noch was. Og pfiff ein wenig vor sich hin, drehte sich und sprang in die Hhe; die geschundenen Fe schienen vollstndig vergessen zu sein. Er schlug Saltos und Purzelbume, gab vor, zu fallen und fing sich im letzten Augenblick wieder. Er fand den Schdel, den Cheyne beiseite gerollt hatte, und ein paar Schienbeine, mit denen er jonglierte. Die Orks sanken lachend zu Boden und legten ihre Speere nieder. Was macht er denn jetzt? fragte Claria, deren Arme schmerzten, da sie sie krampfhaft auf dem Rcken hielt. Ich wei nicht so genau, antwortete Cheyne, der ebenso herzhaft lachte wie die Orks. Aber er hat sie verzaubert. Er ist dabei ebenso gut wie du es whrend des Kampfes in der Stadt warst. Ich wollte es dir schon frher sagen: Danke fr deine Hilfe. Wo hast du die alten Juma-Bewegungen gelernt? Was weit denn du ber die Juma? fragte ihn Claria. Nur das, was ich an der Universitt gelernt habe, erklrte Cheyne und fragte sich, was er jetzt wieder falsch gemacht hatte. Dann mtest du wissen, da es heute keine Juma mehr gibt, erwiderte sie eisig. Nach langem Schweigen versuchte es Cheyne mit einem anderen Thema. Erzhle mir von Maceo. Maceo! Warum willst du das wissen? zischte Claria wtend. Ist er dein Geliebter? Bitte prfe deine Stricke, sagte Cheyne und beugte sich ber sie, um Og nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn du es unbedingt wissen willst: Er war mein Verlobter. Aber jetzt nicht mehr. Da er bald zum Knig gekrnt wird, hat er einen Heiratsantrag Riollas angenommen. Er hat es mir erzhlt, kurz bevor ihr in den Laden gekommen seid. Mge ihre Haut leuchten ... wenn sie Gift schluckt. Auerdem ist es mir vllig gleichgltig, vielen Dank, Claria tastete nach den abgestreiften Fesseln. Als sie nichts finden konnte, drehte sie sich um und traf mit der Nase gegen Cheynes Wange. Autsch. Glaubst du etwa, da er wirklich zaubern kann? Wieso denkst du berhaupt an Maceo? flsterte sie, whrend ihr Gesicht eng an Cheynes stoppeliger Haut gedrckt war. Cheyne lchelte und geno das wrzige Parfm und die weiche Haut. Ich dachte an ihn, weil ich wissen mchte, wer meine Feinde und wer meine Freunde sind. Hr nur. Als seine Zuschauer vllig gebannt waren, stimmte Og ein Lied an. Zumindest schien es einmal ein Lied gewesen zu sein, dachte Cheyne enttuscht. Solange Og nicht versuchte, klangvoll zu singen, klappte es ganz gut, aber seine Stimme war - wie jedes Instrument, das der gnadenlosen Wstenluft und dem Wetter berlassen wurde oder im Raqa versank - abgenutzt und brchig geworden. Mit jeder Strophe - und das Lied hatte zweiundzwanzig - entfernte sich Og immer mehr von der Melodie. Zum Schlu herrschte wenig Unterschied zwischen seiner Stimme und dem Krchzen der Baumfrsche im Tmpel. Cheyne bi die Zhne zusammen, und Claria hatte den Kopf zwischen ihre Knie gesteckt, um ihre Ohren zu bedecken. Die Orks klatschten heftig Beifall; einige hatten Trnen in den Augen. Og verneigte sich tief und berhrte mit der Nase den Boden. Jetzt das Finale! Er warf Cheyne einen schnellen Blick zu, der daraufhin rckte. Ich werde die Fesseln meiner Gefhrten vor euren Augen lsen. Eine wahrhaft groe Zaubertat, da ihr sie selbst gebunden habt und die Strke der Fesseln kennt. Og warf den Kopf zurck und stie einen wilden Schrei aus, der langsam versiegte. Cheyne nahm die Gelegenheit wahr, packte Claria und stellte sie mit einer groartigen, weit ausholenden Geste auf ihre Beine. Er wirbelte sie an der Hand herum, so da ihr Haar wie eine glnzende, dunkle Flut um sie beide herumflog; die bunten Bnder tanzten durch die Luft. Den Orks gefiel das. Sie grlten und schlugen auf den Boden, spuckten einander an und klatschten Beifall. Cheyne setzte Claria wieder ab und fand, die Zeit wre gnstig fr eine Flucht. Aber Og hielt noch immer den Ton an. Er griff sich an die Kehle, um das unhrbare Lied zu beenden, und Yob warf ihm vor Begeisterung Pilze zu, die auf seinen Schultern sprossen, whrend zwei der Krieger schon blau im Gesicht wurden, da sie vor Lachen nicht mehr Luft holen konnten. Und Womba erschien. Die Krieger von Yobs wilder Truppe stieen bei ihrem unerwarteten Auftauchen einen gemeinsamen Seufzer des Entzckens aus, aber Cheyne fhlte groes Mitleid mit Og, obwohl er ihn noch vor kurzem verachtet hatte. Verwirrt und verschlafen schttelte sich Womba und traute ihren kleinen gelben Augen nicht. Das breite Gesicht war mit Lehmflecken bedeckt, das struppige schwarze Haar fiel in unregelmigen, abgehackten Strhnen ber die Augenbrauen. Sie ghnte laut und entblte ein vollstndiges Gebi rotfleckiger Zhne, wobei ihre Unterlippe sich unter einem Reizahn verfing. Das Gesicht wurde von spitzen Ohren, die am Rand durchstochen waren und in denen Zhne und Knochenstcke hingen, eingerahmt. Sie trug eine Tunika aus heller Ghomahaut, deren lederne Schuppen im grellen Tageslicht violett und orangefarben glnzten. Womba! krchzte Og entsetzt, der jetzt endlich den Ton losgelassen hatte. Yobs Tochter spitzte die Ohren beim Klang ihres Namens und erwachte vollstndig. Instinktiv versuchten Cheyne und Claria, Og unter einen Busch zu schieben, aber Womba hatte ihn bereits gesehen. Sie brllte triumphierend, rannte auf ihn zu, hob ihn hoch und drckte ihn in einer tdlichen Umklammerung an ihre schuppige Brust. Stell ihn wieder hin! rief Claria. Womba blinzelte schwach, bis sie die Herkunft der Stimme entdeckte. Dann wandte sie sich um, den immer noch um sich schlagenden Og in den Armen, dessen Erstickung fortschritt, und stapfte zu Claria hinber. Er gehrt mir. Du kriegst ihn nicht. Es ist meiner, schnaubte sie und deutete mit einem ihrer schmutzigen Fingerngel auf das Mdchen, whrend sie sich Og unter den Arm klemmte. Setz ihn hin, mein Dickerchen, knurrte Yob und pflckte sich die welken Pilze von den Armen, deren Wuchs ihn nicht zu beeindrucken schien. Ich glaube, da ich ihnen versprochen habe, sie ber das Erg zu fhren, damit ich das Lied meines besten Kampfes hren konnte. Beinahe hatte ich die Worte ber meinen Mut vergessen. Niemand singt besser als Og. Auerdem bringst du ihn um. Ich sagte dir doch, du sollst vorsichtig sein, sie sterben so leicht. Enttuscht lockerte Womba ihren Griff, und Og fiel bewutlos vor ihre schuppigen, warzenbedeckten Fe. Cheyne sprang vor und richtete den kleinen Mann auf, der allmhlich wieder zu sich kam. Was ist geschehen? sagte Og heiser. Oh, ich glaube, das wirst du bald merken. Geht es dir besser? fragte Cheyne, zupfte Og die orangenen Schuppen aus den Haaren und beobachtete die ruhelosen Orks. Sie hatten erneut ihre Speere ergriffen. Die Mglichkeit zur Flucht bestand nicht mehr. Ich denke, wir werden euch zu Rotapan bringen, Og. Er ist klug genug, um deine Worte zu entrtseln. Wir brechen jetzt auf, verkndete Yob und legte die knorrige Hand ber das Gesicht seiner Tochter. Anscheinend hatte sie seine mahnenden Worte bereits wieder vergessen. Durch die gespreizten Finger ihres Vaters starrte sie Og sehnschtig an und begann zu jammern. Entmutigt wandte sich Cheyne an Og. Sieht so aus, als bekommst du das, was du wolltest, Og. Og zuckte mit den Schultern und hielt die knochigen Hnde in gespielter Unschuld hoch, was ihm aber nicht berzeugend gelang. Blo ein kleiner Umweg deiner Reise. Sie knnen uns sicher ber das Erg bringen. Wird auch nicht lange dauern und kann uns im Endeffekt sogar Zeit einsparen. Was htten wir auch sonst fr eine Wahl? Javins Mund fhlte sich wie Watte an. In der Dunkelheit suchte er sich einen Weg ber das Erg; die Drei Schwestern erleuchteten seinen Pfad und fhrten ihn nach Westen. In Sumifa hatte er weder ein Pferd noch ein Dromedar kaufen knnen. Jedenfalls wollte man ihm keines verkaufen. In jedem Stall erhielt er die gleiche Antwort: Heute haben wir nichts dabei. Dann herrschte Schweigen, und die Stallburschen schlugen die Augen nieder. Es schien, als htte man ihn erwartet. Die Ninniten waren natrlich vor ihm dagewesen. Weit vor ihm schtzte Riolla ihre Augen vor dem hellen Licht des nahenden Morgens. Jahre waren seit ihrer Kindheit, seitdem sie sich dem vollen Tageslicht ausgesetzt hatte, vergangen. Die Fascini gingen nicht vor dem Sptnachmittag aus und nur, wenn sie vollstndig bedeckt waren. Sumifas Edelleute waren sehr bla, und Riolla verzog das Gesicht, als sie sprte, wie die Sonne durch den dnnen Baldachin der Snfte drang. Sie entrollte die Karte, um nach Besonderheiten und nach der Richtung zu sehen, aber bis sie zur Oase kamen, mute sie darauf hoffen, da die Sklaven den Weg fanden. Riolla rmpfte die Nase und warf einen Blick auf Saelin, der auf der anderen Seite der Snfte vor sich hin dste. Er schnarchte leise und hielt das lange, gebogene Messer in der einen und das Schwert in der anderen Hand. Sie hatte den Meuchler in die Snfte lassen mssen, als offensichtlich wurde, da er nicht mit den drahtigen Neffianern Schritt halten konnte. Sie suchte den Horizont ab, um nach Og und seinen Freunden Ausschau zu halten, dann sphte sie nach hinten, um unwillkommene Verfolger zu entdecken. Sie sah Javin nicht. Und Javin sah die Neffianerin nicht. Javin hat die Ruine verlassen, wahrscheinlich, um seinen Sohn zu suchen. Er ist verwundet und wird nicht lange durchhalten. Caelus Nin selbst hat uns eine vollkommene Glcksstrhne gesandt, Raptor. Der Junge ist seinem Vater entflohen und reist in der Gesellschaft zweier Schatzjger zum Grenzgebiet. Er wird die Uhr finden und sich dir geradezu anbieten, da er ohne Javins Schutz dasteht. Die aufgeregte Stimme verstummte. Du berichtest mir, da es dir nicht gelungen ist, den letzten Magier des Zauberkreises zu tten, flsterte der Raptor. Das gefllt mir nicht, Kifran. Fr so eine Nachlssigkeit habe ich dich nicht bezahlt. Ich versetzte Javin in einen Traumzustand und rief den Skorpion. War es zuviel verlangt, da du bei ihm bleibst, bis er tot ist? Jetzt wei er zuviel. Raptor, der Wassertrger kam, um die Krge fllen, ehe ich sichergehen konnte, da es vorbei ist. Ich mute dann nach Hilfe rufen, sonst htten sie mich auf der Stelle gettet. Der groe Vorarbeiter kann gut mit dem Messer umgehen. Kifran suchte nach Worten, fand aber keine mehr. Der Raptor winkte dem groen, vermummten Wchter an der Tr. Natrlich. Das kann er. Kifran, der glaubte, entlassen zu sein, verneigte sich tief und war dankbar, mit dem Leben davonzukommen. Aber das knnen andere auch... Kifran sprte nicht einmal, wie der Dolch des Wchters in seine Kehle drang und die Zunge an den Gaumen nagelte. Du weit, was zu tun ist, Naruq. Ich halte Wache, flsterte der Raptor. Der Mann nickte, zog den Dolch aus der Wunde und wischte ihn am Umhang des Krpers ab, der auf den Boden sackte. Der Meuchler legte die Klinge wieder in die Falte seines Umhangs und ging hinaus. Die Sonne erschien ber den Dnen hinter ihm, als Javin das letzte Wasser aus dem Schlauch zu sich nahm. Er sah zu den Drei Schwestern auf, die am Osthimmel schon fast verblat waren und hoffte, da ihn seine Erinnerungen an die Karawanenstrae nicht trogen. Es waren seitdem zehn Jahre vergangen, aber frher hatte er die Strecke gut gekannt. Seine Hand schmerzte, und das Feuer des Skorpionstichs fuhr den ganzen Arm hinauf; die Fingerknchel waren bis zur Unbeweglichkeit angeschwollen. Die ganze Nacht hatte der Wind stark geweht, aber wenigstens jetzt hatte er ihn im Rcken. Bald wrde die Sonne hoch am Himmel stehen; er mute sich beeilen, die Hhlen zu finden. Noch ein oder zwei Meilen, und er konnte die frische Quelle und den Schatten der Dattelpalmen genieen, um vor der schlimmsten Tageshitze geschtzt zu sein. Fnfzig Schritt vor der Oase brach er zusammen. Der Neffianer holte ihn innerhalb weniger Sekunden ein und warf ihn sich ber die breiten Schultern. Mit gebten Schritten begab er sich in den Schatten der Palmen. Setzt mich hier ab. Vorsichtig! Riolla verzog unwillig die Lippen, als die Sklaven die Snfte auf den dicken Moosteppich nahe der kleinen Quelle niederlieen. Sie trat auf den grnen Untergrund und lchelte erfreut. Saelin, wach auf! Wir sind da. Die Mnner mssen ausruhen. Und ich bin von dieser Reise so erschpft, da ich einen khlen dunklen Platz finden mu, wo ich mich fr den Rest des Tages hinlegen kann. Sie schritt zur Quelle hinber und wartete darauf, da die Neffianer ein Tuch auf dem Boden ausbreiteten. Als sie ihre Waschungen beendet hatte, war Saelin aufgewacht und stand ghnend und sich reckend neben der Snfte. Wunderbarste aller Frauen, du hast uns ins Paradies gefhrt, sagte er heiser und starrte auf ein Bndel Datteln, das hoch oben an einer Palme hing. Klettere hinauf, Sklave, und hole mir die Datteln. Ich warte. Er winkte einem der Neffianer. Dieser verneigte sich, gehorchte aber nicht. Er geht nur dahin, wohin ich ihn schicke, Saelin. Genau wie du. Und ich hasse Datteln, sagte Riolla. Die Sklaven verteilten Bappir, Kse, einen Weinschlauch und ein paar Orangen. Riolla lud Saelin nicht ein, ihr Gesellschaft zu leisten. Du kannst bei dem Felsen Wache halten. Natrlich, Schreefa, antwortete Saelin untertnig und mit breitem Lcheln, aber sein linkes Augenlid zuckte vor Wut, und sein Magen knurrte laut. Er setzte sich an den Rand der Oase, schaute nach Westen und versuchte, sich zu entspannen. Aber er war so hungrig, da er nicht einschlafen konnte. Statt dessen ging er auf dem flachen Felsen ber der Quelle hin und her und dachte daran, wie er den jungen Ausgrber aus dem Weg schaffen konnte, der ihm schon einmal entkommen war. Zwei rotschwnzige Papageien tummelten sich in der Palme, die Saelin vorhin auserkoren hatte. Eifrig vertilgten sie jede einzelne Frucht, whrend Saelin sie neidisch beobachtete. Er warf einen Stein nach ihnen, aber sie lieen sich nicht ungestraft beleidigen, und das Weibchen flatterte mit wild schlagenden Flgeln und drohendem Kreischen um seinen Kopf herum, whrend ihr Gefhrte ihn mit Kot beschmutzte. Er wich einer weiteren Ladung aus, fiel gegen die Felswand und tastete blindlings nach etwas, was er nach dem wtenden Vogel htte werfen knnen. Vorsichtig suchte er in einer kleinen Felsspalte, fand aber nichts. Nichts - auer Clarias kleiner Uhr. Die Papageien und seinen Hunger vergessend, kauerte sich Saelin neben den Felsen und zog das kleine Bndel heraus. Er nahm den Dolch, zerschnitt die festgeschnrten Leinenhllen und hatte schon bald die kleine Musikuhr vor den staunenden Augen, die in der Wstensonne funkelte. Vorsichtig befhlte Saelin die feinen Goldarbeiten der winzigen Zeiger, wickelte dann den Zeitmesser wieder ein und stopfte ihn in eine der tiefen Taschen seines Gewandes. Riolla wrde einen hohen Preis fr dieses kleine Schmuckstck zahlen. Aber er mute es ihr zum richtigen Zeitpunkt verkaufen... Saelin zhlte bereits seine Kohli, als er im khlen Schatten der Felsen endlich einschlief. Das Kreischen der Papageien folgte ihm in seine Trume. Befriedigt beendete Riolla ihre Mahlzeit, da die Nachwirkungen der schwarzen Perle verschwunden waren und wanderte zu den Hhlen hinber. Sie war schon einmal entlang dieser Strae gereist, vor vielen Jahren, mit einer Karawane, aber noch nie hatte sie sich die Zeit genommen, die schtzenden Felsen der Oase zu erkunden. Nicht, da sie an Erkundigungen Spa gehabt htte, aber heute suchte sie nach einem dunklen Ort, frei von Hitze und Sonne, und die Felsgruppe ber der Quelle schien dafr am besten geeignet zu sein. Du da. Sie winkte einem Sklaven, der sich gerade zum ersten Mal seit Stunden hingesetzt hatte. Geh dort hinauf und schau dich um. Sieh nach, ob es hier sicher ist. Sie deutete auf die Hhlen. Der Sklave stand auf, ein wenig steifbeinig, und versteckte den Schmerz und die Mdigkeit hinter einer sorgsam ausdruckslosen Maske. Er kletterte die Felsen empor bis zur ersten ffnung. Ungeduldig wartete Riolla, die weder das niedergetretene Gras noch den zerbrochenen gelben Orkschdel bemerkte, der nur wenige Zoll von ihren Fen entfernt lag. Der Sklave zwngte sich durch die schmale ffnung und verschwand. Er hatte erwartet, von vlliger Dunkelheit verschluckt zu werden, fand sich aber statt dessen in einer hell erleuchteten Hhle wieder. Durch eine andere ffnung, die weiter oben lag, drang ein Sonnenstrahl und erhellte den Weg. Und ein paar frische Fuspuren. Gespannt wischte er die zerrissenen, staubigen Spinnweben fort und schlich leise den engen, ausgetretenen Pfad entlang. Der Weg fhrte um eine Kurve, er schlich leise nach rechts und wagte kaum zu atmen. Ein paar graue Augen und eine Machete erwarteten ihn. Doulos! rief der Sklave berrascht, senkte aber sofort die Stimme. Hast du mich erschreckt! Was tust du hier? Hat dich dein Herr fortgejagt? Wirst du gesucht? Ist er hinter dir her? Der Neffianer lie sich gegen die khlen Steine sinken. Sei leise, Ghazi. Ja, ich bin wieder fortgelaufen. Der Herr wei es nicht. Vielleicht wei er es inzwischen. Einer weniger zu fttern, jetzt wo das Mehl alle ist. Dies ist das letzte Mal, Ghazi, er hat geschworen, mich zu tten, wenn ich noch einmal weglaufe. Doulos legte das Messer beiseite. Aber diesmal suche ich nicht blo nach meinem Bruder Rafek, diesmal gibt es noch einen anderen Grund. Sieh nur, was ich gefunden habe. Doulos wies auf eine Ecke, wo ein Mann am Boden lag. Wer ist das? fragte Ghazi mit zusammengekniffenen Augen. Einer der Ausgrber. Er hat Fieber. Ich folgte ihm aus der Stadt und nahm sein Messer an mich. Ghazi, er gehrt zum Zauberkreis. Er ist der, von dem die Jumageschichten berichten. Unglubig schttelte Ghazi den Kopf, beugte sich dann aber vor, um hinter das Ohr des Mannes zu schauen, wo der kleine blaue Kreis einttowiert war. Lange Zeit verharrte Ghazi voller Staunen, dann sagte er mit mitleidiger Stimme: Du bildest dir das ein, was wir alle uns so sehr wnschen, mein Freund. Die Juma gibt es nicht mehr, Doulos. Der Traum verschwand mit ihnen. Wie fhlst du dich eigentlich? Hast du noch immer diese fruchtbaren Kopfschmerzen? Hast du immer noch Visionen? Doulos seufzte und hielt die Hnde hoch. Du siehst das Zeichen und glaubst es nicht? Ich wei, was die anderen immer ber mich geredet haben, Ghazi. Aber hier hast du es vor dir; es ist keine Vision. Ghazi wollte antworten, hielt aber inne, als er Riolla drauen rufen hrte, die eine Antwort erwartete. Sie ruft. Ich glaube, wir jagen jemanden, aber ich wei nicht, wen. Ein schbiger Meuchler reist mit uns, und wir sind vier Trger. Weit du, da dieser Platz jetzt den Orks gehrt? Vor kurzem ist eine grere Gruppe hier gewesen, sei vorsichtig. Bleibe versteckt. Ich habe dich nie gesehen. Geh heim, Doulos. berla diesen armen Mann seinem Schicksal. Vielleicht ttet Maceo dich nicht. Sicherlich wei er von deinen Schwierigkeiten und Schmerzen. Lchelnd schttelte Doulos den Kopf und erhob die Hand zum Abschiedsgru. Was hat sich der Prinz je um die Schmerzen eines anderen gekmmert? Vor allen um die eines Sklaven. Schwre mir, da du uns nicht an die Schreefa verrtst. Ghazi nickte und erwiderte den Gru, dann kroch er aus der Hhle. Verehrte Schreefa, die Hhlen sind staubig und voller Ungeziefer, verkndete er mit ausdrucksloser Stimme. Im Innern der Hhle lchelte Doulos und schwor, das Kompliment eines Tages zu erwidern. Riolla verzog angewidert das Gesicht und ging zur Snfte zurck, um sich unter den Baldachin zu legen. Als die Nacht hereinbrach, weckten die Neffianer Saelin und nahmen ihre Tragestellungen ein. Dann zogen sie nach Westen, dem steifen Wind und den Dnen entgegen. Als er sicher war, da sie verschwunden waren, ging Doulos zum Hhleneingang und sah in den friedlichen Abend hinaus. Die Drei Schwestern standen bereits hoch am Himmel. Es war an der Zeit zu gehen. Doulos schlich zu Javin hinber. Jetzt schienen die Sterne durch den Felsspalt, die fr beinahe ebenso viel Licht sorgten wie die Sonne. Neben Javins gesunder Hand glitzerte etwas. Neugierig griff Doulos danach und hielt ein altes Buch in Hnden. Vorsichtig ffnete er es, um Javin nicht aufzuwecken. Die alten Seiten, die bla im Sternenlicht leuchteten, standen steil in die Hhe und wiegten sich unter seinem Atem. Als er den Buchstaben folgte, knitterten sie unter dem Druck des Fingers ein wenig. Er seufzte enttuscht; die Worte waren zu verschwommen, als da er sie htte lesen knnen. Die Sprache war ihm unbekannt. In diesem Augenblick bewegte sich Javin im Schlaf. Schnell schlo Doulos das Buch und legte es zurck, ohne zu bemerken, da sich die letzte Seite, die so hauchdnn wie Luft war, lste und in die Dunkelheit der Hhle schwebte, wo sie in einer staubigen Ecke zu Boden fiel. Wach auf, Muje. Sanft schttelte Doulos Javin an der gesunden Schulter und wartete, bis er sich aufsetzte, um das Wasser zu trinken, das er ihm reichte. Wer bist du? Wo sind wir? fragte Javin mit heiserer Stimme. Die Hand fhlte sich khler an, der Schmerz war beinahe verschwunden. Neben ihm lag der Beweis, da jemand den Stich erneut behandelt hatte. Er lchelte dem Mann zu - nach den kurzgeschnittenen Haaren und der dunklen Haut zu urteilen handelte es sich anscheinend um einen Sklaven - und nahm noch einen groen Schluck. Ich danke dir. Du hast mir das Leben gerettet. Wie heit du? Der Neffianer erwiderte das Lcheln. Man nennt mich Doulos. Doulos, ich bin Javin. Mein zweiter Name ist Argivian, fgte er hinzu. Er zgerte. Bist du ein Sklave? Aus Gewohnheit senkte Doulos die Augen. Ja, Muje. Ich bin geflohen. Bitte schick mich nicht zurck. Wenn ich zurckkehre, wird mein Herr mich tten. Ich wrde dich nicht zurckbringen, Doulos. Sage mir - bist du mir aus der Stadt gefolgt oder hast du meine Spur schon vorher aufgenommen? Javin lchelte. Ich habe dich und die Frau am Haus des Heilers beobachtet. Ich folgte dir von dort aus, gestand Doulos. Warum? fragte Javin. Doulos sah ihn an und lachte verblfft. Aber Muje - du bist der wahre Knig von Sumifa und von ganz Almaaz. ~KAPITEL 9 Gemeinsam mit ihren seltsamen Begleitern marschierte die Orkgruppe in den nchsten vier Tagen langsam ber das Erg. Yob und seine Mnner schienen von der Hitze vllig unbeeintrchtigt zu bleiben. Als Cheyne verlangte, da sie im Schatten eines riesigen Felsens, der - laut Yob - bearbeitet worden war und Rotapan darstellte, rasten sollten, murrten sie, bis Og wieder Yobs Lied anstimmte. Die Menschen schliefen und aen. Spter verlangte Yob das Lied noch einmal, und Og fgte sich widerwillig. Ein paar Sterne lsten sich aus Rotapans majesttischen Brauen und fielen drhnend auf einen Ork. Darber dichtete Og eine neue Strophe, und die anderen klatschten heftig Beifall. Als das Lied zu Ende war, hatten sie bereits vergessen, wer gettet worden war. Schon bald brachen sie auf. Trotz seiner Abneigung konnte Cheyne nicht umhin, den Anfhrer der Orks zu bewundern. Mehrmals lie Yob die Gruppe anhalten, schnffelte, wies auf einen Sandhgel und befahl ihnen, um ihn herum zu gehen. Was macht er? fragte Cheyne Og, nachdem sie zum zweiten Mal einen Umweg von zwei oder drei Meilen gehen muten. Sandschlick. Treibsand. Irgendwie sprt er das. Wahrscheinlich riecht er es. Aus irgendwelchen Grnden merken es die Neffianer auch, antwortete Og. Anfangs scheint der Sandschlick vllig harmlos zu sein, da eine dnne Kruste normalen Sandes darber liegt. Aber nur ein Schritt gengt und du bist verloren. Der Legende nach sind schon ganze Karawanen untergegangen und fallen noch immer in den Grund des Schlicks. Cheyne nickte und erinnerte sich daran, was Javin ber die Sandstrme gesagt hatte. Er versuchte, sich an den Ort zu erinnern, aber ohne jegliche Landschaftsmerkmale schaffte er es nicht. Der Nachmittag ging vorber, genau wie die vorhergehenden, hei und einschlfernd ereignislos, bis sich die Sonne senkte und Cheyne berrascht feststellte, da das Erg sich in eine bewachsene Landschaft verwandelt hatte. Claria hatte es Serrano genannt. Ein paar niedrige Bume mit grauen Blttern, deren Stmme verdreht und vom Wind gebeugt aussahen, rahmten lange Strecken von Sgegras und Disteln ein. Das Gras war immer gelb und raschelte, da es trocken war, als sie hindurchschritten, aber die Disteln blhten leuchtend, und Tausende stachliger violetter Kpfe reckten sich stolz und steif dem Wind entgegen. Die Landschaft wirkte auf Cheyne noch feindlicher als die Wste, die auf dem Erg eine endlose, klare Strecke bildete; das Serrano war mit Sandsporen, Dornenbschen und rasiermesserscharfen Kakteen bedeckt. Es roch nach Salbei, Wacholder und Kerzenstab - den seltsam beiend riechenden Riesenbumen, die aussahen, als stnden sie auf dem Kopf. Ihre nackten ste reckten sich wie lange, gerade Wurzeln zum Himmel, und an jeder Astspitze spro ein Bndel roter, glnzender Bltter. Die Bume waren von innen hohl und wurden seit Jahrhunderten von Reisenden als Notunterkunft und Schutz aufgesucht. Man roch einen Kerzenstabwald, noch ehe man ihn sah - es roch nach brennendem Pech und wilden Rosen, deren Duft vom Wind herbergetragen wurde. Und tatschlich, nach ungefhr einer Meile erhob sich ein ganzer Wald wie ein Haufen schwarzer Hnde, die sich vom felsigen Boden gen Himmel reckten und deren Fingerspitzen in Flammen standen. Hoch ber den stark riechenden Bumen jagten mehrere Horden gehrnter Kanistas ber die Klippen. Ihre Augen glhten auch am Tage rot, und das unheimliche, gelchterhnliche Heulen wurde vom Wind durch das Tal getragen. Zweimal stieen sie auf Jagdbeute der Kanistas - die Krper htten von Lwen stammen knnen, aber das war schwer zu sagen, da nichts mehr brig war auer Knochen und Fliegen. Yobs Stellvertreter hatte keine Zeit verschwendet die Trophen einzusammeln. Die Hitze schien drckender geworden zu sein, aber vielleicht lag das daran, da sie kaum gerastet hatten, dachte Cheyne. Was glaubst du, wer das war? flsterte Claria, whrend sie inmitten der Orks marschierten. Og hatte sich ein wenig erholt, sowohl von den Blasen als auch von Wombas Umarmung, insbesondere, seitdem Yob ihr die Hnde auf den Rcken gefesselt hatte. Was? Wer? fragte er zurck und dachte noch immer an die Knochen. Sie. Die Kpfe an seinem Grtel. Wer war das? Sie schauderte und wies auf den groen Ork, der vor Og einherging. Erkennst du sie nicht? fragte Cheyne. Sollte ich? Es sind zwei der Phantome, gegen die wir auf der Strae gekmpft haben. Schau hinter ihre Ohren. Siehst du die Ttowierungen? Genau wie bei dem, der nicht entkommen ist Claria sphte angestrengt nach vorn, um die beiden Halbmonde zu entdecken, die auch der dritte Meuchler gehabt hatte. Als der groe Ork beim Durchqueren eines Grabens stolperte, hielt er an, um sich aufzurichten und sie konnte sie deutlich erkennen. Oh. Glaubst du, da sie uns gefolgt sind? Wahrscheinlich. Ich nehme an, da Yob uns lange, bevor wir ihn bemerkten, gesehen hat. Wenn er unsere Kpfe gewollt htte, htte er sie auch genommen. Der Speer war blo die Visitenkarte. Og ist zum Glck sein Liebling - jedenfalls bei diesem Stamm. Claria ging schweigend weiter, die Kapuze gegen den starken Wind ber die Ohren gezogen und dachte an die Uhr, die, eingewickelt in die Leinentcher, in dem kleinen Felsspalt in der Oase versteckt lag. Sie hatte sie ungern zurckgelassen, wollte sie aber nicht den groben Orkhnden ausliefern. In dem dunklen, trockenen Versteck wrde die Uhr gut verwahrt sein, bis sie zurckkehrte, um sie zu holen. Gesenkten Hauptes ging sie weiter, achtete darauf, wohin sie die Fe setzte und wich Disteln und Treibsandflchen aus. Nach ein paar Meilen roch Cheyne salzige Luft, und als er aufsah, segelte eine Mwe ber ihren Kpfen. Sieht so aus, als seien wir nicht mehr weit von der Sdsee entfernt. Claria schttelte den Kopf. Ich glaube kaum. Yob fhrt uns die ganze Zeit nach Westen. Vor ewiger Zeit war dieses Gebiet unter Wasser. Als das Land auftauchte, lie die Flut am Rande des Wyrvilgebietes ein kleines Binnenmeer zurck. Man nennt es den Silbersee. Ich erinnere mich, schon hier gewesen zu sein. Es gab da eine lange Brcke. Du bist diesen Weg schon gegangen? fragte Claria verblfft. Nicht wirklich, und es war vor langer Zeit. Wir kamen aus der anderen Richtung. Wir hatten es eilig, und es ist so lange her, da es mir kaum bekannt vorkommt. Er hielt inne und dachte nach. Ich befand mich bei der verlorenen Karawane. Du? Ich dachte, niemand htte berlebt. Die Fascini schlossen die Strae und erklrten, da alle Reisenden gettet worden waren. Danach gab es in Sumifa unzhlige, seltsame Gerchte, gleich nach der Groen Suberung. Groe Suberung? Es geschah, als der letzte Fasciniknig fand, die Juma sei zu mchtig. Der alte Knig war Maceos Vater. Er ist tot, aber als er glaubte, die Juma wollten die Stadt beherrschen, lie er alle ermorden. Denke dir, der alte Mann frchtete sich vor einer Horde Frauen, die in den Hhlen ber der Oase lebten. Ich dachte, die Juma wren ein Kriegerinnenorden. Vielleicht hatte er Grund, sie zu frchten, meinte Cheyne und erinnerte sich an ein paar Bewegungen Clarias, als sie in der Stadt gekmpft hatte. Das waren sie - vor tausend Jahren. Und sie wren es immer noch. In der Beherrschung des Nahkampfes konnte es ihnen nie jemand gleichtun. Aber sie waren nie genug, um eine Rebellion anzuzetteln - sie dachten, ihr Hauptziel sei es, den Weg nur den wahren Knig Sumifas zu bereiten. Der alte Knig frchtete sich davor. Sie zogen groe Menschenmengen an und redeten mit ihnen ber die alten Zeiten, als die Neffianer - die heurigen Sklaven - noch an der Macht waren. Sie redeten davon, wie es sein wrde, wenn der eine aus einem fernem Land kommen wrde, der ein besonderes Zeichen trge, und der wrde sie befreien und dem Land den ursprnglichen Wohlstand zurckbringen. Natrlich wrden vorher schreckliche Dinge geschehen: Der Dschinn wrde erwachen, Hungersnte wrden hereinbrechen und so weiter. Nun, in der Barca gab es schon immer hungernde Leute und gengend Sklaven, um den Fascini ernsthaften rger zu bereiten. Viele von ihnen glaubten, was die Juma erzhlten: Da es an der Zeit fr einen Wechsel war und der neue Knig auf dem Weg sei. Daher sandte der alte Knig bei einem Wutausbruch seine Schergen, Bttel und Meuchler, von denen Riolla einige stellte, aus und vernichtete die Juma. Er glaubte, die Gerchte und Erzhlungen wrden dadurch versiegen. Cheyne lachte. Versiegten sie? Nein. Der Samen der Revolution war bereits gest. Aber ohne die Juma gab es niemanden, der das Oberkommando htte bernehmen knnen. Vielleicht ist dir die gespannte Stimmung zwischen den Fascini und der Barca aufgefallen. Sie lachte und wechselte pltzlich das Thema. Aber du hast vorhin die verlorene Karawane erwhnt... Nun, ich erinnere mich nicht sehr gut. Eigentlich erinnere ich mich an gar nichts, was vor dem Angriff war, erklrte Cheyne traurig. Solltest du dich denn erinnern? Natrlich. Wenn ich es nur knnte. Schweigend ging er weiter, dann fuhr er fort. Alle auer mir starben. Anscheinend nahmen die Orks die Leichen mit. Javin fand mich in einem Versteck und nahm mich mit. Das ist das erste, an das ich mich erinnere. Als sich die Fascini um ihre Waren sorgten, fanden sie nicht einmal mehr Knochen. Da wir gerade davon reden - sieh nach oben. Er zupfte sie sanft am Umhang. Die Orks waren stehengeblieben, und Yob gab Anweisungen, da zwei von ihnen die Spher in seinem Namen anrufen sollten. Bei Cheynes Warnung warf Claria die Kapuze zurck und blieb stehen. Zwei oder drei Fu vor ihnen fiel das flache Buschland, das sie bisher durchquert hatte, ganz pltzlich steil ab. Ein paar hundert Fu in der Tiefe lag eine eigentmlich gebaute, befestigte Siedlung. Hinter dem Mittelpunkt dieser Festung, einem groen weien Tempel, glitzerte ein langgestrecktes Gewsser: der Silbersee. Sogar aus dieser Entfernung und Hhe konnte Claria erkennen, woraus der Tempel bestand - aus Knochen. Der Wyrviltempel. Mein Onkel hat mir davon erzhlt. In seiner Jugend ist er viel gereist und hat nach Artefakten gesucht. Er kam einmal hierher und prahlte damit, da er der einzige Mensch sei, der jemals den Tempel Rotapans erblickt htte und es berlebte, um davon erzhlen zu knnen. Dann wirst du seine Geschichte noch besser darstellen. Sieht so aus, als gingen wir hinein, sagte Cheyne. Yob winkte den Wachen, die am Tempeltor standen, zu und gab Og ein Zeichen, die anderen den beinahe unsichtbaren steilen Pfad hinabzugeleiten, der in die Felsen gehauen war. Erstaunt legte Riolla ihr Fernglas beiseite. Unruhig trommelten die langen roten Fingerngel darauf herum, whrend sie Plne schmiedete. Og hatte sehr viel Mut, das mute sie zugeben. Entweder das, oder der Ork brachte sie als Geschenke mit, um Rotapans Umbauarbeiten zu untersttzen. Sie hatte gehrt, er habe mit dem fnfundzwanzigsten Stockwerk jenes schrecklichen, schwankenden Knochenhaufens begonnen. Wer htte gedacht, da es in Almaaz so viele Skelette gab? Auer vielleicht in den Schrnken des Raptors, dachte sie beunruhigt. Javin starrte Doulos an, bis er blinzeln mute. Was sagtest du, mein Freund? Er suchte in seinem Bndel nach einer Kerze und einem Feuerstein, hielt die Flamme an den Docht und sah das angemalte Gesicht des Neffianers zum ersten Mal. Doulos nickte nachdrcklich und besttigte seine Worte. Ich folgte dir, weil du der wahre Knig Sumifas bist. Ich wei, da du verkleidet reist, denn sonst wrde man dich tten. Sieh dich um. Er nahm die Kerze und hielt sie hoch, so da Javin die Bilder sehen konnte, die in die Hhlenwnde geritzt worden waren. Sie trugen alle Farben des Regenbogens und spannten sich von einer Wand zur anderen. Ein paar der Zeichen kannte Javin - er hatte sie auf den Jumaschriftrollen an der Universitt gesehen. Schau her, da stehen die Prophezeiungen der ersten Juma, die mit kostbaren Juwelen unterlegt wurden, damit wir sie nicht vergessen. Doulos las die Glyphen, und seine Stimme schwoll bei der Bedeutsamkeit der Worte an. Es wird aus weiter Ferne einer kommen, der zum Zauberkreis gehrt und das kostbare Buch mit sich bringt, und er wird der neue Knig Sumifas sein. Seine Augen werden wie der Morgenhimmel sein, und er trgt Feuer in seinen Hnden. Er wird den Dschinn vernichten und Frieden nach Almaaz bringen... Javin wartete, bis er zu Ende gesprochen hatte. Du kannst lesen? Ist es den Neffianern nicht verboten, lesen zu knnen? Muje, wir alle knnen diese Sprache lesen. Es ist unsere eigene. Wir halfen, sie zu entwickeln, vor vielen hundert Jahren. Woher stammen deine Leute, Doulos? Warum seid ihr die Sklaven der Fascini? erkundigte sich Javin. Wir lebten immer schon hier, Muje. Wir sind die, deren Blut vermischt ist - zum Teil sind wir Fascini, zum Teil gewhnliche Sumifaner. Ich werde dir die Geschichte erzhlen. Vor langer Zeit, bevor die Wste die alte Stadt verschluckte, gab es einen bsen Prinzen, der Caelus Nin verehrte. Er verwandelte sich in Wind und brachte Vernichtung. Er war ein Zauberer, und als er gegen einen anderen Zauberer, ein Mitglied des Zauberkreises, kmpfte, ttete er den Mann und brachte die Wste dazu, sich ber seiner eigenen Stadt auszubreiten. Man sagt, da ihm niemand auer einem Mitglied seiner Familie etwas anhaben kann. Daher versuchte er, seine Sippe auszurotten, damit niemand in der Lage war, seine Macht zu brechen. Er ttete seinen erstgeborenen Sohn, als dieser noch ein Kind war. Die Amme des Knaben fand ihn in der Wste, und es sah aus, als wre er ein Opfer des Durstes und der Geier geworden. Aber die alte Amme wute, da es der Zauberer gewesen war, denn sie hatte ihn einmal beobachtet, wie er sich an die Kinder mit seiner Habichtkralle heranschlich. Um das andere Kind zu retten, erzhlte sie in der ganzen Stadt da auch der jngere Sohn gettet worden und in Treibsand gefallen war. Das war zur Zeit der Wanderung, ehe wir lernten, das Gesicht der Wste zu lesen, und viele Dinge dieser Art geschahen. Aber sie versteckte den jngeren Sohn in diesen Hhlen hier - man kannte sie damals unter dem Namen Die Hhlen von Neffia, nach der kleinen Quelle, die unter uns liegt. Als der Junge lter wurde, lehrten ihn die Juma viele Dinge; die magische Bewandtnis, die es mit dem Zauberkreis auf sich hatte, dessen Mitglieder teilweise noch am Leben waren, sie belehrten ihn ber die alte Stadt und ber seinen Vater. Danach glaubte er nicht lnger an Caelus Nin und hate den Gott seines bsen Vaters. Statt dessen schlo er sich dem Glauben der Juma an, die gem den Gesetzen des Zauberkreises lebten, da sie an den Frieden glaubten und versuchten, das Land vor dem Schaden zu schtzen, den zwei sich bekmpfende Brder anrichteten. Er war ein groer Kmpfer, aber er ging als einfacher Hirte getarnt von hier fort und heiratete eine sumifanische Sklavin. Seine Familie lebte in Frieden und geno jahrelang die Freiheit auerhalb der Stadtmauern. Sie hteten Schafe und lebten in Zelten. Sie suchten die berlebenden des Zauberkreises und schtzten sie, so gut sie konnten, denn der Dschinn hatte geschworen, alle zu tten. Aus ihnen gingen die Neffianer hervor, ein groes, aber friedliches Volk. Es verging gengend Zeit, bis der bse Prinz, der seine menschliche Gestalt verloren hatte, sicher war, da niemand aus seiner Familie berlebt hatte, um ihn zu strzen. Ganz Sumifa glaubte es auch. Die Menschen hatten niemanden mehr, dem sie folgen und auf den sie hoffen konnten. Dann kam nach dem groen Krieg die Zeit der Ergruber. Sumifa bentigte einen Herrscher und befestigte seine Mauern. Also setzte der bse Zauberer einen anderen an die Stelle seines Sohnes; einen, der seinen Befehlen gehorchte und erklrte, er sei Knig von Sumifa. Dieser Herrscher erbaute die groen Mauern und frchtete sich, als die Hirten erklrten, sie wrden keinen Tribut an Nin zahlen, denn der bse Prinz verlangte viele Kohli von dem neuen Knig, sonst wrde er ihn tten und ersetzen. Also zog der neue Knig in die Wste, nahm die Hirten nach schweren Kmpfen gefangen, raubte ihnen ihren Besitz und erklrte sie zu Sklaven. Er lie uns die Steine hauen, die Straen befestigen und die Mauern zu Ende bauen, die zu unserem Gefngnis wurden, erbaut mit unserem Geld, Schwei und Blut. Jener Knig war der Vorfahr der heurigen Fascini. Ich denke, da wir Sklaven sind, weil wir damals den Kampf verloren. Mein Vater wurde als Sklave geboren wie sein Vater vor ihm und viele andere vor ihnen auch - es reicht tausend Jahre zurck. Manchmal waren unsere Herren gut zu uns, meistens aber nicht. Wenn wir fortliefen, benutzten wir diesen Ort als Versteck, und als die Juma noch lebten, halfen sie uns so gut sie konnten und versteckten uns fr ein paar Nchte, bis eine Karawane eintraf, die die Flchtlinge in die Berge brachte. Ich war schon einmal hier, als ich noch sehr jung war. Mein Bruder Rafek und ich waren fortgelaufen. Unser Herr war der alte Knig, und er schickte uns bewaffnete Wachen hinterher. Rafek war mit einer Karawane gereist, aber sie hatten keinen Platz mehr fr mich. Ich ging zurck, um den Juma keinen rger zu bereiten. Sieh nur, hier ist mein kindlicher Handabdruck. Und der von Rafek. Er wies auf zwei kleine Abdrcke am Boden. Und dort stehen die Namen derer, die hierher kamen. Die Namen deines Volkes, Muje. Er zeigte mit seiner Hand zur Decke. Javin erwartete, die Namen auf neffianisch zu lesen, aber er war kaum in der Lage, die seltsamen Zeichen zu erkennen. Als Doulos aber die Flamme hochhielt, sah er Hunderte und aberhunderte Handabdrcke, die mit rotem Ocker und Holzkohle umrahmt waren, als habe man die Handflchen hastig gegen den Felsen gedrckt. Es war keine Zeit, den Namen zu schnitzen, und die farbige Erde darber zu schtten, wodurch der Abdruck zurckblieb, wenn die Hand entfernt wurde. Wie eine wortlose Unterschrift. Die Abdrcke sahen wie die Flgel tausend fliehender Vgel aus, einer neben dem anderen. Sie zogen sich ber die ganze Decke; lange, knorrige Finger alter Mnner und Frauen neben den kleinen Abdrcken der Kinder und den verschlungenen Hnden der Liebespaare. Javin hatte in den berhmtesten Ruinen der Welt gegraben, hatte mit eigenen Augen die unglaublichen Juwelenmosaike von Karjzia gesehen und die goldgerahmten, handgemalten Portrts in den Katakomben von Tralinga, und sie hatten ihn nicht sonderlich berhrt. Aber hier in dieser dunklen Hhle, die nur von einer kleinen Kerze erleuchtet war, berwltigten ihn die hoffnungsvoll und hastig gemachten Handabdrcke der entlaufenen Sklaven. Was ist mit ihnen geschehen, Doulos? Haben sie die Freiheit erlangt? Doulos schttelte den Kopf. Einige, wie Rafek, reisten mit den Karawanen, wenn die Hndler hierher kamen, um Wasser aufzufllen. Wir hrten nie wieder von ihnen, wissen aber, da sie leben. Das mssen sie einfach. Unser Volk - dein Volk, Muje - besteht aus starken Kriegern, die berleben knnen, wenn es nur eine Mglichkeit gibt. Vielleicht siedelten sie auerhalb von Almaaz. Wenn sie zahlreich sind und sehr mchtig, dann kommen sie uns zu Hilfe. Aber die meisten, die entlaufen sind, wurden in die Stadt zurckgebracht. Ihre Grber liegen in der Wste, vor den Stadtmauern, ohne gekennzeichnet zu sein. Hier ist ihr Abdruck verblieben und sie werden uns immer unvergelich sein. Doulos gab ihm die Kerze zurck. Javin schwieg eine Weile und bedachte die Frage, die sich ihm gestellt hatte. Doulos, du hast den Dschinn erwhnt. Wirst du mir die Glyphe fr das Wort zeigen? Javin hatte mitangehrt, wie Muni diesen Ausdruck gegenber den Arbeitern gebraucht hatte. Ja, der Dschinn - der bse Wind, weit du. Doulos deutete auf die Zeichnung zweier Kreise, von denen der eine gebrochen war. Hier wird er Dueco genannt, der doppelte Geist. Nicht nur das geteilte Ding, sondern etwas, das Teilungen bewirkt. Es ist ein altes Wort, ein gehates Wort. In der Jumaschrift steht es immer fr den bsen Prinzen. Javin lauschte, als Doulos weiterlas, und als der Sklave zu Ende gesprochen hatte, sprach er mit sanfter und leiser Stimme: Doulos, du bist mir wegen dieser Geschichten hierher gefolgt? Du hast dein Leben wegen dieser Zeichen an der Wand aufs Spiel gesetzt? Doulos hob den Kopf und sah Javin in die Augen. Ja, mein Knig. Und ich werde dich begleiten, wohin du auch gehst. Ich werde dein Beschtzer und dein Diener sein. Seit meiner Kindheit habe ich geglaubt, da ich dir eines Tages begegnen wrde. Doulos, bitte versteh mich ... ich kann nicht dieser Knig sein. Ich bin nur ein Ausgrber und suche meinen Sohn, der unser Lager verlie, um in das Grenzgebiet zu reisen. Er wird von jemandem verfolgt, der ihn tten will. Dahin geht meine Reise: in die Gefahr und die Ungewiheit. Fort von Sumifa, zum entferntesten Ende von Almaaz, nicht zum Thron der Zitadelle. Ich bin nur ein einzelner Mann. Ich kann niemanden von den Fascini befreien. Ich hoffe blo, da ich meinen Sohn finde, bevor er ermordet wird. Muje, ich habe gesprochen. Mein Wort gilt. Bei meinem Namen. Doulos hielt seinen Mund, hielt die rechte Handflche in das Kerzenlicht nahm ein wenig Ocker vom Boden der Hhle in die linke Hand und legte die rechte auf eine leere Stelle an der gegenberliegenden Wand. Vorsichtig blies er auf das Puder und zog die Hand weg. Er hinterlie einen deutlichen Umri auf der glatten Hhlenwand. Er winkte Javin zu. Ich mchte dich bitten, Muje, dein Zeichen zu hinterlassen, damit es fr Freiheit stehen mge, und als Zeugnis meines Eides. Javin konnte dem Mann, der sein Leben gerettet hatte, diese Bitte nicht abschlagen. Er erhob sich und legte die gesunde Hand neben den Abdruck, den Doulos hinterlassen hatte und lie den Neffianer gewhren. Dann trat er zurck und betrachtete seinen Abdruck. Javin lchelte. Der Umri der Hand war das genaue Abbild von Cheynes Hand. ~KAPITEL 10 Yob lie die Gruppe vor den Toren des Knochentempels anhalten, grte Rotapans Wachen, richtete den Speer nach ihnen und erinnerte sie erneut an seinen Namen. Dann wartete er, bis sie die schweren Tore ffneten. Im Geiste zeichnete Cheyne das riesige Gebude und dachte, da er es eines Tages, wenn er berlebte, fr Javin zeichnen wrde. Sie betraten einen trockenen, staubigen Hof, wo ein paar Steinhtten wahllos errichtet worden waren, und etliche zerlumpte Schwadronen Orks mit Haken und Ketten bten. Ein oder zwei Krper lagen an der Seite; Verletzte der tglichen bungen. Yob entlie seine Leute und ging zu Og, der sich in Wombas beeindruckendem Schatten versteckte. Cheyne und Claria hielten sich im Hintergrund, denn wann immer Claria nher kam, fletschte Womba ihre groen Zhne und brllte vor Eifersucht. Wir werden jetzt zu Rotapan gehen, sagte Yob ghnend. Womba, geh zum westlichen Spher und warte auf mich. Sage der Waffenmeisterin, da ich sie aufsuche, sobald ich Meldung gemacht habe. Yobs Tochter sthnte und groe Trnen bildeten sich in ihren Augenwinkeln. Yob sah sie drohend an, fuchtelte mit dem Speer, und sie ging schmollend davon, Claria bse anfauchend, bis sie hinter einer Ecke des Tempels verschwand. Erleichtert, weil seine Mchtegern-Geliebte verschwunden war, gesellte sich Og zu Cheyne und Claria, als sie die sechzig marmornen Treppenstufen erklommen, die zum Haupteingang des Tempels fhrten. Seltsamerweise schienen die Stufen unter ihren Tritten zu erbeben, und ein herzzerreiendes Heulen ertnte tief unter dem Gebude. Og legte eine Hand ber das Herz, bis die Tne erstarben. Claria zitterte, konnte sich aber keinen Reim auf die Gerusche machen. Cheyne ergriff sie am Arm, und sie gingen weiter. Das wird jetzt schwierig. Rotapan kann etwas, h, kompliziert sein, erklrte Og, Auf den ersten Blick wirkt er nicht besonders eindrucksvoll, er ist aber ein todbringender Kmpfer und macht seine fehlende Gre durch Kampfkraft wett. Niemand kann ihn besiegen. Dadurch wurde er zum Obersten Herrscher. Aber geratet nicht in Furcht, wenn wir oben ankommen. Ich kmmere mich um alles. Und pat auf, wohin ihr die Fe setzt, ermahnte er sie. Cheyne nickte und bemerkte, da der Tempel nicht das erste Bauwerk an dieser Stelle war, sondern auf Ruinen stand, die wahrscheinlich so alt waren wie jene des ersten Sumifa, die er verlassen hatte. Die Knochengerste riesiger Seeungeheuer waren zwischen geborstene Wnde und hohe Marmorsulen gemauert worden und dienten dem Gebude als Hauptsttzen. Viele der Fenster wurden von langen Stozhnen eingerahmt. Die Zierstreifen und Bogengnge waren mit den Schdeln der verschiedensten Wesen geschmckt, die Cheyne nur zum Teil erkannte, viele hatte er jedoch nie zuvor gesehen. Jeder lag in einer Nische aus langen Knochen. Trotz Ogs Warnung schrie Claria beim letzten Schritt auf und deutete auf etwas in dem dunklen Haupteingang. Yob drehte sich um und lachte unsicher. Das ist Schwester Krota. Rotapan hlt sie hier drauen, weil sie so bse ist. Rotapan sagt, da sie nicht zuschlgt, wenn sie jemanden mag. Aber ich glaube nicht, da sie berhaupt irgend jemanden mag. Jedesmal, wenn ich hierher komme, um Tribut zu zahlen, beit sie mich. Es dauert Tage, bis ich mich davon erhole. Yob seufzte und deutete auf die grte Klapperschlange, die Cheyne je gesehen hatte. Sie war einen Fu breit und lag eng zusammengerollt auf einem jungen Baum, der in einem riesigen Tontopf war. Krotas Zunge schnellte vor, sie schttelte drohend ihre Klappern und warf den Kopf zurck, um zuzubeien. Yob bereitete sich darauf vor, schlo die gelben Augen und bi die Zhne zusammen. Aber Og stellte sich vor Claria und pfiff einen leisen Ton, den er allmhlich steigerte, whrend Claria, Cheyne und Yob sich eng an die Wand drckten und sich vorsichtig um die Schlange herumschlichen. Og atmete auf und hpfte auf die andere Seite der Tempeltr. Die Schlange streckte sich aus; ihre Fnge blieben entblt und bibereit; sie richtete ihr gelangweiltes Auge auf Og. So bleibt sie, bis ich sie wecke, versicherte Og. Glaube ich. Claria, die ihre Beherrschung wiederfand, als sie eine Art Vorraum betraten, blickte ber die Schulter zu der Schlange zurck und zupfte Og am rmel. Warum nennt er sie Schwester? Og lchelte. Weil sie Rotapans Prophetin ist. Eines Tages gerieten sie in Streit, und aus Versehen, wie _er_ behauptet, verzauberte er sie mit dem Ajada. Dann konnte er den Zauber nicht mehr lsen, aber ich vermute, er hat es auch nicht besonders oft versucht. Nun hlt er sie da drauen, weil er sie nicht beherrschen kann wie die anderen. Sie versucht, alle umzubringen, die vorbeigehen. Kann man ihr nicht verdenken, antwortete er. Yob blieb stehen und lachte verlegen. Die anderen? fragte Cheyne mit erhobenen Augenbrauen. Og zuckte mit den Schultern, als sich Yob einmischte. Er ist da drben. Ich gehe vor euch zu ihm und erstatte Meldung. Cheyne wartete darauf, da sich seine Augen an das Dmmerlicht im Tempel gewhnten. Ringsumher hrte er leise Bewegungen. Als er klar sehen konnte, wre er lieber blind gewesen. Aus jeder Ecke, jeder Nische und hinter jeder Statue kamen Schlangen aller Farben, Gren und Lngen hervor, wanden und schlngelten sich, zischten und rollten sich zusammen, fielen zu Boden und glitten darber. Und jede war giftig. Bei den sieben Sternen und den Drei Schwestern! Claria fhrte smtliche Schutzzeichen aus, die sie kannte. Ich habe genug. Kein Schatz ist so etwas wert. Ich gehe zurck, um meine Erbschaft anzutreten. Ich nehme die Verluste hin und mchte euch beide und eure Freunde hier nie wieder sehen, murmelte sie. Warum mchtest du gehen, bevor wir uns kennengelernt haben, Frau? Ich glaube, ich mu das persnlich nehmen. Deine Einstellung wird den Gott Chelydrus rgern, ertnte eine heisere Stimme inmitten der Schlangen. Die Wnde des Tempels lieen den Klang widerhallen, und er breitete sich im ganzen runden Innenraum aus. Etwas in dieser Stimme verursachte Cheyne eine schlimmere Gnsehaut als die Schlangen. Yob knallte die Hacken zusammen und verneigte sich tief. Yob meldet sich bei Rotapan mit dem vierteljhrlichen Tribut! rief er. Sechs Dutzend Krieger vom Stamme Gloms, abgeschlachtet, vierzehn von Puffer. Fnf Dromedare, achthundert Kohli und zwei Kpfe von Riollas Spionen, im Kampf gettet. Drei Verluste. Aber die Knochen haben wir, fgte er nach einer Pause hinzu, nachdem er alles an seinen Fingern und Zehen abgezhlt hatte. Man entgegnete ihm mit Schweigen. Cheyne verlagerte sein Gewicht auf den Fu, auf dem Claria nicht stand. Sie schien vllig unfhig, sich zu bewegen, da der einzige Ort, an den sich die Schlangen nicht wagten, wenige Zoll rings um Cheynes Fe waren. Og, sagst du? Og ist wieder da? Natrlich ist er das, sonst wrdest du wegen der Schmerzen von Krotas Begrung sthnen. Bring ihn her. Schick die Kpfe den Steinmetzen. Sie sollen sie mit dem Gesicht nach Westen stellen, damit die anderen Spione Riollas sie sehen knnen. Das war gute Arbeit, Yob, wenngleich du etwas spt dran bist. Nach dem Festmahl und dem groen Opfer mut du mir erzhlen, wie du das geschafft hast. Die Schreefa glaubt, sie braucht Rotapan nicht mehr. Sie schickt Spione aus ihrer sicheren Stadt um mich zu tten. Sie ehrt meinen Gott Chelydrus nicht mehr. Wir werden sehen, ob sie es mglich macht, da die Karawanenstrae wieder geffnet wird. Wie ich diese Frau verachte. Und dann hast du noch etwas, wie ich sehe, grinste er. Yob atmete auf, da seine Meldung anscheinend gut aufgenommen worden war. Ja, Oberster Herrscher. Ich war verwirrt und wollte dir die Entscheidung berlassen, was mit diesen Menschen und Og geschehen soll. Vorsichtig schob er ein paar zwanzig Fu lange Garnschlangen aus dem Weg und geleitete die Menschen zum Thron, der besser sichtbar wurde, nachdem Yob ganze Hnde voller junger Buschmeister entfernt hatte. Cheyne sah gespannt zu. Rotapans Thron mute zu dem ersten Gebude gehren, denn viele Seemotive waren hineingeschnitzt worden. Der rote Marmor blitzte und glnzte. Auf dem kurzen Weg zum Thron verwandelte sich Clarias Furcht vor den tdlichen Reptilien in Neugier. Keine der Schlangen schien irgendwie gefhrlich zu sein. Ihre Bewegungen wirkten gemessen und faul. Sie wute, da einige von ihnen natrliche Feinde waren - warum respektierten sie einander? Wie konnte Yob sie einfach anfassen? Gerade, als sie fragen wollte, erhob sich Rotapan und stand lchelnd vor ihnen. Obwohl sie eine gewisse hnlichkeit feststellen konnte, entschied Claria auf der Stelle, da die Statue in der Wste von einem Knstler geformt worden war, dessen Schmeichelei beinahe an Betrug grenzte. Aber nun wute sie wenigstens, woher Rotapan den Namen hatte. Er war nur vier Fu gro und sah lter aus als der Felsen, in dem er verewigt worden war. Blaue Augen, die viel zu eng beieinander standen, sphten unter buschigen Brauen hervor, und graue Haare bedeckten das Kinn. Statt der vollen Wellen, die der Wstenbildhauer geformt hatte, bedeckten blasse Strhnen den Kopf. Die Oberlippe wurde vllig von einem riesigen, silbrigen Schnurrbart verdeckt, wogegen die Unterlippe weit ber das fliehende Kinn herausragte. Seine Zge und die Stimme waren ausgesprochen menschlich, obwohl die Hautfarbe und die klauenartigen Hnde und Fe seine Orkherkunft verrieten. _Oho, ein Halbork,_ dachte Claria. _Das bedeutet, da er bestimmt viel klger und viel gefhrlicher ist._ Rotapan entlie Yob mit einem Wink seines Stabes und beobachtete, wie sich der Ork vorsichtig einen Weg zur Tr bahnte, whrend sich die Leiber der Schlangen hinter ihm zu einer glnzenden Flut vereinten. Dann richtete der Herrscher den kalten Blick auf Claria. Ich bin Rotapan, der Herrscher der zehn Stmme. Du wirst mir antworten, Frau. Warum beleidigst du mich, indem du eine Audienz zurckweist? Du sollst mich mit Oberster Herrscher ansprechen, sagte er, whrend die rechte Hand fortwhrend ber den Stab glitt. Claria hatte seine erste Frage bereits vergessen. Wie angewurzelt stand sie vor dem glnzenden roten Stein des Zepters, der geschickt als drittes Auge in den goldenen Kopf einer Viper eingefgt worden war, die mit entblten Fngen auf der Spitze des Stabes thronte. Cheyne versetzte ihr einen sanften Sto, und Claria ri sich zusammen. Ich wollte nicht respektlos sein, Oberster Herrscher. Schlangen beunruhigen mich zutiefst. Ich mag sie nicht, antwortete sie zgernd. Rotapan grinste hinterhltig und zeigte dabei seine beiden winzigen scharfen Zhne, die ihm noch verblieben waren. Ich auch nicht, Frau. Aber wie heit du, und wer ist dein hochgewachsener Gefhrte? Irgendwie riecht ihr vertraut, wie eine Ratte, die ich einmal um den Tempel schleichen sah. Da wir von Ratten sprechen - was wit ihr von dem hochverehrten Mann, der euch begleitet? endete er voller Ironie und wies auf Og, der auffallend still geblieben war, seitdem sie den Innenraum des Tempels betreten hatten. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem roten Stein des Zepters. Als sein Name erwhnt wurde, verneigte er sich vor Rotapan. Vergib der Frau, Oberster Herrscher. Sie hat keine Ahnung, verkndete er und verlieh seiner Stimme einen warmen, angenehmen Klang. Claria warf ihm einen tdlichen Blick zu, lie ihn aber weiterreden. Sie heit Claria, und ihr Gefhrte ist Cheyne, ein Ausgrber. Cheyne blickte ebenso unsicher drein wie Claria. Archologe, warf er ein. Og sprach weiter. Wir mchten nur bis zum Grenzgebiet reisen. Wir hoffen, mit einem Schatz zurckzukehren, mit dem wir euch gern fr das sichere Geleit bezahlen mchten. Bei dem Wort _Schatz_ verzog Rotapan die Nase wie ein trockenes Blatt, und er lachte schallend auf. Du kommst mit zwei stinkenden Menschen in meinen Tempel, die nicht einmal einen zweiten Namen haben und erwartest, da ich dir glaube, ihr wret einem Schatz auf der Spur? Das kann nicht dein Ernst sein. Er hustete vor Lachen, bis er sich vornber beugen mute und fast den Stab fallen lie. Eine der Puffottern, die neben Cheynes Knchel lag, sprang mit bse aufgerissenem Maul auf Claria zu. Eilig packte Rotapan den Stab fester und klopfte damit auf die Marmorsrufe. Die Otter fiel vllig friedlich zu Boden und Claria hatte die Zhne zusammengebissen, um nicht zu schreien. Aber vielleicht _glaubst_ du, es sei dein Ernst, fuhr der Herrscher fort. Hm ... du hast mir schon frher Lgen erzhlt, Og. Dein Kopf ist mir schon lange versprochen. Soll ich deine Knochen jetzt einsammeln oder darauf warten, da du meinen Reichtum vermehrst? Auerdem ist es Zeit fr ein weiteres Opfer. Mitrauisch beugte er Cheyne. Du bist ein Ausgrber? Du suchst nach verlorenen Schtzen und Dingen, die von der Zeit vergraben wurden und aus den ruhmreichen alten Zeiten stammen? Cheyne nickte. Du riechst komisch, Ausgrber. Ich frage dich, ob man dich nicht hierher geschickt hat, um mein Knigreich auszugraben. Vielleicht hat Riolla dich geschickt? Bleib, wo du bist. Ich mu mein Kabinett befragen. Behutsam bahnte er sich einen Weg durch ein Knuel Boras und Geistkobras, deren weie Schuppen den Glanz des roten Steines widerspiegelten. Dann schlug er mit dem Stab gegen einen groen hlzernen Schrank. Also gut, Og, warum redet er von einem Opfer, und wann wird er uns gehen lassen? Wir mssen von hier verschwinden, flsterte Cheyne und fingerte an seinem Amulett herum. Das ist dein Ajada, nicht wahr? Og nickte. Ja. Er kann nicht gut damit umgehen. Der Ajada lt meine Musik die Wahrheit sagen. Er benutzt ihn, um jede Schlange von nah und fern hierher zu locken. Interessant. Und Chelydrus, der grauenhaften Wasserschlange, die, wie er behauptet, in einem groen Kessel lebt, bringt er von Zeit zu Zeit ein Opfer dar, wenn etwas nicht besonders gut luft. So wie jetzt. Da die Karawanenstrae geschlossen wurde, bekommt er kaum etwas von den Dingen, die die nrdlichen Stmme entlang der lngeren Strae nach Fallaji bringen. Man sagt, da auch einer der Unterhuptlinge dort oben recht mchtig wird. Oh, keine Angst. Niemand hat Chelydrus je gesehen, er ist ein Bild aus Rotapans Einbildung. Wie trstlich. Og, was opfert er denn eigentlich? fragte Claria mit blassem Gesicht. h, nun, ich denke, da wird sich schon etwas finden, ehe wir darber sprechen mssen. Behalte mich im Auge. Wenn er aufdringlich wird, mssen wir fliehen, erklrte Og und arbeitete im stillen an einem Plan, wie er an den Ajada gelangen knnte. Ruhe! brllte Rotapan. Der Halbork zog aus den Falten seines Gewandes einen schlsselfrmigen Knochen und schlo die Schranktren auf, die er weit aufri. Diesmal konnte Claria nicht noch mehr erschrecken. Als die drei Regalreihen voller Schrumpfkpfe zu ghnen begannen und mit den Augenlidern blinzelten, grub sie nur die Fingerngel tief in Cheynes Arm. Er fragte sich, ob ein Schlangenbi schlimmer wre. Seine Feinde, flsterte Og. Er benutzt meinen Stein, um sie zu beleben und um ihm die Zukunft vorherzusagen. Der Stein sorgt auch hier fr Wahrheit, daher erzhlen sie ihm keine Lgen. Aber sie hassen ihn trotzdem. Er kann aber nichts an ihren bsen Worten ndern. Was bedeuten die beiden leeren Pltze? murmelte Cheyne. Der eine ist fr den Fluknig Wiggulf. Hast du ihn nicht gehrt, als wir hereinkamen? Er singt die ganze Zeit ber in dem Wasserverlie unter dem Tempel. Rotapan htte ihn schon lngst gettet, aber es macht ihm Spa, Wiggulf durch die Gefangenschaft zu qulen, und er hat nicht wenig Angst vor den Selkies, obwohl die Orks sie auch schon gefressen haben... Orks essen alles, sogar andere Orks. Warum hat Rotapan Angst? fragte Claria. Nun ... vor einiger Zeit war Drufalden... Drufalden? Die hast du schon einmal erwhnt, mischte sich Cheyne ein. Sie ist die Knigin des alten Landes und hat eine Festung aus Eis auf dem hchsten Berg des Gebirges, nahe des Grenzgebietes, antwortete Claria. Man nennt sie die letzte der Drei Schwestern. Vor langer Zeit, als noch alles unter dem Eis begraben lag, reichte das Gebiet ihrer Vorfahren ber ganz Almaaz. Das Tauwetter haben sie nie verwunden. Wie ich bereits sagte: Drufalden besitzt einen weiteren meiner Steine. Die Karawanenstrae fhrt durch ihr Land, daher mute Riolla sie auch bezahlen. Leider ging die Eisknigin ein wenig sorglos mit dem Saphir um. Sie verlor ihn, als sie in dem Flu badete, der in den Strom der Selkies mndet. Der Stein wurde flugs von einem Fisch verschluckt und lag nach zwei Tagen zum Mittagessen auf dem Tisch Wiggulfs. Natrlich wute er, was es fr ein Stein ist - jene Furie hat ihn jahrelang benutzt, um seine stromaufwrts gelegenen Gewsser zu vereisen. Stck fr Stck drang sie in sein Reich vor, drngte seine Stmme zurck und hungerte sie aus, um die Herrschaft ber die Wasserstraen zu erlangen. Sie zwang seine Fischgrnde immer weiter auf Rotapans Land und den Silbersee zu. Und sein Gift, fgte Cheyne hinzu. Ja. Gleichzeitig versuchte sie, den See auszutrocknen, um Rotapan zu rgern. Seitdem befindet sich der Stein im Besitz Wiggulfs und seiner Familie - sowohl als Gegenwert fr sein Leben als auch als Drohung gegen Drufalden. Wie denn das, Og? Ich nehme an, da der Wasserstein mit einem Klang arbeitet, der Flssigkeiten verfestigt und Festes verflssigt. Zweifellos brachte Riolla diesen Leuten nur so viel bei, da sie durch die Steine gefhrlicher wurden, aber durch den Mangel an natrlicher Begabung wird alles nur noch unsicherer. Wenn aber Drufalden Wiggulf einfrieren kann, knnte er ihren Eisberg sicher zum Schmelzen bringen. Und Rotapan hat Angst, da die Oberflche des Silbersees durch das geschmolzene Eis ansteigt und sein Knigreich verschluckt. Orks knnen nicht schwimmen, wit ihr das? Wenn Rotapan das berleben wrde und den Stein bese, knnte er Drufalden schaden. Es ist alles recht schwierig. Ich wei nicht, wie er es aushlt, aber Wiggulf singt seit vielen Jahren ein Lied und wartet da unten im Kerker auf Hilfe. Cheyne nickte, als er an das unheimliche Heulen dachte, das sie beim Erklimmen der Treppe gehrt hatten. Und der zweite freie Platz im Schrank? Der ist fr mich bestimmt. Ich habe Spielschulden. Ich spielte um den Stab, setzte dabei alles und verlor. Natrlich war das Spiel gezinkt. Du darfst niemals einem Ork und schon gar nicht einem Halbork trauen, schlo Og und lenkte die Aufmerksamkeit auf den Schrank, wo die Kpfe zu sprechen begannen. Hallo! Na, es wird aber auch Zeit. Puffer, bist du noch da oben? Schttle dir das Stroh aus den Ohren und wach auf, sagte ein Kopf vom untersten Regal. Natrlich ist er noch da oben. Wo sollte er sonst sein? Du sagst das jedesmal, wenn sich die Tren ffnen, Glom, erwiderte ein anderer, dessen Augen mit langen schwarzen Stichen zugenht waren. Du weit, da es zu den Regeln gehrt, den Sprecher zu achten. Also hte deine Zunge, Rasper, gab der erste zurck, der sich Mhe gab, mglichst beleidigt zu klingen. Ruhe! R-U-H-E! brllte der Kopf auf dem obersten Regal. Die Sitzung des Kabinetts ist erffnet. Er rief die Namen auf, und nachdem alle Kpfe geantwortet hatte, verkndete er: Wir sind alle anwesend und bereit, Oberster Herrscher. Wie knnen wir dir heute helfen? Ich mu wissen, ob diese Menschen geschickt wurden, um mich zu strzen. Beratet euch und gebt eure Prophezeiung ab, sagte Rotapan, das Gesicht dem Schrank zugewandt, schlo die Augen und klopfte dreimal mit dem Stab auf den Boden. Der rote Stein tauchte die Schrumpfkpfe in ein unheimliches Licht. Puffer ffnete seinen zugekniffenen Mund und begann mit triumphierender, sich berschlagender Stimme zu sprechen. Seitdem du mich bei deinem schwersten Kampf besiegt hast, Oberster Herrscher, hat es mich nicht mehr so gefreut wie heute, dir mitzuteilen, da diese Menschen, obwohl sie nicht von Riolla geschickt wurden, gekommen sind, um dir grten Schaden zuzufgen... Ich wollte ihm von dem groen Schaden berichten! Oberster Herrscher, bei meinem Eid, dich zu vernichten, sage ich dir, da sie dein Knigreich zerstren werden und nur noch weier Staub brigbleiben wird, unterbrach Rasper. Die brigen Kpfe jubelten laut. Ruhe! R-U-H-E! Der ehrenwerte Rasper mge aufhren, mich zu unterbrechen. Der Sprecher erteilt Clutch das Wort, brllte Puffer. Clutch schnaubte und kicherte und geno die Antwort. Bei dem Speer, den du durch mein Auge gestoen hast: Der Groe ist die Nemesis von Chelydrus selbst, den du am meisten von allen frchtest, und er wird dein Zepter zerbrechen und dem Kleinen deine Magie geben! Oh, oh! Ich will die Nchste sein, Puffer, erklang eine schrille Frauenstimme von der linken Seite des Schrankes. Fahre fort, Sawsa, sagte Puffer. Oh, oh, bei dem Fang der Otter, die du ausschicktest, mich zu tten: Das Mdchen wird dich auslachen. Warum sollte sie, du wimmernde Heulsuse? schrie Rotapan den Kopf an und schttelte den Stab vor ihrem zusammengeschrumpften Gesicht. Weil sie alle entkommen sind! kreischte Sawsa jubelnd, und die restlichen Kpfe grlten und brllten triumphierend, whrend Puffer die ganze Zeit ber um Ruhe bat und somit zum allgemeinen Lrm beitrug. Rotapan wirbelte herum, um Cheyne, Claria und Og anzusehen und ri die Augen auf. Gem der Prophezeiung waren sie spurlos verschwunden und schienen so schnell davongeschlpft zu sein wie die Schlangen, wenn sie in die Mauerspalten glitten. Er knallte die schweren Holztren zu, um die Heiterkeit des Kabinetts zu beenden. Dabei klemmte er Gloms linkes Ohr ein. Ein grliches Jammergeschrei ertnte, und Rotapan klopfte mit dem Stab an die Tr, worauf Stille eintrat. Die Aufregung verursachte bei ihm einen seiner Hustenanflle, und er mute eine ganze Minute lang keuchen und ausspucken, bevor er seine Stimme wiederfand. Yob! brllte er und lie die Wut von den Wnden des runden Raumes bis zur Treppe widerhallen. Yob, ein Auge mitrauisch auf Krota gerichtet, ri sich hoch und rannte in den Tempel zurck. Ja, Oberster Herrscher? fragte er vorsichtig. Wo sind sie? Sie sind geflohen! Hast du schon wieder geschlafen? Sie mssen genau an dir vorbeigerannt sein. Ich wute es - von Anfang an rochen sie nach rger! Ich werde sie fangen und diesen Schlangen zum Fra vorwerfen, und ihr Blut wird ein treffliches Opfer fr Gott Chelydrus sein. Du hast sie hergebracht - wenn du am Leben bleiben willst, dann bringst du sie zurck! Tot! kreischte er und schlug mit dem Stab auf den Kopf einer unglcklichen Mamba. Deine Tochter, die ich als Sicherheit fr deinen Tribut festhielt, werde ich als Geisel behalten, bis du mit ihren Knochen zurckkehrst. Yob schluckte und verbeugte sich; dann fuhr er die Krallen aus und sprang ber ein Knuel Vipern aus dem Tempel hinaus hinter den Flchtlingen her. Rotapan blieb ihm dicht auf den Fersen, fuchtelte mit dem Stab und redete von einer lachenden Frau. Am Treppenabsatz blieb Yob stehen, da ein seltsames Brllen, das anscheinend unter ihm erscholl, das ganze Gebude erbeben lie. Yob schaute nach unten, verga das Gerusch aber auf der Stelle, als er in dem weichen Sand am Fu der Treppe menschliche Abdrcke erblickte, die zum Binnenmeer fhrten - dem einzigen Bereich des Tempels, der nicht von Mauer gesumt war. Seit Generationen hatte der See samt seiner tobenden Wirbel, dem Kessel, die westliche Grenze von Rotapans Gebiet beschtzt. Yob blickte zum Wasser hinber und fhlte sich bei dem Gedanken an die Verfolgung uerst bedrckt. Anscheinend war ihm eingefallen, da Orks nicht schwimmen konnten. Kurz darauf fiel ihm Schwester Kreta ein. Sie war aus ihrer Benommenheit erwacht. Yob sah nur, wie sie leicht ihre Schwanzspitze bewegte, hrte nur den Hauch einer Warnung und dann ein seltsames Gebrll aus dem Wassergefngnis, als Krota auch schon wie ein Speer auf ihn zuscho. Er versuchte auszuweichen und fiel dabei gegen eine Sule, an der sich ein Elfenschdel aus seiner Nische lste. Rotapan, der dicht hinter ihm war, wurde von einem neuerlichen Hustenanfall ergriffen, der durch die Anstrengung des Laufens verursacht worden war, und der Griff lste sich von seinem Zepter, als er sich keuchend vornber beugte. Der Stab fiel auf die Marmorstufen, und Krota wich zurck. Yob ri Rotapan gerade noch rechtzeitig fort, als die Schlange mit der Gewalt eines Kriegshammers zum zweiten Angriff ansetzte und mit dem Kopf gegen eine Knochenmauer prallte. Danach blieb sie lange genug schlaff und benommen liegen, da sich die beiden die restlichen Treppen hinabrollen konnten. Du Narr mit dem Herzen eines Goblins! brllte Rotapan, dem gar nicht auffiel, da Yob ihm das Leben gerettet hatte, Wo ist mein Stab? Yob schaute die Stufen hinauf, da er glaubte, ihn gesehen zu haben. Aber auf der Treppe war nichts. Ungefhr drei Sekunden lang. Ein leises Drhnen lie den Boden unter ihren Fen erbeben. Dann fiel etwas von der obersten Treppenstufe. Es war der Elfenschdel. Er landete dicht bei Rotapans Fen und sprang mehrere Fu hoch in die Luft. Yob hob ihn auf und wischte den Staub aus den kleinen Augenhhlen. Verzeihung, Oberster Herrscher. Ich lege ihn zurck. Er wollte die Stufen emporsteigen, als das Drhnen immer lauter wurde, und eine fremdartige, hohl klingende Musik ber sie hinwegschwebte, whrend die obersten sieben Stockwerke von Rotapans Tempel langsam zu Boden regneten, wo sie sich zu einem riesigen Haufen Knochen vereinten. Da sie den einstrzenden Tempel anstarrten, sahen sie nicht, wie Og die Hand unter Krotas Behlter herausstreckte, das Zepter ergriff und sich dann in Sicherheit brachte, als Hunderte von Knochen mit einem zischenden, hohltnenden Gerusch zu Boden fielen. An ihrem Aussichtspunkt hoch ber dem Tempel wischte sich Riolla die Stirn ab und zog die Kapuze zurecht. _Hm... Sie haben den Tempel verlassen ... wie eigenartig. Das war eine kurze Audienz. Der alte Rotapan mu wtend sein; sie rennen sehr schnell. Steckt Maceos verstoene Geliebte in Schwierigkeiten? Die Arme. Sie sollten hierher kommen, damit ich ein kleines Gesprch mit dem Ausgrber fhren und anschlieend Og zu Brei stampfen kann._ Riolla wartete noch ein paar Sekunden und dachte an die Reichtmer, die ihr bald gehren wrden. Es wrde ein Kinderspiel sein, den jungen Ausgrber dahin zu bringen, sie zur Uhr zu fhren, wenn Saelin das Mdchen in der Hand hielt. Aber da stimmte etwas nicht - Ogs Gruppe rannte zum Silbersee. Und er hatte den Stab! Dann strzte der obere Teil des Tempels ein und Riolla begriff. Sie tupfte sich die Oberlippe ab und lachte schallend, als Rotapan sein Gewand zusammenraffte und hinter den Menschen herlief. Oh, wie wundervoll! Es geht weiter. Ich wute gar nicht da diese Reise so lustig werden wrde, Saelin. Saelin schnaufte blo. Vielleicht, meine jubelnde Kaiserin, besteht die berauschende Mglichkeit, da sie von diesen Knochen aufgespiet werden oder ertrinken. Das wrde ich aus beruflicher Hinsicht nicht ungern sehen, obwohl ich zugeben mu, da es mich sehr enttuschen wrde, wenn ich nicht dazu kme, das Mdchen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, ehe ich mir den Kopf des Ausgrbers hole. Riolla hrte auf zu lachen, als Saelins Worte ihr den Anblick Cheynes heraufbeschworen, wie er von einem Knochen gettet wurde, oder wie sie an die Mglichkeit dachte, die Uhr und den Schatz in jenem Strudel des Sees ertrinken zu sehen. Vorwrts, und zwar schnell! Folgt dem kleinen Kerl mit dem Stab! rief sie beunruhigt. Saelin blickte sie entsetzt an. Ehrenwerte Schreefa, ich wollte damit sagen, da ich es von hier oben sehen mchte! Riolla winkte wtend ab und lie sich auf den Sitz neben ihm fallen, whrend Ghazi und die brigen erschpften Trger den Abhang zur Kste hinabkletterten. Sekunden spter schlichen Javin und Doulos ber die Felsen, die Riolla gerade verlassen hatte. ~KAPITEL 11 Lauft zur See! Nicht hierher, sondern zur anderen Seite der alten Brcke, hrt ihr? Wir mssen es weiter unten versuchen, wegen des Strudels! keuchte Og. Cheyne griff nach hinten, packte Og am Umhang und nahm den kleinen Mann auf seine Schultern. Og, sie sind dicht hinter uns. Besser ein unsicheres Schwimmen als einen sicheren Tod. Du kannst schwimmen, nicht wahr? Nein, berhaupt nicht. Das solltest du noch von dem Brunnen in Sumifa wissen. Ich glaube immer noch, da du nur so getan hast, als seist du hineingefallen. Das ist nicht wahr, sagte Og. Yob wird uns nicht ins Wasser folgen. Er kann auch nicht schwimmen. Aber da ist der Strudel - und das Monster. Du sagtest, Chelydrus wre nur eine Erfindung! meinte Cheyne. Ich sagte, niemand htte ihn je _gesehen!_ verbesserte ihn Og. Wrdet ihr beide euch bitte Gedanken machen, wie wir Yobs Speere berleben? rief Claria von vorn. Irgendwie war es ihr whrend der Flucht gelungen, die Stiefel auszuziehen, in ihr Bndel zu stopfen und die Rcke hochzustecken. Was hast du in dem Brunnen gemacht, Og? Zwei fast zielsichere Speere flogen zu beiden Seiten an Cheynes Kopf vorbei. Ich habe blo gebt. Ich versuchte, meine Stimme zurckzuerlangen. An dem Tag, als wir uns trafen, hatte mich Riolla gesehen. Ich hoffte, nun ... ich fiel hinein und fand heraus, da der Gesang ber dem Wasser hilfreich auf die Magie wirkte. Schlielich trieb ich noch oben, als ich dich herbeizauberte, nicht wahr? Er lachte. Drei weitere Lanzen tauchten auf; Cheyne sprang zur Seite und htte Og beinahe fallen gelassen. He, sei ein bichen vorsichtiger, ja? beschwerte sich der kleine Mann. Cheyne mute trotz allem lcheln. Aber dann kam ihm ein Gedanke und keineswegs zu frh: Seine Stiefel berhrten schon das Wasser, als ein Hagel von Speeren auf die Kste niederging. Kannst du einen Zauber wirken, der uns alle auf dem Wasser treiben lt? fragte er, whrend er hinausschwamm, Og noch immer festhaltend. Claria lag weit vor ihnen und schwamm erstaunlich schnell. Ich brauche mehr als diesen einen Stein, um uns alle ber Wasser zu halten... Hier ist eine kleine Sandbank! rief Claria, deren Mund gerade noch ber dem Wasserspiegel lag. Ich habe Boden unter den Fen, aber die Flut steigt und hier ist die Strmung. Beeilung, Og. Es sieht so aus, als wrde alles frher oder spter von jenem Strudel hinuntergezogen. Cheyne holte sie ein und lie Og an einer flachen Stelle ab, wo ihm das Wasser bis zur Nase reichte und zog seine Stiefel aus. Og, kannst du denn mit dem, was du zur Verfgung hast, gar nichts anfangen? Aua! Cheyne zuckte zusammen, als er auf etwas Hartes und Spitzes trat. Er bckte sich und brachte eine groe, zerbrochene Muschel ans Tageslicht. Er go den Sand und das Wasser aus und untersuchte den Fund; die Neugier verdrngte seine Verletzung. Claria tauchte unter, um ihr Lcheln nicht zu zeigen. Og schirmte die Augen mit der Hand ab, sprang auf und nieder und sphte rings umher. Auf allen Seiten hob und senkte sich das Wasser in stetigem Rhythmus; seine Farbe reichte von blassem Grn bis zu dunklem Blau. Der Sprhregen des Strudels erfllte die Luft und bildete Regenbogen im Sonnenlicht. Og sah nichts auer einem Stck Treibgut, das ein Stck weiter links seltsam auf und nieder schwankte. Aber es schien sich aus eigener Kraft zu bewegen. Frhlich klatschte er in die Hnde. Ja! Ich habe es, blubberte er, da die Flut ein wenig hher stieg. Aber das Ergebnis knnte sonderbar ausfallen... Cheyne kam nher und hielt ihn ber Wasser. Gib mir die Muschel und halte mich so hoch du kannst, keuchte Og. Cheyne setzte ihn sich auf die Schultern. Beeile dich, Og. Die Flut steigt schnell, und die Orks an der Kste sehen nicht so aus, als wollten sie aufgeben. Wenn du mit deinem Zauber nichts ausrichten kannst, sind wir erledigt, sagte Claria. Sie hielt den hohen Wellen stand, hatte aber sichtlich wenig Spa daran. Das Wasser sah klar aus, schmeckte aber faul und metallisch und roch nach Verwesung. Og wandte den Kopf und schlug sich aufs Ohr, bis Wasser hinausflo. Die Muschel an den Lippen, den Stab in der Hand, summte er eine mittelhohe Note, die in etwa der Tonlage der Wellen entsprach, die gegen das Ufer schwappten. Hin und wieder unterbrach er das Summen durch ein gellendes Pfeifen. Ein rotes Licht erschien um seinen Kopf herum, dessen Leuchten die Musik fast sichtbar erscheinen lie. Die ganze Zeremonie wurde von einem seltsamen, anziehenden Rhythmus begleitet, und Cheyne war froh, da Og nicht zu singen begann. Die Tne klangen erstaunlich kraftvoll und laut. Og fhrte diese Gerusche ein paar Minuten lang aus und deutete dann ber das Wasser. Seht ihr? Da, da, und dort drben. Sie kommen. Cheyne blickte zum Ufer und glaubte, Og meine die Orks, die des Wartens mde geworden waren und auf Yobs scharfe Befehle hin vorsichtig und mit hocherhobenen Speeren ins Wasser wateten. Aber Claria rief ihm zu, auf den See zu schauen. Schau mal! Was ist das? wunderte sie sich, als eine lange Reihe aus Steinen sich nherte, die sich von einer Seite zur anderen erstreckte und die in etwa dieselbe Gre hatten und sich unnatrlich gerade aneinanderreihten, whrend das rote Licht darber schwebte. Og grinste und wedelte mit dem Stab. Nach euch, werte Dame, sagte er auffordernd. Sie leben! rief Cheyne verwundert aus, als eine Wasserschildkrte von der Gre einer Snfte herbeischwamm und ihnen den grnlichen, algenbewachsenen Rcken zuwandte. Claria kletterte hinauf und bemhte sich, den scharfen Kanten der Korallen und Gnsekrebse ausweichen, die sich an den Rand des flachen Schildkrtenpanzers klammerten. Og folgte eilig, und die beiden zogen Cheyne hoch, gerade als ihm die erste Welle ber den Kopf schwappte. Vorsichtig traten sie von einem Panzer zum nchsten, whrend die Schildkrten gemtlich Wasser traten und Nase an Schwanz verharrten. So kamen sie gut voran. Dann schaute Cheyne zurck. Ogs Zauber hatte gengend Schildkrten gerufen, um von einem Ufer zum anderen zu reichen, aber etwas stimmte nicht: Sie schwammen nicht weg, und auch die Orks konnten sie benutzen. In der Tat, das Ergebnis war sonderbar ausgefallen. Nicht nur Yob und seine Krieger setzten ihnen nach, nein, auch Rotapan selbst, vllig auer sich, rannte ber die Panzer der schwimmenden Tiere und schubste Yobs Leute beiseite, in den nassen Tod. Diesmal wirst du mir nicht entkommen, Ogwater! Deine Freunde werden das Mahl fr meinen Gott sein, und du wirst endlich heim in mein Kabinett kommen, wo du hingehrst! Und gib mir meinen Stab zurck! keuchte er. Das dnne Haar klebte ihm am Schdel, und der prachtvolle Schnurrbart hing traurig nach unten. Als er an die Stelle der lebenden Brcke kam, die dem Strudel am nchsten lag, blieb er pltzlich stehen und verneigte sich tief, wobei die Hnde mit weit ausholenden Gesten durch die Luft fuhren. Yobs Truppen lagen weit vor ihm, die Kste weit hinter ihm - Rotapan merkte pltzlich, wo er sich befand: Mitten auf dem See. Er erstarrte auf dem Panzer, auf dem er stand. Aber es gab noch einen weiteren Grund, um zu erschrecken. Hinter ihm kamen vier mde und ngstlich aussehende Neffianer, die eine Snfte trugen, deren blasse Seidenstoffe im Wind flatterten. Rotapan verschwendete keine Zeit. Groer Geist der mchtigen Gezeiten, Beherrscher des Wassers, Schlange des Silbersees, erhebe dich und rette deinen untertnigen Diener! Ich flehe dich an, nimm diese Bedrohung von deinem dich anbetenden Geschpf! Aber das einzige, was sich aus dem Strudel erhob, war ein Zischen und ein Wasserregen, der sich ber Rotapan ergo und ihn vom Rcken der Schildkrte in das wogende Wellental ri. Riolla zog die Vorhnge auf, whrend sich die Neffianer vorsichtig ber die Schildkrtenpanzer tasteten, winkte Rotapan zu und lchelte gehssig, als der Halbork dagegen kmpfte unterzugehen. Auch Cheyne hatte nach hinten geblickt. Og, Claria - beeilt euch. Wir kriegen Gesellschaft, sagte er. Er sah, wie Rotapan die Lippen bewegte und die geballten Fuste nach Riolla und in ihre Richtung richtete. Schneller, Og! rief er. Sie rannten ber die Panzer, bis sich das Wasser von Dunkelblau in Grn verwandelte und schlielich zu einem blassen Grnton wurde. Als Cheyne den Strand ganz deutlich sehen konnte, packte er Og an der Kapuze und sprang von dem letzten Panzer herunter; Claria schwamm bereits ein Stck vor ihnen her und wurde bisweilen von den hohen Wellen verdeckt. Rotapan war verschwunden. Riolla seufzte und warf eine Feder an die Stelle, an der sie ihn zuletzt gesehen hatte. Dann lie sie sich weitertragen, ohne noch einen Gedanken an den Halbork zu verschwenden. Aber die Snfte neigte sich gefhrlich zu einer Seite; sie blickte hinaus und sah einen Sklaven, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, da das Gewicht der Snfte fr den erschpften Mann zu schwer wurde. Saelin - anscheinend ist die Snfte zu schwer. Geh auf der anderen Seite hinaus, sagte sie und stie den Meuchler von seinem Platz in das dunkle Wasser. Dann rutschte sie in die Mitte der Snfte, um das Gleichgewicht zu wahren. Weiter. Sie rmpfte die Nase wegen des schweren, penetranten Geruchs des Wassers. Saelin schnappte unter den schumenden Wellen nach Luft; das Gewicht seiner schweren Gewnder und der Waffen zog ihn sofort in die Tiefe. Verzweifelt krallte er sich in Ghazis Knchel, woraufhin der schreiende Neffianer ebenfalls ins Wasser gerissen wurde. Whrend Ghazi versank wie eine Mnze in einem Brunnen, kmpften die anderen Sklaven mit der Snfte. Og sa noch immer auf Cheynes Schultern, Cheyne und Claria kmpften gegen eine starke Kstenstrmung, und immer wieder versuchten sie, das Ufer zu erreichen. Yob und drei seiner Krieger waren ihnen dicht auf den Fersen. Aber bald stellte Cheyne fest, da eine neue Schwierigkeit bevorstand, deren Bewltigung zu wnschen briglie. Mit jeder Welle des Silbersees wurden Vipern herangetragen, die Rotapan mit seinem Stab rief. Der Ajada hatte sie in die Fluten gelockt, wo einige auf der Stelle ertranken, aber die meisten schwammen recht behende, die Kpfe ber die Wellen erhoben, und folgten dem Stab voller Inbrunst. Mehrere Vipern berholten Riollas Snfte und eilten auf die Orks zu, da sie sich im Wasser bedeutend schneller als zu Land bewegten. Innerhalb von wenigen Sekunden wrden sie da sein. Og! Tu etwas! rief Cheyne. Der Magier hob die Hnde, um die Schildkrten von dem Zauber zu befreien, als er Rotapan erblickte, der aus dem Wasser auftauchte und auf die Panzer kletterte, die in der Nhe des Strudels trieben. Er schimpfte und prustete, und die Wellen schlugen ihm ber dem Kopf zusammen, whrend er sich mit den gebogenen Krallen an dem schlpfrigen Rcken der Schildkrte klammerte. Riolla ghnte und runzelte die Stirn, als sie ihn bemerkte. _Wie unangenehm,_ dachte sie. Og verga den Zauber und lachte beim Anblick des Orkfrsten schallend auf, dessen silberner Schnurrbart wie bei einem Walro herabhing und dessen knochige, grne Arme wild umherfuchtelten, als er noch einmal untertauchte und wieder hoch kam. Og, mach schon! rief Cheyne, der die Verzgerung keineswegs spaig fand. Eine braune Viper kreuzte nur wenige Zentimeter von Clarias Fu und versuchte, sich um den Knchel des Mdchens zu wickeln. Du alter Habicht! Wer wird jetzt wessen Kopf nehmen? verspottete Og den ertrinkenden Herrscher. Um die Qual noch zu steigern, schttelte Og bei jedem Auftauchen des Halborks den Stab. Die braune Viper stie vor und wand den rauhen, gezahnten Krper einmal um Clarias Fu, ri das Maul auf und stie zu. Sie verfehlte ihr Opfer nur, weil Claria wie wild um sich trat. Og! Der kleine Mann erschrak bei dem Ton in Cheynes Stimme und lachte nicht mehr. Und er lie den Stab fallen, da er Riolla bemerkt hatte. Cheyne hatte keine Zeit, sich weiter mit ihm zu beschftigen. Er tauchte nach der braunen Viper und packte den breiten, flachen Kopf, wandte ihn von Claria ab und drckte ihn ins Wasser. Er drckte mit aller Kraft zusammen. Die Schlange wand sich ihm um seinen Arm und Nacken; der Schmerz und die Angst zu ersticken, lieen Cheyne auftauchen. Og schaute verzweifelt zu, wie die Flut das Zepter schnell in die Richtung des Strudels strmen lie. Die anderen Schlangen, die ihm noch immer folgten, wurden durch das brodelnde Wasser verwirrt und fingen an, sich gegenseitig zu beien und auf Rotapan zuzuschwimmen, der noch immer an einer Schildkrte hing und sich mit aller Kraft an ihr festklammerte. Der Strudel spielte mit dem Stab; das rote Leuchten des Ajadas wurde von den Wellen nicht gedmpft. Frhlich tanzte er auf den Wogen am Rande des Strudels und verschwand dann kurz im Wasser, um an derselben Stelle wieder aufzutauchen. Eifrig bemhte sich Rotapan, ihn zu erwischen. Enttuscht erinnerte sich Og an sein Vorhaben und wartete, bis er sicher war, da Riolla nicht ertrinken wrde - hoffentlich ertrank Rotapan - und summte in die Muschel. Ohne Hilfe des Zepters... Aber das rote Licht erlosch, und die verblfften Schildkrten lsten ihre Reihe auf und entfernten sich. Riolla bemerkte, da die Snfte langsam unterging, denn die Neffianer hatten unter dem Ansturm der wtenden Schlangen ihre Posten verlassen. Schlielich versank das Gefhrt in den Wellen. Yob, der von dieser Entwicklung vllig berrascht wurde, glitt auf dem Rcken einer Schildkrte davon, die solange unter Wasser blieb, bis er glaubte, es nicht lnger auszuhalten, aber dann nahe des Ufers wieder auftauchte. Nie zuvor war er so glcklich gewesen, Land zu sehen und bahnte sich einen Weg durch die Wogen, verlor aber schnell das Bewutsein. Winzige Wellen pltscherten gegen sein Kinn, als er an den Strand getrieben wurde. Weiter hinten schwamm Rotapan inmitten unzhliger Schlangen, die zum Teil ermdet waren und sich um alles Feste wickelten, dessen sie habhaft werden konnten. Whrend er darum kmpfte, dem Strudel zu entkommen, ri sich Rotapan zwei Kraits und einen Kupferkopf von den Armen und brllte vor Entsetzen. Sicher htte ihn der Strudel verschluckt, wenn nicht Riolla vorbeigetrieben wre, deren Snfte mit zischenden Schlangen bedeckt war und von einer darunterschwimmenden Schildkrte getragen wurde. Er griff nach einem Halt, und sie schlug ihm mit dem Fcher auf die Finger, ein grausames Lcheln auf den Lippen. Og sah ihr begeistert zu, denn nun klopfte sein Herz nicht nur vom Laufen ber die lebende Brcke. Als sie das Ufer erreichten - die braune Viper war endlich tot -, deutete Cheyne auf den Wald. Og, komm schon! rief er. Claria sagt, wir htten zwei Mglichkeiten: Entweder benutzen wir die alte Karawanenstrae, die auf Drufaldens Berge zufhrt, oder wir ziehen durch den dichten Wald. Claria stand schweigend da und beobachtete, wie er vorsichtig seinen Nacken abtastete, whrend sie ihre Gewnder auswrang. Die tote Schlange lag ein Stck weiter weg, aber noch schmerzte ihr Knchel und sie zitterte bei dem Gedanken an die Berhrung. Bebend dachte Claria daran, da sie dem Bi nur knapp entkommen war. La mich das machen, sagte sie und nahm seine Hand beiseite. Als Og den Strand entlanglief, suberte Claria Cheynes Wunden. Er sah zu den hohen Fichten hinber, die nur hundert Fu westlich der Kste standen. Gengend Deckung, dachte er, wenn sie nur schnell genug verschwinden konnten. Er suchte nach seinen Stiefeln und dem Totem, der zwar salzverkrustet, aber unversehrt war. Nur das kleine Buch war verschwunden. Aber nun blieb keine Zeit mehr, um danach zu suchen. Og! schrie er ungeduldig. Ich wei. Ich komme. Ist sie nicht schn? Wie eine Knigin. Og seufzte. Bei dem Wort Knigin warf ihm Claria einen tdlichen Blick zu, sagte aber nichts. He, was ist das? Cheyne deutete auf einen Gegenstand, der im flachen Wasser wie ein Stck Treibholz herumschwamm. Da ist der Stab! Ich dachte, er sei fr immer verloren! rief Og, schleuderte die Stiefel weg und rannte ins Wasser, um den Ajada zu retten. Nicht so hastig - er gehrt mir! rief eine Stimme aus den Wellen. Rotapan, der von einem Mantel aus Algen umgeben war und eine wasserscheue Korallenschlange wie eine Krone um den Kopf gewickelt trug, tauchte kurz aus dem Wasser auf, tauchte aber wieder unter. Als er noch einmal hoch kam, waren Og, Cheyne und Claria verschwunden. Nur die verlassenen Stiefel Ogs waren zurckgeblieben, und das Echo von Clarias Gelchter wurde vom Wind durch die hohen Fichten getragen. Nun, du hast mit deinem Zauber gute Arbeit geleistet, Rotapan. Dieser Stein kann viel mehr als nur Schlangen anlocken. Riolla atmete tief, als sie die schwankende Snfte mit den tropfnassen Seidenkissen verlie und trockenen Boden betrat. Bevor das Wasser zu flach wurde, hatte der Instinkt die Schildkrte wieder in den See getrieben, aber Riollas Lammfellstiefel waren die ganze Zeit ber nicht ein einziges Mal mit Wasser in Berhrung gekommen. Ein oder zwei hartnckige Nattern sprangen aus dem Wrack der Snfte und bewegten sich auf den trockenen Sand zu, wo sie mit ihren gehrnten Kpfen nach wenigen Sekunden verschwanden. Rotapan beneidete sie um das Versteck. Er sa erschpft und kraftlos in dem weien Sand und war nicht mehr in der Lage, Riollas Spott abzuwehren. Auerdem hatte er die Korallenschlange auf seinem Kopf vergessen, bis sie sich entspannte, entrollte und in weiten Ringen ber seine schmalen Schultern fiel. Als ihm einfiel, da er nun nichts mehr gegen Bisse tun konnte, sa Rotapan stocksteif da, verzog angewidert sein Gesicht und bemhte sich, nicht zu atmen, bis die Schlange endgltig verschwand. Er blickte unwillig nach oben, wo Riolla ber ihm stand, sich in der drckenden Hitze Luft zufchelte und den Zikaden lauschte, die in den Bumen zirpten. Was willst du von mir? Er seufzte und roch nach abgestorbenen Algen. Riolla atmete durch den Mund. Oh, zuerst einmal denke ich, mchtest du mich fr die Kpfe entschdigen, die deine Leute meinen Meuchlern abschlugen. Ich htte sie noch gebrauchen knnen, weit du? Sie sind ausgesprochen teuer. Drufalden fordert in letzter Zeit immer mehr Geld fr weniger Leistung, antwortete sie. Wie denn? Der Stab und der Stein sind verschwunden - der Musikmagier hat sie. Was soll ich tun? Und Was ist mit dem Gott Chelydrus? Mit Hilfe des Ajada konnte ich mit ihm sprechen. Der Zauber ist verschwunden, daher kann mich mein Kabinett nicht beraten. Die Kpfe meiner Feinde nutzen nur noch zur Abschreckung. Und was das Gift betrifft - ohne den Stab kann ich nicht mehr so einfach an Gift kommen... Wie soll ich jemals erkennen, wann Chelydrus ein Opfer verlangt? sthnte Rotapan. Ja. Ich wei. Ich bin sicher, er wird sehr unzufrieden mit dir sein. Aber ich wrde dir den roten Stein zurckgeben, wenn du mir bei einer bestimmten Sache behilflich wrst, log sie. Das schuldest du mir. Rotapan richtete sich ein wenig auf. Vielleicht kann ich dir wirklich helfen. Er lchelte, und er blickte mit seinen blauen Augen eigentmlich abwesend drein. Ich bentige eine kleine Gruppe Krieger, Rotapan. Schnelle Denker und Kmpfer, und zh mssen sie sein. Keine Orks, klar? Ich brauche Krieger, auf die ich mich verlassen kann, die mir gehorchen. Wir werden den Pfad nehmen, der zu Drufaldens Berg fhrt. Sie wird uns treue Ninniten zur Verfgung stellen, Nun ja, davon hat sie wirklich genug. Aber was ist mit den Sklaven? Das ist etwas anderes. Was ist, wenn sie mich sehen? Es ist zehn Jahre her, aber du hast recht, wahrscheinlich erinnern sie sich an dich. Aber es sind _Sklaven_, du rckgratloses Ungeziefer! Du bist der Herrscher! Also denke daran: nur treue Ninniten. Meine besten Mnner stammen aus Drufaldens Ausbildungslager, und die beiden letzten verbringen die Ewigkeit als Schreckensfiguren in deinem Tempel. Jedenfalls bis der obere Teil einstrzte. Da fllt mir ein - Saelin, wo steckst du? rief sie laut. Sie schttelte den Sand von der Spitze ihres zierlichen Stiefels, zupfte sich das Haar zurecht und suchte nach einem Gegenstand, um eine Locke, die sich gelst hatte, festzustecken. Sie whlte Rotapans jetzt nutzlosen Knochenschlssel, der tropfend am Grtel der Tunika hing. Widerwillig gab er ihn ihr. Ich werde es zum Heil des Gottes Chelydrus tun, erklrte er und starrte auf die Ruine seines Tempels. Er war zwar nicht sicher, aber aus der Entfernung sah es so aus, als wre der Einsturz nicht weiter fortgeschritten. Vielleicht standen die alten Teile noch - die Prophezeiung hatte sich nicht bewahrheitet. Er konnte ihn neu aufbauen... Wo und wann brauchst du sie? schnarrte er. Sie sollen sich im Grenzgebiet versammeln. Sobald wie mglich. Du wirst ihnen befehlen, meine Anordnungen zu befolgen, sobald ich eintreffe. Im Grenzgebiet? Rotapan zwirbelte unglubig seinen Schnurrbart, Du kannst von hier aus nicht dorthin gelangen. Die Elfen... Wie soll ich denn... Er schwieg, als er ihre Miene sah. Gut. Zum Grenzgebiet. Wir mssen uns beeilen. Wir nehmen die alte Karawanenstrae, um zu Drufalden zu gelangen. Ich denke, du kannst uns begleiten, bis wir zum Berg kommen. Diese Sache mu schnell zu einem Ende gebracht werden. Ich mu an einer Hochzeit teilnehmen. Wo ist Saelin? murmelte sie. ~KAPITEL 12 Ein ganzes Stck entfernt entlang des Strandes, nahe der Mndung eines kleinen Flusses, kam Yob wieder zu sich. Stechende Fliegen mit blauen Flgeln schwirrten um seine groen Ohren. Er hob seinen nassen Kopf hoch, atmete fest durch die Nase, da der Rotz nach allen Seiten flog, und setzte sich auf. Er schaute zum See, da ihm einfiel, da er mit einer Gruppe zusammen gewesen war, und er versuchte herauszufinden, ob seine Krieger sich auch zur Kste gerettet hatten. Aber sowohl Strand als auch See waren leer, bis auf Treibgut und angesplte Kleidungsstcke. Er war allein. Nun, nicht ganz. Als er sich in die andere Richtung wandte, sah er ein groes, pelziges Wesen im flachen Wasser stehen, wo der Flu und die See sich vereinten. Das Sonnenlicht wurde von einem glnzenden Gegenstand im Ohr des Wesens reflektiert, das in der einen Hand eine Muschel und in der anderen einen Stein hielt. Yob stie einen berraschten Schrei aus. Das Wesen rhrte sich nicht. Nachdem es den Ork eine Weile betrachtet hatte, lehnte es sich zurck, schlug die Muschel gegen den Stein, und seltsamerweise fiel das Fleisch heraus, doch die Schale blieb heil. Pltzlich fiel Yob auf, wie furchtbar hungrig er war. Es war ein harter Tag gewesen. Sabbernd strzte er sich in das brackige Wasser und setzte dem Wesen nach. Der Otter schlpfte ihm spielerisch durch die Klauen und schwamm zum Ufer. Yob sprang ihm nach, fand sich aber nur mit den Augen voller Sand und einem Arm voller steinharter Muskeln wieder. Die rasiermesserscharfe Kante der Muschel schnitt ihn an der Kehle. Sei lieb. Eine tiefe Frauenstimme flsterte ihm ins Ohr. La mich los, sonst werden sich die Haie zu einem frhen Mahl versammeln, wenn die Flut deinen Krper hinaustrgt und du wirst deine Tochter nie wiedersehen. Yob lockerte den Griff an ihrem Arm. Sie glitt hinter ihn. Danke. Jetzt dreh dich nicht um, bis ich es dir sage. Yob war nicht in der Lage, darber zu streiten. Halb ertrunken und sehr einsam tat er, wie ihm befohlen wurde. Auch der Hunger war vergangen. Vorsichtig befhlte er den kleinen Schnitt am Hals. Kaum mehr als ein orkischer Liebesbi, aber der Schmerz wurde allmhlich unertrglich. Er fragte sich, ob die Muschel vergiftet war. Hinter seinem Rcken raschelte ein Stoff. Er drehte den Kopf, soweit er konnte, ohne noch mehr Schmerzen zu haben, konnte die Frau aber nicht sehen. In Ordnung. Ich bin jetzt angezogen. Dreh dich langsam um. Was hast du zu erzhlen? forderte ihn die verfhrerische Stimme auf. Yob drehte sich im Sand um und sah sich einer kleinen Frau gegenber, die in braune Ghomafelle gekleidet war und die scharfe Muschel noch immer in der Hand hielt. Sie sah ihn mit ihren silberfarbenen, groen Augen lange an. Gesicht und Krper waren schwarz wie die Nacht. Das Haar lag in dichten Locken ber dem Nacken und der breiten Stirn. Yob wute zuerst nicht, was so seltsam aussah, aber dann fielen ihm ihre Ohren auf: Sie waren winzig, lagen flach am Kopf und waren spitz wie Museohren. Oder wie die eines Otters. An ihrem linken Ohrlppchen hing an einem goldenen Ohrring ein Juwel in den Farben des frischen Wassers. Ich bin Yob, sagte er. Ich habe vergessen, was es zu erzhlen gibt. Wer bist du? Kannst du das nicht erraten? Ich dachte, ihr Grnhute wrdet gern spielen. Sie lchelte, und das Juwel blitzte im Sonnenlicht. Yob schttelte den Kopf, was ihn schwindlig werden lie; er hatte den Tag ber falsch geraten. Die Frau lachte und vollfhrte einen bertriebenen Hofknicks. Ich bin Frijan, die Tochter des Wasserknigs Wiggulf. Und du bist mein Gefangener, Ork. Steh auf und geh. Wir mssen einen weiten Weg laufen, da ich wei, da du nicht schwimmen kannst. Yob erhob sich. Als er vor der Frau aufragte, fiel ihm ein, wie gro er war, und er lachte. Dein Gefangener? Ich bin Yob! Ein Wyrvilhuptling. Du bist eine kleine Selkie. Es ist lustig, was du da sagst. Der Schnitt an deinem Hals wird dich innerhalb von drei Tagen tten, wenn du nicht mitkommst. Mein Vater ist der einzige, der das Gift bndigen kann. Ist das auch lustig, Ork? Yob ri die gelben Augen weit auf und fate an seinen Hals; der Schmerz verschlimmerte sich, whrend er darber nachdachte. Nach einer Weile wies ihm Frijan den Weg, und sie gingen am Flu entlang in den Fichtenwald. Ich brauche frisches Wasser, um meine Kleidung auszusplen und mir das Salz von der Haut zu waschen, murmelte Claria, als sie Cheyne und Og tiefer in den Wald fhrte. Es ist lange her, seitdem ich Verfolger hrte. Die alten Karten zeigen, da ein Flu durch diesen Wald fliet, und ich kann ihn sogar riechen. Knnen wir anhalten, um uns zu waschen? Noch nicht. Ich mchte noch ein paar Meilen zurcklegen, bevor wir rasten, sagte Cheyne und sah ber seine Schulter. Die Bume wlbten sich ber dem Weg, der Boden war trocken und mit vielen Schichten Fichtennadeln bedeckt. Es war schwierig, Spuren zu erkennen. Trotzdem sprte er die Gegenwart von Verfolgern. Og, geh schneller. Hr auf, von Riolla zu trumen. Sie htte dich vorhin ertrnkt, ohne mit der Wimper zu zucken. Komm schon. Du solltest mein Fhrer sein, nicht umgekehrt. Ich wei, ich wei. Der kleine Mann seufzte und hielt einen der hlichen Stiefel in der Hand. Die nassen Sandalen quietschten ein wenig. Ich wnschte, es wre anders. Ich wnschte, sie wrde mich so lieben, wie ich sie liebe. Sanft schob ihn Cheyne vor sich her und blieb dann stehen, um zu lauschen. Nicht weit entfernt, auf der rechten Seite, hatte er gehrt, wie sich jemand zwischen den Bumen bewegte - jemand, der sich auszukennen schien. Nach Clarias Schtzung lag dort der Flu. Die Bume schienen dort weniger dicht zu stehen und ermglichten ihm, aus der Deckung heraus zu sphen. Er verweilte lautlos und lauschte dem Wispern des khlen Windes in den duftenden Fichten. Dann sah er sie. Yob, mit hngenden Schultern und einer Hand am Hals, taumelte keine fnfzig Fu entfernt vorber. Hinter ihm schritt eine dunkelhutige Frau, als gehre ihr der Wald und alles, was dort lebte. Yob verursachte die Gerusche. Die Frau ging, als wrden ihre Fe nie den Boden berhren, als schwebe sie durch die Luft. Sie gingen zielstrebig und forsch voran. Und Yob schien sehr unglcklich zu sein. Langsam lie Cheyne den Ast sinken, den er sich vor sein Gesicht gehalten hatte. Nach wenigen Schritten hatte er Og und Claria eingeholt und gebot ihnen stehenzubleiben. Ogwater, es ist dein alter Freund Yob. Er scheint verletzt zu sein, ist aber noch gut zu Fu. Eine dunkelhutige Frau geht hinter ihm her, und ich glaube, sie hat ein bestimmtes Ziel, flsterte er, als die drei unter den Bumen dicht beisammensaen. Sie mu auch einen bestimmten Grund haben. Sie wird eine Selkie sein, erwiderte Og mit gerunzelter Stirn. Eine Selkie? fragte Claria. Ja. Fluvolk, weit du. Sie verwandeln sich von Menschen, besser gesagt: von menschenhnlichen Wesen in Ottern und so weiter; es hngt von ihrer Stammeszugehrigkeit ab. Sie leben weiter fluaufwrts im Wald, wissen aber alles, was im Wasser geschieht. Sie mu Yob am Delta entdeckt haben. Selkies lieben drei Dinge; Spiele, Flitterzeug und das Fischen. Ehe Rotapan den Silbersee vergiftete, waren sie oft dort anzutreffen. Og lchelte. Aber bisher bin ich noch nie so weit nach Westen gekommen. Daher rate ich nur und gehe nach dem, was die Orks und die alten Balladen erzhlen. Cheyne zog seinen Fu ber den weien Sandboden. Was wrde sie mit einem Ork anfangen, Og? Oh, ich wrde sagen, sie nimmt ihn mit nach Hause. Denkt daran, da Rotapan ihren Knig seit Jahren im Wasserkerker gefangen hlt. Wahrscheinlich plant sie einen Handel... Rotapan scheint mir jemand zu sein, der sich um niemanden auer sich selbst kmmert. Warum sollte er Yob auslsen? fragte Cheyne. Wrde er auch nicht. Aber Yob wrde Womba auslsen wollen, erklrte Og. Ich versteckte mich unter Krotas zerbrochenem Topf und hrte Rotapan sagen, da er Womba gefangenhlt, bis Yob uns alle zum Tempel zurckbringt. Eigentlich blo unsere Kpfe. Woher sollten die Selkies das wissen? Wenn sich Womba im Wasserverlie befindet, wissen sie es von Wiggulf. Er singt die ganze Zeit. Im Wasser geschieht nichts, was die Selkies nicht innerhalb einer Stunde erfahren. Wir sollten ihnen folgen. Wenn wir sonst nichts finden, gelangen wir wenigstens sicher durch den Wald, meinte Cheyne und dachte an die Kanistas, die er gesehen hatte; eine mde Reisegruppe wre das geeignete Opfer fr diese Biester. Erschpft fhrte er die anderen an. Claria ging in der Mitte und behielt Og im Auge, denn sie hatte gesehen, wie er nach Riolla lechzte. Der Musikmagier umklammerte das Zepter mit dem Schlangenkopf; der rote Ajada war mit einem Fetzen seines Hemdes verhllt. Jedesmal, wenn Claria Cheyne einen Blick zuwarf, sah Og nach hinten und lauschte angestrengt auf Gerusche, die auf Verfolger schlieen lieen. Insbesondere auf Riollas Stimme. Nach einer Stunde lichteten sich die Fichten ein wenig und krnkliche junge Bumchen tauchten auf, die keine Deckung mehr boten. Cheyne lie sie mehrere hundert Schritt zurckgehen, ohne da sie die trockenen, raschelnden Bltter aufwhlten, die unter den Ahorn- und Hundeholzbumen lagen. Claria bewegte sich geschickt, aber Ogwater hrte sich wie Yob an. Schlielich hielten sie am Fluufer in der Deckung einer umgestrzten Weide an. Sieht ganz so aus, als knnten wir uns jetzt waschen, Claria. Wir mssen Wasser mitnehmen, wenn wir ihnen noch weiter folgen wollen. Wie weit sind wir schon fluaufwrts gekommen? Claria war bereits in das klare, kalte Wasser gewatet. Leichter Nebel hing ber dem Flu, und es sah aus, als hingen kleine Eiskristalle in der Luft. Brrr! Das Wasser ist wie Eis! Um diese Zeit sollte es noch nicht so kalt sein. Die Bltter sind noch nicht einmal abgefallen, beschwerte sie sich, planschte ein wenig herum und kam wieder heraus. Ich kann mich erinnern, da sich der Flu irgendwo hier in der Nhe verbreitert. Ich habe die Stelle vier Meilen weiter eingezeichnet - eine Art Insel mitten im Flu. Mehr zeigten die Karten der Hndler nicht. Wir mten ganz in der Nhe sein. Das mu der Felsen des Haupthauses sein. Wiggulfs Heim ist angeblich so gro wie ein Festsaal, erklrte Og. Ich kenne ein Lied... Er begann zu summen, aber Cheyne brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. Komm schon. Zurck in den Flu. Ich nicht. Wir wrden darin keine zehn Minuten aushalten, sagte Claria frstelnd. Und wie sollen wir ihnen zum Haupthaus folgen? Es wird doch von Selkies bewacht, oder? Ich fhre euch. Alle drehten sich nach der tiefen Frauenstimme um. Vor ihnen stand lchelnd eine weibliche Selkie. Neben ihr wartete Yob, der heftig zitterte und dessen Gesicht kreidebleich war. Gehen wir. Diese Grnhaut geht sonst schnell ein. Er ist zu schwer zum Tragen, und sie treiben nicht auf dem Wasser, aber er mu noch eine Weile am Leben bleiben. Das wrde ihm wohl auch gefallen. Ich mute euch holen, weil ihr so langsam seid. Es dauert nicht mehr lange, dann fllt er um. Aber jetzt knnt ihr ihn tragen, wenn das geschieht. Sie winkte hoheitsvoll zu Yob hinber und deutete dann auf den beinahe unsichtbaren Pfad vor ihnen. Cheyne blickte vorsichtig ber die Schulter, denn das Gefhl, verfolgt zu werden, kroch ihm den Rcken hinauf. Er erwartete, Riolla und Rotapan hinter sich zu sehen. Was er statt dessen sah, freute ihn auch nicht viel mehr. Zwei Dutzend krftige, brtige Mnner, deren Haut die gleiche Farbe wie die der Frau hatte und die lange Korallenmesser in ihrer Hand trugen, tauchten auf und kreisten sie ein. In ihren lockigen dunklen Haaren und Brten glnzten Wassertropfen. Muscheln und Skelette von Seepferdchen baumelten an den Ohrlppchen und um die Hlse, so wie von den Grteln, mit denen die Gewnder aus Ghomahaut zusammengehalten wurden. Ihr habt doch nicht etwa geglaubt, da die Tochter des Fluknigs allein reist, oder? lachte Frijan. Da fiel Yob etwas ein, was ihn aus seiner Qual ri. Tochter... Womba..., rief er leise. Der Tempel strzte ein, und du bist noch dort, meine kleine Blume. Sie wnschte, er wrde mit dem grlichen Gesang aufhren. Womba rttelte an den Eisenstben des Wasserkerkers und stie ein ohrenbetubendes Brllen aus, so da der alte Selkie das traurige Lied unterbrach. Oh, sehr gut. Noch ein wenig mehr, und wir sind drauen, nickte er aufmunternd. Bitte, Orkin, erzhle mir, weshalb du hier bist. Womba hngte sich an das rostige Gitter; die Wellen schwappten ihr bis an den Hals, und sie kratzte unglcklich eine graue Alge ab, die sich an ihrem Kinn verfangen hatte. Das Salzwasser verdarb ihr Kleid, und wenn es noch hher stieg, wrde sie ertrinken. Als sie nicht antwortete, wedelte der alte Selkie spielerisch mit dem Schwanz und sang weiter. Womba seufzte und berlegte, wie anstrengend es sein wrde, den alten Pelzsack zu fangen und aufzufressen. Aber dann wre sie allein hier unten, und trotz des schrecklichen Gesanges wre das noch viel, viel schlimmer. Acht bewaffnete Orks waren ntig gewesen, um sie hierher zu schaffen. Sie mute wirklich mde gewesen sein, sagte sie sich. So viel Schwche war unentschuldbar. Og wrde sich nach ihr sehnen... Eine groe Trne bildete sich in ihrem rechten Auge und tropfte in das ansteigende Wasser. Oh, mach es bitte nicht noch schlimmer. Das Wasser wird dich sowieso bald ertrinken lassen. Der alte Selkie kicherte und schwamm zu ihr. Er lie sich auf dem Rcken treiben und sah sie an; Mitleid und Trauer standen in seinen groen braunen Augen. Das helle Sonnenlicht drang von auen durch die Gitterstbe, fiel durch den Torbogen und landete an der Decke. Die Strahlen lieen seine grauen Barthaare glnzen. Weswegen weinst du, Orkin? quiekte er. Seine Stimme klang in Wombas Ohren schwach und eigenartig. Was? blubberte sie. Ist es ein junger Krieger? Deine Mutter? Ein lange verlorener Freund? Der alte Selkie paddelte langsam um sie herum und hielt sich gerade auer Reichweite. Die Worte hallten von den nassen, salzverkrusteten Wnden des Kerkers wider. Ich habe ihn durch meine Schwche beschmt; ich lie mich gefangennehmen. Er sollte mein Gemahl werden, aber nun geht er mit _ihr_. Sie brach in Trnen aus. Wer? Wer? Der beste Liedermacher von ganz Almaaz: Ogwater Rifkin. Ach, meinst du die hliche Frau? Ich wei den Namen nicht. Es ist mir egal. Und sie stinkt. Sie gurgelte, da sie wegen der steigenden Wellen nur stoweise sprechen konnte. Wieder schrie sie verzweifelt auf. Ein Drhnen ber ihren Kpfen antwortete, und beide sahen gerade rechtzeitig hinauf, um zu sehen, wie sich ein groer Ri in der gewlbten Decke bildete und sich vor ihren verblfften Blicken erweiterte. Der alte Selkie klatschte begeistert in seine Pfoten, sprang vor Aufregung hin und her und tauchte unter. Als er wieder an die Oberflche kam, hatte sich der Ri bis zum Tor ausgebreitet, und Womba hockte daneben, halb ertrunken. Was geschieht? Der Tempel strzt ber mir zusammen! Mein Haar ... mein Hochzeitskleid! Das ist mein Hochzeitskleid! weinte sie, heftig nach Luft ringend. Nein, nein! Es wird alles gut. Es hat endlich geklappt! Mein Lied hat seit Jahren an den Fundamenten genagt und dein hbscher Schrei hat den Verfall ausgelst. Siehst du, du bist gar nicht so schwach! Ha! Ich habe dein Gefngnis besiegt, Rotapan, alter Gauner! Und ich habe dich geschlagen! brllte er nach oben. Dann schwamm er zu Womba, die wie ein grner Krebs am Gitter klebte. Du mut an den Eisenstangen rtteln. Du bist ein groes, starkes Mdchen, du kannst es schaffen. Denk an deinen Liebsten. Durch ihre Panik war Womba bereit, Berge zu versetzen. Die kleinen gelben Augen verschwammen, und die Lippen verzogen sich zu einem Knurren, als sie ihre Schulter gegen das Gitter drckte. Sofort lste es sich aus der Verankerung. Und versank. Nein, nein. Loslassen, Orkin! La das Tor los! rief der Selkie und tauchte ihr nach. Aber Womba hielt das Gitter mit tdlichem Griff gepackt. Ein Schrei kam aus ihren Lippen und erschien in groen Blasen. Der Selkie verdrehte seine Augen und versuchte, sie durch das Gewirr von Algen und Krebsen zu packen, die an dem Gitter klebten. In klarem Wasser wre es schon schwierig gewesen, in dem schlammigen Gewhl erwies es sich jedoch als unmglich. Wiggulf stieg auf, um nach Luft zu schnappen und fragte sich, weshalb er sich Sorgen um Womba machte. Schlielich hatten ihn ihre Leute jahrelang in diesem furchtbaren Kerker gefangengehalten. Er hatte von den Fischen, Mollusken und Krabben gelebt, die von der Flut hereingetragen wurden und die dunklen, sicheren Mauern des Verlieses schtzten. Er war trocken genug gewesen, um sich in einen Menschen zu verwandeln. Aber man hatte auch Womba eingesperrt. Das reichte eigentlich. Er tauchte noch einmal unter, fand Wombas riesige Pranke, deren Krallen noch immer an dem Gitter hingen und ffnete sein Maul, um zwei sehr scharfe Schneidezhne zu entblen. Mit aller Kraft bi er auf die schuppigen Finger. Es half. Sie lie die Stangen los und schlug nach ihm. Dann jagte sie ihn vom Meeresboden an die Oberflche. Wut und Schmerz standen in ihren gelben Augen. Wiggulf entkam ihr nur mit Mhe. Genug, Orkin! La das! Ich will dir nichts Bses. Du bist in Sicherheit, nicht wahr? Er deutete auf die offene See. Wir mssen jetzt schwimmen, durch das Tor hinaus. Halte den Atem an. Er keuchte, und Womba fletschte die Zhne und kmpfte darum, ber Wasser zu bleiben. Ich kann aber nicht schwimmen, du Ungeziefer! heulte sie und spuckte ihn mit Wasser voll. Daran hatte Wiggulf nicht gedacht. Aber nun blieb keine Zeit mehr zum Grbeln. Der Tempel strzte zusammen und hier und da fielen vereinzelte Knochen pltschernd ins Wasser, wie Tropfen zu Beginn eines schweren Wolkenbruchs. Er wute, da sie bald nicht mehr in der Lage sein wrden, weit genug zu entfliehen, ehe das kopflastige Gebude sich vllig auflste und schwere Marmorblcke, Monaurochenschdel und Walfischknochen auf sie fielen. Er schwamm an Womba vorbei und kniff sie; wtend folgte sie ihm und gelangte dadurch aus dem Kerker. Immer wieder umrundete er die Orkin, neckte und zwickte sie, bis sie nur noch ein paar Zoll vom Eingang entfernt war. Vor ihnen trieb etwas im Wasser: Einer von Rotapans Lieblingswasserspeiern, der aus einem Haufen groer runder Schdel gefertigt worden war, die wie Kokosnsse auf den Wellen tanzten. Wiggulf tauchte auf und zog das flohnliche Gebilde zu Womba herber, die sich mit aller Kraft, die ihr noch blieb, daran festklammerte. Nachdem er sicher war, da sie nicht untergehen wrde, zog Wiggulf an den Verbindungen der Schdel und zerrte das seltsame Gefhrt neben sich her. Die Wellen schlugen hoch - die Flut wurde von dem Strudel beherrscht -, und er steuerte Womba weit nach rechts. In diesem Augenblick brach der obere Teil des Tempels zusammen und strzte ins Wasser. Auf diesen Anblick hatte Wiggulf seit Jahren gewartet. Er drehte sich um, beobachtete das Schauspiel und grinste so breit, da seine Schnurrhaare die Ohren berhrten. Ha! Du alter Giftmischer ... Erbauer von Knochenhusern! Das ist deine eigene Schuld. Auf Wiedersehen, Rotapan! Auch Womba blickte zurck. Hinter ihnen schlugen die Knochen auf dem Wasser auf. Die berreste des Tempels verschwanden in einer weien Staubwolke. Ein einzelner Stiefel, der ausgesprochen geschmacklos verziert war, trieb an Womba vorber. Og! schrie sie, griff nach dem Stiefel und drckte ihn gegen die Brust. Og ... oh, und Papa auch..., sthnte sie und htte beinahe das Flo losgelassen. Wiggulf seufzte. Es war wirklich Schwerstarbeit, eine Feindin zu retten. Halte dich fest, Orkin. Da drben ist ein Teil der alten Brcke. Dort knnen wir ausruhen, bis die Flut zurckgeht. Ich werde zu meinen Leuten schwimmen und Hilfe holen. Dort wirst du in Sicherheit sein: Das Wasser klettert niemals ber diese Steine, und die Sulen sind hohl - einst benutzten unsere Fischer sie als Schutz bei Strmen. Wiggulf zog sich auf ein paar mit Krebsen bedeckten Steinen hinauf, die einmal zu den Rndern der zerstrten Brcke gehrt hatten. Womba kletterte ihm nach, den Stiefel an sich gedrckt, und fiel erschpft in einen tiefen Schlaf, sobald sie aus dem Wasser war. Die blauen Fiedler und die roten Krebse, deren Scheren beim Anblick des Fundes klapperten, schwrmten ber Wombas Krper hinweg, aber Wiggulf scheuchte sie fort und probierte einen davon. Seit Jahren a er Krebse. Und da die Krebse alles fraen, was im See trieb, war viel Gift in ihrem Fleisch. Angeekelt spuckte Wiggulf das bittere Fleisch aus. Er mute warten, bis er heimkehrte; es war nicht mehr weit bis zu einem ordentlichen Mahl. Er sprang ins Wasser, wusch sich den fauligen Geruch von den Pfoten und sprang wieder auf die Steine, um sich das Fell zu gltten und auf die Verwandlung zu warten. Es war Jahre her, seitdem er die Gestalt eines Menschen angenommen hatte. Er fragte sich, wie es sein wrde, trocken zu sein. Sekunden spter wute er es. ~KAPITEL 13 Was hast du gesagt? fauchte Frijan, ber den Tempel? Er hat recht. Er strzte ein, gerade als Og ging. Der grte Teil jedenfalls. Das letzte, was ich sah, waren sieben oder acht Stockwerke, die noch dastanden, wenngleich sie schwankten, sagte Cheyne. Denkst du an deinen Vater? wandte er sich an die Selkie. Ja. Hast du ihn gesehen? fragte sie. Nein. Aber wir hrten ihn, kurz bevor der Tempel einstrzte. Vielleicht konnte er entkommen. Vielleicht. Vielleicht steht er genau hinter euch, ertnte eine Stimme hinter Cheyne. Frijan drehte sich mit unglubigem Gesicht um. Vater? Nein ... wie kann das sein? Mein Erzeuger ist kein gebckter alter Graubart. Und meine Tochter keine groe, starke Frau. Du vergit, Kind, wie lange ich gefangen war. Ich verga es auch. Es war fr mich, gelinde gesprochen, ein Schreck, mich gebckt und krummbeinig zu finden. Das Gift hat mir sehr geschadet. Glcklicherweise bin ich auf die Deltawachen gestoen, die mir diesen Fetzen liehen, um mich damit zu bedecken. Er lehnte sich fest auf seinen frisch geschnittenen Wanderstock und deutete auf seine schlecht sitzende Tunika. Claria betrachtete sie eingehend und fand, das Muster sehe den Verzierungen sehr hnlich, die auf den Gewndern von Riollas Sklaven waren. Cheyne und Claria stellten sich vor, und als Og an der Reihe war, erschien ein seltsames Lcheln ber Wiggulfs Lippen. Er hielt jedem seine kleine Hand mit den durch Schwimmhute verbundenen Fingern entgegen. Seid mir gegrt, und willkommen in meinem Knigreich. Ich bin Wiggulf der Fluknig, und ich mchte mich entschuldigen, da ich euch nicht standesgemer empfangen kann. Ich bin gerade mit Hilfe einer Orkin - ausgerechnet - aus dem Wasserkerker der Wyrvils geflohen. Der Giftmischer ist tot! Er lachte und verneigte sich mhevoll vor Cheyne, Claria und Og. Als niemand in sein Gelchter einstimmte, richtete er sich ruckartig wieder auf. Nein, Fluknig, das ist er nicht, sagte Cheyne. Was? Aber als wir flohen, sah ich den Knochentempel in den See strzen. Rotapan verlt ihn niemals, nur wenn er Gift in den Strudel schttet. Aber du behauptest, er lebt? Mit Hilfe seines Stocks kam Wiggulf nher. Er und die sumifanische Schreefa folgen uns, Fluknig, erklrte Og. Rotapan scheint zu glauben, da ihm dieser, hm, Stein gehrt. Er hielt den Stab hoch, dessen Schlangenkopf noch immer mit dem Tuch verhllt war. Aber das reichte schon, um Wiggulf zurckweichen zu lassen. Woher hast du ihn? fragte er barsch. Wir fischten ihn aus dem Wasser, als wir vor Rotapan flohen, antwortete Cheyne geschwind. Der Stein im Schlangenkopf gehrt in Wirklichkeit Og und wurde ihm vor vielen Jahren gestohlen. Dann war auch unser Stein einmal deiner ... denn alle vier stammen aus der Hand eines einzigen Handwerkers und sind so geschliffen, da sie zueinander passen. Genau wie in den alten Geschichten, die behaupten, da unsere Welten einmal vereint waren. Wiggulf dachte darber nach, und ein Schatten berflog das runzlige Gesicht. Wir mssen zum Haus eilen. Die anderen wollten ihm folgen, aber Frijan zgerte aus Unsicherheit. Wiggulf hielt es nicht lnger aus. Bitte, komm zu mir, Frijan. Ich habe dich vermit..., sagte er leise und streckte seiner Tochter die dnnen Arme entgegen. Als Frijan ihren Vater umarmte, drehte sich Cheyne um und sphte in den Wald, da ihm seine letzten Worte an Javin einfielen und er von einer groen Traurigkeit erfat wurde. Ruckartig ri er den Kopf zur Seite. Nein, ich werde nicht zurcksehen, dachte er und bi die Zhne zusammen. Claria beobachtete ihn eingehend, sagte aber nichts. Og kam mit entsetztem Gesichtsausdruck nher und unterbrach ihren Gedankengang. Hast du das gehrt? Er sagt, Womba sei mit ihm geflohen. Das heit, sie ist auf dem Weg hierher. Wir mssen verschwinden, so schnell wir knnen und in Richtung Berge eilen, flsterte er ihnen zu. Warum? Die Feinde sind uns noch auf der Spur; wir sind mde, hungrig und brauchen geeignete Kleidung. Ich mu in Ruhe nachdenken, und ehe wir zum Sarrazanwald gehen, brauchen wir neue Vorrte, erklrte Cheyne. Auer, du kannst alle diese Dinge aus der Luft herbeisingen, Og. Er zwinkerte. Aber vielleicht wre das keine gute Idee. Dann wrde Womba sicher noch schneller hier auftauchen... Og gefiel Cheynes spaige Bemerkung berhaupt nicht. Wiggulf und Frijan hrten Claria lachen und kamen nher. Was ist mit dem da? Hat er dich angegriffen? fragte Wiggulf und deutete auf Yob, der die ganze Zeit ber halb versteckt auf dem Boden gelegen hatte. Sein Gesicht war kreidebleich, und er zitterte stark. Nein, Vater. Ich fand ihn halb ertrunken am See. Er sollte mir als Geisel fr deine Freilassung dienen. Ich habe ihn mit einer Rasiermuschel geschnitten, um ihn gefgig zu machen. Er wird bald sterben. Wir knnen ihn hier liegen lassen; es ist weit genug vom Haus entfernt. Die Corbies werden ihn in ein oder zwei Tagen verzehrt haben, antwortete Frijan. Wiggulf blickte seine Tochter berrascht und enttuscht an. Mein Kind, die schreckliche Brde meiner Abwesenheit hat dich verhrtet. Nein, Frijan, wir knnen ihn nicht sterben lassen. Das ist unntig. Er verdient zu leben, genau wie wir. Der alte Selkie beugte sich ber den Ork und untersuchte den Schnitt. Oh, es bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Wunde eitert bereits. Einst war ein Schnitt der Rasiermuschel harmlos, aber nun, seitdem Rotapan Giftmischungen als Opfergaben fr diesen nicht existierenden Wasserwurm in den See giet, ist die kleinste Verletzung tdlich. Nun, fangen wir an. Gib mir den Stein, Mdchen. Frijans silbrige Augen weiteten sich unglubig. Du willst den Stein an so einem Kerl anwenden? An einem der Feinde, die dich gefangenhielten? In deinen besten und strksten Zeiten hat dich der Stein krank gemacht, wenn du ihn fr das Lied des Lebens benutzt hast. Er wird dich in deinem Zustand umbringen. Also wolltest du Yob nie heilen? Du hast ihn nur benutzt, bis du bekommen wrdest, was du wolltest? fragte Og. Du _kennst_ diesen Ork? fragte sie unglubig. Nun, er hat mir mehrere Gefallen erwiesen, knnte man sagen. Es ist eine etwas schwierige Beziehung, erklrte Og. Halte dich hier heraus, kleiner Mann. Fr mich ist er nur ein Ork, also bin ich seine Feindin. Pa auf, da ich nicht auch deine werde, fauchte sie. Og hob seine Hnde in die Hhe und versteckte sich hinter Cheyne. Bitte, entweder hilft ihm jemand oder ihr ttet ihn, mischte sich Claria ein. Ich ertrage es nicht, ihn leiden zu sehen. Wiggulf winkte seiner Tochter. Ich sagte, du sollst mir den Stein geben. Noch bin ich dein Vater und der Knig. Gehorche, Frijan. Aus Gewohnheit fgte sich Frijan, ri den Wassersaphir aus ihrem Ohr und reichte ihn Wiggulf. Ich kann das nicht mit ansehen! Nach all diesen Jahren, die ich so lange gehofft und gewartet habe, kommst du zurck, und nun willst du wieder gehen, diesmal fr immer. Wegen einer dreckigen Grnhaut! Sie lief in den Wald und lie Wiggulf zurck, der den Stein gegen die Brust drckte und ihr traurig nachsah. Ich liebe dich, Frijan, flsterte er, wute aber, da sie ihn nicht hrte. Du hast mein Reich gut verwaltet. Aber ich bin der Knig, und dieses Wesen ist nicht aus freiem Willen hier. Sein Blut klebt an unseren Hnden. Es ist wahr, da sein Volk uns nicht helfen wrde. Die letzten zehn Jahre verbrachte ich im Gefngnis des Feindes. Jetzt, da ich frei bin, mchte ich nicht so handeln wie er. Das Lied des Lebens mu gesungen werden. Er schlo seine sanften Augen und begann zu summen. Der Wassersaphir glnzte und glitzerte; die Farben wandelten sich vom tiefsten Violett zu hellem Blau und umgekehrt. Wiggulfs Kraft schien sich entsprechend der Farben zu verhalten. Knnen wir ihm nicht helfen? sagte Claria leise. Nicht da ich wte. Die Steine gehren Og. Ich wei nichts ber ihre Kraft, antwortete Cheyne hilflos. Hinter ihnen murrte Og und schritt auf und ab. So wird Wiggulf sterben. Zuviel wahllose Kraft. Sie wird sein Herz anhalten. Er kann den Ton nicht richtig hinkriegen und auerhalb seines Krpers lenken, ohne... Og hielt inne, da er pltzlich bemerkte, da Cheyne ihn anstarrte. Ohne was, Og? Og runzelte die Stirn und hielt den verhllten Stab in die Hhe. Ohne den Ajada. Aber ich habe das Lied des Lebens schon ewig nicht mehr gesungen. Wenn ich es versuche und beide Steine anwende und die Noten nicht treffe, wrde ich sterben und Yob auch. Und Wiggulf kann beide Steine nicht schaffen. Das Lied ist sehr mchtig, fgte er traurig hinzu. Viel mchtiger als das, was ich in der Oase fr Yob und seine Leute gesungen habe. Erinnert ihr euch daran, wie ich den Ton nicht mehr abbrechen konnte? Cheyne nickte und drehte sich nach Wiggulf um, der heftig zitterte und nach Luft rang. Yob lag mit bleichem und schlaffem Gesicht ausgestreckt auf dem Waldboden. Wiggulf hob den silbrigen Kopf und verausgabte sich pausenlos. Aber auch ergebnislos. Og hielt es nicht lnger aus. Er drngte sich zwischen Cheyne und Claria und legte dem alten Selkie die Hand auf den Kopf. Wiggulf ffnete die Augen und sah, da es Yob nicht besser ging. La mich einen Versuch wagen, Wiggulf. Ich habe den zweiten Stein. Vielleicht hilft das, vielleicht auch nicht. Das Ergebnis kann ich natrlich nicht voraussagen. Og lachte unsicher und enthllte den Stab. Sofort glhte der Ajada rot auf. Wiggulf wich augenblicklich zurck. Nein, das kann ich nicht. Er liegt in meiner Hand, und ich bin dafr verantwortlich. Und bitte steck den Stab des Giftmischers weg! keuchte Wiggulf mit ebenso blassem Gesicht wie Yob. Der Ajada ist genausowenig bse wie dein Stein, Wiggulf. Der Anwender weist der Magie den Weg, erklrte Og. Ich stehe dir zu Diensten, Wiggulf. Du bist der Knig. Bitte, wir haben wenig Zeit. Und deine Tochter knnte ihren Vater behalten. Ich mchte es versuchen, und ich glaube... Er holte tief Luft und sah zu Cheyne hinber, da er wute, da der Selkie noch nicht berzeugt war. Cheyne nickte sanft und lie Og nicht aus den Augen. ...ich kann es schaffen, endete er bestimmt. Bitte, Vater. La ihn, sagte eine leise Stimme. Frijan trat zwischen den Bumen heraus und stellte sich neben ihn. Yob atmet nicht mehr, sagte Claria, die auf die Brust des Orks starrte. Ich werde es dich unter einer Bedingung versuchen lassen, keuchte Wiggulf. Ich gelobte, da der Stab des Giftmischers niemals in meinem Reich regieren darf. Zerbrich ihn, und nimm den Stein aus dem Kopf der Schlange. Dann magst du es versuchen. Einverstanden, sagte Og sofort. Cheyne schnappte sich den Stab und schlug so lange auf einen Stein, bis sich der rote Ajada lste, dann zertrat er den Stab schnell unter seinem Absatz. Claria nahm den Ajada, und Wiggulf legte Og die Hand auf den Kopf, sprach ein Wort, das niemand verstehen konnte und wechselte den Platz mit dem Musikmagier. Og lchelte schwach, nahm den Ajada entgegen, und whrend er in jeder Hand einen magischen Stein hielt, stimmte er das Lied an, das Wiggulf eben versucht hatte. Der Wassersaphir schien in Ogs Hand in Flammen aufzugehen; die dunkelblauen Tiefen nahmen mit jeder Note des Liedes an Lebendigkeit zu. Wieder erschien das eigentmliche Licht ber Ogs Kopf, und der rote Glanz des Ajadas vermischte sich mit dem blauvioletten Leuchten des Wassersaphirs. Cheyne vermochte seinen Augen kaum zu trauen, noch weniger seinen Ohren. Ogs Stimme klang voll, wohltnend und klar. Claria standen Trnen in den Augen, die ihr wahllos ber das Gesicht liefen. Frijan brach in glckliches Lachen aus, als Wiggulfs Beine und sein Rcken gerade wurden, und die tdliche Blsse wich aus Yobs Gesicht. Als Og fertig war, verlosch das Licht der Steine. Die Haut an Clarias Knchel war wieder glatt, Cheynes Hals schmerzte nicht mehr, der Selkieknig stand aus eigener Kraft auf und war begeistert, da sein verkncherter Krper wieder heil und krftig war. Und Yob erwachte. Wo bin ich? Was ist das hier fr ein Ort? Womba? krchzte er heiser und sttzte sich auf seine mit Schwielen vollen Ellbogen. Du befindest dich im Land des Knigs der Selkies, Wiggulf, erklrte Cheyne. Und Ogwater hat dich von deiner letzten Reise zurckgeholt, Yob. Auch deine Tochter ist in Sicherheit, Ork. Wir sind gemeinsam entkommen; sie ri das Kerkertor heraus. Wir sind in die Mitte des Sees geschwommen. Ich sagte ihr, sie solle im Schutz der alten Brcke warten, bis ich Hilfe holen wrde. Es wird eine Weile dauern, bis meine Leute ein Flo fr sie gezimmert haben, aber bald ist sie hier, sagte Wiggulf. Yob grinste breit und strzte sich auf den Magier, um ihn zu umarmen. Anscheinend war seine Kraft vollstndig zurckgekehrt. Das werde ich nie vergessen. Mein Haus wird mein Leben lang in deiner Schuld stehen, Og, erklrte Yob. Dann blickte er verwirrt drein und bekam eine Gnsehaut. Er setzte Og ab. Ich fror und war mde. Dann sah ich das Land hinter den Hgeln. Ich sah die Alten, die dort warteten. Ich sah eine groe Stadt voller glnzender Dinge, seltsamer Maschinen und vielen Knochen. Wo war dieser Ort? Ich habe keinen von euch dort gesehen. Dann hrte ich ein schreckliches Gerusch, wie deinen Gesang, nur schlechter. Der Laut bohrte sich in meine Brust, schmerzte wie ein Dolch und zog mich aus der Finsternis, und dann war ich hier. Er sah sich erstaunt um. Was machst du mit Rotapans Stab, Og? h, es wird gar nicht weh tun. Bleib einfach stehen, Yob, sagte Og, hob den zerbrochenen Stab auf und schlug Yob mit dem Bronzeschmuck auf den Kopf. Der Hieb htte einen Mann gettet, aber pltzlich klrte sich Yobs Blick und er grinste. Fhlst du dich jetzt besser? Du hattest noch ein paar Todestrume in dir. Die wirst du aber schnell vergessen. Og warf den Stab fort. Was denn? erkundigte sich Yob, Ich habe Hunger. Lat uns jagen gehen. Nein, nein, wir speisen in meinem Haus. Ihr werdet meine Heimkehr durch eure Gegenwart beehren. Wiggulf lachte. Frijan, la uns unsere Gste an einen reich gedeckten Tisch fhren. Befiehl den Wachen, fr ein Festmahl zu fischen. Heute abend wird es frhlich zugehen. Aber Vater, wir haben so wenig. Wie..., begann Frijan. Der Tisch einer grozgigen Person wird niemals leer bleiben, Tochter. Wir haben reichlich, beruhigte er sie. Wenn es sonst nichts gibt, Krebse gibt es im berflu. Saelin wachte auf und fand eine Fiedlerkrabbe auf seinem Gesicht sitzend. Ein paar weitere Hundert krochen ihm ber die Brust. Er lag ausgestreckt auf einem der Pfeiler der alten Brcke, nicht weit vom Ufer entfernt. Saelin setzte sich ruckartig auf, und als die Krabben davoneilten, versuchte die erste, sich in einem Nasenloch zu verkriechen. Saelin schlug fest nach ihr und zuckte vor Schmerz zusammen, weil er sein sonnenverbranntes Gesicht traf, das durch die Spuren von Clarias Kmmen noch sehr empfindlich war. Der Meuchler brllte und atmete tief, bis die hilflose Krabbe fort war. Dann setzte er sich wieder hin, um sich vorzustellen, auf wieviel Arten er Riolla ungestraft tten konnte. Die Sonne sank, und die Wellen des Silbersees beruhigten sich zu sanften kleinen Wogen. Bei Nins leerem Glas, ich mu den ganzen Tag hier gelegen haben, murmelte Saelin und schlug erneut nach den neugierigen Krabben, die sich wieder aus der Deckung herausgewagt hatten. Sofort verschwanden sie wieder in den dunklen Tunneln und zuckten mit ihren blau-roten Klauen. Saelin sah ihre kleinen blauen Augen funkeln, die auf den Fhlern ber dem Kopf thronten. Bleibt da, sonst esse ich euch alle auf! drohte er. Sofort erinnerte ihn sein Magen daran, da er seit gestern nichts mehr gegessen hatte. Es war Zeit, zur Kste zu schwimmen, sonst wrde er die ganze Nacht festsitzen, und im feuchten, kalten Nebel zittern. Seine Oberbekleidung war verschwunden und vom Strudel aufgesogen worden. Wenn er hierblieb, wrde er erfrieren. Er schaute auf den Strand und das Wasser hinaus. Er mute es tun. Saelin zog die kurze Tunika aus, rollte sie fest zusammen und schlang sie um seine Schultern. Er hoffte, so den Sog des Wassers ein wenig abzuhalten, wenn er schwamm. Er bi die Zhne zusammen, glttete den schwarzen Schnurrbart und sprang in den kalten See. Dabei dachte er an die kleine Musikuhr, die er gefunden und in der Snfte gelassen hatte und fragte sich, ob sie die Reise berstanden hatte. Ihm schossen Gedanken an die Kohli, die sie ihm einbringen wrde, durch den Kopf: Er wrde sie in Raqalden ausgeben und vor den Mitgliedern der Gilden prahlen, da er noch nie einen Kopf verfehlt habe, nach dem man ihn geschickt hatte. Die Erinnerung an Cheynes unglaubliche Flucht bei ihrem ersten Treffen brannte sich mit jedem Schwimmzug tiefer in sein Hirn. Und die Kmme dieser Frau! Die frischen Wunden brannten vom Salzwasser. In seinem hbschen Gesicht wrden Narben bleiben! Die Kmme wrde er als Trophe zurckbringen - vielleicht wrde er sogar den Ausgrber damit tten, wenn er mit dem Mdchen fertig war. Als er das Ufer erreichte, war er berzeugt, da er die kleine Uhr finden wrde und hatte seine Meinung ber Riolla gendert. Aber nicht ber Cheyne. Weit entfernt, den Strand entlang, zog sich Javin aus den Wellen. In seiner gesunden Hand hielt er ein verpacktes Bndel, das mit einem roten Band verschnrt war. Er hatte es aus dem Wrack von Riollas Snfte gefischt. Was ist das, Muje? fragte Doulos und warf Seewasser aus. Es sieht aus wie eine kleine Uhr - ist sehr alt. Sie scheint trotz allem noch trocken zu sein. Fast wie wir. Danke, da du mir im Wasser geholfen hast - ohne dich htte ich es nie geschafft. Wo hast du so gut schwimmen gelernt, Doulos? Javin setzte sich hin und schttelte die Uhr ein wenig. Nachdem er zufrieden feststellte, da sie wirklich wasserdicht war, machte er sich an die Arbeit. Oh, man braucht einen Schlssel, sagte er, als er sie umdrehte. Ich habe im sumifanischen Flu schwimmen gelernt, Muje. Whrend der Regenzeit, wenn ich nicht als Trger des alten Knigs arbeitete, war ich mit den Vgeln am Flu. Wir waren noch Kinder, als mein Bruder Rafek wegging, und wir hatten zwlf Kormorane, die Fische fr uns fingen. Der Prinz verkaufte die Fische fr viele Kohli. Doulos' Augen folgten dem Flug eines Wasservogels zum anderen Ende des Sees. Ich vermisse meine Vgel, aber nun wird mein Freund fr sie sorgen, erzhlte er und fischte den Speer eines ertrunkenen Orks aus dem Wasser, der wenige Fu entfernt trieb. Muje, verlorene Gegenstnde finden immer den Weg zurck. Wenn es einen Schlssel fr deine Uhr gibt, werden wir ihn finden. Doulos lchelte. Javin lchelte zurck, um ihn in dem Glauben zu lassen. Es ist ein seltenes Stck. Wahrscheinlich... Javin versuchte, einen Fleck vom Boden der Uhr wegzuwischen. Es ging nicht. Geduldig wartete Doulos, bis er fertig wrde. Der Fleck sah wie eine Glyphe aus. Tatschlich schien es die gleiche zu sein, die auch Cheynes Amulett zierte. Muje, sieh deine Hand an. Doulos runzelte die Stirn. Javin setzte die Uhr ab. Der Skorpionstich war wieder angeschwollen, trotz des kalten Wassers und der Zugkraft des Salzes. Die Wunde verfrbte sich schwarz und mute ausgeschnitten werden, ehe sie weitergehen konnten. Javin zog sein Messer hervor, stie es ein paarmal fest in den Sand und schlug mit dem Feuerstein gegen einen Felsen. Er hielt das Messer ber den Feuerstein und fhrte die glhende Spitze an die geschwollenen Wunde. Als Javin wieder zu sich kam, go ihm Doulos aus einer Muschel Wasser ber das Gesicht. Keine Angst, Muje. Es war nicht lange. Aber der Meuchler ist keine fnfzig Fu von uns entfernt vorbeigekommen. Er ging in Richtung Berge. Er wird versuchen, seine Leute einzuholen. Du solltest dich eine Weile ausruhen. Sie nehmen die einfache Strae. Die Schreefa geht jetzt zu Fu. Er lachte. Ich glaube, sie nimmt die alte Karawanenstrae, also mu auch dein Sohn dort sein. Wahrscheinlich ist sie zugewachsen, aber trotzdem besser begehbar als der Rest des Waldes. Ich kenne den Weg, Doulos. Los jetzt. Sonst wird es dunkel. Ich bin bereit. Wir mssen Cheyne finden. ~KAPITEL 14 Als die sonderbare Gruppe fluaufwrts zum Haus des Fluknigs wanderte, blieb Og ein Stck zurck und gesellte sich zu Wiggulf. h, Knig, ich frage mich, ob du mir ein bichen genauer sagen kannst, wann die, h, Orkin die Brcke verlie und dein Heim erreichen wird, um ihren Vater zu treffen..., flsterte er beunruhigt, da er frchtete, Yob knne ihn hren. Wiggulf wandte sich ihm zu und lchelte; seine weien Vorderzhne leuchteten in der Dunkelheit strahlend wei. O ja, natrlich. Nun, ich denke, sie wird bald hier sein, wenn die Wachen nichts Ungewhnliches bemerken. Ich nehme an, du erwiderst ihre Liebe nicht. Vor Jahren wurde ich einer anderen versprochen, betonte Og geziert, als Yobs linkes Ohr in seine Richtung zuckte. Dieses Versprechen knnte ich nie brechen. Ich verstehe, nickte Wiggulf grinsend. Bald, sagst du? Was heit bald, Knig? Og wartete auf genauere Angaben, aber der alte Selkie schwieg und lchelte eigentmlich. Der Magier gab auf und gesellte sich wieder zu Cheyne und Claria. Sie kommt. Was sollen wir tun? Ihr wit, wieviel rger Womba bereiten kann. Wenn sie mich sieht, wird sie mich nie wieder gehen lassen. Ihr mt mich beschtzen, flehte er. Cheyne schttelte den Kopf. Og, du hast uns gerade ber das Wasser gesungen, Schlangen abgewehrt und Yob zum Leben erweckt. Was sollen wir tun, um dich zu schtzen? Du hast doch die Hlfte deiner Steine wieder, falls es dir noch nicht aufgefallen ist. Da erst fiel Og auf, da Wiggulf nicht verlangt hatte, den Wassersaphir zurckzubekommen. Seltsamerweise hatte Og nicht vor, das Juwel zu stehlen. Er ffnete seine Hand und sah den Stein an. O ja, so ist es, sagte er leise. Die nchste Meile legten sie in kameradschaftlichem Schweigen zurck und beobachteten die Gegend nach unerwnschter Gesellschaft, obwohl Wiggulf mit Cheyne bereinstimmte, es sei unwahrscheinlich, da Rotapan ihnen folgen wrde, bevor er Verstrkung geholt hatte, jetzt, da Og den Stein besa. Aber Riolla war alles zuzutrauen. Und schnell erinnerte sich Wiggulf daran, da sie sich vor langer Zeit mit Drufalden, der Eisknigin, und anderen Erzfeinden der Selkies verbndet hatte. Ungefhr eine Meile von dem Haus entfernt hielten sie auf einer Anhhe an. Der Spher, ein Mann mit kupferfarbener Haut und kurzen, blonden Haaren grte Frijan, mute aber erst erklrt bekommen, da auch der Knig anwesend war. Vergib mir, Knig, und sei herzlich willkommen! Der junge Mann war durch Wiggulfs verndertes Aussehen so verstrt, da er nur noch das Korallenmesser in die Scheide steckte und sich tief verneigte. Es ist viele Gezeiten her, da du daheim warst. Hier gab es heute viel Unruhe. Wir sahen eine Gruppe von drei Leuten auf der alten Karawanenstrae gehen, hinter denen zwei andere Menschen herschlichen. Die erste Gruppe schien zum Berg der Knigin zu wollen, die brigen verfolgten sie. Alle trugen die Kapuzen tief ber den Kopf gezogen und gingen zu Fu. Wir kennen ihre Namen nicht, aber sonderbarerweise erinnerte uns einer von ihnen an den Wyrvilherrscher. Danke, Dunsan. Wir gehen zum Haus. Schicke Boten voraus, sagte Wiggulf. Halte gut Wache, mein Freund. Du bist das Ebenbild deines Vaters, weit du. Gute Reise, Knig, wnschte Dunsan herzlich, hatte die Augen aber schon wieder auf die Strae gerichtet. Wiggulf fhrte sie wortlos weiter; er dachte ber das Gehrte nach. Je mehr sie sich dem Haus nherten, desto dichter schien der Wald zu werden. Leichter Nebel war zwischen den Bumen. Die Nachtvgel flogen von Ast zu Ast und warteten auf kleine Beutetiere, die vor dem Rascheln der vielen mden und stolpernden Fe flohen. Was glaubst du, plant Riolla? flsterte Claria Cheyne zu. Wrdest du mir glauben, wenn ich dir sage, da ich keine Ahnung habe? Ich bin sicher, da es mit dem Totem zusammenhngt, aber mehr wei ich auch nicht. Claria zog sich die Kmme aus dem Haar und versuchte, es zu ordnen. Was ist mit deiner Familie? Bist du allein? fragte sie. Was soll mit ihr sein? Ich habe blo Javin. Er ist nur mein Pflegevater, nicht mein leiblicher. Und jetzt ist er gerade vollauf damit beschftigt, sich Sorgen um mich zu machen und wird niemals herausfinden, wo ich stecke. Erstaunt fragte Claria: Du weit nichts ber deine Familie? Du hast keinen Namen? Aber du bist Auslnder - sicher hast du einen Namen aus deinem Heimatland. Habe ich dir vielleicht einen genannt? Nein, ich habe keinen Namen. Auch kein Heimatland. Deshalb reise ich zum Sarrazanwald. Die Elfen... Das ist also dein Endziel? Cheyne, es gibt keine Karten vom Grenzgebiet. Der Ort ist so seltsam, da sich sogar die Zeit dort verndert. Die Elfen verlassen den Wald nur, um Waren zu verkaufen. Wieso denkst du, du kannst sie finden, wenn sie es nicht wnschen? Ich habe einen Elfen in Sumifa gesehen. Sie sind die einzigen Wesen, die etwas wissen knnten. Das ist absurd. In Sumifa gibt es keine Elfen mehr, seit... Ich wei, seit der Wanderung. Cheyne seufzte und rief sich ins Gedchtnis, da er diese Antwort immer erhielt, als er den groen Elfen in der Stadt suchte. Aber ich habe einen gesehen, und wenn er nicht mehr in Sumifa ist, so wei ich doch, da er aus dem Sarrazanwald stammt. Wie ich bereits sagte: Die elfischen Tpfer werden es wissen. Was wissen? Es geht um die letzte Glyphe auf dem Totem, die ich bei der Ausgrabung fand. Sie kennen die Sprache. Sie verzieren ihre Gegenstnde damit. Das Totem ... das ist dein Ziel, nicht wahr? Du glaubst, das Totem stamme von deiner wahren Familie. Zum ersten Mal, seitdem sie Kalkuks Kiste geffnet hatte, tauchte das Bild der Uhr mit der entsprechenden Glyphe vor ihr auf. Was hat das mit der Armageddon-Uhr zu tun? Ich dachte, wir suchen danach. Bestimmt ist das Riollas Ziel. Und auch Ogs und anscheinend auch deines. Ich habe dir schon in Sumifa gesagt, da ich kein Schatzsucher bin. Claria zuckte zusammen. Das hast du. Stimmt. Ich habe dir aber nicht geglaubt. Ich kannte noch keinen Mann, der ein Meer durchquert, mit Schlangen kmpft und durch Wsten zieht, wenn es nicht um etwas Wertvolles geht. Du bist ein ungewhnlicher Mann, Cheyne ... verzeih mir. Ist schon in Ordnung. Tut mir leid, da du nicht das bekommst, was du dir gewnscht hast. Ich habe auch keinen Namen, fuhr sie fort, seine letzte Bemerkung auer acht lassend. Ich sollte einen bekommen - Maceo wollte mir seinen Namen geben. Ich wre Knigin geworden. Die Leute htten mich geachtet, mich zum Tee eingeladen und ihre Kinder nach mir benannt. Ich htte nie mehr arbeiten mssen - Neffianer htten es getan. Aber das ist nun vorbei. Wenn das die einzige Mglichkeit war, wre ich an deiner Stelle nicht sehr traurig, da es nicht geklappt hat. Woher willst du wissen, was es heit, in Sumifa ohne Namen zu leben? Woher willst du wissen, wie das ist? Die Leute sehen dich nicht an, sehen dir nicht in die Augen. Sie reden ber dich, als wrst du nicht im Raum, wenn sie dich berhaupt in den Raum lassen. Ich meinte blo, da du mir als jemand erscheinst, der mehr vom Leben erwartet, als blo bedient zu werden. Ach, und was? Nun, eine Herausforderung zum Beispiel, die deine Fhigkeiten leuchten lt und dich wach hlt. Du gehst mit diesen Kmmen um wie die Meuchler mit den Klingen. Du weichst keinem Kampf aus - im Gegenteil, ich vermute, da du ihn manchmal sogar suchst, stimmts? So eine Frau will doch nicht herumsitzen und sich bedienen lassen. Claria wandte ihren Kopf ab und die Dunkelheit lie nicht erkennen, wie geschmeichelt sie war. Etwas an diesem khlen Auslnder verwirrte sie und fhrte dazu, sich selbst anders zu sehen, als sie es bisher getan hatte. Eigentlich gefiel ihr das recht gut. Zwar war sie durch die Wste gereist, von Feinden angegriffen geworden und gegen die Strmung und die Zeit geschwommen, um ihr Leben zu retten, aber nie hatte sie sich frher, in der Stadt, besser gefhlt als jetzt. Und Cheyne sah gar nicht bel aus. Und er hatte recht. Hier drauen war der Gedanke, Knigin der Zitadelle zu sein, weniger anziehend. Sie wog alles, das sie bei Maceo gehabt hatte, gegen das auf, was sie nun hatte - das einzige, was ihr wirklich gehrte, war die Uhr. Jetzt erschien ihr das Leben ausgewogen. Sie rtselte herum, was die bereinstimmenden Glyphen wohl bedeuten mochten und war sich darber im klaren, da sie Cheyne davon erzhlen mute, auch wenn das bedeutete, da sie ihr Erbe vielleicht nicht antreten konnte. Ich mu dir etwas sagen..., begann sie mit schwacher Stimme, aber er hrte nicht zu. Sieh nur, das mu die schwimmende Stadt sein. Er wies durch die Bume hindurch auf etwas, das wie ein schwimmender Wald aussah. Holz und ste schienen auf einem Felsstck befestigt worden zu sein, das auf dem ruhigen Wasser trieb. berall am Ufer schwammen kleine Holzstcke, die eine gefrorene, eisige Hecke bildeten. Wiggulf hielt an, um seine alte Heimat zu betrachten. Dann begann er zu weinen, Was ist denn nur geschehen? Die Eisknigin hat die Mutterstrme eingefroren, Vater. Kaum noch ein Rinnsal blieb von dem mchtigen Flu, der einmal unter unseren Fen flo. Unsere Leute hungern nach Fisch und jagen nun im Wald - ich habe doch versucht, dir zu erklren, wie wenig Nahrung wir haben. Aber nun bist du wieder da. Nun wird sich alles ndern. Ich finde, der Flu sieht ziemlich tief aus, meinte Og. Langsam schttelte Wiggulf den Kopf. Nicht einmal ein Zehntel ist noch da. Der Fels war sonst nicht zu sehen. Dort, wo der Strom unter dem Haus fliet, kann man noch sehen, wie es einmal war. Cheyne mute sich anstrengen, um sich auf die nebelumwobene Insel in der Flumitte zu konzentrieren, aber nach einer Weile, als er eingehend auf die Stelle starrte, erkannte er sie besser. Er konnte etwas ausmachen, was wie ein riesiger Zaun aussah - hohe Bume, die gefllt worden waren und auf einem Haufen lagen, um eine Barriere zu bilden. Und zwar eine sehr zweckmige, dachte er. Wenn jemand versuchte, darauf herumzulaufen, wrde er unweigerlich fallen, und wenn ihn das kalte Wasser nicht umbrachte, konnten die gegeneinanderschlagenden Stmme jeden Schwimmer zermalmen, ehe er zum Haus gelangte. Pltzlich tauchten sechs weitere Selkies im Nebel auf und grten Frijan. Euer Knig ist da. Macht Platz fr ihn und seine Gste, verkndete sie, und sofort tauchten sie unter den eisigen Stmmen hindurch und verschwanden im dunklen Wasser. Kurz darauf teilten sich die verkeilten Bume, und mehrere groe Ottern tauchten auf. Geh schon, Ork. Sie passen auf, da du nicht ertrinkst. Leg dich hin und entspanne dich, sagte Wiggulf. Yob gehorchte, da er sich nicht krftig genug fhlte, um Widerspruch zu leisten. Die Ottern fingen ihn auf und zerrten ihn zur Insel, aber sein Kopf geriet nicht ein einziges Mal unter Wasser. Kannst du nicht zaubern, Og? Ich mchte nicht schon wieder ins Wasser gehen. Stirnrunzelnd stand Claria am Ufer. Wenn du gestattest, ich bin ein wenig mde. Und seitdem wir Sumifa verlieen, hatte ich nichts zu trinken, sagte Og, dessen Augen hinter der riesigen, sonnenverbrannten Nase verschwommen und mde aussahen. Sind hier keine Boote? erkundigte sich Cheyne. Wir haben nichts, was unseren Feinden den Zugang ermglicht. Leider birgt das auch fr unsere Freunde Schwierigkeiten. Aber ihr seid schnell drben, obwohl das Wasser unnatrlich kalt ist, erklrte Frijan. Konzentriert euch auf eure Atmung und denkt daran, da wir euch helfen, wenn ihr nicht weiter knnt. Claria bi die Zhne zusammen und ging ins Wasser; Og folgte ihr mit Cheynes Hilfe. Wiggulf und Frijan kamen als letzte und waren nur als schmale, dunkle Schatten zu erkennen. Als das kalte, schwarze Wasser Cheyne umgab, fhlte er, wie das Salz der See von den sanften Wellen fortgesplt wurde. Htte sich Og nicht an seinen Rcken geklammert, htte er einschlafen knnen, wre er friedlich in die eisige Klte hinabgesunken und htte vergessen, warum er jemals an einen anderen Ort gewollt hatte. Schlielich stie ihn Claria an, und er griff ermattet nach dem Felsen, der vor ihm auftauchte. Cheyne, geht es dir gut? Sie kroch nher zu ihm heran. Ich glaube schon. Ja. Er schttelte den Kopf, um klarer denken zu knnen. Ein paar Sekunden vergingen, bis Wiggulf und Frijan auftauchten. Das habt ihr gut gemacht. Trotz unserer Bemhungen ist das Wasser mit Schlaf des Todes verseucht, der aus Drufaldens kaltem Herz stammt. Lat uns hineingehen, zum Feuer. Ihr zittert, sagte Frijan und kletterte ber die glatten Steine auf ein hlzernes Podest. Og legte sein Bndel ab und war klitschna, whrend er den blau-violetten Ohrring der Selkie betrachtete, den er noch immer in seiner Hand hielt. Ich kann euch vielleicht helfen, stammelte er zhneklappernd. Aber dazu mu ich den Stein behalten, fgte er leise hinzu und sah Wiggulf an. Derzeit kennt meine Tochter die Beziehungen zwischen uns und Drufalden viel besser als ich, Ogwater. Ich mu es ihr berlassen. Frijan zuckte die Achseln und zeigte auf die Tr. Wenn Drufaldens Herz taut, wird der Flu wrmer, und die Fische kehren zurck. Bis dahin leiden wir unter dem eisigen Fluch. Und wir brauchen den Stein. Ich kann ihn nicht aufgeben. - Aber ich knnte dir wirklich helfen. Was den Flu angeht, erklrte der Magier und reichte Frijan zgernd den Wassersaphir, whrend Cheyne ihn beobachtete. Frijan sah ihn lange an, dann drehte sie sich um und schaute zu ihrem Vater. Na gut, wir werden uns beraten. Cheyne und Claria halfen Yob die schlpfrigen, eisverkrusteten Stufen hinauf, und schon bald ruhten sie sich in der groen Halle des Hauses vor einem prasselnden Holzfeuer aus. Geh schneller, Rotapan. Noch nie im Leben war mir so kalt, nrgelte Riolla mit klappernden Zhnen. Wie kann Drufalden das nur ertragen? Sie zog das dnne Seidengewand fester um die Schultern und versetzte dem Halbork einen leichten Tritt. Er fletschte mit seinen scharfen kleinen Zhnen, erinnerte sich dann aber an Saelin, der sich ihnen vor kurzer Zeit wortlos angeschlossen hatte, und beschleunigte seine Schritte. Der Weg war beschwerlich. Drufaldens Berg war ein ausgebrannter Vulkan, dessen Seiten abwechselnd mit dicken Eisschichten und alten Lavabrocken bedeckt waren, ber denen sich Asche und Glas abgelagert hatten. Hier und dort boten Dampfschlitze Erleichterung von der eisigen Luft und der den Landschaft. Sie waren von grnen Stellen umgeben und wirkten wie winzige Oasen. Schau nur - ich sehe Dampf aufsteigen, geehrte Schreefa. Vielleicht gibt es dort eine warme Quelle. Saelin deutete auf eine vor ihnen liegende weie Dampfwolke. Auerdem wird es dunkel. Vielleicht wre es dieser unglcklichen Wanderung vorzuziehen, ein Lager aufzuschlagen? Ja, ich denke, dort knnte eine warme Quelle sein. Auf der alten Karawanenstrae gab es eine, das wei ich noch. Vielleicht kann ich mich dort aufwrmen. Sie trat noch einmal nach Rotapan und schob ihn zu Saelins Erleichterung auf den Dampf zu. Wir lagern, Rotapan. Du wirst den Berg hinaufklettern, die Vorkehrungen fr die Bewaffneten treffen und dann zu uns zurckkehren. Was? Bin ich nicht genauso matt wie du? Du willst mich allein da hinauf schicken? jammerte Rotapan. Riolla schnitt ihm eine Grimasse und betrat den winzigen, aber dichten Dschungel, der um die warme Quelle herum wuchs. Von den riesigen pfeilfrmigen Blttern tropfte Wasser, und die warme Quelle fllte die Luft mit ihrem trstlichen Pltschern. Deine Erzfeindin hat zur Zeit genauso wenig Macht wie du. Ich wei aus bester Quelle, da sie dich empfangen wird. Saelin wird dich als Leibwchter begleiten. Hr auf zu wimmern, Rotapan, fauchte sie und bedeutete dem enttuschten Saelin, etwas Ebares zu suchen. Drufaldens Spione haben ihr berichtet, da wir hier sind. Sie haben ihre Augen berall. Vergit du, fr wen ich handle? Ich bin sicher, da sie dir zuhrt, wenn du erklrst, da der Raptor es wnscht. Hier, nimm das. Sie reichte ihm die Mnze, die ihr der Raptor gegeben hatte. Rotapan starrte gebannt auf die Goldmnze, ehe er sie in die Tasche steckte. Riolla pflckte eine gefleckte Orchideenblte von einem Ast und steckte sie sich in das Haar. Saelin nahm sein letztes bichen Geduld zusammen, zog einen kleinen Baum herab und schnitt ein Bndel reifer Miniaturbananen fr sie ab. Lautlos verzog Rotapan abfllig den Mund und machte sich daran, den Berg hinauf zu klettern, auf die eisbedeckte Burg zu. Saelin blieb dicht hinter ihm; Riollas neue Anweisungen klangen ihm noch in den Ohren. Hoch oben, auf der nebelverhangenen Spitze des alten Vulkans, glaubte Rotapan einen dunklen Wirbelwind zu sehen, der den Schnee zu einem wsten Sturm aufpeitschte. Verletze den jungen Mann nicht. Berhre ihn auch nicht und sorge dafr, da ihn auch deine Rimscallawachen nicht anfassen, sagte der Raptor. Drufaldens blasse, fast farblose Augen folgten der schattenhaften Gestalt, die in ihren Gemchern auf und ab ging. Sie sah den Schwung des purpurnen Umhangs, der ber den polierten Boden glitt, ihn aber nie richtig berhrte. Das Klicken der Abstze des Raptors hallte durch die langen Flure aus Eis und perlte von den Steintorbgen ab wie Wasser. Hier, im Innern des Berges, war sie immer in Sicherheit gewesen und hatte nie wirklich an diesen Mann, wenn er ein Mann _war_, geglaubt. Aber nun war der Raptor da, genau wie Riolla vor langer Zeit erzhlt hatte. Genau wie auch ihre Mutter es gesagt hatte, bevor sie vollkommen verrckt im kltesten Kerker von Almaaz gestorben war. Drufalden fragte sich, wie er an ihren Wachen vorbeigekommen war; sein Umhang trug keine Spuren der Reise oder Anzeichen von Schnee, der ihr Land umgab. Und genau wie Riolla gesagt hatte, verlangte er fast vllige Dunkelheit und da jede spiegelhnliche Flche im Raum bedeckt wurde. Und egal, wie sehr sich Drufalden bemhte - sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Die Kapuze verhllte den Kopf, und die Stimme schien aus der Luft um ihre Ohren herum zu ertnen, anstatt unter der roten Kapuze zu stecken. Es war lange her, da ein machtvoller Mann bei ihr gewesen war. Es war ... aufregend. Wie erfrischend und belebend es sein wrde, ein neues Rtsel, ein neues Gebiet erforschen zu knnen. Verfhrerisch lchelte Drufalden vor sich hin. Arbeite mit meiner Agentin zusammen, la den Ausgrber ungehindert ziehen, und du bekommst deinen Stein zurck und das Wyrvilreich obendrein. brigens, dein Tribut an Nin ist lngst berfllig, Drufalden. Wir knnen mit der Mnze beginnen, die der Wyrvil dir bringt. Ich hoffe, deine Leute haben den Rest bereits zu Riollas Laden gebracht. Du wirst also unsere Gewsser heilen fr den Preis des Steins? fragte Frijan und sah Og an. Nach einer herzhaften Mahlzeit aus Fisch und Muscheln setzten sich Frijan und Wiggulf mit Og zusammen. Sie tranken Met aus Tassen, die aus Muschelschalen bestanden, und der Schein des Feuers in der groen Halle leuchtete ihnen. Og streckte sich gemchlich aus, aber seine Augen lugten wach und scharf hinter der riesigen Nase hervor. Ja. Ich glaube, ich kann die Wasser wieder erwrmen und das Eis stromaufwrts schmelzen, erklrte er. Der Stein ist unsere einzige Verteidigung gegen zwei Feinde, Muje Rifkin, erwiderte sie. Wenn ich das Eis schmelzen lasse, dass eure Gewsser einschliet, fllt Drufaldens Reich auseinander. Nur die Klte hlt ihre magischen Krfte am Leben. Sie bestehen nur aus Eis und Gedanken. Und Rotapan hat blo einen eingebildeten Gott brig. Ohne den Ajada ist er kein richtiger Feind mehr. Meiner Meinung nach ist dies eure einzige Mglichkeit. Bis ihr Zauber gebrochen wird, werden eure Wasser immer weiter zufrieren, und das Eis wird auf dieses Haus zukriechen. Ihr werdet immer wieder umziehen mssen und nher an die Gewsser des Giftmischers geraten. Wenn ihr mir den Stein gebt, kann ich auch das beheben. Vielleicht. Aber welche Gewiheit haben wir, da du Drufaldens Zauber brechen kannst? Wir haben es immer wieder versucht, seitdem wir den Stein haben. Nichts hilft auf Dauer. Woher wissen wir, da du die Wasser nicht blo fr einen oder zwei Tage schmelzen lt, davongehst und sie dann wieder zufrieren? Und woher wissen wir, da Rotapan nicht einen Weg findet, um sich den Ajada zurckzuholen? Er verfolgt dich, und die sumifanische Schreefa hilft ihm. Wir knnen euch nicht ber unsere Grenzen hinaus schtzen, sagte Frijan. Der Wassersaphir funkelte an ihrem Ohrgehnge. Nein, fuhr sie fort. Ich mu sagen, da ich nicht zustimmen kann. Es ist besser, wenn wir die Macht behalten, die wir innehaben, als gar keine zu haben. Sie lie Og am Tisch sitzen und begab sich in die Mitte der Halle, wo ein riesiges Holzstck im Innern der natrlichen Feuerstelle krachte, die aus einer sich aus dem Flubett erhebenden hohlen Felsgruppe bestand. Mehr als hundert Selkies beobachteten voller Spannung ein Spiel, und Frijan setzte sich neben Wiggulf. Yob hatte ihnen ein Wyrvilspiel mit Dolchen erklrt, und nun wetteiferten sie ernsthaft. Wiggulf mute sich die Ohren mit den Hnden zuhalten, als Yobs Dolch erneut mitten in der runden Holzscheibe steckenblieb. In der fnften und letzten Spielrunde hatte der Ork jedesmal ins Ziel getroffen und sogar den besten Krieger der Selkies beschmt. Da er auf Javins Wunsch hin jahrelang gebt hatte, konnte auch Cheyne mit Dolchen umgehen und wenn er jetzt ins Ziel traf, hatte er das Spiel gewonnen. Besorgt schaute sich Wiggulf in seiner geliebten Halle um. Wenn Cheyne danebenwarf, wrde Yob vor Freude vielleicht die ganze Halle auseinandernehmen. Ich wette um meinen goldenen Ring, da der Ork gewinnt. Der Mann ist gut, aber es ist ein Orkspiel, flsterte Frijan Claria ins Ohr. Claria verzog den Mund, da sie diese Herausforderung verletzte. Sie drehte Maceos Ring und fragte sich, ob er sich wohl abnehmen liee. Er glitt mit Leichtigkeit vom Finger. Claria wurde bewut, da es ihr sonderbarerweise nichts ausmachte, wenn sie den Ring verlor. Es war nur wichtig, da Cheyne gewann. In Ordnung. Du bekommst den Ring, wenn er verliert. Aber dein Korallenmesser, wenn er gewinnt, stimmte sie zu und reichte Frijan die Hand. Kann ich an der Wette teilnehmen? erkundigte sich Og, der pltzlich neben ihnen auftauchte. Um was willst du wetten, Magier? fragte die Selkie. Meinen Stein gegen deinen. Da du ihn nicht hergeben willst, hast du nun die Gelegenheit, beide zu bekommen. Claria starrte Og entsetzt an, aber er versetzte ihr unter dem Tisch einen festen Tritt, ehe sie etwas sagen konnte. Aus den Tiefen seines rmels zog er den Ajada, summte ein kleines Lied dazu und setzte ihn vor Frijan auf den Tisch. Die Augen der Selkie weiteten sich vor Erstaunen, als die Machtquelle ihres eingeschworenen Feindes in ihrer Reichweite glhte. Der Mensch mute blo versagen, und das war wahrscheinlich. Sie blickte Og an, unfhig, dieser Gelegenheit zu widerstehen. Ich willige ein, sagte sie inmitten der Gerusche und Stimmen der anderen Wettlustigen und dem Klirren der Muschelbecher. Og grinste zufrieden, whrend Claria seine Tasse an sich ri und den Inhalt mit einem Schluck hinunterkippte. Es wurde sehr still in dem dmmerigen, rauchigen Raum, als Cheyne, dem nicht bewut war, was von seinem Geschick abhing, seine Schultern lockerte und zurcktrat, um den Dolch zu werfen. Er warf einen Blick auf Claria, die ihm beschwipst zulchelte und zog den Arm nach hinten. Die kleinen, gelben Augen Yobs folgten jeder seiner Bewegungen. Das Gesicht des Orks war verkniffen und ernst, die scharfen Krallen trommelten auf der Tischplatte, wo er einen Eimer voller Met htete. Ohne weiter nachzudenken, holte Cheyne aus und warf den Dolch mit einer schnellen, festen Bewegung. Er sank tief in den Mittelpunkt der Scheibe. Ein dumpfes Dong ertnte. Wiggulf schritt hinber, um die Genauigkeit zu prfen, zog den Dolch heraus und verkndete: Er hat den Schnitt des Orks gekreuzt! Ein perfekter Wurf! Die Selkies jubelten, Frijan reichte Claria das Messer, und Og hob zum Glckwunsch die Tasse, die er gern voller Raqa anstelle des klebrigen Mets gesehen htte. Cheyne verbeugte sich bertrieben, lachte ber den Sieg und ging, um Yobs Hand zu schtteln. Yob starrte ihn blo entgeistert an. Dann setzte er den Eimer mit Met vorsichtig ab, und Wiggulf hob die Hand, um fr Ruhe zu sorgen. Sofort verstummten die Gesprche. Yob holte tief Atem und deutete mit der Hand auf Cheyne. Niemand hat mich je besiegt, Mensch. Jetzt bin ich dein Diener. Ich biete dir mein Leben. Was? Cheyne blinzelte, als ihm Rauch in die Augen geriet; als er sich verzog, hielt Yob den Arm noch immer erhoben, hatte aber den Dolch mit der anderen Hand auf sein Herz gerichtet. Ich erwarte deine Antwort, Mensch. Tod oder Leben. Cheyne hielt Ausschau nach Og, und der Magier trat mit dramatischer Geste vor, verneigte sich vor Yob und erklrte alles. Das ist bei den Wyrvil blich. Wenn sie bei diesem Spiel gegen einen Gegner antreten, ist das Leben dessen verwirkt, der verliert. Yob ist ein Wyrvilhuptling. Bei diesem Spiel hat er einst seinen Stamm gewonnen., sagte Og. Yob nickte und sah wieder zu Cheyne hinber. Cheyne starrte unglubig zurck. Du hast um dein Leben gespielt? Der Magier gab vor, Clarias Blick nicht zu bemerken, als er Frijans Ohrring in die Tasche steckte. Wutest du das nicht? Bei diesem Spiel geht es immer um Leben und Tod. Httest du verloren, wrdest du nun mir gehren oder dich umbringen mssen. Aber sage mir, was du mchtest. Soll ich in deine Dienste treten oder sterben, sagte Yob ruhig. Yob, du wirst auf keinen Fall fr eine solche Dummheit sterben... Das ist keine Dummheit! brllte der Ork. In Ordnung, in Ordnung. Dann ... Dienst. Lebe, mein Freund..., meinte Cheyne, der immer noch verwirrt war. Yobs Knie gaben nach, als er seine Krpermasse auf die Bank niederlie. Er steckte den Dolch weg und hob den Eimer. Auf den Dienst, sagte er, und unsicher stimmten die Selkies ein. Sein ganzes Stammesgebiet gehrt jetzt dir. Das ist das ganze Land von Sumifa bis zur Oase und zum Buschland, flsterte Og Cheyne aufgeregt ins Ohr. Cheyne zerrte ihn in den Schatten und hielt ihn am Kragen aus dem einzigen Fenster hinaus. Was soll das, mich gegen ihn werfen zu lassen? Ich htte mein Leben verlieren knnen! Und du den Schatz! Macht das Sinn, Ogwater? Hm? Og klammerte sich so fest er konnte an Cheynes Arm. Der Nebel hatte sich verzogen, und das Eis auf dem Flu war im hellen Mondlicht deutlich zu sehen. Ich wute, da du gewinnst, keuchte er. Es gab keinen Grund, unsicher zu sein. Wir brauchen den Wassersaphir! Ach so ist das? Du hast also _gewettet!_ Ogwater! Es war die einzige Mglichkeit, um Frijan umzustimmen. Selkies knnen keinem Spiel widerstehen, weit du, besonders, wenn du ihnen etwas Glnzendes zeigst. Und, wie ich schon sagte: Wir brauchen den Wassersaphir. Og sah nach unten, auf das kalte, dunkle Wasser. Er fhlte, wie die Fe zu kribbeln begannen. Jemand mu dieses Wasser heilen! Wir mssen den Stein haben! _Du_ mut ihn haben. _Ich_ mu so schnell wie mglich zum Wald und will nicht lnger in deine alten, unbereinigten Intrigen verwickelt werden. Oh, oh! rief Ogwater, dessen Aufmerksamkeit von einer nebelumwobenen Gestalt abgelenkt wurde, die einen losen Baumstamm ins Wasser warf. Was nun? fragte Cheyne, der die Drohung leid war, und er zerrte Og wieder in den Raum. Wir haben Gesellschaft! sthnte Og. Mit verzweifeltem Blick wandte er sich an Wiggulf. Tut mir leid, Fluknig, ich mu jetzt gehen. Der Magier drckte den Ajada und den Saphir mit aller Kraft an sich und sang aus vollem Hals. Ehe Cheyne ihn fassen konnte, verschwand er in einem feuerfarbigen Lichtstrahl. ~KAPITEL 15 Womba kletterte auf den Stamm, den sie vom vereisten Fluufer gelst hatte, drckte den Stiefel fest an die Brust und warf sich in den eisigen Flu, wobei sie die Hilfe der Deltawachen zurckwies. Die Klte des Wassers schien ihr nichts auszumachen. Innerhalb von Sekunden hatte sie den Flu durchquert und kletterte klatschna auf die Insel. Sie schttelte sich von Kopf bis Fu, ffnete die Tr des Hauses und suchte nach Og, der natrlich spurlos verschwunden war. Yob streckte die Arme nach seiner vor Nsse triefenden Tochter aus, aber sie bemerkte ihn kaum. Wo? Wo ist er? Sie schnffelte prfend. Claria versteckte sich hinter Cheyne, aber es war zu spt. Wombas gute Nase hatte bereits den Hauch von Bergamotte und Myrrhe gerochen. Du! Du hast meinen Ogwater! Du hast ihn verzaubert. Aus deinen Beinknochen werde ich Kriegskeulen machen und aus deinen hlichen weien Zhnen Ohrringe! Sie kreischte so laut, da drei der Selkies zum anderen Ende der Halle flohen. Wie du sehr wohl sehen kannst, erklrte Claria emprt, ist Ogwater nicht bei mir. Sie hob ihre Hand mit einer Geste der Juma. Womba fletschte mit den Zhnen. Yob und Cheyne erkannten gleichzeitig, was geschehen wrde. Cheyne trat zwischen die beiden, nahm sanft, aber fest Clarias Hand - und den darin befindlichen Kamm - in die eigene Hand, und Yob schlang die starken Arme um seine Tochter. Ich bin so glcklich, dich gesund und munter und so schn wie immer zu sehen, meine kleine Blume, murmelte er und hielt sie mit sthlernem Griff umfangen. Muje Rifkin ist fort, Orkin. Wir verstecken ihn nicht, wiederholte Cheyne. Womba, die von Yobs starken Armen gefangengehalten wurde, zog einen Nasenflgel hoch und schnffelte, da ihr die Antwort nicht gefiel. Wohin ist er gegangen? fragte Wiggulf. Frijan starrte traurig durch das Tor in die kalte Nacht hinaus. Der Flu strmte unter ihr vorber, und die Drei Schwestern leuchteten von Zeit zu Zeit am wolkenbedeckten Himmel auf. Ich kann es dir nicht sagen, Vater. Aber ich habe etwas Furchtbares, Unverzeihliches getan. Ich habe den Wassersaphir an den Magier verloren. Sie fuhr fort, auf den Flu zu starren, Trnen rannen ihr ber die Wangen. Wiggulf trat neben sie und legte seinen kurzen Arm um ihre Schultern. Ja, ja, das hast du, aber diesmal denke ich, da es so besser war. Und glaubst du denn nicht, da ich dir nicht alles verzeihen wrde, wenn ich sogar Leute verstehen lerne, die einmal meine Feinde waren? Sieh nur. Er nickte in Richtung Wasser. Der glasige Eisrand des Ufers, der berall zu sehen gewesen war, war vllig geschmolzen, und das vom Eis gefangene Treibholz war davongetrieben. Der Flu wirkte grer und breiter. Frijan horte das Knirschen und Knacken einer Eisscholle, die sich weiter stlich lste. Siehst du? Er hat unseren Flu bereits geheilt. Der Stein gehrte schon immer Ogwater. Es war eine Ehre fr uns, ihn all diese Jahre bewahren zu drfen, bis er ihn holen kam. So sollte es sein. Der Stein fand den Weg zu ihm zurck, Tochter, genau wie ich meinen Weg hierher fand, wo ich hingehre. Wre es nicht so geschehen, dann auf eine andere Weise. Beruhige dich, Tochter, du wolltest das Beste fr unser Reich. Beim nchsten Mal wirst du es besser wissen, und nicht mit Ogwater wetten. Cheyne rusperte sich hinter den beiden. Fluknig, es war ein langer Tag und eine lange Nacht. Wir mssen frh aufstehen und uns auf den Weg zum Wald machen. Oh, natrlich, natrlich, Cheyne, aber wie wollt ihr den Weg dorthin finden? lchelte Wiggulf. Nun, er ist doch direkt hinter eurer Grenze, nicht wahr? Knnte man sagen. Die Elfen sind sehr eigen, wenn es um ihre Heimat geht. Nur sie kennen den Weg durch den Vorhang des Lichts. Wenn man ohne Begleitung eintritt, wird man nie mehr aus dem Wald finden. Wir haben viele Reisende gesehen, die oftmals erst Jahre, nachdem sie den Boden der Elfen ohne Einladung und Begleitung betraten, wieder heraustaumelten. Sie waren so verwirrt, da sie meistens nicht einmal mehr ihren Namen wuten. Was willst du dort, mein Junge? Wiggulf sah Cheyne fragend an und wartete auf eine Antwort. Ich bezweifle, da ich dort umherwandern wrde und meinen Namen nicht mehr wte, Knig. Ich wei ihn berhaupt nicht, bis ich bei den Elfen war. Cheyne lchelte traurig. Er holte das Totem hervor, um Wiggulf die geheimnisvolle Glyphe zu zeigen. Sie sollen mir das bersetzen. Ach so, meinte Wiggulf. Nun, wir werden euch fr die Reise versorgen. Und ich selbst werde euch bis zum Vorhang des Lichts bringen. Ich mchte das Land gern wiedersehen. Morgen brechen wir auf. Er winkte zwei jungen, mondgesichtigen Burschen, die Stbchenheben spielten, und sie sausten in verschiedene Richtungen davon, um Nahrung und Kleidung fr Claria und Cheyne ausfindig zu machen. Sieht aus, als wren wir nur noch zu zweit. Cheyne wandte sich Claria zu und lchelte verzerrt, wie an jenem Tag, als ihm bei dem Kampf in Sumifa die Lippe geplatzt war. Eine winzige, sehr frische Narbe war an dieser Stelle zu sehen. Sie erwiderte das Lcheln und zog immer wieder ihren Ring vom Finger. Sie spielte mit dem Gedanken, ihn durch die Risse im Fuboden in den Flu fallen zu lassen. Unter ihnen strmte das Wasser dunkel, leise und stetig vorbei. Cheyne verneigte sich vor Wiggulf und begab sich zu einer der fnf Pritschen, die von den Jungen vorbereitet worden waren. Sofort legte sich Yob neben ihn, nur wenige Zoll entfernt, so da sein Atem wie ein vergiftetes Messer die Luft durchtrennte. Am Fenster sa Womba und starrte auf den auftauenden Flu und die Monde, whrend sie die ganze Zeit ber schnffelte. Als sie schlielich den Geruch aufnahm, auf den sie wartete, sah niemand, wie sie durch die Tr glitt, sich auf einen Stamm fallen lie und ber das nebelverhangene Wasser paddelte. Lange nachdem das Feuer in der groen Halle erloschen war und die mden Reisenden die Kpfe auf die duftenden, fest gestopften Kissen gelegt hatten, lag Cheyne noch wach und starrte auf die dunklen, rindenbedeckten Deckenbalken und dachte nach. Sanfte Wellen schlugen gegen den Felsen, auf dem das Haus erbaut war, und er konnte die Monde und die Drei Schwestern durch einen Ri im Boden auf den dunklen Wellen tanzen sehen. Auf der einen Seite schnarchte Yob, und Claria lag ein paar Fu entfernt zusammengerollt auf der anderen Seite. Ihr schwarzes Haar erstreckte sich ber den Rand der Liege auf den polierten Fuboden. Die Papageienfedern aus der Oase waren lngst verschwunden, aber ein kleines rotes Band schlngelte sich durch einen kleinen Zopf nahe der Schlfe, und einer der Bronzekmme steckte sicher hinter dem Ohr, nicht weit von den Fingern entfernt. Die Decke war weggerutscht, und sie frstelte bei einem pltzlichen Windsto, der durch den Bodenspalt fuhr. Der Duft von Bergamotte und Myrrhe wehte zu ihm herber, und ehe er sich bewut wurde, was er tat, beugte sich Cheyne vor, um ihre nackte Schulter mit seiner eigenen Decke zu schtzen. Ihre Hand lag zwischen ihnen, und er lchelte, als er die langen, dnnen Finger betrachtete, von denen die ersten beiden der Hand in seiner Vision glichen, da sie auch am ersten Gelenk abknickten. Durch die Berhrung mit dem kalten Boden wirkten sie ein wenig bla, und beinahe htte er sie mit seiner Hand gewrmt. In diesem Augenblick lie ein Flackern des Feuers Maceos Ring aufleuchten, der Cheyne fortwhrend daran erinnerte, da Clarias Herz einem anderen gehrte. Einem, der sie betrogen hatte. Claria bewegte sich im Schlaf und kroch unter ihre Decke zurck. Er wich wieder auf seine Pritsche zurck, whrend sein Herz und sein Verstand ihn qulten. Er wute nicht genau, wann er begonnen hatte, das Mdchen zu lieben. Aber irgendwie mute er damit aufhren. Er drehte sich um und versuchte, an etwas anderes zu denken. Morgen wrde Wiggulf sie durch die gewundenen Pfade seines Wasserreichs fhren, bis zum Vorhang des Lichts am Rande des Elfenlandes. Wenigstens wrde er dann seinen Namen erfahren. Und deshalb war er doch hergekommen, oder? Claria ffnete bei seiner ruckartigen Bewegung die Augen, rhrte sich aber nicht. Seit einer Stunde hatte sie so getan, als schlafe sie, konnte sich aber nicht beruhigen. Seit der langen Wanderung durch den Wald hierher konnte sie an nichts anderes mehr denken, als an die seltsame Aufregung und das Hochgefhl, das sie ergriffen hatte. Je weiter sie sich von Sumifa entfernte, desto freier fhlte sie sich. Hier drauen schienen alle Sinne geschrft zu sein, und die Sonne hatte ihre Haut gebrunt. Die Kopfschmerzen - die Krankheit der trockenen Straen und staubigen Tage - die sie in der Stadt fortwhrend befielen, waren verschwunden. Die Reise war das abenteuerlichste Ereignis ihres Lebens, und sie fhlte sich blendend. Was, wenn mich Maceo jetzt sehen knnte? Was wrde er denken? fragte sie sich. Claria bemerkte, da sie ihm nicht einmal mehr bse war und es sie nicht bekmmerte, da er ihr die Schreefa vorzog. Die Zeit mit Maceo erschien ihr nach den letzten Tagen wie eine verschwommene Erinnerung. Der schwere Goldring fhlte sich wie eine Fessel an. Sie wollte ihn zurckgeben und endgltig frei sein. Schlielich hatte er sich lngst von ihr befreit. Neben ihr lag Cheyne, ein Mann ohne Ring und ohne Namen, den er ihr htte geben knnen. Er war der tapferste Mann, den sie je gekannt hatte. Aber diese Tapferkeit trieb ihn so sehr voran, da er sie nicht bemerkte und kaum ansah. Claria wute, da sein Mitgefhl ihr sicher war, aber sie konnte nie auf seine Liebe hoffen. Trnen stiegen ihr in die Augen und tropften zu Boden, aber sie gab keinen Laut von sich. Wenn diese Sache vorbei war, konnte sie zumindest Vashki eine gute Geschichte erzhlen. Aber das war auch schon alles. Sobald Cheyne den Sarrazanwald erreichte, wrde er sie nicht mehr brauchen. Es gab keinen Schatz. Und Riolla wrde sie wahrscheinlich nie wieder in die Stadt lassen, wenn diese mnnerfressende Kanista erst einmal auf Maceos Thron sa, mge er lange genug leben, um das wahre Gesicht seiner Braut zu sehen. Claria schlo die Augen und versuchte einzuschlafen. Morgen wrde noch ein langer Tag kommen. Ein Tag, der sie Cheynes Ziel nher brachte. Seit drei Meilen brannte Javins Hand wieder, aber er sagte es Doulos nicht. Der Sklave htte ihn gebeten zu rasten, um die Hand zu behandeln, und dann htten sie Riolla und ihre sonderbaren Begleiter aus den Augen verloren. Die Spur, die sich durch das bergige Gelnde zog, war deutlich genug: Zwei Paar menschliche Fe und die gebogenen Klauen des Halborks. Rotapan hatte ihn Doulos genannt - anscheinend der Knig der grausamen Wyrvils. Der Nachthimmel war klar, aber je hher sie stiegen, desto weniger sahen sie. Schlielich hielt Javin die Schmerzen nicht lnger aus, und er winkte Doulos, den Pfad zu verlassen. La uns hier unser Nachtlager aufschlagen. Wir knnen den Weg sowieso nicht mehr sehen. Dieser Platz ist ebenso gut wie jeder andere. Da drben stehen ein paar hohe Felsen, die uns Deckung bieten, flsterte er. Warum gehst du nicht Feuerholz suchen? Doulos nickte und ging davon. Als der Sklave sich weit genug entfernt hatte, nahm Javin die alten Verbnde ab und hielt sich die Hand vor die Augen, um die Wunde anzusehen. Aber vergeblich: es war zu dunkel und zu nebelig. Er beeilte sich, Doulos einzuholen, damit er ihn nicht verlor. Nach wenigen Minuten hatte Javin mit seinem Feuerstein eine kleine Flamme angefacht, und im schtzenden Rund der Steine hockten sie vor dem flackernden Licht. Ich hoffe, sie sehen dieses Licht nicht, Doulos. Wahrscheinlich knnten wir sie bekmpfen, aber eigentlich sollen sie uns zu Cheyne fhren. Dein Freund Ghazi hat uns mit seinen Neuigkeiten sehr geholfen, sagte Javin leise. Es tut mir leid, da er... Er wute, da sein Leben der Schreefa wenig wert war. Aber auch mir tut es leid. Sie lie ihn niemals schwimmen lernen, weit du? Ihre Sklaven arbeiten nie am Flu߫, erklrte Doulos. Ich habe viele Freunde verloren, Muje. Aber die Erfahrung macht jeden neuen Verlust nicht ertrglicher. Schweigend saen sie eine Weile da und starrten in das Feuer. Schlielich zog Javin sein Messer und hielt es in die Flammen. Doulos sah ihn verwirrt an. Schon wieder, Muje? Es sind doch erst wenige Stunden vergangen. Javin nickte. Nach jedem Schnitt schlo sich die Wunde und schien zu heilen, aber dann stieg das dunkle Gift wieder, und das Fieber erreichte ihn, der brennende Schmerz scho ihm durch seine Hand und den Arm hinauf, genau wie in jener Nacht in der Ruine. Wenn er Cheyne fnde und in das Grenzgebiet gelangen knnte, wenn er doch blo den Wald entdecken wrde... Doulos, weit du etwas ber die Heillegenden der Sarrazan? fragte Javin und reinigte das Messer im Sand. Nicht viel, Muje. Aber die Juma sagen, da sich dort kein Gift hlt. Sie tanzen, die Elfen. Sie wirbeln herum und stampfen den magischen Rhythmus auf dem Waldboden, wodurch das Bse aus der Wunde gezogen wird und das Gift seine Kraft verliert. Soviel wei ich, Muje. Warum? Wenn ich dorthin gehe, wirst du mich begleiten? Auch ich habe diese Geschichten gehrt. Wieder hielt Javin die Messerklinge in die Flammen, klemmte sich eine Falte der Tunika zwischen die Zhne und setzte das Messer an. Als die glhende Klinge sein Fleisch berhrte, bi er fest auf das Tuch, ffnete die Narbe und lie das Gift herausflieen. Der Gestank war grauenhaft. Er entspannte sich, schwer atmend, mit rotem, erschpftem Gesicht. Es wurde jedesmal schlimmer. Die Haut wurde immer dicker, und das Gift drang immer tiefer in den Krper. Damals, in der Ruine, hatte Muni gewollt, da der Heiler den Finger abtrennte. Seitdem hatte Javin darber nachgedacht; der Freund hatte mit seinem harten Urteil und dem grausamen Mitgefhl recht gehabt - ein schneller Schnitt htte ihm erspart, immer wieder die eigene Hand ffnen zu mssen. Er tastete den Arm ab und fhlte unter dem rmel, wo die Schwellung die Haut anspannte und verdunkelte. Muni hatte recht gehabt. Jetzt bedrohte die Wunde den ganzen Arm. Doulos dachte ber Javins Frage nach; seine blauen Augen funkelten im Feuerschein. Ja, Muje. Ich habe es geschworen. Es ist wahr, da es viele Geschichten ber den Wald gibt, ber die Bewegungen dort da die Zeit anhlt oder sich verndert. Wie Mnner in einem schwankenden Vorhang aus Licht verschwanden, obwohl sie Sekunden zuvor noch deutlich sichtbar waren. Du wrdest nicht ohne guten Grund gehen. Die Jumageschichten sagen aber auch, da die Medizin der Elfen schwer zu ertragen ist. Sie kann nicht schlimmer sein als das hier, meinte Javin. Muje, die Juma sagen, das Gift verlt den Krper, wenn die Elfen tanzen und den heiligen Blitz rufen. Der fhrt dir ins Herz. Das schmerzt viel mehr. Aber es heilt. Es heilt. Oder ttet. Javin lie sich gegen den kalten Fels sinken, um sein erhitztes Gesicht zu khlen. Doulos dmmte das Feuer fr die Nacht und stand auf, um die erste Wache zu bernehmen. Ich werde dich wecken, wenn die Monde an den Schwestern vorberziehen, sagte der Sklave. Javin nickte, erneuerte die Verbnde und nahm seine Decke. Doulos kletterte in die knorrige Eiche, die ber dem Rastplatz stand, machte es sich auf einem dicken Ast bequem und wickelte sich in seine Gewnder, um gegen die nchtliche Klte gewappnet zu sein. Doulos bemerkte nicht, wie er einschlief, aber als er erwachte, waren die Monde lngst an den Drei Schwestern vorbeigezogen und fast schon verblichen. Hoch ber Drufaldens Berg blitzte ein helles Licht kurz durch den Nebel auf und erstarb dann, wie eine Sternschnuppe. Erst sah er sechs Sterne. Dann zwanzig. Der Wind hatte sich gedreht, und der unverwechselbare Geruch der Kanistas stieg Doulos in die Nase; ihr fauliger, bler Gestank erschreckte ihn. Der Sklave beugte sich vor, den Speer wurfbereit in der Hand. Aber es gab zu viele Ziele. Die Kanistas blinzelten ihn mit roten Augen an; die riesigen Muler wurden aufgerissen, und er erblickte die langen, weien Zhne. Einer von ihnen lachte - ein leises, beinahe menschliches Lachen. _Wie Riollas Lachen,_ dachte Doulos, _wenn die Schreefa bereit ist, dich bei lebendigem Leibe zu verschlingen._ Das Gelchter breitete sich aus und wurde immer lauter, bis der Neffianer von dem schrecklichen Gerusch eingekreist war. Die Ohren schmerzten ihm von dem Schall, und er konnte sich nicht mehr auf den Anblick der Biester konzentrieren, die immer nher auf Javin zuschlichen. Doulos wute, da sie alle gleichzeitig auf den verwundeten Mann springen wrden, wenn er auch nur das kleinste Gerusch verursachte. Sie wrden den Knig in Stcke reien, ehe Doulos ihm helfen konnte. Wenn er keinen Warnschrei ausstie, wrden sie nur langsam nher kommen, Javin spielerisch beien und allmhlich zerfetzen, bevor sie sich Doulos zuwandten. Es schien aussichtslos. Doulos sah zum Himmel, stie ein stilles Gebet aus und erhob den Speer. Wenn er sterben mute, wrde er einige mitnehmen. Er trat einen Schritt zurck und sprte den dicken Eichenstamm im Rcken, der ihm fast wie ein zweiter Kmpfer vorkam. Doulos setzte den Fu auf einen tiefergelegenen Ast und lie sich ganz langsam zu Boden gleiten, hielt den Atem an und lauschte den Geruschen, die anzeigten, da Javin bei Bewutsein war. Noch ein Stck, dann konnte er den Speer werfen... Im Laufe der Nacht schlief Cheyne endlich ein, fand aber keinen Frieden. Die bsen Trume seiner Jugend kehrten zurck; diesmal mit einer Eindringlichkeit und Schrfe, die er nicht mehr erlebt hatte, seitdem ihn Javin damals gefunden hatte. Immer wieder sah er die Gestalt mit der Klauenhand ber sich hocken, um ihn zu verschlingen, und der Umri der Glyphe auf dem Totem stand wie ein Leuchtfeuer vor seinen Augen. Dann wandelte sich der Traum. Er sah Javin, dessen Hand in Flammen stand; das Feuer war bereit, seinen Krper zu vernichten. Im Mondlicht kmpfte er gegen dunkle Schatten. Die Drei Schwestern standen hoch am Himmel, und hundert rotglhende Augen brannten in der Dunkelheit, whrend sie Javin lautlos einkreisten. Cheyne erwachte, und seine Lungen schmerzten voller unausgesprochener Qual. Er setzte sich auf und blickte im Raum umher, da er sich allmhlich an die Ereignisse, die ihn hergefhrt hatten, erinnerte. Claria lag ruhig und wunderschn im Mondschein, der durch eine Luke in der Decke eindrang und ihre Haut aufleuchten lie. Aber Cheyne glaubte, noch immer zu trumen, als ein hochgewachsener Elf aus dem Schatten trat ber dessen Gesicht sich eine lange Narbe zog. Anstelle eines Grtels trug er eine silberne Kette. Der Umhang wurde von einer Brosche zusammengehalten, auf der sich die Glyphen der Tpfer befanden. Du! brllte Cheyne. Wer bist du? Hast du uns auch verfolgt? Wer ist da? fragte Wiggulf schlfrig vom anderen Ende der Halle. Der Elf hob die Hand; seine langen, schmalen Finger leuchteten im Mondlicht. Verzeih mir, Fluknig, da ich hier eingedrungen bin. Aber ich mu dringend mit deinen Gsten sprechen, und der Baumvater schickt mich mit einer Botschaft fr den Argivianer. Naruq? Bist du das? Du bist mir immer willkommen. Aber weshalb schleichst du dich so heimlich ein? fragte Wiggulf und schlurfte herber, die Decke hinter sich herziehend, das runde Gesicht in besorgte Falten gelegt. Es gibt jemanden, der nach dem Leben dieses Mannes trachtet. Naruq wies auf Cheyne. Und sein Mrder hat mich lange Zeit beobachtet. Ich habe viel gewagt, weil ich hierher gekommen bin und mich vorher in Sumifa gezeigt habe. Ich konnte ihn nie rechtzeitig ansprechen. Cheyne schleuderte die Decke weg und stand, die Hand an den Dolch gelegt, auf. Du _warst_ also in Sumifa. Ich wei, da Riollas Meuchler nach meinem Kopf hungert. Das ist kein Geheimnis. Du mut dich nicht um den Meuchler Saelin kmmern. Obwohl dieser Kampf vor Riollas Laden recht knapp war. Du hast dich gut geschlagen. Und du scheinst schnell Freunde zu gewinnen. Wer ist der Baumvater? fragte Cheyne. Wiggulf zupfte sich an seinem struppigen Bart. Er ist der lteste der Sarrazan. Der Uralte. Er verlt niemals den Wald. Niemand wei, wie alt er wirklich ist, aber Gerchte sagen, da er schon zur Zeit der Wanderung lebte. Wenn irgend jemand sagen kann, was dein Totem bedeutet, dann ist er es. Und das wird er auch tun. Er erwartet dich seit den Tagen der verlorenen Karawane. Er wird dir alle Fragen beantworten. Die Zeit bedeutet ihm wenig, aber dir. Der Vorhang wird sich nur noch eine Stunde lang fr uns lichten. Htte ihm der Elf das Messer ins Herz gebohrt, wre Cheyne nicht mehr berrascht gewesen. Hier war die Antwort auf seine Gebete. Bisher war er aus purer Hoffnung so weit gereist. Und wenn er die Antwort auf seine qulendste Frage erhalten wollte, mute er nur sofort mit Naruq gehen. Und Javin dem Tod berlassen. Der Traum verfolgte ihn noch immer. Mit jeder verstreichenden Minute war er mehr und mehr davon berzeugt da sich Javin in tdlicher Gefahr befand. Naruq, ich kann nicht mit dir gehen. Claria sah ihn mit ihren verschlafenen Augen unglubig an. Cheyne, warum nicht? Deshalb bist du doch hierher gekommen, sagte sie matt. Weil Javin irgendwo da drauen in Gefahr schwebt. Er zog sich die Stiefel an. Inzwischen war die ganze Halle aufgewacht und Frijan zndete eine Kerze an. Was ist los? Eindringlinge? flsterte sie und schaute aus dem Fenster zum Fluufer. Mein Vater..., setzte Cheyne an. Ich werde dich begleiten, unterbrach ihn Claria, stand auf und faltete die Decken zusammen. Nein. Bitte. Ich will... Keine Hilfe? Tatschlich nicht? unterbrach sie ihn erneut wtend. Ich mochte mich nicht auch noch um dich sorgen mssen. Bitte. Bitte, flehte er sie an und nahm ihre Hnde in die seinen. Maceos Ring diente als kalte Erinnerung an ihre unterschiedlichen Wege. Es kann schon zu spt sein. Dann werde ich gehen, sagte eine andere Stimme. Meine Nase wird sie im Dunkeln finden. Cheyne drehte sich um und sah Yob im unheimlichen Schein des Feuers aufragen. Seine Miene drckte Entschlossenheit aus, und er hielt einen Speer in der Pranke. ~KAPITEL 16 Javin! Der Ruf hallte durch die Felsen und kam von Doulos' linker Seite. Cheyne? kam die matte Antwort. Bist du es wirklich? Ein Steinregen hagelte auf die knurrenden, lachenden Kanistas nieder, die den Angriff vergaen und sich in alle Richtungen verstreuten. Hier sind wir, Muje! Am Baum! rief Doulos. In diesem Augenblick hatten sich die Kanistas wieder beruhigt rotteten sich zusammen und rasten gemeinsam auf Yob und Cheyne zu. Die Hlfte der Gruppe bog ab und kreiste den Ork ein, whrend sich die restlichen drei um Cheyne scharten. Die Biester waren schneller als jeder Gegner, den Cheyne je bekmpft hatte, und es schien ihnen zu behagen, immer wieder in Reichweite seines Dolches herumzutanzen und nach seinen Fersen zu schnappen, whrend er um sich schlug, um sie sich vom Leib zu halten. Die brigen Kanistas umschlichen Yob, ein breites Grinsen auf den geifernden Mulern. Kurz bevor sie zuspringen konnten, brllte Doulos mit voller Kraft einen uralten, neffianischen Kriegsruf vom Baum herab. Das schrille Kreischen prallte von den Felsen ab und schallte ber den Berghang. Das lie die Kanistas gerade lange genug zgern, da Yob den Kreis durchbrechen und zu Cheyne eilen konnte. Cheyne und Yob kmpften Rcken an Rcken, und als die Kanistas angriffen, schnitten sie ihnen blitzschnell die Kehlen durch. Sie fielen langsam um, schienen gar nicht zu bemerken, da sie starben und schnappten und knurrten fortwhrend weiter. Die restlichen Biester hpften ungerhrt ber die Kadaver. Doulos konnte den Speer nicht gezielt werfen, da sie sich dauernd bewegten. Zum Feuer, Yob! rief Cheyne. Der Ork grunzte zustimmend, und langsam, Schritt fr Schritt, gingen sie auf das erlschende Feuer zu. Gut. Halte dich bereit. Cheyne nahm die Gelegenheit wahr, als eines der Viecher sich an einem Gefhrten vorbeidrngte und in das Feuer strzte. Sofort stand das Fell in Flammen, aber der Kanista starb, noch ehe er den Schmerz sprte, da ihn Doulos mit dem Speer erlegte. Cheyne sprang von Yob weg, holte sich den Speer und rollte den toten Kanista aus der Feuerstelle heraus. Er packte den Ast, an dem Doulos ein Kaninchen gerstet hatte und stocherte in der Glut herum, um die Flammen anzuspornen. Er achtete darauf, den Felsen im Rcken zu behalten. Die Angreifer zogen sich fauchend zurck. Cheyne bearbeitete das Feuer so lange, bis sich der fettige Stab entzndete. Dann nherte er sich den Kanistas und schwang den brennenden Ast nach ihnen. Er warf Yob den Speer zu, rannte los und trieb die Tiere zusammen, die sich vor lauter Angst gegenseitig bissen und zu fliehen versuchten. Noch immer waren es zu viele. Wenigstens konnten sie jetzt nicht mehr zu Javin gelangen. Der grte Kanista drehte sich um, nahm Anlauf und rannte auf Cheyne zu. Cheyne blieb stehen und schlitzte dem Biest den Bauch auf, als es ihn ansprang. Als sie den Anfhrer tot am Boden liegen sahen, flohen die anderen heulend und wehklagend in die Nacht. Guter Kampf, Meister. Wir haben nicht viel Zeit, sagte Yob. Sie kommen wieder. Kanistas sind gute Gegner. Sie geben nie auf. Ich auch nicht, Yob. Wir spielen, bis wir gewinnen, erwiderte Cheyne und wischte das klebrige, dunkle Blut vom Dolch ab. Komm jetzt. Sie fanden Javin. Doulos hatte sich schtzend ber ihn gebeugt und weinte leise. Javin schien durch mehrere Bisse viel Blut verloren zu haben. Er rief nach seinem Sohn. Cheyne beugte sich ber ihn und versuchte zu hren, was sein Pflegevater ihm sagte. Cheyne ... ich frchtete, ich wrde dich nie wiedersehen. Geht es dir gut? Ja, sehr gut. Und du bist jetzt in Sicherheit, Javin. Ich habe ihn gefunden ... den Sammler. Cheyne lachte und lauschte den Kanistas. Das freut mich, Javin. Es gibt etwas, was du wissen mut. Javin atmete pltzlich viel zu schnell und zu schwach. Was ist mit ihm? Er ist doch gar nicht so schwer verletzt, Cheyne zupfte Doulos am Arm, als er durch seine zusammengebissenen Zhne sprach. Der Sklave wies auf Javins entblten Arm, wo das Gift bereits bis zur Schulter vordrang. Er sagt, es war der Raptor. Er folgte dir, weil du in groer Gefahr schwebst, antwortete Doulos mit bleichem Gesicht. Cheyne lie ihn los und neigte sich tiefer herab, in der Hoffnung, Javin habe noch genug Kraft, um zu sprechen. Die Karawane. Du hattest recht, Cheyne ... ich habe dir nie alles erzhlt. Aber wenn ich nicht geschwiegen htte, htte ich dich nie so gut vor ihm verstecken knnen. Ich reiste mit der Karawane, um nach dem Sammler zu graben. Als der Raptor kam, trnktest du gerade die Tiere. Eines der Dromedare hatte die Fufesseln abgestreift, und du bist weit gelaufen, um es zu suchen. Als du zurckkehrtest, hatte der Bote des Raptors, ein Elf mit einer Narbe auf der Wange, alle auer mir gettet. Aber von dir wute er nichts. Als du an jenem Tag aus dem Wald kamst, nahm ich dich mit, um dich zu verstecken. Dein Amulett ... seit Jahrhunderten wird es im Zauberkreis von einem zum anderen weitergegeben. Es gehrte dem Sammler, und es enthlt noch ein wenig Zauber. Ich verstehe mich nicht auf Magie, aber ich benutzte das Amulett um dir die Erinnerung zu nehmen. Deshalb kannst du dich nicht im Spiegel sehen. Wenn du nicht weit wer du bist kann auch er es nicht wissen. Cheyne, der Zauberkreis endet mit mir ... ich bin der letzte. Der Raptor hat uns seit Jahrhunderten gejagt und uns gefunden, egal wo wir uns verbargen. Oft schon hielt er mich in seinen Klauen, lie mich aber immer wieder gehen. Diesmal versuchte er, mich umzubringen. Das ist blo wegen dir und der Uhr... Wegen des Schatzes? fragte Cheyne unglubig. Ja, aber er will dich ... das hat er schon immer gewollt. Du bist der eine, weit du... Cheyne sah Doulos an, der verwirrt den Kopf schttelte. Dann bedeutete Doulos Javin zu schweigen und lauschte. Cheyne hob den Dolch, da er glaubte, die Kanistas seien zurckgekehrt. Schweigend warteten sie eine Weile, hrten aber nichts mehr. Doulos schlpfte davon, um nachzusehen, fand aber nur Yob, der den Speer griffbereit hielt. Naruq sprang von den Zweigen der groen Eiche lautlos zu Boden und gratulierte sich zu seinem Glck. Cheyne hielt Javins Kopf, whrend dieser fortfuhr; Die Uhr ist in Wahrheit eine Waffe, die der Sammler vor langer Zeit anfertigte, als die Brder einander bekmpften. Das Buch... Javin, hast du das Buch? Das kleine, in Bronze gebundene? Ich ... ich fand es in der Ruine und nahm es mit. Ich hatte es dir berlassen sollen. Es tut mir leid, Javin, aber ich war wtend auf dich. Ich dachte schon, ich htte es fr immer verloren. Ist schon gut. Das Buch erklrt, wie die Uhr funktioniert. Die Jumageschichten sagen ... da der Sammler dort Spuren hinterlie. Du darfst das Monstrum nicht herauslassen. Der Raptor glaubt hinter der Kristallwand liegt ein Schatz. Er wird vor nichts Halt machen, um ihn und dich zu bekommen. Er ist ein Verrckter, kein Mensch mehr ... ein halbes Phantom mit einer Klauenhand. Javin brach zusammen. Cheyne neigte sich lange ber ihn, bis ihn Doulos zur Seite zog und Javin mit seinem Umhang bedeckte. Was weit du darber? fragte Cheyne den Neffianer. Doulos zuckte mit den Schultern, nahm das Buch aus Javins Bndel und reichte es Cheyne, der traurig den Kopf schttelte. Nur der Baumvater kann es lesen. Und ich habe die einzige Gelegenheit verpat, durch den Vorhang des Lichts zu gehen. Da Saelin ihm mit groem Abstand folgte und der Wind seine Worte davontrug, kletterte Rotapan laut fluchend den Berg hinauf und beschimpfte Riolla mit groer Ausdauer. Dadurch fhlte er sich besser. Auerdem auch wrmer. Eiszapfen hatten sich an seinen langen Ohren gebildet, als er den Wald verlie. Die schlecht beschuhten Fe bluteten und schmerzten von den harten Lavaflchen und Obsidianbrocken, und das einzige, was ihn vorantrieb, war der Gedanke an jene sprechenden Kpfe und ihre scheuliche Prophezeiung. So lange die Mglichkeit bestand, den Tempel wieder aufzubauen und den Stab zurckzubekommen, ging er vorwrts. Im Geiste hatte er die obersten Spitzen bereits mit Riollas Kopf gekrnt. Der groe Gott Chelydrus wrde das Opfer ihres giftverseuchten Blutes genieen. Je hher er kletterte, desto mehr wurde seine Sicht von einer Eiswolke versperrt. Schon bald lie er sich nur noch durch die Steigung und die dunklen Flecken des kahlen Felsen unter seinen Fen leiten. In dem kalten Nebel bildete er sich Gerche und Gerusche ein. Es roch nach nassem Fell, und ein leises Knurren ertnte. Jemand stapfte durch den Schnee abseits des Weges. Wlfe heulten und winselten. Doch Saelin war nirgendwo zu sehen. Er htte Riollas Meuchler niemals trauen drfen, ihn zu bewachen. Rotapan rang nach Luft und beschleunigte seine Schritte. Er sah sich nach mglichen Waffen um und lie kleine Steine den Berg hinabrollen. Schlielich bckte er sich, um ein groes Stck Obsidian aufzuheben, aber seine Hnde waren steif vor Klte. Als er sich umdrehte, sah er keine drei Fu von sich entfernt den grten weien Wolf stehen, den er je gesehen hatte. Rotapan erstarrte auf der Stelle, die kalte Waffe in Hnden haltend. Es wird ein wundervoller Tag sein, wenn der Gott Chelydrus mir vor meinem Volk erscheint. Dann werden sie es glauben, sagte er zu sich selbst, um die Angst durch den Klang der eigenen Stimme zu verscheuchen. Was werden sie glauben? Die Stimme erklang hinter ihm und hrte sich seltsam fremd an. Er wandte den Kopf und sah einen grauhaarigen Neffianer, der in Felle gekleidet war und ein Sklavenhalsband trug. Neben ihm stand die Gefhrtin des groen weien Wolfs. Beweg dich nicht. Brauchst du Hilfe? Hast du dich verirrt? fragte der Neffianer. Rotapan wandte langsam den Kopf, um wieder nach vorn zu sehen. Der Wolf starrte den Halbork schweigend an, dann zog er die Lefzen hoch und knurrte kaum hrbar. Rotapan wute, da er ihn sofort angreifen wrde, wenn er sich bewegte. Er befrchtete, aus Furcht und Atemnot ohnmchtig zu werden. Noch schlimmer, der andere Wolf hatte sich lautlos hinter ihn geschlichen. Er sprte den heien, stinkenden Atem im Nacken. Wahrscheinlich ein Weibchen, dachte er. Sie ist ein wenig kleiner. Das Mnnchen spannte die Muskeln an und bereitete sich zum Sprung vor. Rotapan schluckte schwer, holte tief Luft und rief Chelydrus ein stilles Gebet entgegen, als er versuchte, an der Wlfin vorbeizulaufen. Sie schlug ihm die Krallen in den Rcken, aber er konnte ihren Hals packen und schlitzte ihr die Kehle mit dem Obsidian auf. Sie winselte einmal, bevor sie zu Boden strzte. Sofort sprang ihr groer Gefhrte mit einem riesigen Satz ber sie hinweg, aber Rotapan duckte sich und schlug ihm die gleiche Spitze in den Bauch, die auch die Wlfin gettet hatte. Rotapan sah sich nach dem Neffianer um, der jedoch spurlos verschwunden war. Vorsichtig trat er nach den toten Wlfen und sphte die ganze Zeit um sich, ob nicht weitere in den Nebelschleiern warteten. Aber er hrte nichts auer dem entfernten Jammern eines hungrigen Welpen. _Soll er heulen,_ dachte Rotapan. _Er wird allein verhungern, und ich kann weitergehen._ Als er sich umwandte, bemerkte er ein metallenes Band um den Hals der Wlfin. Wie das Halsband des Neffianers ... jetzt sind schon Sklaven hinter mir her, murmelte er. Sollen sie es nur versuchen. Chelydrus hat mich beschtzt. Und du hast gar nichts bemerkt, wertloser Saelin! Er whlte in den Taschen, um sicherzugehen, da Riollas Mnze noch dort lag und ging weiter. Noch eine Stunde lang qulte er sich den steilen Pfad hinauf, der durch das Eis und den Schnee immer rutschiger wurde, bis er endlich auf eine ebenere Strae gelangte, die zum Burggraben der Festung fhrte. Vor ihm, von fnf oder sechs Zoll frisch gefallenem Schnee bedeckt, stand Drufaldens Kristalltor. Wenn ihn die Sklaven berfielen, wrde es hchstwahrscheinlich hier geschehen. Saelin hatte behauptet, es gbe dicht vor dem Tor eine Art Geheimeingang, der von den Sklaven benutzt wurde, wenn sie hinausschlpften, um zu jagen. Die Siedlung der Diebe lag dicht hinter diesem Punkt, Drufaldens Burg dagegen noch ein Stck hher den Berg hinauf, innerhalb des schtzenden Kraters des alten Vulkans. Wenn Rotapan an diesen Toren vorbeikommen konnte, knnte er in die Burg schlpfen und seine Nachricht berbringen und nach einer Kampftruppe fragen, die er mit zum Tempel nehmen wrde. Schlielich hatte er die Mnze dabei. Woher sollte Drufalden wissen, da Riollas Anweisungen ganz anders lauteten? Rotapan verlangsamte seine Schritte und hielt sich in den Schatten der Felswand, wo der Nebel recht dicht erschien. Aber ehe er noch drei Schritte gemacht hatte, traten weigekleidete Wachen durch die Tore und kamen mit ihren gezckten Schwertern auf ihn zu. Stehenbleiben und nicht bewegen! rief der linke. Rotapan drckte sich an die Felswand. Seine Knie schlugen gegeneinander, und er atmete stoweise. Pltzlich fielen ihm Geschichten von Reisenden ein, die auf diesem Berg verloren gingen, die ihre Karten berprft hatten und spter mit offenen Augen erfroren gefunden wurden. Die Mnze, die er auf den letzten Metern in der Hand gehalten hatte, verlor an Wrme und fhlte sich an, als klebe sie an seiner Haut fest. Die Wachen stapften durch den hohen Schnee und blieben wenige Fu von ihm entfernt stehen. Wir hren dich. Zeige dich, Sklave. Wir haben dich gewarnt, die Siedlung ohne unsere Begleitung zu verlassen, sagte einer der Mnner, dessen Augen eigentmlich leer blickten, und dessen Atem in der eisigen Luft keinen Dampf hinterlie. Rotapan konnte sich nicht rhren. Aber auf der anderen Seite des Weges erklang ein leises Gerusch. Der Neffianer hockte hinter einem Schneewall und hielt ein wimmerndes Wolfsjunges unter dem Fellmantel. Rotapan atmete erleichtert auf, als ihm bewut wurde, da die Wachen nicht ihn gemeint hatten. Als der junge Wolf erneut jaulte, umkreisten sie den Neffianer, und Rotapan machte eine erstaunliche Feststellung. Die Haut der Wchter war so wei wie die steifen Gewnder, und wenn er ihnen direkt in die Gesichter blickte, konnte er fast durch sie hindurch sehen. Sie sahen aus, als seien sie aus dem gleichen Eis geschaffen worden, das auch den ganzen Berg bedeckte. Ihre Schwerter bestanden aus glnzendem Kristall, und ihre Worte hingen wie der Klang von Stahl auf Stahl in der Luft. Als sie vorrckten, lie der Neffianer den Welpen los und gebot ihm wortlos zu bleiben, dann sprang er aus der Deckung und rannte an ihnen vorbei, whrend die Schwerter ber seinem Kopf zusammenprallten. Der Sklave rannte durch die Tore und schlug den steilen Pfad zum Haupteingang der Sklavenkolonie ein. Die Wachen folgten ihm steifbeinig, aber mit unglaublicher Geschwindigkeit. Rotapan zuckte mit den Schultern und schlpfte durch die Silbertore in den leeren Innenhof. Der Nebel hatte sich gelichtet, und das Licht der Monde und der Drei Schwestern funkelte auf Hunderten von kunstvoll geformten Eisskulpturen, die den Hof durch die seltsamen Tiere, Blumen und Bume lebendig wirken lieen. Der Halbork stand wie gebannt, verga die Wachen, die Klte und die Mnze in der Hand, verga auch seinen Auftrag und Riolla. Denn dort, in der Mitte des Hofes, auf einem riesigen Eisblock, erhob sich die glnzende, eisige Gestalt eines Meerdrachens, komplett mit Wellen und der Andeutung des Strudels. Chelydrus! flsterte Rotapan. Erstaunlich, nicht wahr, Wyrvil? Diese Figuren wurden geschnitzt, als ihr Volk den grten Teil des Kontinents beherrschte, vor dem groen Tauwetter. Man sagt, da sie alle einst auf dieser Erde lebten. Saelins Stimme drang an Rotapans Ohr. Beuge dein Knie vor dem Gott des Wassers! fauchte Rotapan, den es strte, da seine Audienz bei Chelydrus Zeugen hatte. Und wo, bitte schn, warst du, als mich diese Wlfe angriffen und zerfleischten? Saelin winkte mit spttischer Geste den Eisgestalten zu. Genau hinter dir. Ich sparte meine Krfte. Du schienst keine Hilfe zu bentigen. La uns gehen. Die Rimscallawachen werden sich nicht lange mit dem Sklaven aufhalten. Ich mchte ungern auf sie warten. Bevor Rotapan etwas sagen konnte, band ihm Saelin ein Tuch ber die Augen, knotete es fest zu und setzte dem Halbork die Dolchspitze an seine schuppige Kehle. _Niemand darf den Eingang sehen, Wyrvil._ Und den Ausgang wirst auch du nicht zu sehen bekommen, dachte er bei sich und schob Rotapan auf Drufaldens Burg zu. ~KAPITEL 17 Riolla hielt sich das Fernglas an die Augen und versuchte, Rotapan und Saelin im Bergnebel zu entdecken. Seit einiger Zeit war es ihr gelungen, sie beim Aufstieg - zu Drufaldens Festung zu beobachten, aber jetzt hatte sie die beiden aus den Augen verloren. Das gefllt mir nicht. Sie verstaute das Glas in der Tasche und a noch eine Banane. Ihr wurde in dem Umfeld der warmen Quelle ein wenig langweilig. Riollas Blick glitt ber die tropischen Gewchse und suchte nach Bewegungen oder Eindringlingen. Es war keine besonders gute Idee gewesen, allein hier zu warten, aber sie wollte nicht riskieren, sich ohne ausreichenden Schutz auf Drufaldens Gebiet zu begeben. Das stetige Tropfen des verdunstenden Wasser auf den Pflanzen fing an, sie zu rgern. Ihre Haare waren na, und die Kleidung tropfte geradezu. Sie hate feuchte Orte; sie waren voller Schimmelpilze und Moder. Riolla stocherte in dem Feuer zu ihren Fen, um sich ein wenig zu trocknen, aber die Wrme machte sie mde. Die dampfende Quelle sprudelte nur wenige Fu vom Feuer entfernt sehr einladend. Da sie bereits na war, konnte sie das Wasser eigentlich genieen und gleichzeitig wrde sie wach bleiben. Riolla sah sich noch einmal um und zog sich dann aus. Auf der anderen Seite der Quelle packte Og den Stamm eines Bananenbaumes, um sich nicht den Hals zu brechen, als er aus dem Nichts ins Paradies fiel. Sein Lied hatte ihn von Womba entfernt, aber er hatte keine Ahnung, wo er gelandet war. Als er die Steine in der Hand gehalten und gesungen hatte, hatte er an Riolla gedacht. Zu seiner grten berraschung und seinem unbeschreiblichen Vergngen sah er sie vor sich, wie sie, mit einer Orchidee im Haar, in einer warmen Quelle badete. Og blinzelte und glaubte zu trumen. Eine Orchidee. Genau wie diejenige, die er ihr an jenem Tag gezaubert hatte, als er um ihre Hand anhielt. Ogs Herz zerbrach erneut, als er durch das Gewirr der tropischen Pflanzen lugte. Seine Nase versteckte er hinter einem Bananenbschel. Riolla lie sich Zeit; nur ihr Kopf war ber der sprudelnden Oberflche zu sehen. Als sie sich erhob, um die Quelle zu verlassen, fiel Og auf, da sie nackt war, splitternackt. Gebannt schlo er die Augen, um sich zu fassen und blickte dann zu den Drei Schwestern empor. Der Himmel war grtenteils von den wabernden Nebelschwaden verdeckt, aber hin und wieder war das vertraute Sternbild zu sehen, wenn sie sich ein wenig lichteten. Alles sah hnlich aus wie in der Nhe des Selkiehauses, nur da er sich ein Stck weiter westlich befand. Dies mute die warme Quelle am Fu von Drufaldens Berg sein. Er steckte die beiden Steine in seinen Beutel und schmiedete einen Plan. Jetzt, da sie wute, da er fort war, wrde ihn Womba sicher verfolgen, und er konnte jederzeit vor Tagesanbruch zum Flu der Selkies zurckkehren, wenn Cheyne zum Wald aufbrechen wollte. Aber erst einmal wollte er noch nher herangehen. Nur noch einmal mit ihr zusammen sein. Ein letzter Blick, wenn sie nicht wute, da er hinschaute, whrend sie allein waren. Als Riolla in ihre Gewnder schlpfte, die Haut mit einem entzckenden rosigen Hauch berzogen, steckte er die Nase wieder hinter die Bananen. Ogs pltzliche Bewegung lie den Baum schwanken und erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie blieb stehen, um zu lauschen, und er hielt den Stamm fest, aber es war zu spt. Riolla, die das Bschel reifer Bananen entdeckt hatte, lchelte gierig und bahnte sich einen Weg durch das Gewirr der Pflanzen, die Augen auf den goldgelben Schatz gerichtet. Og konnte nichts tun, nur das Unvermeidliche abwarten. Riolla zerrte an der grten Banane, und Og taumelte aus dem Versteck und hielt sich die schmerzende Nase. Riolla konnte nur mit Mhe einen Schrei unterdrcken. Ihren Zorn behielt sie jedoch nicht fr sich. Du! Wo kommst du denn her? Hast du mich beobachtet, du hlicher kleiner Raqastrolch? Saelin! schrie sie, da sie Og glauben machen wollte, er wrde gleich einen Kopf krzer gemacht. Er erhob sich von dem schlpfrigen, rankenbedeckten Boden, richtete sich zu voller Gre auf und sah Riolla tief in die wtenden Augen. Er hatte Jahre gewartet, um mit ihr zu sprechen, und er wute genau, was er ihr sagen wollte. Ich ... ich liebe dich, Riolla, krchzte er mit brechender Stimme. Sie rmpfte angewidert die Nase und packte ihn am Kragen. Dann stie sie ihn durch die ppigen Farne und Moose zum Feuer, stocherte in der Glut herum und setzte sich hin, um zu entscheiden, wie sie den alten Gauner als Geisel festhalten sollte. Saelin, ich warte! Riollas scharfe Stimme durchdrang den Nebel. Als niemand erschien oder antwortete, lauschte sie angestrengt und hielt den Dolch gegen Ogs Rippen, um sich sein Schweigen zu sichern. Ein paar Minuten verstrichen, ohne da ein Laut vom Berghang zu hren war. Og wartete friedlich und unternahm keinen Fluchtversuch. Schlielich befand er sich genau dort, wohin er wollte, seitdem ihn Riolla verlassen hatte. Der Knebel schmeckte unangenehm, und die Nase schmerzte stark. Schlielich wandte Og den Kopf ab, um sich an der rauhen Rinde eines Baumes zu scheuern, wo ihn ein Moskitostich juckte. Gleichzeitig sah er Womba in die Augen. Er konnte nicht einmal schreien. Ngah! Ngah! sthnte er, aber Riolla, die wegen ihrer Zweisamkeit beunruhigt war, schob ihm nur den Dolch fester gegen die Rippen und schaute auf die andere Seite. Womba sah ihn schmachtend und verliebt an und wollte gerade seine Fesseln lsen, um ihn davonzutragen, als ein neuer Besucher aus dem Nebel erschien und sich ans Feuer setzte. Wombas Nase, die durch den berreiz an fremden Gerchen verwirrt worden war, hatte den Eindringling nicht bemerkt. Bei dem leeren Kruge Nins, Naruq! Was tust du hier? Kannst du dich denn nie anmelden, so wie alle anderen es tun? Ich hatte dich tten knnen, ehe ich dich erkannt htte, fauchte Riolla. Der groe Elf lchelte herablassend. Das mchte ich stark bezweifeln, Schreefa. Sehr sogar. Wie ich dir sagte, bin ich dein Fhrer durch den Vorhang des Lichts. Ich sehe, du hast einen Gefangenen. Das war sicher nicht schwierig, stimmts? Hallo Ogwater! Ngah. _Nagahhh!_ brllte Og. Ohne den Elfen zu beachten, zog sich Womba ein Stck zurck, da sie frchtete, Og erschreckt zu haben. Eine Dampfwolke trieb einen neuen, ganz besonders starken Geruch heran, und die gelben Augen verengten sich vor Zorn. Ngah, Ngah! wiederholte Og, aber Riolla hatte ihn vergessen. Hat nicht viel zu sagen, was? fragte Naruq. Riolla betrachtete den Elfen eingehend. Ich habe dich nicht mehr gesehen, seitdem die Strae geschlossen wurde. Was hast du getrieben? Nichts, worber ich sprechen mchte. Aber ich habe Neuigkeiten, die du wahrscheinlich hren mchtest. Gegen gute Bezahlung natrlich, erklrte der Elf. Wieviel? Ich denke, die Hlfte von dem, was der Ausgrber unter der Uhr findet, wird reichen. Riolla sah ihn prfend an. Aber er wute, da er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Bist du berrascht, weil ich wei, da du alles fr dich behalten willst? fuhr er fort. Ich htte es dem Raptor schon in Sumifa erzhlen knnen, aber dann htte ich deine Arbeit auch noch erledigen mssen. Und so bekommen wir beide, was wir wollen. Du kannst Sumifa haben, aber ich will Sarrazan und alles, was darunter liegt. Was weit du ber die Uhr? knurrte Riolla. Og spitzte die Ohren, gab aber vor, vor lauter Erschpfung zu dsen. Genug. Aber du nicht. Was soll das heien? zischte sie. Nun, es geht darum, wie sie arbeitet. Was willst du damit sagen? Hr auf, mit mir zu spielen, Naruq. Der Ausgrber hat jetzt alles, was ntig ist, um die Uhr zu ffnen. Es steht in dem Buch, das sein Vater bei sich trug. Wutest du nicht, da man dir gefolgt ist? Ja, ich dachte mir schon, da dich das erbleichen lassen wrde. Aber der Ausgrber und sein Buch sind kein Hindernis, selbst wenn ihm der Baumvater daraus vorliest. Wieso denn nicht? Wir haben etwas, was er will. Naruq stand auf und schob die Pflanzen hinter seinem Rcken auseinander, um Claria vorzuzeigen, die an den Hnden und Fen gefesselt, mit einem Knebel im Mund und groer Wut in ihren goldenen Augen dort sa. Durch Clarias Geruch ausgesprochen verrgert, konnte sich Womba nicht lnger beherrschen. Als sie das Mdchen erblickte, brllte sie auf und sprang aus ihrem Versteck hervor, ri den kleinen Baum, an den Og gebunden war, an den Wurzeln heraus und schlug damit um sich. Naruq war vllig verblfft und entkam dem Hieb nur mit knapper Not. Riolla rollte die Augen und empfand das Auftauchen der Orkin als Belstigung. Claria versteckte sich unter einem groen Busch und hoffte das Beste. Womba verfehlte sie mehrmals und brach mit jedem Hieb ein Stck des Baumes ab, bis sie nur noch ein paar Rindenstcke in ihrer schuppigen Hand hielt. Naruq hatte den Dolch gezogen, traf sie aber nicht, bis sie ihm endlich das Gesicht zuwandte und er ihr das Messer quer ber die Wange zog. Die Augen voller Blut, brllte Womba auf, packte Og, der sich noch nicht von den Fesseln befreit hatte und rannte davon. Das war ganz hervorragend. Jetzt kann er dem Ausgrber alles erzhlen, was wir vorhaben, schimpfte Riolla. Naruq lachte und wischte den Dolch an Riollas Gewand ab. Oh, merkst du denn gar nichts, Schreefa? Die Orkin wird ihn so weit wie mglich von den anderen wegbringen. brigens, hast du seine Taschen durchsucht? Natrlich nicht. Warum sollte ich? Er hatte nicht einmal Rotapans Stab. Erwartest _du_, da ich ihn berhre? Es reicht, da ich ihn fesseln mute, diese eklige Kchenschabe. Er wrde mir nie etwas antun. Er hat zwei der Steine. Riolla wurde kreidebleich. Naruq sah sie von oben herab abfllig an. Der Ausgrber ist auf dem Weg zum Baumvater. Er ist der einzige, der das Buch lesen kann. Ich mu ihn in den Wald fhren, dann hre ich, was ihm der alte Graubart erzhlt und komme so schnell wie mglich zurck. Deine Arbeit besteht darin, auf das Mdchen aufzupassen. Verletze sie nicht und la sie nicht entkommen, Riolla. _Du_ brauchst was nur ich dir geben kann, sonst gelangst du nie an die Uhr. Denk darber nach, und sei dankbar, da ich sie dir geben werde. Riolla zog hinter seinem Rcken eine Grimasse, als er im Wald verschwand. Dann wandte sie sich Claria zu und lchelte; ihr Mund sah wie eine Rosenknospe aus, und sie zerflo vor gespieltem Mitleid. Wir treffen uns zum ersten Mal, meine Liebe. Ich hatte gehofft, wir wrden uns bei der Hochzeit sehen. Ich wei, da Maceo dich einst recht nett fand. Aber das ist natrlich vorbei. Und dein unwichtiges kleines Leben wird auch bald ein Ende haben. Ich werde dir den Ring abnehmen, damit er ihn wiederbekommt. Riolla griff nach dem Ring, und zu ihrer berraschung versuchte das Mdchen nicht, die gefesselten Hnde wegzuziehen. Statt dessen hielt sie der Schreefa den geschwollenen Finger genau unter die Nase. Riolla hob die Brauen und bemhte sich, den Ring abzuziehen. Der lie sich natrlich nicht bewegen. Claria lachte hinter dem Knebel. Riolla fand das nicht lustig. Oh ... nun gut. Es gibt noch andere Wege, meine Liebe, drohte sie. Rotapan beendete seine Rede und schwieg. In Ordnung, Wyrvil. Gib mir die Mnze, sagte Drufalden und trommelte mit einem ihrer langen silbernen Fingerngel auf die Lehne des Throns. Rotapan blinzelte und rollte die Augen, die sich noch an die strahlende Helligkeit von Drufaldens Gemchern gewhnen muten. Saelin hatte dem Halbork die Augenbinde erst abgenommen, nachdem man sie durch ein Labyrinth von Gngen aus Eis und Stein geleitet hatte, die zu Drufaldens Rumen fhrten. Rotapan whlte in seiner Tasche und zog zgernd die Ninnitenmnze heraus. Drufalden untersuchte sie sorgfltig und war schlielich zufrieden, da sie der Beschreibung des Raptors entsprach. Du hast gerade dein mieses Leben gerettet, Wyrvil. Seit Jahren warte ich auf eine Gelegenheit, dich vor mir stehen zu sehen. Erzhle Riolla, da ihre Eskorte bereit steht. Ich werde fnfhundert meiner besten Meuchler losschicken, die am Vorhang warten werden. Sie kann sie dort treffen. Saelin, schaff ihn mir aus den Augen, bevor ich mich vergesse. Drufalden gab dem Meuchler einen Wink. Saelin lchelte, verbeugte sich und legte dem Halbork die Augenbinde an. Als sie durch die gefrorenen Gnge schritten, schien die Luft wrmer zu sein und roch auch anders. Rotapan sprte Wasser unter den Fen. Dann hrte er ein sonderbares Gerusch. Es klang wie das Auftauen eines Flusses, wie das Krachen von Eis. Auch Saelin hrte es; eine halbe Meile lag noch vor ihnen. Der Meuchler rannte um sein Leben, lief den langen Gang entlang und lie den Halbork zurck, der gegen die schmelzenden Wnde taumelte. Die Decke taute viel schneller auf, als es bei natrlichem Tauwetter mglich gewesen wre. Rotapan nahm die Augenbinde ab und rannte dem Meuchler nach. Saelins Fuabdrcke waren in dem krnigen Eis gut zu erkennen. Rotapan keuchte und hustete, als er durch den glitschigen Gang strmte, die ganze Zeit lautlos zu Chelydrus betend. Eisiges Wasser rann von der Decke in seinen Kragen. Die letzten Schritte bis zum Innenhof rutschte er aus und konnte nur knapp einer groen Pftze ausweichen. Er hielt an und hielt nach Saelin Ausschau. Der Meuchler war verschwunden. Rotapan wute nicht, wohin er gehen sollte. Auer nach Hause. Verrgert wickelte er den dnnen Umhang um sich, richtete sich nach den Drei Schwestern und schritt durch den schmelzenden Hof und den Berg hinab. Hinter ihm lste sich Drufaldens Knigreich in schmutzige Rinnsale auf, die zu schmutzigen Bchen wurden, die sich in die Flsse der Ebene ergossen. Am nchsten Tag wrde das Eis, das hundert Fu hohe Mauern gebildet hatte, das Land unterhalb des Berges berfluten und in den Silbersee flieen. Rotapan hielt inne, als er an den berresten der herrlichen Skulptur des Chelydrus vorbei kam, die nun nur noch ein unfrmiger Klumpen in einer Pftze war. Mchtiger Chelydrus, nur du berlebst, mit makellosem Gesicht und unversehrter Form. Nichts kann deine Herrlichkeit beeintrchtigen. Ich werde deinen Tempel wieder aufbauen, mein Gott. Hilf mir, heil nach Hause zurckzukehren, dann wird er neu erbaut. Ich werde den Stab wieder in Hnden halten. Ich bin Rotapan, Oberster Herrscher der zehn Stmme! rief er laut und kletterte den Hang hinunter, als seien die Worte zutreffend. Hinter ihm schlpfte der Sklave, den die Wachen gejagt hatten, aus dem Gang und fhrte eine Bewegung aus. Der Welpe scho aus dem Versteck hinter den Felsen hervor und sprang ihm in die Arme. Das Gesicht des Mannes war zerschlagen, ein Auge dick geschwollen. Der Neffianer kniete unter Schmerzen nieder und lie den Wolf an seinen Wunden schnuppern, befahl ihm aber, ruhig zu sein, als das Tier jaulte. Dann fhrte er ihn in einen Felsspalt am Rande des Innenhofes. Rafek! Wo warst du? Was ist mit dir geschehen? Die Stimmen schienen von berallher zu kommen, als der Neffianer von dem geheimen Eingang zur Mitte der Sklavensiedlung ging. Ich habe keine Zeit fr Erklrungen. Die Wachen sind geschmolzen! Ja, sogar, als sie mich schlugen. Ich jagte drauen mit den Wlfen und konnte nicht zur Tr, ehe sie mich ersphten. Sie verwandelten sich pltzlich zu Wasser. Ich glaubte, zu trumen oder tot zu sein. Jetzt sehe ich, da der ganze Platz sich auflst. Da drauen ist etwas geschehen. Hundert alte Neffianer, die lngst nicht mehr arbeiten konnten, aber immer noch das silberne Halsband mit Drufaldens Zeichen trugen, starrten Rafek an, als sei er verrckt geworden. Das glaubst du doch selbst nicht, Mann - sieh dich an -, das kommt bestimmt von den Schlgen. Wo sind Jepli und Carsh? wollte einer der alten Mnner wissen, dessen Name Salmak war. Der Wyrvilknig hat sie gettet. Nur Q'Tarin berlebte. Der kleine Wolf leckte ihm die Hand, als er seinen Namen hrte. Der ... Wyrvilknig? Du hast den Wyrvilknig gesehen? Rotapan, der uns alle wieder in die Sklaverei verkauft hat, nachdem wir aus Sumifa fortliefen? Salmak schttelte den Kopf und rollte die Augen. Ein paar der anderen versuchten hflicherweise, ihr zahnloses Lcheln zu unterdrcken. Ich sah ihn. Anfangs dachte ich, er sei ein verirrter Wanderer und wollte ihm helfen. Fr diese Freundlichkeit ttete er meine Wlfe. Aus dem Gesprch der Wachen entnahm ich, da ein Meuchler den Wyrvil zu Drufalden fhrte. Ich habe den Meuchler nicht gesehen, aber der Halbork befindet sich auf dem Weg den Berg hinab. Anscheinend allein, fgte er hinzu. Ich sage euch, es tut sich etwas. Der neue Knig wird bald kommen, genau wie es die Juma sagten. Mein Bruder Doulos hatte recht - wir werden bald frei sein. Wo sind die Hausdiener? Die Minenarbeiter? Fragt sie, ob dieses Knigreich auftaut! Oder seht selbst nach drauen, wenn ihr mir nicht glaubt. Der alte Mann glttete die dichte weie Haarmhne und zerrte an dem silbernen Halsband; dann wies er einen der anderen an, vorsichtig nach drauen zu schauen. Schon gut, Rafek, beruhige dich. Wenn Silufe Wasser bringt, werden wir handeln, sagte er und reichte Silufe eine leere Tasse. Nach kurzer Zeit hatte man Rafeks Auge verbunden, und Silufe kehrte mit einem Lcheln und einer Tasse voller Wasser zurck. Die Wachen sind fort. Aber die Meuchler besetzen den Innenhof, berichtete er. Rafek setzte sich nieder, froh, da man ihm endlich glaubte. Salmak lchelte in seinen weien Bart. Nie glaubte ich, das noch zu erleben. Aber vielleicht haben wir jetzt eine Mglichkeit zu fliehen. Das sind nur Mnner und Frauen. Gegen Magie konnten wir nicht kmpfen. Aber gegen Fleisch und Blut und Knochen! Wir mssen sorgfltig planen. Es sind bedeutend mehr Meuchler als wir, aber wir knnten es schaffen. Wieder zerrte er an dem Silberreif. Sie ist nicht lnger unbesiegbar. Rafek umarmte den Wolf und erhob sich, um zu gehen. Kmmert euch um Q'Tarin. Ich folge der Wyrvilschlange. Rafek, die Ninniten werden dich auf der Stelle tten. Der ganze Hof ist voll von ihnen, sagte Silufe. Ich mu gehen. Es mag die einzige Gelegenheit sein, ihn zu erwischen, wenn er allein und ohne Schutz ist. Und er hat meine Wlfe gettet, Silufe. Das kann ich nicht ungestraft durchgehen lassen. Rafek warf sich einen schweren Umhang ber und kroch aus dem Geheimeingang. Er mute nur wenige Minuten warten, bis sich alle Meuchler im Hof versammelt hatten, um ihre Shirrir-Rationen zu entznden. Als sie den Wind im Rcken hatten, trat er schattengleich aus dem Schutz der Felsen hervor und verschwand den Pfad hinunter. Und Q'Tarin, der nach jeder Hand gebissen hatte, die ihn zurckhalten wollte, trottete lautlos hinterher. ~KAPITEL 18 Riolla zog ihren kleinen, juwelenbesetzten Dolch und lie ihn vor Clarias goldenen, furchtlosen Augen tanzen. Denkst du, da wir ihn brauchen, um den Ring zu entfernen? fragte die Schreefa. Claria schttelte den Kopf, denn der Knebel behinderte sie noch immer. Gut, dann nimm ihn ab. Claria hielt die gefesselten Hnde hoch. Netter Versuch! sagte die Schreefa und nherte sich mit dem Dolch. Riolla! Saelin rannte krachend wie ein rollender Stein durch das Gestrpp. Rei dich zusammen. Wir haben keine Zeit. Wir mssen sofort den Berg hinauf! keuchte er. Oh ... gut gemacht, meine Kaiserin. Ist das ein besonderer Leckerbissen fr deinen gehorsamen Diener? Er fuhr sich mit der Hand ber das Gesicht und sprte die wunde, lange Narbe, die Clarias Kamm hinterlassen hatte. Wovon redest du, Saelin? Warum sollen wir gehen? Und wo ist Rotapan? Sie steckte den Dolch ein. Als das Tauwerter einsetzte, blieb keine Zeit, ihn zu beseitigen wie du geplant hattest. Aber er ist sicher tot. Ich lie ihn im Gang des Palastes zurck. Keine Angst, er wird den Ausgang nie finden, und die Wyrvilstmme werden der Eisknigin auch weiterhin feindlich gesinnt sein. Er hatte die Augen verbunden, und die Wnde lsten sich auf. Ich bin sicher, der Gang ist ber ihm zusammengestrzt. Er berbrachte deine Botschaft, und Drufalden hat deine Krieger versammelt. Sie erwarten dich am Vorhang. Saelin blickte zum Berg hinauf. Schreefa, eine Schlammlawine strzt herab. Wir mssen gehen. Riolla versetzte Claria einen Tritt, damit sie aufstand. Der alte Gauner mu den Stein der Selkies benutzt haben, murmelte sie. Egal. Wir mssen sowieso schnell aufbrechen, aber ich wnschte, dein Dolch hatte das Herz Rotapans durchbohrt, anstatt ihn dem Schicksal zu berlassen. Nun ja, er ist aus dem Weg, und ich mu ihn nicht bezahlen. Saelin, vielleicht wrdest du dich gut in seiner alten Position machen. Der Meuchler verneigte sich und lchelte unter dem dunklen Schnurrbart. Das reichte, ihn die kleine Uhr vergessen zu lassen. Ogwater wurde wie ein Sack Melonen auf Wombas starken Schultern durchgerttelt. Die Orkin hatte ihre Schritte nicht verlangsamt, seitdem sie durch den Dschungel und in den Wald gerannt war, der den Flu der Selkies umgab. Og hatte keine Ahnung, wohin sie ihn schleppte, aber wo auch immer das sein mochte, es war ihm zu weit. Bis er Dunsan erblickte. Der Spher rannte ihnen entgegen; sein Gesicht war hei und rot vor Anstrengung. Wo bist du gewesen? Wir haben dich auf Wiggulfs Befehl berall gesucht. Weit du nicht, da der Berg einstrzt? Wahrscheinlich bleiben wir hier verschont, aber es wre mglich, da du hier festsitzt, bis sich die Fluten zurckziehen. Beim Klang seiner Stimme versiegte Wombas Kampflust, und sie sah ihn an, als habe sie kein Wort verstanden. Aber das Auftauchen des Sphers hatte sie lange genug anhalten lassen, so da sich Og aus ihrem Griff lsen konnte und ungeschickt zu Boden glitt. Ich mu Cheyne finden. Ist er bei Wiggulf? fragte der Magier. Er ging, um seinen Vater zu suchen. Sie sind ein Stck den Pfad weiter oben. Ich kann dich hinfhren, sagte Dunsan und durchschnitt die Fesseln, die immer noch Ogs Handgelenke zierten. Og folgte ihm, Womba dicht auf den Fersen. Dunsan schlngelte sich zwischen den Bumen hindurch, bis sie Cheyne erreichten. Yob und ein Neffianer waren bei ihm: Sie trugen einen Verwundeten und schritten den Pfad entlang, den Cheyne und Og bei ihrer Ankunft auf der Insel der Selkies gegangen waren. Cheyne! Yob! Hilfe! schrie er. Cheyne lie die Gruppe anhalten, und Yob rannte auf seine Tochter zu, die auf Og losstrmte. Kurz darauf hatte Yob die bewutlose Womba auf seinen Schultern, und Og rieb seine geschwollenen Hnde, whrend er neben ihnen herschritt. Cheyne hatte kein Lcheln fr Og brig. Wo bist du gewesen? Wir brauchen deine Hilfe. Og folgte dem kalten Blick, der sich auf den verwundeten Mann richtete. Nun... Diesmal war Og sprachlos. Er beugte sich ber den Verletzten, zog sich schnell zurck, als er die kalte Hand des Mannes berhrte. Er ist tot. Wer war er? Doulos verbeugte sich und antwortete. Es ist der Vater des jungen Muje, der wahre Knig von Sumifa. Und er lebt noch. Aber wenn wir nicht bald Hilfe erhalten, wird er sterben. Og zerrte an seiner Tasche und schttete sich die Steine in die Handflche. Er bereitete sich vor, das Lied des Lebens zu singen. Aber nachdem die ersten Tne zu einer Melodie wurden, verblate das Licht der Steine und erstarb. Og krchzte die Worte, vllig aus dem Takt und so mde, da er sich kaum rhren konnte. Was ist das fr ein Gift? Ich kann nicht dagegen ansingen, wunderte er sich. Das ist die dunkle Magie der Ninniten, Og. Dann mssen wir ihn zum Baumvater bringen. Der Feuerbann ist der einzige Stein, der dieses Gift besiegen kann. Die Elfen wissen noch besser als ich, wie man mit der Magie umgeht. Kommt schon. Wir drfen keine Zeit verlieren. Cheyne versuchte, es Javin bequemer zu machen. Warte ... vielleicht gibt es doch etwas, was ich tun kann. Und ich habe Neuigkeiten, Cheyne. Unser Freund Naruq hat nichts Gutes im Sinn. Er arbeitet fr den, dem auch Riolla dient, und fr sich selbst. Er hatte geplant, dir eine Falle zu stellen. Riolla hat fnfhundert Ninniten, die am Vorhang auf dich warten, wenn du die Uhr fr sie aufgesprt hast. Und...Er schluckte, da er das Folgende ungern erzhlte. Und was, Og? fragte Cheyne. Riolla hlt Claria gefangen. Rotapan blieb mitten im Wald stehen, um in der Luft zu schnuppern, da er sich vor den Geruschen hinter sich frchtete. Seit mehreren Meilen hatte er das Drhnen des sich bewegenden Berges vernommen, das Pltschern des anschwellenden Flusses und - schlimmer, viel schlimmer - das Knacken und Rascheln trockener ste unter den Fen eines achtlosen Verfolgers. Er hob die Nase, schlo die Augen und konzentrierte sich auf die Gerche, die der Wind herantrug. _Neffianer? Und noch ein Wolf?_ Rotapan wunderte sich. _Und ganz in der Nhe... _So nah, da er sie vor sich stehen sah, als er die Augen ffnete. Das Gesicht des Neffianers sah verschwollen und grimmig aus; er hielt eine schwere Keule in der Hand. Rotapan stellte sich mit dem Rcken an einen Baum und suchte nach der Obsidianwaffe, mit der er die anderen Wlfe gettet hatte. Die hast du ein paar Meilen weiter oben verloren, Wyrvil. Aber hier sieht die Sache ein wenig anders aus. Hier hast du keine Steine. Du kannst auch nicht einfach weglaufen. Du und ich, wir haben noch etwas zu regeln, sagte Rafek. Ihm zu Fen sa sprungbereit der halbwchsige Wolf, fletschte mit den Zhnen und knurrte. Zu regeln? Was haben wir denn zu regeln? krchzte Rotapan, dessen Hnde sich in die Baumrinde krallten. Schritt fr Schritt kam der Neffianer nher. Dein Leben fr das Leben all meiner Leute, die du an Drufalden verkauft hast, nachdem sie dir mit ihrer Arbeit an jenem schrecklichen Tempel dienten, damit du sie durch dein Reich reisen lassen wrdest. Und dein Leben fr das Leben meiner Wlfe. Scheint nicht gerade gerecht zu sein, wie? Du schuldest viel mehr, als du bezahlen kannst. Aber es ist wenigstens etwas! Der Neffianer sprang auf Rotapan zu, und die Keule krachte genau auf die Stelle, wo den Bruchteil einer Sekunde vorher noch Rotapans Kopf gelegen hatte. Rafek holte wieder aus, whrend sich der Welpe auf den fliehenden Halbork warf und ihn zu Fall brachte. Unter den Pfoten des junges Wolfs wand sich Rotapan wild auf dem weichen Waldboden hin und her, whlte zwischen den Nadeln und Tannenzapfen, fand aber keine Waffe. Als Rafek dem Wolf pfiff, kauerte Rotapan auf allen vieren und knurrte mit glasigen Augen vor sich hin. Rafek trat vor, um der Sache ein Ende zu bereiten. Rotapan schlo die Augen und schrie; dann kroch er wie eine groe Spinne ber den unebenen Boden rckwrts davon. Rafek hob die Keule. Es wre innerhalb einer Sekunde vorbei gewesen, htte Rotapan nicht ein Stck Holz gefunden. Er packte den dicken Ast und wich Rafeks wtendem Hieb aus. Auch die beiden folgenden Schlge trafen nicht, und er kam wieder auf die Beine. Der junge Wolf sprang fortwhrend um ihn herum, da er dem Halbork an die Kehle wollte, aber Rotapan schwang den Ast um sich herum, um den Welpen auf Abstand zu halten. Immer wieder griff Rafek an, und die Waffen schlugen aufeinander und bertnten sogar das Grollen des anschwellenden Flusses, bis Rotapan pltzlich bemerkte, da der Ast, den er in Hnden hielt, ein Teil seines zerbrochenen Zepters war, an dessen Ende noch immer der Schlangenkopf sa. Er heulte vor Wut auf und hieb mit dem schweren Ende mit aller Kraft zu; der unerwartete Angriff erwischte den Neffianer auf seiner blinden Seite, als der Sklave die Keule hob. Einen Augenblick lang stand Rafek mit erhobener Waffe da, einen Ausdruck des Erstaunens auf seinem blutigen Gesicht. Dann fiel er hintenber, vom Gewicht der Keule mitgerissen. Er war tot, bevor er den Boden berhrte. Der kleine Wolf sprang wtend auf Rotapan zu, aber der Halbork hatte die Krcke des Zepters ber einen tiefhngenden Ast geworfen, schwang sich daran hoch und kletterte in die hohe Fichte hinauf. Q'Tarin versuchte, ihm zu folgen, fiel aber immer wieder zu Boden. Er jaulte und setzte sich leise heulend neben Rafek. Aber in dem dichten Wald und unter dem Rauschen des nahen Flusses verhallte seine Totenklage ungehrt. Oben im Baum sa Rotapan, untersuchte seine Wunden und lie die Hnde ber das zerbrochene Zepter gleiten, an dem das dritte Auge der Schlange nur noch ein dunkler Fleck ber den langen, entblten Zhnen war. Das Mdchen hatte gelacht. Der Stab war zerbrochen und der Ajada fort. Aber sein Tempel, der im Dmmerlicht des anbrechenden Tages schwach zu erkennen war, stand teilweise noch. Der mchtige Chelydrus wrde sein Giftopfer noch bekommen. Riolla hlt Claria gefangen? Was meinst du damit? Cheyne starrte den zerrupften Magier unglubig an. Nun, h, Naruq brachte sie zu Riollas Lagerplatz; mehr wei ich auch nicht. Ich mu wohl nicht erklren, wie erstaunt ich war, sie dort zu sehen, erklrte Og. Cheyne verzog das Gesicht. Also wird sie Clarias Leben gegen den Schatz der Uhr eintauschen wollen, nicht wahr? Das hat Naruq angedeutet. Er sagte, du httest ein Buch... Was wir haben, ist ein kranker Mann, der die Nacht nicht ohne Hilfe berlebt, sagte Cheyne. Gehen wir! Dunsan, kannst du Wiggulf berichten, was geschehen ist? Das werde ich. Er wird sehr traurig sein wegen Naruq. Sie sind alte Freunde. Komm mit mir, Orkin. Deine Wunde mu versorgt werden. Womba war zu sich gekommen, aber der Blutverlust machte ihr zu schaffen. Obwohl es bedeutete, Og zu verlassen, wehrte sie sich nicht, als Dunsan sie in die Richtung des Hauses schob und hinter ihr herging. Cheyne gab Doulos das Zeichen, Javin weiterzutragen, aber Og hob abwehrend die Hnde. Wartet. Wie ich schon sagte, ich kann etwas tun. Ich habe doch die Steine. Haltet euch alle an den Hnden. Er holte tief Luft und nahm alle Kraft zusammen, beugte sich ber die Steine und sang, whrend er sich fest auf den Sarrazanwald konzentrierte. Ein Ort, an dem er nie gewesen war. Naruq fhlte die Bewegung des Vorhangs, als Og seine Gruppe hindurchfhlte. Der Elf blieb stehen, drehte sich um und rannte wieder auf Riollas Lager zu. Ein schneller Blick verriet ihm, da und weshalb sie weitergezogen war; Drei verschiedene Fuabdrcke zeichneten sich in dem lehmigen Boden nahe der Quelle ab. Naruq kletterte auf einen Baum und schwang sich mit unglaublicher Behendigkeit von einem Ast zum anderen. Er kam noch schneller voran, als auf der unebenen Strae. Er holte Riolla ein, als sie gerade den Rand des Vorhangs erreichte. Halt! Naruq sprang dicht vor Saelin zu Boden, der mit stichbereitem Dolch wartete. Steck ihn weg, Meuchler. Beinahe httet ihr euch verirrt. Wo? fragte Riolla und sah sich um. Ich sehe nichts auer Bumen, und die Strae fhrt genau durch den Wald. Pa auf, sagte Naruq und ging ein Stck die berwachsene Strae entlang. Riollas Unterkiefer fiel herab, als der Elf sich in Nichts aufzulsen schien. Als er zu ihr zurckkehrte, wurde er wieder sichtbar. Der Vorhang teilt sich dort drben. Kommt mit. Naruq fhrte sie von der Strae fort. Eine Viertelmeile spter traten sie durch den unsichtbaren Vorhang; die Luft ringsumher war von nicht sichtbaren Krften erfllt. Wo vorher nur Wald und Himmel gewesen waren, erhob sich jetzt der Berg Sarrazan, auf dessen felsigen Hngen hoch oben ein Kristallspiegel funkelte. Claria atmete die klare Luft ein und fhlte, wie ihre Kraft zurckkehrte. Riolla und Saelin tauschten triumphierende Blicke aus. Ja. Das ist der Sarrazan. Wunderschn, nicht wahr? Wartet hier, bis ich zurckkehre. Und denke daran, Saelin: Wir brauchen das Mdchen! Naruq verschwand, ehe Saelin sich von seiner spttischen Verbeugung erhoben hatte. Ogs Gruppe landete im Gestrpp, aber er wute, da sie hinter dem Vorhang waren. Auch die Elfen wuten es. Aus jedem Baum ber ihren Kpfen sprangen silberhaarige Sarrazaner, von denen einige Bogen trugen, andere mit Blasrohren und Pfeilen bewaffnet waren, an denen winzige bunte Federn glnzten. Sie alle waren in Grn oder Braun gekleidet und verschmolzen aufs beste mit dem sommerlichen Wald. Es fiel Cheyne schwer, sie zu erkennen, wenn sie lngere Zeit still standen. Er hob grend die Hand, whrend Og und Doulos langsam ein Schwindelgefhl abschttelten. Javin blieb bewutlos. Mit schubereitem Bogen trat einer der Elfen vor, sah Cheyne prfend an und lchelte. Der Baumvater erwartet dich. Aber wo ist Naruq? Er sollte dich zu einem der Durchgnge geleiten. Die Stimme des Elfen klang wie ein Lufthauch. Naruq ist ein Verrter. Ich werde euch gerne mehr erzhlen, wenn wir diesen Mann zu einem Heiler gebracht haben, sagte Cheyne und kletterte aus dem Dornbusch heraus. Der Elf beugte sich nieder und hielt die Hand ber Javin, ohne ihn jedoch zu berhren. Er runzelte besorgt die Stirn, winkte den anderen, und sie eilten herbei, um Javin aufzuheben. Es ist nicht weit. Folgt uns. Und hofft. Noch klammert er an seinem Leben. Cheyne fiel whrend der nchsten zwei oder drei Meilen nichts Besonderes auf. Dann teilten sich pltzlich die Bume und gaben den Blick auf einen glnzenden, hlzernen Weg frei, der zu einer lebenden Festung fhrte. Bei diesem Anblick hielt Cheyne den Atem an. Ein groer Kreis aus Bumen, die hher als Rotapans Tempel waren, erhob sich zum Morgenhimmel. Die Bume trugen seltsame Zeichen, die in ein sanftes, rtliches Licht getaucht waren. Seltsame Tiere sprangen umher, die ihre Schwnze mit dem Maul festhielten, wenn sie sich einrollten. Lange Bnder aus kunstvoll beschrifteten Pergamentrollen wanden sich bis zu dreiig Fu hoch um die Stmme, und in viele der Bume waren Worte geschnitzt. Worte in Althochsumifanisch. ~KAPITEL 19 Der Ausgrber hatte den Elfen alles ber ihn erzhlt, daher war es nun ein wenig schwieriger, sich in die Festung zu begeben. Aber da er schon lange im Dienste des Raptoren und der Ninniten stand, war Naruq sehr erfahren in solchen Dingen und geno die Herausforderung, wenn er es recht bedachte. Er machte es sich in seinem Versteck in der Meditationszelle nahe der Tr gemtlich, als Cheyne und seine Begleiter die Gemcher des Baumvaters durch mehrere, miteinander verbundene Torbgen betraten, deren Dcher mit wilden Rosen und Beerenranken bedeckt waren. Yob wartete drauen und stellte sich, wie gewohnt, an der Tr auf. Legt ihn vor den Stein hier, erklang eine warme Stimme, die Mitgefhl in jedem Wort durchklingen lie. Cheyne schaute auf und sah sich um, whrend er Doulos half, Javin auf einen langen Tisch zu legen, der in der Mitte des groen, luftigen Raumes stand. Hinter dem Tisch stand ein kleiner Glasbehlter, in dem ein weier Edelstein im Wasser trieb. Das ist der Feuerbann. Sie bewahren ihn im Wasser auf, damit sich um ihn herum Kraft sammelt. Als er noch in der Mitte des Rings steckte, erfllten die anderen Steine diesen Zweck, erklrte Og leise. Cheyne nickte und schaute weiter um sich. Sulen, die aus dem weiesten Holz geschnitzt waren, das Cheyne je gesehen hatte, erhoben sich vierzig oder fnfzig Fu zur Decke empor und trafen oben als kunstvoll verzierte Bgen aufeinander, in die man Bltter und Eicheln geschnitzt hatte. Blasses Licht drang durch ein paar hohe Fenster herein, und als sich seine Augen an das Licht gewhnt hatten, bemerkte Cheyne, da auch die Sulen bearbeitet worden waren, so da sie wie hohe, dnne Bume wirkten. Er sah keine Unterbrechungen, keinen Anfang und kein Ende und erkannte mit groem Schreck, da er in dem hohlen Innern des grten Baumes der Festung stand. Mit ruhiger Gelassenheit erhob sich der Baumvater von seinen Gebeten, um sie zu begren, worauf er sofort auf Javin zuging. Seid gegrt, ihr alle, und willkommen in unserem sicheren Hort im Wald. Ich bin Luquin. Er lchelte, whrend er Javin untersuchte, seinen Puls und die Atmung prfte, die verschiedenen Wunden, die ihm die Kanistas zugefgt hatten und schlielich den Skorpionstich. Nachdem sie durch den Vorhang gekommen waren, hatte sich Javin im Fieber gerhrt und gesthnt, hatte um sich geschlagen und gemurmelt. Es schien ihm schlechter als zuvor zu gehen, aber Cheyne hielt den Mund und beobachtete den Baumvater genau. Luquin war grer als die meisten Elfen, denen sie begegnet waren. Sein Gesicht wirkte, als werde es von einem inneren Licht erleuchtet, und um die grauen Augen bildeten sich nur wenige Fltchen, wenn er lchelte, was sehr hufig geschah. Wre Luquin irgendwo auerhalb seiner Heimat aufgetaucht, hatte das dazu gefhrt, da ein jeder stehenbleiben und starren wrde, um sein Aussehen und seine Stimme zu bewundern. Hier, dachte Cheyne, schien er einfach nur ein Teil der unbeschreiblichen Schnheit zu sein, der berragenden Gre des Waldes und der Festung. Hier zogen dessen Hnde Cheynes Augen auf sich, als verfgten sie ber eine eigene Kraft. Es waren nicht die Hnde einer Person, die nur leichte Arbeiten verrichtet Luquins Hnde waren rauh und schwielig; die vielen weien Narben zeugten von mehr als nur einem geruhsamen Leben. Als der Baumvater die geschwollene Stelle um den Stich herum berhrte, versteifte sich Javin und wurde von heftigen Krmpfen geschttelt so da Doulos aufschrie. Luquin schien nicht besorgt und hrte nicht auf, rief aber zwei seiner Helfer, um Javin festzuhalten. Cheyne und Og zogen Doulos weg und beruhigten sich und ihn mit trstlichen Worten. Endlich blickte Luquin auf und sagte ihnen die Wahrheit. Es steht sehr schlecht. Der Geist hat den Krper bereits verlassen. Er wandert, aber wir werden tanzen. Er lchelte. Bereitet den Stein vor, befahl er den Helfern, die sich verneigten und sich entfernten. Naruq, der noch immer in seinem Versteck hockte, war voller Ungeduld und wartete, bis alle gegangen waren, ehe er die Zelle verlie und mit den grnen Tiefen der Festungshecken verschmolz. Wenig spter, als die Botschaft weitergegeben worden war, hatten sich die Elfen im Hof der Festung versammelt. Manche hatten noch Ton an den Hnden, einige hielten die hlzernen Werkzeuge umfat, und wieder andere trugen buerliche Gertschaften mit sich. Sie bildeten einen lockeren Kreis mit dem Baumvater in der Mitte und dem bewutlosen Javin, der noch immer auf dem Tisch lag. In den knotigen Hnden hielt der Baumvater den Feuerbann, der nun trocken war und weiglhend leuchtete; die von innen zngelnden Flammen blitzten auf. Eine Zeitlang wird er in der alten Sprache singen, dann fhrt ein Blitz nieder. Geht besser ein Stck zurck, warnte Og, aber weder Cheyne noch Doulos gehorchten. Na gut, seufzte Og und blieb auch stehen. Yob, den der Anblick der vielen Elfen verwirrte, wartete ein paar Schritt hinter ihnen. Der Baumvater hielt den Feuerbann hoch und begann sein Gebet. Mit jeder Silbe steigerte sich seine Stimme, bis sie so laut wurde, da Cheyne die Worte nicht lnger unterscheiden konnte und glaubte, er hre das Rauschen eines Wasserfalles oder das Grollen des Donners. Als es fast unertrglich wurde, fegte der Wind durch sie hindurch; die Elfen hielten sich bei den Hnden und stampften mit den Fen in einem schnellen, schwierigen Takt, und der Feuerbann blitzte sein Licht ber Javins zuckenden Krper. Cheyne mute die Augen abschirmen und fhlte, wie die Kraft auf seiner Haut prickelte. Der Baumvater trat eilig zurck, als ein Blitz in Javins Brust einschlug und ihn mehrere Zoll vom Tisch in die Luft hob, ehe er krachend zurckfiel. Sofort erlosch das Licht, die Gerusche verstummten, und der Baumvater brach zusammen, als zwei Helfer herbeieilten, um ihn aufzufangen. Die Elfen tanzten weiter, bis er sich erhob und hielten mit einem doppelten Stampfen auf Anhieb an. Cheyne atmete auf. Die Arbeit ist getan, verkndete Luquin mit zitternder Stimme, und die Elfen lsten den Kreis auf und zogen sich leise zurck. Cheyne, Og und Doulos blieben bei Javin stehen, der jetzt ruhig auf dem Holztisch lag, mit wachsbleichem Gesicht, aber der Skorpionstich war verschwunden. Ist er...? begann Cheyne. Der Baumvater hielt die Hand hoch. Er lebt, sagte Luquin, dann verneigte er sich und lie sie allein. Den ganzen Tag lang wartete Cheyne darauf, da Javin aufwachte. Er verbrachte die Zeit damit, sich das kleine, in Bronze gebundene Buch anzusehen, dachte nach und lie die Finger ber die Glyphen auf dem Totem gleiten. Als die Elfen Javin gegen Mittag in die Gemcher des Baumvaters brachten, schickte Cheyne Yob und Og zum Essen, aber Doulos wollte nicht gehen. Als der Baumvater eintrat, um die Nachmittagsgebete zu beginnen, sprangen Cheyne und der Sklave auf, hundert Fragen auf den Lippen. Er lebt, und ich glaube, er ist geheilt. Aber ich kann euch nicht sagen, wann er aufwacht. Es knnte jederzeit geschehen. Oder noch viel lnger dauern. Aber die Zeit bedeutet uns hier wenig..., lchelte er. Aber ich mu wissen, da es ihm gut geht. Und ich mu auch wissen, was er mir im Wald erzhlen wollte. Cheyne legte das Buch beiseite, hob das Totem auf und drehte es hin und her. Muje? meldete sich Doulos. Denke daran, da du noch viele andere Dinge fragen willst. Was bedeuten sie schon, wenn Javin nicht erwacht? Ich ... ich trage die Schuld, da er in diese Lage geriet, weil ich ihn verlie, ehe er den Sammler fand. Er bat mich zu warten. Das htte ich tun sollen. Aber Muje, er kam, weil er es wollte. Und du bist ihn suchen gegangen und hast das, was du fr die einzige Mglichkeit hieltest, den Baumvater zu sehen, verstreichen lassen - genau wie er seine Arbeit verlie, um dich zu suchen. Wenn du nicht nach der Uhr fragst, zerfllt alles, wofr er arbeitete, zu Staub. Vor nicht allzu langer Zeit htte Cheyne geantwortet, da alles, wofr sich Javin interessierte, Staub war. Alte, trockene, tote Dinge, die nichts mit den Lebenden zu tun hatten. Aber jetzt nicht mehr. Cheyne wute, da Doulos recht hatte, aber dadurch fhlte er sich nicht weniger schuldig. Der Baumvater sah Cheyne lange in seine sorgenvollen Augen, dann nahm er ihm sanft das Buch ab. Ich wei, wonach du suchst, Cheyne. Und ich werde dir sagen, was ich vermag. Er bltterte die dnnen Seiten durch, schttelte anfangs den Kopf und hielt schlielich bei den letzten Seiten inne. Dann nahm er das Totem und hielt es ins Licht. Luquin runzelte die Stirn, als er die letzte Glyphe betrachtete. Cheyne wartete geduldig, hielt aber den Blick auf Javin gerichtet. Die letzte Glyphe ist der Name einer Frau. Der Abdruck stammt von ihr, aber ich kann ihn nicht lesen. Er wurde mit einem Zauber geschrieben. Ein _Frauenname_, seufzte Cheyne, der seinen Ohren kaum traute. Das bedeutet, das Totem... ...gehrt einer Frau, jawohl, sagte Luquin leise und mitfhlend. Aber da ist noch mehr, Cheyne. Was? Was meinst du? Da ist der Schlssel zur Armageddon-Uhr. Der... Der Baumvater nickte. Jedenfalls behauptet das dein Buch. Cheyne, weit du, warum Javin den Sammler suchte? Damit er die Uhr finden konnte. Das war seine ... seine Lebensaufgabe. Ja. Denn der Sammler erfand die Uhr. Ich werde dir etwas vorlesen. Er las langsam; zuerst in der alten Sprache, dann wiederholte er die Worte in der neuen. Die Uhr wird einen Schlssel haben. Es ist das Totem meiner Tochter Claria, der ich all meine Kenntnisse und meine Besitztmer vermache, so wie allen, die aus ihrer Linie entstammen werden... Hast du _Claria_ gesagt? fragte Cheyne, bevor Luquin bersetzen konnte. Og sah ebenso verwundert drein. Der Baumvater hob den Blick und nickte. Ja. Ein ungewhnlicher Name, sogar in der Zeit des Sammlers. Soll ich weiterlesen? Cheyne nickte, und ein eigenartiges Lcheln umspielte seine Lippen. Der Schlssel pat in die hchste Sule, in die zwlfte vom Mittelpunkt des Tales, das die Elfen das Glockenspiel nennen. Wenn er in den Spalt der Sule gesteckt wird, ist diese vollstndig, und der leichteste Windhauch wird die anderen Trme dazu bringen, ihre eigentmliche Melodie zu singen, bis sie zerspringen, und die Leere, die sie hinterlassen, wird den Gtterschrei des Erg rufen, und die Kraft seiner Stimme wird die Kristalltr aufbrechen lassen. _Und mir den Schatz schenken,_ dachte Naruq, der wieder in seinem Versteck sa und lauschte. Es wrde bedeutend leichter sein, als er geglaubt hatte. Willst du ein Geschft machen, Ausgrber? Naruq trat in den Raum, hielt sich im Schatten und wurde nur durch das Licht verraten, das auf seiner silbernen Brosche funkelte. Ah, Naruq. Wir haben dich gesucht, sagte der Baumvater ungerhrt. Anscheinend hast du auerhalb des Waldes Arbeit gefunden. Und deine Fhigkeiten sind noch immer erstaunlich, Alter. Aber nicht so erstaunlich wie die meinen. Was ist, Ausgrber? Das Mdchen gegen das Totem? Ich glaube kaum, Naruq. Wie schade, denn das Biest, das fr Riolla arbeitet, kann kaum die Finger von ihr lassen. Anscheinend hat es etwas Berufliches mit ihr zu regeln. Und mit dir. Naruq lachte. Willst du es dir nicht noch mal berlegen? Cheyne sah den Baumvater hilflos an, der blo nickte und lchelte. Du mut tun, was du tun mut, sagte Luquin, und die langen Finger tippten sanft auf das Buch. _Es gibt noch mehr,_ sagten die Augen. Dann werde ich die Bedingungen festlegen, sagte Cheyne. Du wirst uns vor Einbruch der Dunkelheit am Glockenspiel treffen, allein. Wenn ich sehe, da das Mdchen unverletzt und gesund ist, gebe ich dir den Schlssel. Naruq hob eine seiner grauhaarigen Brauen und lachte. Wir werden dort sein. Er trat einen Schritt zurck und schien mit den Schatten zu verschmelzen. Hast du einen Sonnenstich, Mann? brllte Og. Nein, ich versuche nur, Zeit zu schinden, um mir etwas auszudenken, wie wir Claria in Sicherheit bringen knnen, ohne ihm den Schlssel zur Uhr zu geben, erwiderte Cheyne. Der Baumvater sah Cheyne neugierig an. Hier steht noch mehr, was du wissen solltest. Naruq ist sehr klug und ein begabter Waldlufer, aber er hat nie gelernt, ber den ganzen Wald nachzudenken, bevor er einen Pfad whlt. Hier ist das, was der Sammler noch schrieb: Das Monstrum ist die pure Bosheit, ein Wesen von schrecklicher Schnheit und der berbringer schrecklicher Furcht. Ich sah es an und berlebte, und das ist ein furchtbarer Segen. Ich schlferte es mit einem gewhnlichen Fluch ein, untersttzt von den Brdern des Zauberkreises. Das war alles, was wir tun konnten... Lange Zeit las der Baumvater Cheyne und Doulos den Bericht des Kampfes vor, den der Sammler gekmpft hatte, las von seinem Schmerz und der Niederlage und der qualvollen Entscheidung, Mishra das Werkzeug der Verdammnis zu bergeben, und wie er fr die Schlssel gesorgt hatte, die das Monstrum bei dem ersten Versuch Mishras, das Wesen zu wecken, vernichten wrden. Aber die letzte Seite fehlt, Cheyne. Hier ist die Stelle, an der sie abgerissen wurde. Luquin zeigte ihnen, was Cheyne bereits aufgefallen war. Die Schrift hrt mitten im Satz ber den Mrder des Sammlers auf - Der Zauberkreis wurde verraten, der Raptor kam mit dem bsen Wind zu mir, aber er kann vernichtet werden, jedoch nur von dem... Hier sieht es so aus, als habe er die Worte ber andere Worte eingebrannt, als sei er in Not gewesen und htte keine Zeit gehabt. Cheyne war kreidebleich, und kaum fhlte er die sanfte Hand des Baumvaters auf seiner Schulter. Cheyne? Es geht noch weiter, sagte Luquin. Fahre fort. Der Name, der auf dem Totem steht, steht auch auf dem hinteren Teil des Einbands. Ich wei. Und er steht auf dem Amulett, das Javin benutzte, um mich vor jemandem zu beschtzen, den er den Raptor nannte. Aber er lag im Fieber und sprach wirr. Ich wei aber immer noch nicht, was die Glyphe bedeutet. Er zog das Amulett unter seiner Tunika hervor. Beim Anblick des Amuletts grinste Doulos von einem Ohr zum anderen. Das ist der Schlssel! rief er. Nein, das Buch sagt, das Totem ist der Schlssel, meinte Cheyne. Doulos lie sich nicht beirren. Ich meine, das ist der Schlssel fr die kleine Uhr, fr die Musikuhr, wie sie dein Vater nannte. Aufgeregt rannte er zu dem Schrank, wo man Javins Bndel verstaut hatte, holte die Uhr und reichte sie Cheyne. Siehst du? Das gleiche Zeichen. Ich sagte, wenn es einen Schlssel gbe, wrden wir ihn finden. Versuche es, Muje, bitte. Cheyne untersuchte die Uhr, stellte sie auf den Kopf und fand noch einmal die Glyphe vor. Wo hast du sie gefunden, Doulos? Sie gehrt Claria. Sie hat sie in einer Hhle in der Oase gelassen, als Yob uns berraschte. Der Knig fand sie, als wir aus dem See stiegen, erklrte Doulos achselzuckend. Ohne das Amulett abzunehmen, steckte Cheyne das Ende in den Schlitz, drehte es vorsichtig um und zog es wieder heraus. Der Zeitmesser erwachte mit einem Lied zum Leben, einer frhlichen Melodie, die immer wieder ertnte und den Raum mit einer Se fllte, die Tausende von Jahren nicht hatten schmlern knnen. Das ist das schnste Lied, das ich je hrte, sagte Og ehrfrchtig. Es strahlt Magie aus, das spre ich. Sein Blick fiel auf das Totem, das im Scho des Baumvaters lag, und er erinnerte sich an den Tag, als ihm Cheyne das Totem zum ersten Mal gezeigt hatte. Kann ich es einmal sehen? Luquin berreichte ihm das Artefakt. Og hielt es hoch und drehte es, whrend die Musik spielte: Die Sonnenstrahlen, die durch die hohen Fenster fielen, verfingen sich darin. Pltzlich fllte sich der Raum mit strahlenden Farben; ein Regenbogen schien Feuer aus dem Totem zu ziehen und schickte ein Farbenband in die Tiefen des Raumes - die Umrisse einer weiblichen Hand flackerten in der Dunkelheit. Cheyne war wie versteinert beim Anblick der Hand, deren erste Finger leicht gekrmmt waren, bis die Vision bei den letzten Klngen des Liedes verschwand. Dann fiel ihm Clarias Hand im ersterbenden Licht des Feuers auf dem polierten Holzfuboden von Wiggulfs Haus ein, wie sich ihre ersten beiden Finger genauso krmmten, genau am ersten Gelenk. Er sah Og an, der schweigend zustimmte. Auch das Totem gehrt Claria. Die Glyphe schreibt ihren Namen so, wie sie auch den Namen der Tochter des Sammlers angibt. Cheyne zog die Uhr noch einmal auf, und Og versuchte, den Namen mit der Melodie auszusprechen, wie ihn der Baumvater ausgesprochen hatte. Die Silben und der Dialekt paten wie angegossen. Es dauerte ein paar Minuten, bis die Anwesenden die Sprache wiederfanden. Cheyne versetzte dem Pendel der Uhr einen kleinen Sto, und die Zeiger erwachten zum Leben, als htten sie auf seine Berhrung gewartet. Was heit das? fragte er atemlos. Alle diese Dinge mssen dem Sammler gehrt haben. In dem Buch sagte er, da dieses Namenslied die Kristalltr fr immer zerstren wird. Es mu dieses Lied sein. Og, glaubst du, du knntest es singen? Vielleicht haben wir einen Weg gefunden, Claria zu retten, ohne das Monstrum der Stunden freilassen zu mssen! Nun, es knnte sein..., begann Og. Unterhaltung war eine Sache. Auch heilen konnte er. Aber dies hier ... dies war die Armageddon-Uhr. Nein, sagte Cheyne. Du mut sicher sein. Kein vielleicht, keine Abweichungen, Og. Es mu perfekt sein. Kannst du es? Og versuchte, die kleine Melodie mit bester Stimme zu singen. Er krchzte. Er versuchte es noch einmal Wieder nur ein Krchzen. Ich glaube, ich brauche die Steine. Er sah verlangend auf den Feuerbann. Alle Steine. ~KAPITEL 20 Beeile dich, du namenloses Wesen! nrgelte Riolla ungeduldig, da sie verrgert war, ber dornige Ranken zum Glockenspiel hinabklettern zu mssen. Wir mssen pnktlich da sein. Es wre viel einfacher, meine Knigin, wenn wir sie unter uns aufteilen wrden, dann kmen wir bedeutend schneller voran, bemerkte Saelin listig. Claria warf ihm einen tdlichen Blick ber dem Knebel zu, ging aber trotzdem schneller. Naruq fhrte die Gruppe an und ging weit voraus, um vor eventuellen Fallen zu warnen. Auf sein Zeichen hin blieben sie zwischen den hoch aufragenden Trmen stehen und warteten. Er ging allein zu einem Hgel ber dem Tal und verbarg sich hinter einem alten Baum. ber dem Tal war der Wind strker. Drufaldens fnfhundert Leute waren gut sichtbar am Hang verteilt und warteten auf Riolla s Befehle. Sie muten nicht lange warten. Cheyne, von einem Helfer des Baumvaters geleitet erschien mit Ogwater an der Seite. Durch seinen Schwur gebunden, war Doulos bei Javin geblieben. Der Helfer winkte zum Abschied, und Naruq trat aus dem Versteck. Die Meuchler nahmen ihre Stellungen ein. Ich sehe, du bist ein Mann, der Wort hlt, Ausgrber. Schau dich um. Schau nach, ob sie da ist. Von seinem Platz aus konnte Cheyne in das Tal sehen, wo Saelin neben Claria stand, die an einen Ganzitpfahl gebunden war. Lat sie gehen. Wenn sie hier oben ist, bekommst du den Totem, sagte Cheyne mit kaltem und hartem Blick, als er sah, wie die Meuchler das Tal einkreisten. Hast du so viel Angst vor einem Ausgrber und einem Musikmagier, da du eine ganze Armee brauchst? Saelin! schrie Naruq und wandte sich ab. Warte. Na gut. Hier. Jetzt lat sie gehen. Cheyne hielt ihm das Totem entgegen. Naruq nahm es, lchelte und schrie wieder in das Tal hinab; die Worte hallten von den Trmen wider, als habe man flache Steine in einen kleinen See geworfen. Saelin! La sie gehen! Cheyne sah gebannt hinab, aber niemand rhrte sich. Als er zu Naruq sah, war der Elf verschwunden. Die Meuchler waren geblieben. Nun, du hast doch nicht erwartet, da er es wirklich tun wrde, oder? fragte Og. Nein, natrlich nicht. Er wird die Uhr ffnen. Bei diesem Wind kann es jederzeit geschehen. Bist du bereit? Og erbleichte, richtete sich auf und nickte. Sein Mund war so trocken, da er nicht einmal ja sagen konnte. Riolla verstaute ihr Fernglas und stellte sich neben den Turm, den Naruq ihr gezeigt hatte. Claria, noch immer geknebelt und gefesselt, war mit zhen Rindenfasern an den Kristall gebunden, die Naruq aus der Festung mitgenommen hatte. Saelin stand in der Nhe, beobachtete das Mdchen mit gierigen Blicken und wartete auf Riollas Zeichen, da sie ihm gehren wrde. Als der Elf neben ihnen auftauchte, schrak der Meuchler zusammen und verlor beinahe den Halt auf dem steinigen Untergrund, whrend er gegen die vielfltigen Visionen ankmpfte. Claria war mutig genug zu lachen. Jedenfalls solange, bis Naruq den Staub aus einer ffnung genau ber Clarias Kopf blies, die vier Seiten der Spalte mit dem Zipfel seines Umhangs polierte und das Totem hineinsteckte. Der Turm nahm seinen fehlenden Teil mit einem lauten Klicken auf. Er drehte sich zu Riolla um und lchelte; die silbrigen Augen funkelten. Ich gehe jetzt, sagte er und verschwand, noch ehe sie die Worte recht begriffen hatte. Du kannst uns hier nicht zurcklassen! rief Riolla, und ihre Stimme hallte durch das Tal und folgte dem Spiegelbild ihres besorgten Gesichts von Turm zu Turm. Sie packte Saelin am Arm und ffnete das Fernglas. Halte Ausschau. Ich werde uns einen Weg den Berg hinauf suchen. Sie verlieen das Tal so schnell sie konnten und lieen Claria mitten im anschwellenden Wind zurck. ber dem Tal, hinter der Kristalltr, erwachte das Monstrum der Stunden zum Gerusch eines weit entfernten Lutens, das sich wie der Ruf der ninnitischen Gebetsglocken anhrte. Oben auf dem Berghang konnte man anfangs nichts hren. Dann schien sich der Wind unter ihren Fen zu sammeln, und die Felsen summten laut und ausdauernd und zitterten so geringfgig, da man nur, wenn man die Steinchen auf der Oberflche herumrollen sah, bemerkte, da sich berhaupt etwas bewegte. Es hat angefangen, sagte Cheyne. Sie haben das Totem in den richtigen Turm eingefgt. Der erste Schlssel ist an seinem Platz. Und Claria ist noch immer gefesselt. Og, ich wei nicht, wieviel Zeit ich habe, aber ich mu da hinunter, egal ob eine Armee wartet oder nicht. Claria kann nicht berleben, wenn das eintritt, was der Sammler angekndigt hat. Cheyne, der Wind hat bereits zugenommen. Der Sturm sammelt sich ber dem Erg. Sieh doch! Og deutete auf den dunklen Himmel; die wenigen Wolken ber ihren Kpfen wirbelten in einem spiralfrmigen Muster herum. Im Norden lauerte eine tiefliegende, blasse Wolke. Das ist der Sandsturm. Der Gtterschrei. Wenn er zuschlgt mssen wir in Deckung sein. Der Wind trgt genug Sand mit sich, um das ganze Tal zu bedecken! rief Og. Du kannst da nicht runter! Clarias Schrei hallte vom Grund des Tals herauf, und es hrte sich an, als schrien tausend Frauen. Cheyne verzog das Gesicht und rief ber seine Schulter. Der Wind trug die Worte zu Og. Singe, um es wieder zu schlieen. Du bist unsere letzte Rettung, Og. Dann stand Og allein auf dem Hang ber dem Tal, die Augen auf die Kristalltr gerichtet. Er schluckte schwer, zitterte an den Hnden, und seine Knie drohten nachzugeben. Er konnte nur daran denken, wie sehr er einen Krug Raqa brauchte. Oder wenigstens einen Schluck. Der Wind fiel ber ihn her, und er stemmte sich gegen einen groen Baum, hielt die drei Juwelen in einer Hand und wartete darauf, da Cheyne mit Claria aus dem Tal auftauchte. Nach und nach fllte das Heulen des Windes seine Gedanken aus, bis er nichts anderes mehr hren konnte. Die Trme zersprangen einer nach dem anderen, und ihre Musik steigerte sich von einer Melodie bis hin zur blanken Zerstrung. Er klammerte sich an den Baum und war sicher, da niemand die Gefahren im Tal berleben konnte. Niemand, auer Womba. Og glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Dort war sie und bahnte sich einen Weg durch das geschundene Tal, schleuderte die zerbrochenen Trme aus dem Weg und schtzte mit einem Arm ihre Augen. Zwei Meuchler lagen leblos hinter ihr. Og holte tief Luft und bereitete sich vor. Jetzt konnte er nicht weglaufen, und er hatte auch nicht gewut, wohin. Er drehte sich um, sammelte sich und dachte an das Lied. ber ihm schwankte und bebte die Kristall wand unter den Angriffen der Wstenwinde. Og holte tief Luft und wartete, da die Winde eine Pause einlegten, damit er sich selbst singen hren konnte, um die Richtigkeit der Melodie zu prfen. Unten im Glockenspiel wickelte Cheyne die Kaffiyeh um sein Gesicht, senkte den Kopf und tastete sich blindlings von Turm zu Turm, von denen der eine oder andere ber seinem Kopf zerbarst, ohne Claria sehen zu knnen. Er hatte nur an sie gedacht und die Meuchler vergessen, sie aber hatten ihn nicht vergessen. Zwei hatten sich zwischen ihn und Claria gestellt, die Waffen steckten in ihren Grteln, aber ihr Vorhaben war deutlich. Sie wrden ihn nicht durchlassen. Er war einfach durch die anderen hindurch gelaufen, war zwischen den Ganzitkristallen verschwunden, und sein Bild wurde tausendfach widergespiegelt. Er selbst konnte es aber nicht sehen, dachte er traurig. Mehrere Meuchler waren ihm gefolgt. Drei von ihnen lagen tot am Boden, von fallenden Kristallen erschlagen, und zwei weitere wanderten suchend umher, als sich Cheyne Claria nherte. Og schaute durch seine dnne Kaffiyeh zur Kristalltr und erkannte, da er nicht lnger warten durfte. Er legte viel Kraft in die Stimme und stimmte eine kleine Melodie an, whrend der Sturm sein Werk im Glockenspiel beendete. Cheyne konnte nur dunklen, wirbelnden Sand sehen. Als aber der Blitz in das Glockenspiel schlug, leuchtete der Turm vor ihm grell auf, der Blitz fuhr zuckend von einer Spitze zur anderen und erleuchtete das Tal. Cheyne sah Claria neben dem vorletzten, noch stehenden Turm, neben ihr hatte sich eine Pftze aus geschmolzenem Ganzit gebildet, der von einem zerfetzten Turm auf den Talboden tropfte. Der heulende Wind ri an Clarias Gewndern, und der herumfliegende Sand hatte ihr die Haut von den Fingern gerissen. Hustend sank Cheyne gegen einen anderen Turm und glaubte, er msse jetzt sterben, inmitten des Gestanks nach geschmolzenem Ganzit und Schwefel und dem Lrm des Gottesschreis. Dann drang das schrecklichste Gerusch von allen an seine Ohren: vllige Stille. Der Wind lie ebenso schnell nach, wie er gekommen war, und fr einen Augenblick dachte Cheyne, er sei taub geworden. Aber dann hrte er das Rieseln des Sandes aus seinen Gewndern, als er sich bewegte, und das Klimpern des Kristallglockenspiels, als der letzte Funke des Blitzes erlosch. Und er hrte Clarias Schreie. Als er die Hand in ihre Richtung ausstreckte, konnte er sie berhren. Er fuhr mit seinen steifen, blutigen und sandbedeckten Hnden vllig unsicher ber die Stricke, schaffte es aber schlielich, sie durchzuschneiden, zog Claria mit sich und rannte zum Rande des Tales, auf die tiefen, schutzbietenden Hhlen zu. Ich bin da, Claria, halte durch. Wir sind in einer Minute hier raus, das schwre ich. Ich lasse dich nicht im Stich, murmelte er unter Schmerzen, die ihm die aufgeplatzten Lippen verursachten. Cheyne wute, da ihnen nur Sekunden blieben, bevor die Kristalltr das Monstrum der Stunden freigab, das so lange eingesperrt und gefangengehalten worden war und jetzt in sein unbesiegtes Reich springen wrde, die Wut von dreitausend Jahren hinter sich. ber dem Glockenspiel stand Og hilflos herum und betrachtete den Sturm. Das Lied hatte nichts gentzt. Egal, was er tat, die Steine antworteten nicht. Und er wute, weshalb. Er brauchte Riollas Perle, um sie zu bewegen. Da die drei Juwelen sehr viel Kraft hatten, konnte Og sie nur mit Hilfe der Perle von Nadrum leiten und lenken. _Ich habe wieder versagt. Riolla hatte recht. Ich bin nur... _...ein alter Narr. Hast du Schwierigkeiten? Ein schrilles Lachen durchdrang den Wind, und Og drehte sich um. Hinter ihm standen die Schreefa und ihr Meuchler. Riolla! Oh, Riolla, was hast du getan? rief er. Sie bi sich auf die Lippen. Ich wette, das hast du auch gesagt als ich dich verlie߫, schrie sie. Du hast dich berhaupt nicht verndert du raqasaufender Heuler. Aber ich! Du stehst vor der nchsten Knigin Sumifas! Gewhne dich daran, mich mit Majestt anzureden. Sobald jene Tr sich ffnet, bin ich die Besitzerin dessen, was seit Jahrhunderten unberhrt dort unten liegt! Was soll das heien? Weit du es denn nicht? Og starrte sie entgeistert an. Riolla, wenn ich das, was du angefangen hast nicht durch Gesang aufhalte, wird das Monstrum der Stunden durch die Kristallwand brechen und alles zerstren, was sich ihm zeigt. Es wird kein Knigreich geben, das du regieren kannst! Riolla, du hast einen Basilisken geweckt! Es gibt keinen Schatz! brllte Og. Oh, spiel das den Orks vor, Og! In wenigen Augenblicken werde ich die reichste Frau der Welt sein, spottete sie. Og gelang es nicht, den Blick von ihr zu wenden, nicht einmal fr die Spanne von drei Herzschlgen, Ich liebe dich, Riolla. Ich habe dich immer geliebt. Gib mir die Perle zurck. Oh, bitte. Du... Sie hrte mitten im Satz auf, starrte ber seine Schulter und lchelte. Er wandte sich um, als sich der erste Ri ber die glatte Oberflche der Kristalltr zog. Gib mir die Perle, Riolla, sie ist unsere letzte Hoffnung! Dann drehte er sich um und stimmte mit Trnen in den Augen noch einmal das Lied an. Riolla machte mit graziser Geste ihre wirren Locken zurecht und drehte sich auf ihrem Absatz um, um einen kniglichen Abgang zu bieten und wre um ein Haar in einen bodenlosen Abgrund gefallen, der sich genau vor ihr aufgetan hatte. Saelin war nirgendwo zu sehen. Rings um sie herum tat sich die Erde auf, zerbrach drhnend und krachend und fiel in riesigen Brocken vom Berghang. Sie erkannte, da sie mit Og auf einem Felsen gefangen war und fiel zu Boden, als der Felsen schwankte, da sein Lied nicht in der Lage war, die Lautstrke zu erreichen, die notwendig war, um den Gtterschrei zu bertnen. Noch immer stand Og tapfer da und sang fortwhrend Clarias Namen, whrend der Berg um ihn herum zerbrach und Felsen und riesigen Erdbrocken in das Tal strzten. Womba kmpfte sich durch den Sandsturm, durch den windgepeitschten Wald und den aufgewhlten Berghang und klammerte sich schlielich mit aller Kraft an die Wnde einer frisch entstandenen Schlucht. Da sie sicher war, da Og ohne ihre Hilfe niemals von den Felsen herunterkommen wrde, bi sie die Zhne zusammen und whlte sich voran, wild entschlossen, ihn zu retten. Zoll um Zoll, niemals sicher, ob der mhselig erkmpfte Halt nicht unter ihr nachgeben wrde, zog sie ihr beachtliches Gewicht noch oben, keuchte und grunzte, und Trnen des Schmerzes flossen ihr ber das Gesicht. Ihre Knochenkette kratzte ber die Felsen, Schmutz und Gerll fielen auf ihre Schultern und das wundervolle Kleid aus Ghomahaut hing in Fetzen. Dennoch arbeitete sie sich langsam auf Og zu. Das Krachen des Erdbodens fllte ihre Ohren mit ohrenbetubendem Lrm, und zehn Fu, ehe sie den Rand der Schlucht berwunden hatte, brach das Licht durch, und Clarias Name hallte in hundert Stimmen um sie herum, die alle Og gehrten. Womba brach in Trnen aus und fhlte, wie sie wieder in die Schlucht strzte, die Kraft durch den Namen der Rivalin gebrochen. Aber Og war noch immer gefangen. Womba bekmpfte ihre Wut und ihre Trnen, schwor sich, die Knochen der sumifanischen Frau zu zehntausend Ketten zu verarbeiten und kletterte weiter. Genau in dem Augenblick, als der letzte Ri die Kristalltr aufbrach, kletterte sie mit einem triumphierenden Brllen ber den Rand des Abgrunds. Og blieb keine Zeit, sich zu bewegen. Er sah nur, wie sich Womba erhob und auf ihn warf, als ein greller Blitz zuckte und die volle Kraft des Gtterschreies den Kristall traf und zerschmetterte. Als das Biest die rubinroten Augen ffnete, sah es Womba geradewegs an. Schau ihm nicht in die Augen! kreischte Og. Aber Womba stand kurze Zeit still, mit dem Ausdruck hingebungsvoller Liebe auf dem Gesicht. Dann fiel sie zu Boden, die Zge wie aus Basalt geschnitzt, der Krper versteinert. Langsam trat das Monstrum aus dem Gefngnis des Sammlers, hob die leuchtenden Flgel und den Kopf und zischte und kreischte. Das Gerusch drang Og ins Herz - er wute, er wrde diesen Laut nie vergessen. Beim gesprungenen Gesicht Nins! schrie Riolla. Was ist das? Die Augen auf Womba gerichtet, schlug Og den Umhang ber ihre Kpfe und drehte dem Untier den Rcken zu. Schau ihm nicht in die Augen! Egal, was du tust, schau ihm nicht in die Augen! brllte er ihr ins Ohr. Glaubst du mir jetzt endlich? Gib mir die Perle, sonst kann ich nichts mehr tun! Riolla wimmerte und dachte an den verlorenen Schatz, ihre unbezahlten Schulden und die Wut des Raptoren und das Grauen, das hinter ihnen erwachte. Wtend ri sie sich die Perle vom Hals und gab sie Og, der sie fest an die drei restlichen Steine drckte, den Feuerbann in der Mitte haltend. Er sang und rief den Zauber, wie er es gekonnt hatte, als seine Stimme noch klar gewesen und sein Herz, anstatt mit Kummer, mit Liebe erfllt gewesen war. Und der Zauber kam zurck. ber ihren Kpfen erhob sich das Licht des Regenbogens und verwob sich zu Bndern aus Gold, Violett, Blau, Grn und Blutrot, deren wehende Enden immer breiter wurden, bis sie den Eingang verhllten und in Licht badeten, whrend das Monstrum mit aller Gewalt an ihnen ri und zerrte. Der Basilisk wtete und schlug mit seinen Flgeln, aber je mehr er kmpfte, desto mehr fing ihn das Licht ein, bis er schlielich zischend und fauchend hinter dem Groen Kristall lag. Og sang weiter, und das Ungeheuer wurde mit jedem Ton schwcher. Unten, geschtzt von der ersten Hhle, die sie entdeckt hatten, sahen Cheyne und Claria einander entgeistert an. Der Wind heulte nicht mehr. Sie hrten nichts auer Og, der Clarias Namen immer wieder mit reiner, klarer Stimme sang. ~KAPITEL 21 Mehrere Meilen weit entfernt, hinter dem Vorhang des Lichts und dem Sarrazanwald, im gefhrlich schwankenden Wipfel einer Fichte, kehrte Rotapan dem Sturm den Rcken zu und sah den Gtterschrei vorbeiziehen, dessen Lrm das Tosen des Flusses bertnte. Als der Sturm sich auf das Grenzgebiet zu bewegte, wurde das Wasser wieder ruhiger, und er konnte den Tempel nicht lnger sehen, da sich eine Art wehender, leuchtender Vorhang davor geschoben hatte, der vom Himmel zu hngen schien, Rotapan starrte ihn eine Weile an und begriff nichts mehr. In den letzten Tagen hatte sich seine Welt zu sehr verndert. Er wollte nach Hause, sich die Wunden lecken und Chelydrus' Rat einholen. Anscheinend war das jetzt mglich. Der Wind hatte den kleinen Wolf neben seinem toten Herrn niedergestreckt. Aber in der Zeit, die Rotapan brauchte, um eine Entscheidung zu fllen, vernderte sich die Welt aufs neue. Der leuchtende Vorhang fiel pltzlich herab und enthllte den glnzenden, halbzerstrten Tempel eine Sekunde lang, ehe die Wasser von Drufaldens schmelzendem Knigreich, die in den Silbersee strmten, zurckkehrten, zur anderen Seite des ausgetrockneten Seebetts flossen und den glnzenden Knochenhaufen berfluteten, bis auch die letzte Spitze des Tempels verschwunden war. Als sich die Flut beruhigte, blieb kein Anzeichen zurck, da einst ein Tempel an den Ufern des Silbersees gestanden hatte. Rotapan glitt mit starren und trnenleeren Augen von der Fichte, wanderte durch den Wald auf die tosenden, tdlichen Fluten zu und lie sich von den Wellen mitreien. Ehe er in den luftleeren Sog des Strudels geriet, glaubte er, Chelydrus' lachendes Gesicht zu sehen. Noch lange nachdem ihnen die Stille verriet, da sie in Sicherheit waren, klammerte sich Riolla an Og. Das Monstrum war verschwunden und wieder dort, woher es gekommen war und wrde sie nie wieder heimsuchen, das wute Og. Aber ringsumher lag die Welt in Scherben und vllig verndert da. Er lste Riollas steife Finger aus seinem Umhang und drehte sich um, um nachzusehen, ob Cheyne und Claria aus dem Tal entkommen waren. Neben ihm lag Womba, die immer noch Ogs verlorenen Stiefel umklammerte. Sanft lste er ihn aus dem steinernen Griff, hielt ihn lange Zeit fest, bis er schlielich den anderen Stiefel aus dem Bndel zog, beide anprobierte und feststellte, da sie vorzglich paten. Du hast wirklich geglaubt, da du mich liebst? fragte er Wombas versteinertes Gesicht. Sie sah pltzlich gar nicht mehr hlich aus. Ja, das habe ich, sagte eine hochmtige, rauhe Stimme hinter ihm. Og zuckte zusammen, sein Herz pochte wie wild. Aber er wute, da Riolla fort war, noch ehe er sich umgedreht hatte. Pltzlich fhlte er sich sehr albern und sehr, sehr mde. Og? rief Cheyne von unten. Ogwater, bist du in Sicherheit? Die Stimme klang schwach und weit entfernt. Ja, das bin ich. Es ist vorbei. Og antwortete und ging auf die Stimme zu. Bleib, wo du bist. Wir schaffen es, sagte Cheyne. Lange Zeit spter hob Cheyne Claria die letzten Fu empor und folgte ihr dann. Gut gemacht, Og. Deine ... deine Stimme ist wieder da? Ja, sie ist wieder wie frher. Nun, jetzt gebe ich dir einen Raqa aus, wenn du magst. Cheyne lchelte. Nein. Traurig schttelte der Musikmagier den Kopf. Ich will blo noch nach Hause. Dann sah Cheyne Womba. Der Basilisk? Og nickte. Ich wei nicht, wie ich es Yob sagen soll. Sie schtzte mich vor dem Untier. Ich wre dem Blick begegnet, ehe ich mich htte abwenden knnen. Ich sage es ihm. Du hast dein Bestes getan. Sie starb im Kampf, und er wird stolz auf sie sein. Was ist mit dir? fragte Og. Wohin gehst du? Du hast immer noch keinen Namen. Nein. Aber Claria hat einen. Was? fragte Claria matt. Ja. Das Totem gehrte dir. War aus deiner Familie. Und das bedeutet, _da_ du die Erbin des Sammler bist. Du knntest... Er stie die Worte hart und abgehackt hervor, sonst hatte er sie nicht ber die Lippen gebracht. Jetzt knntest du Maceo heiraten. Sie wischte sich die Trnen aus den Augen, und der feine Sand, grub sich fest in die Haut und verursachte ihr Schmerzen. Ja, wahrscheinlich knnte ich das. Maceos Ring schien sich ihr in den Finger zu brennen. Nun. Og hatte recht. Es ist vorbei. Cheyne schluckte das Brennen in der Kehle hinunter und sprte es durch seinen Krper strmen, als sei es der Gtterschrei. Wohin gehen wir jetzt, Muje? fragte Doulos. Das Dmmerlicht im Raum des Baumvaters verdeckte seine Zge. Du weit da ich bei ihm bleiben mu. Cheyne hatte nichts anderes erwartet. Doulos wrde niemals die Hoffnung aufgeben, da Javin der wahre Knig Sumifas war - die Hoffnung der uralten Jumaschriften und jedes Sklaven seit der Wanderung. Aber es war Cheyne ein Trost, da jemand seinem Pflegevater so die Treue hielt. Doch gleichzeitig war es ihm auch ein Dorn im Fleisch. Cheyne dachte an sein letztes Versprechen, das er sich selbst gegeben hatte, als er Javin schlafend zurcklie, whrend das Gift der Ninniten bereits in dessen Krper wtete. _Ich sagte, ich wrde nie zurckschauen. Jetzt ist es alles, was mir noch bleibt._ Er lchelte und nickte Doulos zu. Ich wei. Ich bin froh, da du bei ihm bist. Cheyne sah zu dem schlafenden Javin hinber, der in der Mitte des Raumes auf einer Liege mit weichen grnen Blttern lag. Er ist wegen mir hier. Das mindeste, was ich tun kann, ist, alles ber das heilige Buch herauszufinden. Es mu einen Weg geben, auch den Rest zu lesen, und selbst wenn die letzte Seite verlorengegangen ist, kann ich vielleicht ein paar Antworten finden. Dieser Raptor - mit ihm mu ich reden. Und ich wei immer noch nicht, wer ich bin. Aber vielleicht spielt das auch keine Rolle mehr. Natrlich spielt es eine Rolle, sagte Claria ruhig. Wie kannst du so etwas sagen? Fr Javin war es wichtig genug, alles aufs Spiel zu setzen. Du mut weitersuchen, Cheyne. Aber dieser Raptor - wer oder was er auch sein mag - er ttete den Sammler. Wenn er so alt ist, verfgt er ber starke Magie. Wie willst du so einen Feind bekmpfen? Wie soll man gegen einen Wirbelwind kmpfen? Ich wei nicht. Aber ich mu es versuchen. Claria, die Geschichte des Sammlers besagt, da er groe Reichtmer versteckt hielt, den Schatz des alten Reiches. Der Raptor hat nie aufgehrt, danach zu suchen. Und er wird weitersuchen. Aber es handelt sich um _deine_ Erbschaft, erinnerte sie Cheyne. Claria senkte den Blick und hoffte, die ungeweinten Trnen zu verbergen. Diese Reise hatte mit ihren Hoffnungen auf einen Namen und eine Mitgift begonnen. Cheyne hatte ihr die Mglichkeit des Namens geboten, und jetzt bot er ihr auch die Mglichkeit, das Zweite zu erlangen. Warum fhlt man sich so schlecht wenn man bekommt, was man will? dachte sie. Sie betrachtete die frisch verheilten Hnde und Maceos Ring. Ich nehme es an. Aber du hast dir Feinde gemacht. Yob wird keine Hilfe sein - er ist fortgegangen, um Womba zu begraben, und Wiggulf hat mit der berflutung mehr als genug zu tun. Dunsan berichtet, da Naruq unauffindbar ist, und Riolla steht mit ihrer Armee am Vorhang des Lichts. Wirst du versuchen, wieder nach Sumifa zu reisen? Cheyne lchelte bitter. Ich wei nicht. Erinnere Og daran, Muni auszurichten, da er mich bald sehen wird. Og, der seit der Begegnung mit dem Ungeheuer auergewhnlich schweigsam war, rollte die vier Juwelen in der Hand hin und her und erhob dann seine Stimme. Ich sage es ihm, versprach er. Aber ich sage dir auch etwas anderes. Du kannst nicht nach Sumifa zurck, Cheyne. Maceo will deinen Tod. Und auf dem Rckweg vom Glockenspiel glaubte ich, Saelin gesehen zu haben. Er wird nie vergessen, da du ihm inzwischen mehrmals entkommen bist. Er braucht deinen Kopf, um seine Schande wieder abzugleichen. Und dann ist da noch Rotapan... Warum soll ich nicht mit dir gehen? Ich versprach, dich zu fhren. Und ich versprach dir die Hlfte von dem, was ich finden wrde. Was sich als sehr viel Gefahr und rger herausstellte. Auerdem warst du ein schlechter Fhrer, Og. Cheyne lachte. Und Claria bedarf deines Zaubers, um nach Hause zu kommen. Es ist ein langer Weg. Er nahm ihre Hand und kte die beiden, leicht gekrmmten Finger. Gute Reise und ein langes Leben, Claria. Claria traute ihrer Stimme nicht ihm zu antworten. Ein paar Sekunden verstrichen in gequlter Stille, dann sang Og und hielt die Steine fest; weies Licht ergo sich ber den Musikmagier und das Mdchen, als sie sich in Helligkeit auflsten. Innerhalb eines Herzschlages waren sie verschwunden, nur der rote Glanz von Clarias Haarband blieb kurz sichtbar, dann lag nur noch der Duft von Bergamotte und Myrrhe in der Luft. Hoch oben ber dem zerstrten Glockenspiel blies ein dunkler Wirbelwind durch die zerbrochenen Ganzitkristalle und whlte groe Sandwolken auf, whrend er suchend umherschweifte.